Reise durch Indien
Morgentour
Vor Sonnenaufgang ist es in den Strassen von Varanasi noch ruhig. Nur eine Kuh ist bereits auf den Beinen und später kommt mir ein Mann entgegen, der mir eine Bootsfahrt auf dem Ganges verkaufen will.
Doch ich habe mit Dipa für eine Tour abgemacht. Und da kommt sie mir auch bereits entgegen. Wir gehen durch die schmalen Gassen zum nächsten Ghat und steigen die steilen Stufen hinunter zum Wasser.
Noch liegt ein leichter Dunst über dem Wasser, ob man den Sonnenaufgang wohl sehen wird? Das andere Ufer jedenfalls scheint heute weit weg und die Sandbänke die es dort drüben gibt, sind nicht sichtbar.
Dipa hat mit einem Bootsführer abgemacht und schon bald fährt ein grosses Motorboot an die Treppenstufen, wir können einsteigen.
Wir fahren hinaus auf den Fluss, fahren entlang den Ghats, denn von hier draussen hat man eine perfekte Übersicht über die vielen Treppen, die Ghats, von denen es 88 gibt. NIcht vorzustellen, wie es hier aussieht, wenn das Wasser höher steigt. Noch vor ein paar Monaten war es auch dieses Jahr wieder oben, knapp unter der Kante. Die Ghats schützen die Stadt, bis das Wasser zu hoch wird und überschwappt. Dann wird Varanasi geflutet.
Von der Sonne, die jetzt eigentlich über den Horizont steigen sollte, ist heute nichts zu sehen, es bleibt beim leichten rosa Schimmer, zu dicht ist der Dunst über dem Wasser.
Wir fahren bis zur grossen breiten Treppe, wo oben die drei markanten Tore den Eingang zum Tempelbereich des goldenen Tempels markieren. Eine dicke moderne Mauer trennt das nächste Ghat von den Blicken ab. Es ist das Burning Ghat, ein ganz besonders heiliger Ort. Hier werden die Toten der Stadt öffentlich kremiert. Auch jetzt kann man ein grosses Feuer sehen und Rauch, der über dem Platz aufsteigt. Wir drehen um, fahren zurück zur breiten Treppe. Nebst uns sind noch ganz viele Boote unterwegs. Mit Touristen, vor allem indischen, die Varanasi besuchen.
Viele Boote werden von Vögeln begleitet, ob das Fischerboote sind? Nein, meint Dipa, die Leute füttern die Vögel. Denn die können nicht arbeiten, darum muss man sie unterstützen. Genauso wie die Hunde und die Kühe. Man achtet auf sie, lässt niemanden verhungern. Überall gibt es Futterstellen für Hunde, für Vögel, wo roher und gekochter Reis ausgestreut wird. Einen kurzen Moment überlege ich, dass hier wohl sogar die Hunde Vegetarier sind, denn Fleisch wird hier in Indien nirgends viel gegessen.
Wir nähern uns dem Ufer, sehen die Leute, die ins Wasser steigen. Ihr Morgenritual machen. Die Sonne begrüssen, beten, der Mutter Ganges ihre Verehrung zeigen, ihr Blumen bringen oder ihr Wasser in kleine Gefässe schöpfen. Jeden Morgen, oder nur an diesem Morgen, weil sie als Pilger hierher gekommen sind. Einmal im Leben nach Varanasi kommen, der heiligsten Stadt Indiens.
Ob ich fotografieren darf? Selbstverständlich, ermuntert mich Dipa, du kannst alles fotografieren. Und tatsächlich, wenn man mich überhaupt sieht, schenkt man mir oft ein Lächeln, einen freundlichen Blick, wenn ich meine Kamera zücke.
Zwar ist die Verehrung des heiligen Wassers ein wesentlicher Teil des religösen Lebens, aber das hindert die Inder nicht, freundlich zu bleiben und auch neugierig. Hier ist sie wieder, diese uneingeschränkte Verehrung, dieses tägliche Ritual. Viele Einwohner kommen jeden Morgen hierher.
Und jetzt zeigt sich tatsächlich auch die Sonne. Der rote Feuerball ist schon ziemlich hoch, hat aber noch sehr zu kämpfen gegen den grauen Schleier.
Wir verlassen das Boot, steigen die Treppe hinauf, kommen links von den grossen Toren zum Nepalesischen Tempel. Ob ich ihn sehen will? Selbstverständlich. Es ist ein offener Bereich mit einem kleinen Gebäude in der Mitte. Wir umlaufen es einmal, die geschlossenen Fenster sind mit wunderbar aufwändigen Holz-Schnitzereien verziert. Ein paar Menschen verneigen sich vor dem eigentlichen Heiligtum.
Der Pförtner des nepalesichen Tempels notiert geflissentlich meinen Eintrittspreis und woher ich komme. Ich bekomme einen Zettel als Eintrittsticket. Die Administration ist überall, wo sie eingesetzt wird, sehr aufwändig.
Einerseits ist man sehr locker, andererseits aber sind sowohl Sicherheitsmassnahmen übertrieben gross und sobald etwas Geld kostet, wird für ein paar Rupies ein grosser Aufwand gemacht. Ich kann das eigentlich nur damit erklären, dass all das kleine Minimaljobs ergibt oder als Prävention gegen die Korruption.
Wir gehen weiter, sind jetzt auf der Höhe über dem Ghat und jetzt kann man auch die Sonne sehen, die schon ziemlich hoch steht und langsam in eine orang-goldene Farbe wechelt.
Dipa möchte Richtung goldener Tempel gehen, doch ich will noch einmal hinunter. Jetzt müsste es bei den grossen Toren wunderbare Aufnahmen geben. Ich merke schon, fotografieren ist nicht ihre Stärke, sie schaut mich etwas verwundert an, muss dann aber zugeben, dass es sich gelohnt hat, noch einmal zu den Toren zu gehen.
Auch den Blick hinter die Mauer will sie mir eher verwehren, dabei ist dort das Burning Ghat. Ich bestehe darauf, und kann mich auch kurz durchsetzen. Sofort werden wir von einem Mann in Beschlag genommen, der mir etwas über die Kremationen erzählen will. Ich merke, das war nicht, was Dipa wollte. Sie versucht, mich wegzulocken und ich gebe nach, werde ein andermal allein herkommen.
Wir steigen die Treppe wieder hinauf. Die ganze Anlage rund um den goldenen Tempel ist völlig neu. Erst in den letzten Jahren wurden die Gebäude gebaut. Vor dem Eingang zum goldenen Tempel stehen die Leute Schlange. Dipa versucht vorne in die Schlange einzufädeln, doch die Wachen, die davor stehen, erklären ihr, dass ich als Ausländerin nicht hier hinein gehen kann. Ich muss zum Gate 4 gehen.
Das Gate 4 ist auf der anderen Seite der grossen Anlage. Ich glaube Dipa, will da jetzt nicht hin, denn unten wartet der Schiffsführer noch immer auf uns. Allzulange sollten wir ihn nicht warten lassen. Jedenfalls gehen wir noch durch ein paar enge Gassen, wo ich diese orange gekleideten Männer antreffe. Noch immer ist mir nicht ganz klar, welche Funktion sie haben Gelten sie als heilige Männer? sind es Babas? Oder verzichten sind sie nur für eine gewisse Zeit ihres Lebens auf allen Komfort. Ich frage, ob ich sie fotografieren darf und sie wiegen den Kopf. Alles klar.
Wir kehren zurück zum Ghat und steigen die grosse Treppe hinunter. Jetzt steht die Sonne schon ziemlich hoch und die Gebäude leuchten in einem orangen Ton. Die Sonne lässt die Farbe der Mauern verstärkt leuchten.
Unser Boot steht noch da, wir steigen ein und fahren wieder hinaus Richtung Mitte des Flusses. Als ich jetzt zurück schaue und die vielen Boote sehe, dahinter all die Menschen unter den gewaltigen Festungsmauern, merke ich, dass ich diese Bilder schon irgendwann einmal gesehen habe. Sie sind ein typisches Bild von Indien, Varanasi im Glanz des neuen Tages. Ich werde ganz andächtig, während Dipa mir ein paar Sachen erklären will. Doch weil sie direkt neben dem Motor sitzt, verstehe ich sie kaum. Mag auch gar nicht nachfragen ich will im Moment nur diesen einmaligen Anblick geniessen. Ja, manchmal will ich alles wissen, manchmal werden mir allzu ausführliche Erklärungen zu viel. Vor allem wenn ich sie von einem schlechten Englisch zuerst uminterpretieren muss, oder wie jetzt wegen des Umgebungslärms kaum verstehe.
Am Ufer sind jetzt immer mehr Menschen zu sehen. Es scheint, als ob die ganze Stadt herkomme um die Sonne zu begrüssen, den Ganges zu verehren.
Das mit den Restaurants mit Fluss-Blick möchte ich allerdings noch abklären. Ja, meint Dipa, es gäbe ein paar wenige gute Restaurants in den alten Mauern, doch die allermeisten seien noch nicht wieder geöffnet worden. Vieles ist nach der Pandemie noch nicht wieder offen, auch Hotels sind erst seit wenigen Monaten wieder geöffnet. Auch mein Hotel ist erst seit Anfang Jahr wieder in Betrieb.
Dipa will es zwar nicht wirklich bestätigen, denn ich glaube, jammern gehört nicht zu ihrer Natur, aber ich bin überzeugt, dass es früher viel mehr ausländige Touristen gegeben hat. Im Moment sind es wie überall vor allem indische Gäste aus dem ganzen Land.
Wir legen am Ufer an und steigen die Treppe hinauf. Kommen an grossen Graffitis vorbei. Einige sind bereits verblasst, andere erst vor kurzem entstanden.
Beim Gang durch die schmalen Gassen kommen wir zum Tempel mit der Quelle. Dipa ist ziemlich überrascht, als ich erkläre, dass ich gestern schon hier war.
Doch gegenüber Sadhav gestern hat sie einen grossen Vorteil. Sie kennt die Leute, die hier arbeiten. Sie bittet den Wärter, das Tor zu öffnen, so dass wir hinunter steigen können. Ganz hinunter bis zum Wasser. Die Schuhe haben wir sowieso oben gelassen also können wir jetzt auch kurz die Füsse ins Wasser stellen. Dabei wird klar, dass es sich um eine Thermalquelle handelt. Jedenfalls ist das Wasser leicht warm und die Konstruktion sehr eindrücklich. Es ist einer der ältesten Tempel der Stadt.
Der nächste Tempel ist sehr speziell. Wie alt er ist, kann mir Dipa nicht sagen, aber mir scheint die eigenartige schwarze Kuppel eher neu zu sein. Wir steigen die Treppe hinauf. Leider verkündet eine grosse Tafel, dass das Fotografieren verboten sei. Ein paar Gläubige sitzen rund um den Altar und beten. Wir sind daher bald wieder draussen.
Der nächste Tempel mit den drei Türmen ist geschlossen. ich kann nur durch das Eisentor die breite Treppe und den eindrüklichen Bau fotografieren. An einer nahen Mauer entdecke ich eine Zeichnung des Gebäudes.
Zum nächsten Tempel gehört ein grosser Wasserspeicher. Es ist der Tempel, der einer Göttin gewidmet ist. Es ist der Shri Durga Tempel, oft wird er auch einfach Affentempel genannt, weil er von vielen Affen bevölkert wird. Wir ziehen beim Eingang unsere Schuhe aus und treten zuerst in verschiedene kleine Räume. In einem sitzt ein Priester und er streicht allen Besuchern, die zu ihm kommen eine helle Paste auf die Stirn. Eigentlich wollte ich das nicht, lasse es aber zu, weil mich Dipa dahin geschickt hat.
Meistens versuche ich, diese Zeremonien für mich wegzulassen, denn ich finde, dass sie den Menschen gehören, die dieser Religion angehören. Doch da es offensichtlich niemanden stört, wenn sich eine Fremde dazwischen schiebt, lasse ich es heute wieder einmal zu. Inder sind auch in dieser Beziehung sehr tolerant. Es gibt nur wenige Orte, wo man als Ausländer nicht zugelassen ist. Die Frömmigkeit allerdings, die erstaunt mich überall, wo ich sie antreffe, denn sie ist tief in der Volksseele verankert und geht durch alle Schichten. In den Tempeln trifft man ganz arme Leute genauso wie die Reichen in ihren teuren Seidensaris. Jung und Alt.
In der MItte des Tempelkomplexes befindet sich der Haupttempel. Ein Altar unter dem höchsten Aufbau und eine offene Halle mit goldenen Säulen und kleinen Glocken dazwischen. Hier wie auch an vielen anderen Gebetsstellen, läuten die Menschen kurz mit der Glocke, bevor sie wieder gehen. Oder wenn sie kommen, nachdem sie kurz den Boden mit ihren Händen berührt haben. Ehrfürchtig.
Wir bleiben einen Moment, wobei Dipa schon bald zum Aufbruch drängt, sie will mir noch viel mehr zeigen.
Der nächste Tempel ist schon vom Gebäude her etwas ganz Besonderes. Es ist ein Marmorbau, eine grosse Halle, innen und aussen in Marmor ausgekleidet. Gebaut wurde der Tempel vor 60 Jahren. Er ist einem wichtigen Dichter und Mystiker gewidmet, der im 16. Jahrhundert gelebt hat.
Shri Sayamarayan Tulsi hiess der Mann und so heisst auch sein Tempel, der 1964 vom indischen Präsidenten eingeweiht wurde. So steht es jedenfalls auf der Tafel in der Nische neben dem grossen Eingangstor.
Der ganze Aufbau der riesigen Halle ist gigantisch und erinnert an keinen anderen Tempel, eher noch an eine Kirche. Aber es fehlt jegliche Sitzgelegenheit. Das fällt mir in diesem grossen Raum ganz besonders auf. Inder brauchen keine Bänke oder Stühle, ihnen reichen Teppiche oder Tücher am Boden. Sie können aber auch sehr einfach direkt auf dem Boden sitzen.
Im oberen Stockwerk gibt es in einem speziellen Raum ein Automatenmuseum. Viele aufwändige Figuren sind da ausgestellt. Einzelne bewegen sich, drehen sich, verneigen sich, machen Musik, tanzen.
An den Wänden im unteren Stockwerk hängen grosse Schrifttafeln. Die ganzen Seitenwände sind voll davon. Was da wohl darauf steht? Es sind Mantras, meint Dipa und liest mir eine Zeile vor. In Hindi natürlich.
Später, als ich nachgelesen habe, wem der Tempel gewidmet ist, vermute ich, dass es Schriften des Dichters sein könnten.
Wir verlasssen den Tempel, kommen zu einem kleinen Gemüse- und Früchtemarkt, wo ich versuche, mit den Leuten in Kontakt zu kommen, um vielleicht das eine oder andere Foto zu machen. Die Leute sind freundlich, lassen mich gewähren, wackeln mit dem Kopf, wenn ich sie frage, ob ich ein Bild machen dürfe.
Ich merke schon, wie Dipa mich immer wieder erstaunt anschaut. Ich könne ohne weiteres fotografieren, brauche nicht zu fragen. Doch ich bleibe dabei, die Bilder werden viel besser, wenn mir die Leute direkt in die Kamera schauen, als wenn ich sie irgendwie überrumple. Auch die kleinen Jungen wollen mit mir Kontakt aufnehmen, ziehen mich am Kleid, wollen wissen, woher ich bin. Sie hocken um ein kleines Feuer und wenn es kalt wäre, würde ich behaupten, sie würden sich die Hände wärmen. Aber es ist warm. NIcht heiss. Vielleicht ist das für die Kinder bereits kalt genug, um sich irgendwo etwas Wärme zu holen.
Dipa zieht mich weiter. Ich merke immer wieder, sie will mich schützen, will mich vor Begegnungen schützen. Sie ist sich meine Art nicht gewohnt, will weiter wo ich stehen bleiben will. Sie will mich vor Bettlern schützen, davor, irgendwo Geld auszugeben. Dabei gebe ich sehr selten Geld. Meistens reicht ein Lächeln, eine nette Geste um eine kurze Begegnung zu ermöglichen.
Es ist inzwischen Nachmittag und ich würde gern in ein nettes Restaurant sitzen und einen Kaffee trinken. Ob sie wohl wüsste, wohin wir da gehen könnten.
Wir rufen ein Tuctuc und fahren zu einem Restaurant. Und da zeigt sich wieder einmal, wie verschieden Vorstellungen eines netten Restaurants sind. Es ist ein einfacher dunkler Raum im Untergeschoss eines Hotels. Nein, Kaffee gibt es keinen, aber einen Fruchtsaft aus der Tüte kann mir der Kellner bringen.
Wenigstens können wir einen Moment beisammen sitzen und ich kann Dipa nach ihrem Leben fragen - ich weiss ich bin einfach ungeheuer neugierig. Aber tatsächlich gibt sie, so wie wohl die meisten Inder gern Auskunft. Sie ist, obwohl sie noch so jung aussieht, gut 23 Jahre alt und hat bereits 2 Kinder. Nein, ihre Ehe war nicht arrangiert, sie hat ihren jetzigen Ehemann schon lange gekannt. Er arbeitet als Fitness-Trainer in einem Kraftstudio. Da er dort meistens abends arbeitet, bleibt er tagsüber, wenn Dipa mit Touristen unterwegs ist, bei den Kinder. Die Familie wohnt bei den Schwiegereltern, die von Dipa natürlich auch versorgt werden müssen. Zwar kocht die Schwiegermutter manchmal und wenn es nötig ist, kann sie auch mal zu den Kindern schauen, aber ihre Gesundheit ist nicht mehr die beste. Ausserdem wohnt auch die alte Mutter des Schwiegervaters im gleichen Haushalt.
Vier Generationen also, und die junge Frau ist für alle zuständig. Kocht, wäscht, schaut zu den Kindern und verdient mit ihrer Arbeit noch etwas für den Familienunterhalt. Wie hat doch der junge Sikh in Amritsar gesagt: in der jungen Generation ändert sich das Leben. Frauen dürfen jetzt auch arbeiten. Es wird auch immer nötiger bei den gestiegenen Lebensunterhaltskosten.
Dipa scheint mir eine junge Frau zu sein, die weiss was sie will, auf deren jungen Schultern aber eine grosse Aufgabe liegt.
Ich verabschiede mich von Dipa, denn das Restaurant, das sie für unseren "Kaffee-Halt" ausgesucht hat, ist ganz in der Nähe meines Hotels. Zufällig.
Auf dem Spaziergang zurück zum Hotel komme ich bei der Silk-Boutique von Sadhav vorbei. Sie ist leer. Er hat heute Morgen alles aus dem Lokal geräumt und ist dabei, mit Hilfe von Freunden, die Wände neu zu streichen. Es soll alles neu und schöner werden, erklärt er mir. An einigen Stellen hatte es Schimmel in den Ecken, das muss ausgebessert werden.
Im Moment sind allerdings zwei seiner Freunde beim Schachspielen inmitten der Baustelle. Vielleicht ist grad Trockenphase.
Später im Zimmer suche ich im Internet ein gutes Restaurant in Varanasi. Hab einfach wieder einmal Lust nach einem schön gedeckten Tisch, mit Messer und Gabel und nicht nur mit einem Löffel und Blechgeschirr. Und nach etwas mehr als verkochtem Gemüse in scharfer Currysosse, so gut diese auch schmeckt.
Wohin gehst du, fragt mich Bose, der Chef des Hotels, als ich an ihm vorbei aus dem Haus gehe. Ins Restaurant des Hotels Ramada.
Was? ins 5-Stern-Hotel? Ich höre nicht nur sein Erstaunen, nein sein Entsetzen. Ja, ich hab Lust auf was ganz anderes, will heute kein Curry, keinen Reis. Ausserdem werde ich dort nicht übernachten, nur essen.
Aber das ist weit weg, das dauert eine Stunde, bis du dort bist.
Macht nichts, so hungrig bin ich noch nicht, dass ich bis dahin verhungern würde.
Er ist nicht ganz überzeugt, wünscht mir einen schönen Abend und gibt mir noch den Tipp, gut auf mich aufzupassen, denn das sei eine gefährliche Gegend.
Warum? weil da arme Leute leben? Nein, dort sind die Reichen!
Kurz darauf sitze ich im Tuctuc und fahre durch die verstopften Strassen. Jetzt verstehe ich, warum er auf eine Stunde getippt hat, denn die Strassen sind jetzt am frühen Abend heillos verstopft. Doch egal, ich hab Zeit. Ausserdem ist es immer interessant, im Tuctuc durch die Strassen zu fahren.
Den Tipp mit dem Aufpassen nehme ich hingegen ernst und halte meine Handtasche fest, lasse das Handy im Sack. Einerseits weil es eh zu dunkel ist, um zu fotografieren und andererseits will ich nicht, dass es mir jemand im offenen Tuctuc aus der Hand reisst. So hat doch alles was einem gesagt wird, irgendwo eine Wirkung.
Nachdem ich das schöne Buffet im Ramada-Restaurant gesehen habe, entscheide ich mich gegen die a-la-carte-Karte und muss kurz darauf über mich selber lachen.
Natürlich sind auf dem Buffet neben all den feinen frischen Vorspeisen vor allem indische Gerichte. Verschiedener Reis, vegetarische Currys, aber auch Kartoffeln und Chicken-Stücke. In einer sehr würzigen Sosse gibt es ein dunkles Fleisch, von dem ich ebenfalls probiere. Es schmeckt wunderbar, aber leider hat es ein paar Knochensplitter im Fleisch, so dass ich das Gefühl habe, das Tier sei mit der Axt erschlagen worden. Goat sei es, meint der Kellner. Ziege also. Angeschrieben war es mit Mutton, was eigentlich Hammelfleisch heisst. Das findet man manchmal in Restaurants, die nicht ausschliesslich vegetarische Küche anbieten.
Jedenfalls verbringe ich einen wunderbaren Abend im Ramada. Dazu gehört natürlich auch ein feines Glas Rotwein, das ich diesmal ganz allein für mich geniesse. Suche mir keine virtuellen MIttrinker. Schliesslich ist es auch heute wieder ein Sonntag und in der Schweiz erst später Nachmittag. Will meine Freunde nicht zu Trinkern verführen, nur weil ich virtuell nicht allein sein kann
Nein, heute fühle ich mich einfach nur gut. Später fahre ich mit dem Tuctuc, das auf mich gewartet hat zurück durch die jetzt viel ruhigere Stadt.
Es war wieder einer dieser vollgepackten Tage und ich merke wieder einmal, wie gut es mir eigentlich geht.
Aufbruch: | 01.06.2022 |
Dauer: | 8 Monate |
Heimkehr: | 30.01.2023 |
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