Reise durch Indien

Reisezeit: Juni 2022 - Januar 2023  |  von Beatrice Feldbauer

Zugfahrt

Drei Uhr morgens ist nicht wirklich meine Zeit zum Aufstehen. Weil ich befürchte, dass ich nicht aufstehen mag, wenn ich geschlafen habe, gehe ich erst gar nichts ins Bett. Es war noch einmal ein schöner und lustiger Abend mit Bose und einem seiner Freunde. Auch Manoj ist noch dazu gekommen, hat marinierten Paneer und ein paar geröstete Erdnüsse zum Apero mitgebracht. Danach gab es ein Hühnchen und gebratenen Reis. Dazu stand auch heute wieder eine Flasche Whisky auf dem Tisch. Diesmal habe ich sie spendiert. Musste zuerst abklären, wo man überhaupt Alkohol kaufen kann. Dieser wird nur in ganz speziell lizenzierten Shops verkauft.

In der Hauptstrasse gibt es einen entsprechenden Laden. Hinter Gittern stehen die Verkäufer. Vor den Gittern drängen die Männer, geben ihre Bestellungen auf und bekommen die Flaschen durch das Gitter gereicht. Eine spezielle Erfahrung, es scheint also doch zu stimmen, dass in Indien der Alkohol vorwiegend zu Hause getrunken wird. In Restaurants beim Essen sieht man ihn nie. Auch Bierflaschen, voll oder leer sehe ich nie.

Wir sind also noch ziemlich lange zusammen gesessen, bis ich zurück ins Zimmer ging. Ich musste packen. Zum Glück muss ich dabei nicht mehr zu sehr aufs Gewicht achten, erstens bin ich ein paar Dinge losgeworden, die reisen jetzt in einem gut verschnürten Paket in die Schweiz zum anderen reise ich mit dem Zug, da gibt es keine Gewichtslimiten. Allerdings ist inzwischen doch schon wieder etwas dazu gekommen. Ich wusste ja, wenn der Damm gebrochen ist, kann ich mich nicht mehr zurückhalten beim Einkaufen.

Pakete werden übrigens regelrecht eingenäht. Ein starkes Tuch wird darum herum gewickelt und das ganze mit Nadel und Faden vernäht. Darauf kommt mit einem dicken Filzstift die Adresse und dann geht es zum Versand. Dort bekommt es noch eine Tracking-Nummer mit dem seine Reise jederzeit verfolgt werden kann. In zwei Wochen sollte es zu Hause ankommen. Bin gespannt, ob das klappt.

Wirst du um drei Uhr hier sein? schreibe ich eine halbe Stunde vorher an Rajeev. Er hat sich schon lange anerboten, mich zur Bahn-Station zu bringen.

Selbstverständlich, seine Antwort kommt umgehend. Es sind knapp 20 km und Bose hat mir empfohlen, früh genug loszufahren. Mit einem Tuktuk müsse ich mit einer Stunde Fahrzeit rechnen. Mein Zug fährt um 4.50 Uhr. Sollte also alles klappen und ich werde auf dem Bahnhof genügend Zeit haben, herauszufinden, auf welchem Gleis mein Zug fahren wird.

Dass es Unterschiede bei den Tuctucs gibt, hat mir einer der Angestellten des Hotels erklärt. Er würde mir ein geschlossenes Tuctuc empfehlen für die Fahrt durch unbewohntes Gebiet bis zum Bahnhof. Eine offene Motor-Rikscha wie mein Fahrer sie habe, sei nicht ganz ungefährlich....

Für solche Überlegungen ist es aber jetzt zu spät. Ich bringe meinen Rucksack zur Rezeption und versuche, den Mann zu wecken, der dahinter auf seiner Liege schläft. Doch er schläft so tief, dass ich es nicht über mich bringe, ihn richtig zu wecken. Also gehe ich wieder hinauf in den 3. Stock, packe meinen Koffer und bringe ihn langsam, Stufe für Stufe hinunter zur Lobby, wo ich jetzt noch das Gitter hochziehen muss, das nachts zum Schutz geschlossen wird. Dann bin ich auf der Strasse. Wie ein Dieb bin ich aus dem Hotel geschlichen Von Bose, der gemeint hatte, er würde sich das nicht nehmen lassen, mich persönlich zu verabschieden, ist auch noch nichts zu sehen.

Wichtig ist aber im Moment nur, dass Rajeev hier ist. Mit seiner offenen Motor-Rikscha. Wir laden den Koffer ein, der Rucksack kommt neben mir auf die Sitzbank und los gehts. Zuerst fahren wir noch durch die Stadt, da fällt es mir nicht auf, doch als wir die Häuser verlassen, merke ich, dass da mit dem Licht etwas nicht stimmt.

Hast du etwa gar kein Licht? rufe ich durch den Motorenlärm. Er schaut kurz nach hinten, lächelt: nein.

Ich fasse es nicht, wir fahren tatsächlich ganz ohne Licht durch die Nacht. Manchmal gibt es eine Strassenlaterne, manchmal ein Licht von einem Haus oder von einem entgegen kommenden Auto. Die Strasse ist zum Glück weitgehend abgeteilt, so dass uns niemand auf unserer Seite entgegen kommen sollte. Ist ja auch sowas wie eine Autobahn. Wenn sich von hinten jemand nähert, können wir die Scheinwerfer sehen und Rajeev fährt mehr am Strassenrand. Sonst aber rast er dahin. Der Mond muss als Lichtquelle genügen. Bis zu einer Vollbremsung. Ich sitze zum Glück eh schon eher locker auf der Bank, weil ich jederzeit mit Unebenheiten in der Strasse rechnen muss, doch diesmal ist es eine sechsfach-Delle, vor der er gerade noch bremsen konnte. Ich habe schon das Gefühl, wir hätten einen Platten, da holpern wir bereits wieder über die Strasse und weiter geht die Fahrt.

Alles ok da hinten? Rajeev wirft jetzt doch einen Blick zurück. Ja, hab mir nur den Kopf am Dach angeschlagen, aber sonst ist alles in Ordnung. Rucksack und Koffer sind noch da. Weiter geht es. Noch zweimal hat es solche breiten Schwellen auf der Strasse, eine hat er rechtzeitig erkannt, die andere haben wir etwas sanfter als die erste ebenfalls überstanden. Strassen in Indien haben nicht nur Schlaglöcher und Dellen, die von der Witterung stammen, nein es gibt auch überall diese eingebauten Schwellen, damit niemand zu schnell rast. Und auf dieser Strecke gibt es eben diese 6-fachen Schwellen. Wir haben sie überstanden. Auch die lichtlose Fahrt durch die Nacht. Ich habe mir zugeredet, dass ja auch jederzeit eine schwarze Kuh auf der Strasse liegen könnte. Auch dieser müsste ein Auto oder ein Lastwagen ausweichen können. Da werden die doch wohl ein Tuctuc sehen, das unbeleuchtet unterwegs ist.

Kurz vor vier Uhr sind wir bei der Station. Diese ist hell beleuchtet und voller Menschen, die auf einen Zug warten. Die Anzeigetafel zeigt die richtige Zeit und die Plattform. Aber die App, die Rajeev auf seinem Handy abfragt, weiss, dass der Zug Verspätung hat. Mindestens eine Stunde.

Ich werde hier mit dir warten, bis du losfährtst. Lass uns erst noch etwas trinken gehen, meint er. Das finde ich jetzt tatsächlich eine gute Idee und überlege, ob es hier wohl ein Restaurant gäbe, in dem man gemütlich eine Tasse Kaffee trinken könnte.

Wir verlassen das Bahnhofareal, weil da keine Tuctucs stehen dürfen, parkieren etwas ausserhalb und Rajeev holt an einem Stand, von denen ganz viele offen sind, zwei Chais. Soviel zum gemütlich irgendwo sitzen und warten.

Jetzt, da wir nicht mehr durch das laute Motorengeräusch übertönt werden, will ich das mit dem fehlenden Licht genauer wissen. Seit vier Jahren fährt Rajeev sein Tuctuc. Licht hatte er noch nie und er wurde auch noch nie von der Polizei angehalten. Unvorstellbar. Dafür erzählt er mir seine Geschichte. Er fuhr lange mit einer Fahrrad-Rikscha. Das war eine harte Zeit, auch wenn er als junger Mann natürlich kräftiger war, als die vielen alten Männer, die ich mit ihren Rikschas immer antreffe und bei denen ich schon aus Bedauern nicht aufsteige. Was ihnen natürlich auch nichts hilft.

Eines Tages kam ein Amerikaner aus San Franzisco. Er war längere Zeit in Varanasi und liess sich öfters von Rajeev fahren. So kamen sie ins Gespräch und der Amerikaner wollte Rajeev helfen. Er fotografierte ihn, schrieb seine Geschichte auf und postete sie ins Facebook. Mit seinen Freunden sammelte er Geld und am Schluss konnte er für Rajeev diese Motor-Rikscha kaufen, mit der er jetzt seit vier Jahren unterwegs ist. Ich liebe solche Geschichten. Sie zeigen, dass Hilfe möglich ist, sie zeigen die Möglichkeiten der Sozial Medien. Es gibt eben auch sehr gute Anwendungen dazu.

Inzwischen ist es kurz vor fünf, vielleicht ist es besser, auf dem Bahnhof zu überprüfen, ob mein Zug tatsächlich so viel Verspätung hat. Ausserdem möchte ich nicht, dass Rajeev so lange auf den Zug wartet. Sein Auftrag ist erledigt, er hat mich hergebracht, jetzt sollte er vielleicht besser zu Hause bei seiner Frau und der neugeborenen Tochter sein, die heute aus dem Spital nach Hause gekommen sind.

Wir gehen also zurück, gehen zur Plattform 1, wo der Zug in einer Stunde ankommen sollte. Es sei allerdings nicht ganz sicher, ob das nicht doch noch gewechselt werde. Wenn zu dem Zeitpunkt die Plattform 1 besetzt wäre, würde der Zug wahrscheinlich auf der 2 einfahren. Und wie erfahre ich das? Durch die Durchsage im Lautsprecher.

Den Lautsprecher habe ich bisher gar nicht beachtet, obwohl da ununterbrochen Durchsagen kommen. Abwechselnd in Hindi und Englisch. May I have your attention please kommt im Halbminuten-Takt. Zugnummer, Ziel und Plattform wird dabei durchgegeben. Ich soll mich jetzt also auf die Durchsage konzentrieren und im richtigen Moment das richtige heraushören.

Rajeev erkundigt sich bei einem indischen Paar, das ebenfalls auf einen Zug wartet und klärt ab, ob sie auf den gleichen Zug warten. Er bittet sie, ein Auge auf mich zu werfen und ich soll mich bitte an ihnen orientieren. Wird schon gehen. Ich werde nur noch aufpassen müssen, dass ich den richtigen Wagen mit meiner Reservationsnummer finde. Wenn ich den Zug habe, kann da nicht mehr viel passieren.

Also verabschiede ich mich von Rajeev, gebe noch etwas Trinkgeld - für die kleine Tochter - und mache mich auf eine längere Wartezeit gefasst. Freue mich auf die bequemen Sitze, auf den komfortablen Zug.

1. Klasse Liegewagen mit Klima - und Steckdosen

1. Klasse Liegewagen mit Klima - und Steckdosen

Es klappt alles. Der Zug fährt um 5.15 Uhr auf der anderen Plattform ein, mein Wagen ist ganz vorn, also muss ich sehen, dass ich ihn vor der Abfahrt erreiche und dann bin ich drin. Ein Schaffner sieht, dass ich mich mit dem Koffer und der Platznummerierung etwas schwertue. Er packt meinen Koffer und öffnet die Wagentüre zu den Sitzen. Doch da sind gar keine Sitze. Es ist ein Ersteklasse-Liegewagen, wie ich sie bereits von anderen Fahrten kenne. Mein Abteil ist abgeschlossen, auf wiederholtes Klopfen wird es von innen geöffnet. Die Pritsche oben rechts ist noch frei in den anderen drei liegen Menschen. Schlafend. Also klettere ich hinauf, versuche, es mir bequem zu machen. Bekomme vom Schaffner ein in Papier eingepacktes Leintuch, mit dem ich nun, da ich bereits auf der Pritsche liege, herzlich wenig anfangen kann, ein Kissen und eine Wolldecke. Einmummeln und versuchen zu schlafen. Der Rucksack liegt zu meinen Füssen, den Koffer hat man unter die untere Pritsche geschoben, die Türe wird geschlossen, der Mann unter mir steht kurz auf, verschliesst sie, schläft weiter.

Wir rattern durch die Nacht in den beginnenden Morgen.

Zwei Stunden später, als ich meine Augen wieder öffne, hat sich die Situation komplett geändert. Vis a vis von mir hockt ein junger Mann mit einem Wasserkocher. Er hat tatsächlich einen Kocher dabei. Und auch sonst liegen ein paar Utensilien um ihn herum, die mich an Camping erinnern. Unter ihm sitzt seine Frau mit einem Kind. Eine andere Frau kommt aus einem anderen Abteil, man plaudert, man trinkt Chai. Auch der Mann unter mir gehört dazu, ist wohl der Grossvater des Kindes. Ich bin Teil davon, bin aber nicht involviert. Bleibe auf Beobachtungsposten. Unbeteiligt und unbehelligt.

Später gibt es Frühstück. Ist eben doch ein Ersteklasse-Abteil. Chai, Toastbrot mit Butter und Marmelade und eine frisch zubereitete Omelette, die tatsächlich sehr fein schmeckt.

Ich schicke ein Foto an Krishna, der mir das Ticket für den Zug verschafft hat und mir von dem bequemen modernen Zug - mit Sitzen wie im Flugzeug - geschwärmt hatte.

Its India - meint er lapidar und mehr kann man dazu wahrscheinlich nicht sagen. Ich werde es überleben, schreibe ich zurück, aber den modernen Zug würde ich gern einmal sehen. Thema erledigt

Mit zwei Stunden Verspätung kommt der Zug in Kolkata an. Kolkata, früher hiess es Kalkutta. Wir fahren in einen Sackbahnhof. Endstation. Natürlich stürmen auch hier wieder die Kofferträger den Zug, doch diesmal bin ich gewappnet, Stehe schon bei der Türe, bevor der Zug ganz hält - zu diesem Zeitpunkt kommen tatsächlich die Kofferträger bereits in den Zug. Darum stehen sie dann auch bei Stillstand sofort in der Kabine.

Ich schaffe es, mein Gepäck selber auf den Bahnsteig zu bringen, kämpfe mich durch ein Chaos von Koffern mit den dazu gehörenden Menschen und rennenden Kofferträgern, laufe durch die grosse Bahnhofshalle und stehe schon bald beim Ausgang, wo nicht Tuctucs, sondern Yellow Cabs auf Passagiere warten. Gelbe Taxis, wohin man sieht.

Weiter passiert nicht mehr viel Aufregendes. Ausser vielleicht, dass die Adresse meines Hotels im Booking nicht richtig angegeben ist, der Taxifahrer kein Englisch kann, keine Karte lesen und auch sonst nicht lesen kann. Wir irren einen Moment in der Gegend herum, bis ich das Hotel anrufe und mein Fahrer genaue Instruktionen bekommt.

Dann kommen wir an und ich beziehe mein Zimmer - und bin sogleich im 7. Himmel. Zwar mit mehr als drei Stunden Verspätung, aber dafür tatsächlich im schönsten Zimmer meiner gesamten Reise - Bali ausgenommen. Und ebenfalls Mysore ausgenommen, wo ich mich in einem teuren Hotel erholte. Auch diese Hotel ist etwas teurer, als mein normaler Durchschnitt, aber es ist jede Rupie wert.

Sauber bis in den letzten Winkel, ein Badezimmer, das den Ausdruck verdient, eine Regenwald-Dusche. Und ein Restaurant, in dem ich ein paar Stunden später Spaghetti Bolognese bekomme. Zwar mit Chicken, und etwas anderem Geschmack, aber in schönem Geschirr, mit Messer, Gabel und Löffel. Einzig auf das Glas Wein muss ich verzichten, doch das ist Peanuts.

Ich bin so richtig happy und bleibe gleich die nächsten zwei Tage im Hotel. Nutze die Zeit zum Schreiben und mache Indien-Pause.

Ich vermute, dass Kalkota wieder neue Energien brauchen wird. Diese müssen erst einmal neu aufgebaut werden.

Bemerkung
Ich bin immer wieder erstaunt, wenn ich in Reiseberichten lese, wie toll die indischen Züge doch seien und wie bequem und zuverlässig.

Ich habe keine Ahnung, mit was diese Leute die indische Bahn vergleichen, aber ich kann das in keiner Weise bestätigen. Ich meine, es ist eine Reisemöglichkeit und ich werde bestimmt wieder Zug fahren, aber begeistern können mich diese Züge nun definitiv nicht. Abenteuerlich, ja das ist eine Zugreise hier bestimmt

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Es geht wieder los. Vier Monate ist es her, seit ich von meiner Südamerikareise zurück gekommen bin. Sieben Monate war ich unterwegs. Und jetzt stehe ich vor einem neuen Start. Mein Traum ist das Taj Mahal. Mein Ziel heisst Indien.
Details:
Aufbruch: 01.06.2022
Dauer: 8 Monate
Heimkehr: 30.01.2023
Reiseziele: Vereinigte Arabische Emirate
Indien
Indonesien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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