Reise durch Indien

Reisezeit: Juni 2022 - Januar 2023  |  von Beatrice Feldbauer

Beatles

Heute ist der Wasserstand des Ganges wieder oben und ich stehe erst recht vor einem Rätsel. Aber es muss dafür eine richtige Antwort geben. Also gehe ich wieder zur Rezeption und versuche von dem jungen Mann da eine befriedigende und nachvollziehbare Antwort zu bekommen. Aber er scheint tatsächlich kaum Englisch zu verstehen, ausser Zimmer und Frühstück ist da nicht viel mehr los.

Zum Wasser meint er einmal mehr 'normal', aber mir kommt da überhaupt nichts normal vor. Also versuche ich es mit Babylanguage, verbunden mit Zeichensprache: gestern wenig Wasser, heute viel Wasser. Why? Und dann endlich das entscheidende Wort, nach vielen Normal-Beteuerungen und verständnislosen Blicken. Wie kann man nur so unwissend sein. Closed, sagt er, und deutet Flussabwärts. Closed, also doch ein Damm.

Ich studiere die Karte im Google Earth und entdecke zwei Kilometer flussabwärts eine grosse Brücke und dahinter der Fluss, der in in vielen kleinen Armen über die ganze Talbreite verteilt weiterfliesst. Das muss eine Staumauer sein, anders ist das gar nicht zu erklären. Und ausserdem fällt mir auch erst jetzt auf, dass das Wasser, das da vor mir liegt, eigentlich gar kein Fluss ist, sondern ein richtiger, breiter See. So still wie es daliegt, keine Strömung. Nur ein paar schnatternde Enten auf dem ruhigen Wasser. Hätte mir auch früher auffallen können. Aber das ist eben der Ganges, der zweitgrösste Fluss Indiens, was weiss ich schon, wie viel Wasser der mit sich bringt.

Also laufe ich flussabwärts, ich will die Staumauer sehen Es ist ein angenehmer Spaziergang entlang dem hohen Zaun, der das Flussufer vom Spazierweg trennt. Kurz vor dem Ziel gibt es eine kleine Aussichtsplattform und jetzt ist es ganz klar ersichtlich. Der See geht bis zur Brücke, die ein riesiges breites Stauwehr ist.

Alle interessanten Fakts sind auf einer grossen Informationstafel aufgeführt. Eingeweiht wurde das Wehr in 1980 nach einer siebenjährigen Bauphase. Die Brücke ist 312 m breit.

Ich laufe darüber, gucke auf der anderen Seite zum jetzt wieder niedrigen Fluss, der im breiten steinigen Bett weiter fliesst, Sandbänke hinterlässt und breite Uferzonen.

So sieht der Fluss auf der anderen Seite des Wehrs aus.

So sieht der Fluss auf der anderen Seite des Wehrs aus.

Auf der anderen Seite der Brücke gibt es einen Checkpoint. Hier müssen alle Fahrzeuge einen Wegzoll bezahlen für die Weiterfahrt. Ich nehme an, dass das ganz genau auf der Tafel aufgeführt ist, die beim Kontrollhäuschen aufgestellt ist. Ich fotografiere sie, weil sie so schön aussieht mit der weissen Schrift auf dem grün-roten Untergrund. Und weil die Frau, die davor sitzt, so freundlich lächelt. Ich soll mich zu ihr setzen, meint sie. Zusammen mit ihrem Kollegen, der im Moment Dienst hat, versuchen wir ein Gespräch, das natürlich wieder vor allem daraus besteht, woher ich komme, was ich hier tue, wie lange ich schon hier sei und wieviele Kinder ich habe. Der ganz normale Smalltalk eben. Und ich will wissen, wo das Kraftwerk ist, wo der Strom produziert wird. Das Wasser fliesst durch einen Kanal auf der Seite der Staumauer und wird dort zu einem Kraftwerk geleitet, das 14 km weiter flussabwärts liegt. Dort wird das Wasser dann wieder in den Ganges zurück geleitet.

Ich bleibe eine ganze Weile, kaufe eine Flasche Wasser am Kiosk und wir sind schon dabei, Facebook-Kontakte auszutauschen, als ich versuche, herauszufinden, wie ich von hier weiter kommen könnte. Gibt es ein Taxi, oder könnte man ein Taxi rufen? Schwierig, zu sagen, wohin ich will. Weiter eben, der Strasse nach auf der andern Flussseite. Denn dort, auf der anderen Seite der Brücke, bei der ich gestern war, muss irgendwo der Beatles-Ashram sein.

Seema arbeitet am Checkpoint, scheint aber im Moment dienstfrei zu sein.

Seema arbeitet am Checkpoint, scheint aber im Moment dienstfrei zu sein.

Anil bedient heute den Checkpoint nach Haridwar. 50 Rupies kostet die Durchfahrt

Anil bedient heute den Checkpoint nach Haridwar. 50 Rupies kostet die Durchfahrt

Anil versteht, was ich will und ruft jemanden an, mit dem ich dann am Telefon verhandeln soll. Wohin willst du? fragt der und ich merke, dass es ihm jetzt nicht wirklich passt, für eine kurze Taxifahrt hierher zu kommen. Und ich bin nicht sicher, ob ich mit dem Fahrer, den ich noch nicht gesehen habe, eine Sightseeing-Tour machen soll. Immerhin spricht er englisch.

Komm einfach her, dann sehen wir weiter, schlage ich ihm vor, worauf er verspricht, in einer halben Stunde da zu sein.

Eine halbe Stunde später fährt ein Toyota-Geländewagen vor. Arjun scheint sympatisch, er versteht, was ich will, weiss wo der Beatles-Ashram ist und nachdem ich mich bei Anil und Seema für die nette Unterhaltung bedankt habe, fahren wir los. Wir fahren durch einen Wald auf der anderen Flussseite. Hier sei eine Zone, in der Tiger und Elefanten leben, in der Dämmerung könne man ihnen manchmal begegnen. Das erklärt auch das Safari-Fahrzeug, das vorhin beim Checkpoint gestanden ist. Es gibt hier Safari-Touren, Wild-life-Beobachtungen.

Jetzt, am Mittag ist die Chance klein, aber es könnte ja sein. Arjus zeigt mir die Drähte, die die Strasse vor den Elefanten schützen sollen. Sie sind zum Teil elektrisch geladen, jedenfalls da, wo jetzt wieder ein paar Häuser sind.

HIer gelangt das Wasser in den Kanal und später in das Flusskraftwerk

HIer gelangt das Wasser in den Kanal und später in das Flusskraftwerk

Wir verlassen die Hauptstrasse, kommen zu einem Eingangstor. Tiger-Reservat steht da. Ich wollte aber eigentlich zum Beatles-Ashram.

Das ist er, er heisst eben nicht mehr so, In den 80-er Jahren wurde der Ashram aufgehoben, der Yogi war gestorben, die Regierung übernahm den Platz, der Name wurde geändert, der Ort ist nur noch eine Erinnerung an goldene Zeiten.

Damals, in den 80-ern war der Maharishi Mahesh Yogi wohl einer der bekanntesten Lehrer Indiens für Transzendentrale Meditiation. Viele Prominente kamen hierher und im Jahr Februar 1968 eben auch die Beatles mit ihren Frauen und Freunden. Sie blieben ein paar Wochen hier und schrieben einige Songs hier. In Ihrem Schatten kamen noch andere Musiker, wie Donovan, Mike Love und Paul Horn, sowie die Schauspielerein Mia Farrow.

Damals war die goldene Zeit für den Ashram, es gab sogar einen Helikopterlandeplatz auf dem Gelände und viele Menschen aus den umliegenden Dörfern fanden hier Arbeit. Auch Arjuns Vater arbeitete hier. Doch leider ist er sehr früh gestorben, so dass Arjun sich an keine Geschichten mehr erinnen kann, die sein Vater erzählt hat.

Beim Eingang gibt es kleine runde Häuser, Meditiationshäuser. Diese wurden schon lange vor dem Besuch der Beatles benutzt. Schüler lebten in einfachen Kammern mit einem Bett, Dusche/WC und einem oberen Stockwerk, in das man sich für die Meditation zurück ziehen konnte.

Es gibt eine grosse Wiese mit einem Meditationskreis und verschiedene Gebäude. Informationstafeln erklären deren frühere Funktionen. Es gibt ein altes Postbüro, die Küche, in der zeitweise täglich bis zu 500 Menschen bekocht wurden. Vegetarisch selbstverständlich, was damals wohl für Westler noch eine spezielle Herausforderung war. Es sind gut 50 Jahre vergangen seit dem Besuch der Beatles

Es gibt einen Ausstellungsraum mit vergilbten und abgegriffenen Fotografien, von denen ich glaube, sie auch schon irgendwo gesehen zu haben. Dass sie hier so verwittert aussehen, gibt der ganzen Atmosphäre einen zusätzlichen Touch.

An den Wänden der verschiedenen Gebäude sind Graffitis gemalt. Die meisten sind wohl erst in den letzten Jahren entstanden, jedenfalls erstrahlen sie in leuchtenden Farben.

In der grossen Meditationshalle gibt es grosse Portraits der vier Pilzköpfe an den Wänden.

Gib mir deine Kamera, stell dich auf die Bühne. Ja so, und jetzt setz dich... - ich hab wieder einen Fotografen, der genau weiss, was er will, wie ich mich setzen und wohin ich gucken soll. Jedenfalls werden die Bilder richtig gut.

Hat Arjun von mir gute Fotos gemacht, so kann ich ihm im Gegenzug die Faszination von Graffitis zeigen, die sich separat aufgenommen, wie Gemälde machen. Wir spazieren durch die Anlage, finden da ein interessantes Sujet, dort eine pitoureske Szene und immer wieder spannende Bilder an den Wänden. Innen und aussen der alten Gemäuer. Wo sie wohl gewohnt haben? Die Beatles, in welchen Zimmern sie wohl geschlafen haben? Oben in den mehrstöckigen Hàusern oder doch eher in den niedrigen Gebäuden. Wir wissen es beide nicht, was das Spekulieren und Werweissen spannend macht. Arjun ist allerdings zu jung, um die Beatles zu ihren wichtigsten Zeiten erlebt zu haben. Ihre Musik kennt und mag er trotzdem.

Der Ashram ist zwar schon lange nicht mehr in Betrieb, aber es liegt eine leise Musik über dem ganzen Gelände. Sie passt zu dieser nostalgischen Stimmung.

Je näher wir allerdings dem Ausgang wieder kommen und auch schon beim Aussichtspunkt über den Ganges, ertönt eine andere Stimme. Ein Guru predigt und beschallt mit seinen Worten die ganze Umgebung.

Nachdem wir den Beatles-Ashram verlassen haben (ich bleibe bei der Bezeichnung, auch wenn sie nicht mehr korrekt ist), gehen wir hinunter an den Ganges. Da haben sich in einem Tempel viele Menschen versammelt und lauschen der Stimme, die aus dem Lautsprecher dröhnt. Über einer Bühne ist ein grosser Bildshirm, der das Gesicht des Gurus überträgt.

Wieder einmal bin ich froh, dass ich kein Wort verstehe, denn ich würde es tatsächlich nicht ertragen, hier mit den Weisheiten dieses Hindu-Lehrers überschüttet zu werden. Auch wenn er mit jedem Wort recht hätte, was ich natürlich nicht bestreite. Ich staune einfach immer wieder, wie allumfassend hier die Religion und ihre Lehrer ins Leben der Menschen eingreift.

Mit den Klängen der Stimme im Ohr schlendern wir noch kurz ans Ufer des Ganges, wo ein paar Hütten stehen. Es scheint, dass hier Menschen leben. In winzigen kleinen Verschlägen. Mir ist nicht klar, ob es sich um Einzeletablissments handelt, unter den Bäumen liegen ein paar Männer auf Tüchern. Schlafen, dösen, blinzeln, als wir vorbei gehen. Ich unterdrücke meinen Reflex, hole die Kamera nicht heraus, auch wenn Arjun meint, ich dürfe auch hier fotografieren.

Manchmal sind die Umstände zu schwierig für mich, um Bilder festzuhalten, ich versuche, sie im Kopf zu behalten.

Das winzige Kalb, das wahrscheinlich erst ein paar Stunden auf der Welt zu sein scheint, fotografiere ich dafür ohne Skrupel.

Wir gehen zurück zum Auto, fahren weiter, dem Fluss entlang und kommen zur Brücke, bei der ich gestern auf der andern Seite gestanden bin. Hier gibt es einen weiteren Teil der Stadt mit sehr vielen Ashrams und Yogaschulen. Die schmale Hauptstrasse führt durch ein Dorf. Immer wieder müssen wir ausweichen, immer wieder kommen uns Autos entgegen. Dann bleibt man einen Moment stehen, passt auf, dass die Räder nicht in den schmalen Wasserkanal fallen, der hier an vielen Stellen vor den Häusern verläuft. Man holt die Spiegel ein, passt auf, dass man ohne Kratzer aneinander vorbei kommt. Dass bei diesen Manövern Radfahrer oder Motorräder und natürlich Fussgänger trotzdem weiter gehen und ihren Platz beanspruchen ist normal. Irgendwie geht es immer weiter. Zurück setzen gilt nicht, und wenn, dann nur um Zentimeter.

Vor einem Café bleibt Arjun kurz stehen, ich kann aussteigen. Er wird hier in der Nähe warten, nein einen Kaffee mag er jetzt nicht. Driver lassen sich eher selten einladen.

Ich aber bestelle einen Cappuccino und einen Blaubeer-Käsekuchen und geniesse die Aussicht über den Fluss, sehe einem Schlauchboot zu, das unter uns an Land kommt.

Das scheint ein ganz neuer Ashram zu sein

Das scheint ein ganz neuer Ashram zu sein

Arjun hat in der Nähe gewartet, als ich aus dem Cafe komme, ist er mit dem Auto gleich wieder bereit und wir fahren noch ein Stück weiter bis wir zu einem Ausstellplatz kommen, wo man eine tolle Übersicht hat in die Berge und hinunter zum Fluss, der sich in Windungen durch das Tal schlängelt. Unten sieht man die Schlauchboote, die gemöchlich auf dem Wasser treiben, bis es zwischen den grossen Steinen etwas wilder wird.

Ein paar Affen leisten uns Gesellschaft, ein paar Rinder und Kühe sind auf ihren Spaziergängen bis hierher gekommen.

Arjun zeigt mir Fotos seines letzten Ausfluges mit dem Motorbike in den Himalaya. Er liebt das Autofahren und sein Motorrad. Das Auto gehört übrigens ihm. Er muss es zwar noch abzahlen, was vor allem während der Coronazeit sehr schwierig war, denn er hat es kurz vor Ausbruch der Pandemie gekauft. Aber er ist stolz, dass er damit sein eigener Chef ist und unabhängig von einer Agentur. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Nächstes Mal wenn du kommst, fahren wir in die Berge, verspricht er mir. Im Sommer, wenn es dort oben noch keinen Schnee hat. Nun, wir werden sehen. Ich bin nicht sicher, ob ich noch einmal herkommen werde. Obwohl ich weiss, zu Hause wird mich das Fernweh gleich wieder packen und die Erinnerungen gleich mit.

Danach fahren wir den gleichen Weg zurück. Zurück bis zum Wehr, wo ich kurz aussteige, denn gerade sinkt die Sonne dem Horizont zu und lässt den Fluss hinter dem Wehr golden erstrahlen.

Arjun bringt mich zurück zum Hotel. Vorher planen wir noch den morgigen Tag, er wird mich vor Sonnenaufgang abholen.

Zum Nachtessen gehe ich noch einmal zum Hotel Holy Water, wo ich diesmal das gesamte Menu, das am Eingang angeschlagen ist fotografiere. Ja ich kann jetzt alles nachlesen, was ich gegessen habe, doch am Schluss weiss ich auch heute nicht, was das alles war.

Immerhin, das Menu ist abwechslungsreich, auch wenn es rein vegetarisch ist. Es fängt auch heute wieder mit einer rituellen Handwaschung an und endet mit einem kleinen süssen Dessert.

Das Hotel Holy Water ist ganz in der Nähe meines Hotels

Das Hotel Holy Water ist ganz in der Nähe meines Hotels

So fängt es an...

So fängt es an...

... und so geht es weiter

... und so geht es weiter

Das Wasser ist immer noch da.

Das Wasser ist immer noch da.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Es geht wieder los. Vier Monate ist es her, seit ich von meiner Südamerikareise zurück gekommen bin. Sieben Monate war ich unterwegs. Und jetzt stehe ich vor einem neuen Start. Mein Traum ist das Taj Mahal. Mein Ziel heisst Indien.
Details:
Aufbruch: 01.06.2022
Dauer: 8 Monate
Heimkehr: 30.01.2023
Reiseziele: Vereinigte Arabische Emirate
Indien
Indonesien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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