Reise durch Indien
Ganges
Ich warte in der Dunkelheit. Sitze auf einer Bank in einem Park neben der Ausfahrtsstrasse von Chandigarh, eine Strassenlampe gibt etwas Licht. Nach Mitternacht trudeln noch ein paar Leute ein, die warten wohl auch auf den Bus nach Rishikesh.
Tatsächlich, kurz vor ein Uhr trifft er ein. Der Adjudant lädt die Koffer in den Gepäckraum, der Chauffeur lässt den Motor laufen, fünf Minuten später sind wir unterwegs. Ob wir wohl irgendwo anhalten?
Tatsächlich, gegen halb vier Uhr gibt es einen kurzen Halt. Man könnte sich verpflegen oder eben, so wie ich, die Toilette aufsuchen. Gesprochen wird nicht viel, alle sind müde, sogar der Adjudant schläft hinter dem Sitz des Chauffeurs.
Bald sind wir wieder unterwegs. Neben mir sind Schlafkojen und auch über meinem Sitz sind ein paar davon. Es gibt nur ein wenige Sitze, aber die sind wenigstens recht bequem. Richtig gepolstert.
Wir fahren durch die Nacht, ich lese. Habe ein neues Buch, das zwar nicht in die Gegend passt, es wurde mir vor einem Jahr von einer Bibliothekarin in einem Antiquariat in Lima empfohlen, wohin es ebenfalls nicht passte. Aber in dieser Nacht fesselt es mich und zeigt wieder einmal, wozu Bücher in der Lage sind. Meine Umgebung geht vollständig verloren, ich bin an einem anderen Ort, in einer anderen Zeit. Und teilweise auf einer anderen Reise, denn 1974 besuchte ich in Polen eine Brieffreundin und mit ihr besuchte ich das KZ Auschwitz. So vermischen sich Zeit und Ort und kommen in einem Bus, der durch das nächtliche Indien fährt, wieder zusammen.
Es sieht zwar aus, als ob es direkt aus einem Antiquariat käme, aber das Buch kam erst 2019 auf den Markt. Erschütternd.
Es ist sechs Uhr wir halten an. Wo sind wir? ist das Rishikesh? Gibt es Taxis? Tuctucs?
Der Chauffeur deutet über die breite Strasse - dort drüben. Der Adjudant lädt die Koffer aus. Der Bus fährt weiter.
Zum Glück ist sonst niemand unterwegs. Wir, drei junge Inderinnen, zwei Männer und ich ziehen unsere Koffer über die breite Strasse überwinden die Leitplanke auf dem Mittelstreifen und kommen zur anderen Strassenseite wo drei Tuctucs stehen.
Keiner der Driver kann wirklich englisch. Sie wollen wissen, wie unsere Hotels heissen. Bei mir scheint keiner genau zu wissen, wo das Hotel ist, die beiden Männer sind bereits mit dem ersten Tuctuc unterwegs, die drei Mädchen verhandeln noch. Verhandeln um den Preis um sechs Uhr morgends. Dass ich mein Hotel auf meinem Navi bereits gefunden habe, nutzt übrigens wenig, wenn der Driver keine Karte lesen kann. Doch irgendwann traut sich einer, sagt mir einen Preis und wir können losfahren. Er scheint ungefähr zu wissen, wohin wir müssen, und den Rest kann ich ihn lotsen. Jedenfalls kommen wir irgendwann bei einem Hotel an, das gar nicht als solches erkenntlich ist. Es gibt noch ein paar Schritte zu Fuss zu gehen, ein alter Mann weist den Weg und will dann nicht einmal ein Trinkgeld für seine Hilfe.
Also sitze ich jetzt kurz vor Sonnenaufgang auf einer Terasse vor einem verschlossenen Haus, das mein Hotel sein soll und warte auf die Sonne oder jemanden, der die Türe aufschliesst. Klopfen und Läuten hat bisher nichts genutzt.
Ich lasse mein Gepäck bei den Gartenstühlen stehen, gehe hinunter zum Ganges, zum heiligen Fluss. Finde da eine Treppe neben einem Baum und setze mich hin, denn da drüben über den Hügeln wird es langsam heller.
Ein Mann, weiss gekleidet kommt die Treppe herunter.
Er wäscht sich die Füsse im Wasser, netzt sich Augen und Mund, bleibt einen Moment so stehen,
Er hat einen kupfernen Becher dabei, den er jetzt sorgfältig im Wasser ausspült. Dann füllt er ihn, steht auf, Richtung aufgehende Sonne und lässt das Wasser langsam zurück in den Ganges fliessen. Dabei murmelt er leise seine Gebete.
Und jetzt geht tatsächlich die Sonne auf. Baut eine goldene Strasse über den Fluss, während der Mann sich jetzt um den kleinen Altar kümmert, der neben dem Baum auf der Terrasse steht, die hier in den Fluss gebaut wurde. Er hat frische Blumen mitgebracht, besprengt sie mit Wasser, Bleibt noch einen Moment und geht dann zurück auf den Uferweg.
Ich bleibe sitzen, denn jetzt ist ein Affe gekommen. Erst schaut auch er der Sonne zu, wie sie jetzt rasch höher steigt, dann kümmert auch er sich um den Altar. Er frisst ein paar der frischen Blumen. So hat wohl jeder sein eigenes Morgenritual.
Zurück auf dem Uferweg erwacht jetzt auch langsam das Leben. Nebenan macht eine Yogagruppe ihre Übungen, von einem anderen Ort höre ich gemeinsames Lachen. Lachyoga? Nach und nach kommen verschiedene Menschen, steigen hinab zum Fluss, waschen ihre Hände und Füsse, bringen ein paar Blumen und kommen zurück, gehen ihrer Wege. Einige steigen gar ins Wasser, das wahrscheinlich nicht sehr warm ist, denn das Wasser kommt aus den Gletschern des Himalayas.
Es ist immer wieder berührend, zu sehen, wie wichtig und allgegenwärtig die Religion und Gott im Leben dieser Menschen ist.
Übrigens ist jetzt auch die Kuh erwacht und schaut mit grossen Augen der Sonne zu.
Zurück beim Hotel sehe ich einen jungen Mann, der ebenfalls auf Einlass wartet. Er ist nicht ein Gast, er arbeitet hier und bald darauf wird die Türe geöffnet. Allerdings muss ich dann noch en paar Stunden - ich werde jede halbe Stunde neu vertröstet - warten, bis ich endlich ein Zimmer bekomme. Leider ist es keines das einen Blick zum Fluss hat, die meisten Zimmer sind unten, mit hohen Fenstern zum Hinterhof. Immerhin gibt es etwas Tageslicht.
Im Moment kümmere ich mich zwar überhaupt nicht darum, ich schlafe schon ein, wenn ich nur das Bett sehe.
Aufbruch: | 01.06.2022 |
Dauer: | 8 Monate |
Heimkehr: | 30.01.2023 |
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