Reise durch Indien

Reisezeit: Juni 2022 - Januar 2023  |  von Beatrice Feldbauer

Spaziergänge

Varanasi hat sich zu einem Lieblingsort entwickelt. Was daran Schuld ist, kann ich gar nicht erklären. Es brauchte seine Zeit, bis ich es gemerkt habe, aber irgendwie habe ich immer wieder meinen Aufenthalt verlängert. Dabei fand ich mein Zimmer zuerst etwas skuril, die Umgebung ziemlich heruntergekommen und die Möglichkeiten, irgendwo etwas zu essen, schwierig.

Und dann eröffneten sich immer mehr Möglichkeiten. Ich fühlte mich immer mehr zu Hause, erkannte, wie mich die Leute in der Strasse grüssten, wenn ich vorbei ging. Sie schienen mich bereits zu kennen. Ich entdeckte die Ghats, die Spaziergänge entlang dem Ganges, die schmalen Gassen mit all den kleinen spannenden Ecken. Ich fand Lokale zum Essen, Roof-Top-Restaurants um eine oder zwei Stunden zu verbringen, erkannte die Herzlichkeit der Menschen.

Ja, ich kenne immer mehr Menschen. Die Brüder Anil und Manoj mit ihrem Onkel im Seidenladen, die ich immer mal kurz besuche, Sadhov in der Silkboutique bei dem ich vorbeigehe, um zu sehen wie weit er mit der Renovation seines Ladens ist, und um einen Chai zu trinken, meinen Tuctuc-Fahrer Rajeev, der versteht, was mich interessiert.

Ich gucke auch immer wieder einmal in den Werkstätten vorbei, wo die Sticker an immer neuen Seidenstoffen die letzten Muster anbringen. Goldfäden, oder Glitter und Glimmer einsticken oder einfach die Stoffe fertig konfektionieren. Sie kennen mich inzwischen, freuen sich, dass ich mich für ihre Arbeit interessiere.

Bei einer dieser Gelegenheiten treffe ich auch den Grafiker, der dabei ist, mit einem speziellen Kohlepapier seine neuen Entwürfe auf den Stoff zu übertragen. Die Sticker werden das nachher ausführen.

Designs werden auf Wunsch ganz individuell entworfen. Für ein Hochzeitskleid zum Beispiel oder für ein Kleid zu einem speziellen Anlass. Kunden kommen und bringen ihre Wünsche an. Die Stoffe werden in die ganze Welt verschickt.

Ja und genau das, möchte ich auch. Eine Freundin hat sich von meiner Begeisterung anstecken lassen. Möchte gern Pashmina-Schals in die Schweiz importieren. Ob ich helfen kann? Ich versuche es im Silk und Pashmina-Paradies von Anil und Manoj. Sie sind Grosshändler, verkaufen auch ins Ausland. Zum Beispiel Dubai. Anil hat schon verschiedene Verkaufsläden in Dubai besucht.

Also entwickelt sich eine intensive Korrespondenz mit meiner Freundin. Fotos und Preise werden hin und her geschickt. Das Verschicken der Ware ist dabei das kleinste Problem. Eine gute Woche später trifft das Paket in der Schweiz ein. Schwieriger wird es beim Bezahlen. Eine Bankanweisung? Müsste ja ein Klaks sein.

Ist es aber nicht. Was bereits in Kaschmir nicht geklappt hat, dort wurde die Idee geboren, funktioniert auch mit den Banken von Varanasi nicht. Bei den Schals in Kaschmir glaubte ich noch, dass Kaschmir mit seinem vielen Eigenheiten der Grund sein könnte, dass niemand wusste, wie man Geld überweisen kann. In Varanasi stellt sich das gleiche Problem. Ich bezahle bis auf einen kleinen Betrag alles in bar, was bei solchen Beträgen auch ein Problem ist, denn der Mindestbetrag in den Geldautomaten sind gut 120 Franken. Dazu kommen jedesmal Spesen von 10 Franken, was keine zukunftsorientierte Lösung sein kann.

Jedenfalls hält mich das Thema auf Trab und ich verbringe unzählige Stunden in Seidenshops, sehe mir Schals aus Pashmina und Seide an, und kaufe selber mehr, als ich mir je vorgenommen habe.

Anil und Manoj mit ihrem Onkel vom Silk und Pashmina Paradise

Anil und Manoj mit ihrem Onkel vom Silk und Pashmina Paradise

Spaziergänge bei den Ghats

Spaziergänge bei den Ghats

der ultimative Selfie-Point

der ultimative Selfie-Point

In Shadhovs Boutique wird manchmal Abends gespielt.

In Shadhovs Boutique wird manchmal Abends gespielt.

Sadhov ist wieder in seine Boutique eingezogen

Sadhov ist wieder in seine Boutique eingezogen

Sadhov zeigt mir, wo er seine Waren bezieht und mit ihm komme ich noch einmal in andere Seidenwebereien. Ich weiss, es wird langweilig, wenn ich dauernd Webstühle zeige, aber ich kann davon gar nie genug bekommen. Diese Farben, dieses Leuchten in den düsteren Werkstätten. Seide ist ein geheimnisvoller Stoff. Von Seidenraupen gemacht, in dünne Faden versponnen, gefärbt und zu wunderbaren Stoffen verwoben.

Varanasi ist das Zentrum der Sariproduktion, aber auch Pashmina wird sehr viel verarbeitet und viele Schals sind ein Gemisch von Seide und Pashmina. Von der Seide den Glanz, von der Wolle die Wärme.

Was ich bei all den vielen Besichtigungen noch immer nicht gesehen habe, ist der Einzug des Kettfadens. Es scheint, dass man mich nicht verstehen will, wenn ich frage, wie denn die Webstühle bespannt werden. Kann mir das einfach nicht vorstellen, ich glaube, das ist an sich noch einmal eine riesige Arbeit, bis all die Fäden richtig eingespannt und einzeln festgemacht sind. Denn um die Jacquard-Muster richtig zu weben, müssen die Fäden einzeln festgemacht werden. Nur einmal sehe ich in einem Raum die grosse Tafel mit all den Spulen, von denen lange Fäden irgendwohin gespannt werden. Wie es tatsächlich funktioniert, erschliesst sich mir nicht.

Hier werden die Schussfäden aufgespannt.

Hier werden die Schussfäden aufgespannt.

Jacquardtechnik, die beiden Seiten des Stoffes sehen verschieden aus.

Jacquardtechnik, die beiden Seiten des Stoffes sehen verschieden aus.

Noch einmal ein Silk-Grosshändler

Noch einmal ein Silk-Grosshändler

... so sah es aus, als ich wieder ging.

... so sah es aus, als ich wieder ging.

Am letzten Tag ein neuer Versuch bei einem Grosshändler, der auch nach Deutschland und in die Schweiz liefert. Sein Bankkonto müsste doch funktionieren. Ich kaufe ein wunderschönes Tuch mit Mandalas. Es sind die sieben Leben darauf eingewoben. Die sieben Leben, bis zur Mitte, zum Nirvana. Ein Schal zum Meditieren, meint der Verkäufer.

Und es gibt noch einmal Schals und Saris. Nur zum Ansehen, erkläre ich, ich will ja erst wissen, ob das mit der Bankanweisung funktioniert.

Mandala-Schal mit den sieben Leben bis ins Nirvana

Mandala-Schal mit den sieben Leben bis ins Nirvana

Hier werden Turbane genäht

Hier werden Turbane genäht

ein fertiges Exemplar

ein fertiges Exemplar

Der letzte Tag in Varanasi hat es sowieso in sich. Im Monalisa treffe ich zwei wunderbare Frauen. Suhana und Ayushi. Es sind Inderinnen aus dem Süden Indiens. Sie sind allein unterwegs, was schon sehr ungewöhnlich ist. Und sie sind so aufgestellt und fröhlich, offen für neue Ideen. Sie reisen gern, möchen irgendwann mehr von der Welt sehen, aber im Moment sind sie in Varanasi, entdecken ihr eigenes Land.

Ich treffe tatsächlich kaum Westtouristen. Bestimmt liegt es daran, dass eben kaum Touristen aus Europa unterwegs sind. Im Moment scheint es gar ein Problem zu geben, ein indisches Visum zu bekommen. Jedenfalls lese ich davon in Facebook-Gruppen und bin dann immer sehr froh, dass es bei mir innert einer Woche funktioniert hat.

Zum anderen wird es aber auch daran liegen, dass ich gar nicht auf den ersten Blick als Europäerin gelte. Ich werde daher kaum angesprochen und suche meinerseits keinen Kontakt zu anderen Touristen. Man könnte sich austauschen, lese ich manchmal, aber ich merke, dass ich eigentlich ganz gern allein unterwegs bin. Für Inder aber bin ich anscheinend interessant. Vor allem für indische Frauen, die immer zuerst wissen wollen, mit wem ich unterwegs sei.

Zufällig im Monalisa getroffen: Suhana und Ayushi

Zufällig im Monalisa getroffen: Suhana und Ayushi

Der letzte Abend hat es überhaupt in sich. Ich bin durch die schmalen Gassen unterwegs zum Music Melody House. Als ich am Nachmittag beim Vorbeigehen hineingesehen hatte, hat mich der Besitzer eingeladen. Heute Abend finde in seinem Musikinstrumentenladen ein Konzert statt.

Das will ich mir nicht entgehen lassen und ich bin etwas zu früh da, aber da ist noch niemand, die Türe ist geschlossen. Jetzt würde ich gern irgendwo in ein Cafe in der Nähe sitze, warten, bis es Zeit ist. Also gehe ich zurück zum letzten Chai-Stand, bestelle einen Chai, setze mich zu einem alten Mann und warte, bis der Inhaber eine neue Pfanne aufgesetzt hat. Zuerst wird die Milch aufgekocht. Wasser dazu geschüttet, dazu kommen die Gewürze. Teepulver, Kardamon, Zimtstangen, Ingwer und sonst noch ein paar aromatische Ingredienzen. Ich glaube, da hat jeder sein eigenes Rezept.

Nachdem alles genügend gekocht hat, wird das Getränk abgesiebt und in kleine Karton- oder Tonbecher geschüttet. Es ist kochend heiss und es braucht seine Zeit, bis ich es in kleinen Schlucken trinken kann.

Dann ist es Zeit, zum Instrumentenladen zurück zu gehen. Die Türe ist inzwischen offen, doch da ist nur der Verkäufer. Leider ist niemand gekommen. Auch von den Musikern ist keiner aufgetaucht. Vielleicht hätte ja der Verkäufer selber gespielt. Für genauere Informationen reicht die Sprache nicht. Ich bedanke mich für die Einladung und verabschiede mich. Vielleicht nächstes Mal, tröstet mich der Verkäufer.

Auf dem Rückweg treffe ich in der schmalen Gasse diese beiden Spieler. Sie spielen Mensch ärgere dich nicht, respektive Ludo-King, das das populärste Brettspiel Indiens sein soll. Ich sehe ihnen eine Weile zu. Es scheint sie nicht zu stören. Wahrscheinlich sind sie nur erstaunt, was die Ausländerin daran spannend findet.

Mich heimelt die Situation an, ich merke, dass auch ich wieder einmal einen Spieleabend machen würde. Einfach so zusammen spielen, ohne heisse Diskussionen, ohne wichtige Themen, einfach zusammensitzen und spielen. Was man auf so einer Reise nicht alles über sich selber herausfindet.

Später treffe ich bei einer Strassenküche, wo Fladenbrote ausgebacken werden, diese Familie. Sie wollen wissen, woher ich komme, was ich mache, was ich schon alles gesehen habe. Sie sehen so wunderschön aus in ihren Kleidern vor dem verschlossenen Tor, so dass ich sie frage, ob ich ein Foto machen dürfe. Nur, wenn ich mich für sie auch dazustelle. Sie sind zu Besuch in Varanasi. Besuchen die heilige Stadt.

Ein kurzes Gespräch nur, aber eine bleibende Erinnerung, die ich mit meinem Bild eingefangen habe.

Die wunderbare Familie von Veerender, am letzten Abend getroffen.

Die wunderbare Familie von Veerender, am letzten Abend getroffen.

wie gemalt...

wie gemalt...

Wochen später, ich bin bereits viel weiter gereist, holen mich schlechte Nachrichten ein. Sadhov hat ein eigenartiges Bild in seinem WhatsUp-Status, obwohl er da überhaupt nie etwas hinein stellt. Ist etwas passiert? - ich frage nach.

Zurück kommt eine ungeheuer traurige Nachricht. Er, der so fröhlich und eben erst seine Boutique neu eröffnet hatte, ist am Boden zerstört. Ganz richtig kann ich es nicht verstehen, er schreibt von Fire und dass ihn jemand angerufen hätte. Seine Boutique ist ausgebrannt. Seine Lebensgrundlage zerstört. Seine Energie am Boden, er hat den Sinn des Lebens verloren. Will gar nicht mehr leben, ist irgendwohin abgehauen, weiss selber nicht mehr, was mit ihm passiert. Auf meinen Telefonanruf höre ich einen Mann am Ende seiner Kraft. Kein einziges Wort kommt mehr, nur noch Heulen. Ich habe noch nie jemanden erlebt, der so sehr den Boden unter den Füssen verloren hat. Er weiss schon gar nicht mehr, wo er ist, ist abgehauen, sitzt irgendwo im Zug, fährt irgendwohin. Am nächsten Tag finde ich ihn (virtuell) irgendwo auf einem Bahnhof. Da hat er geschlafen und er weiss noch immer nicht weiter. Was kann ich tun, kann ich überhaupt etwas bewirken? Immerhin, er hört mir zu, an Silvester können wir normal korrspondieren. Auch wenn all seine Lebensziele mit einem Schlag weg sind. Wir werden im Gespräch bleiben, es wird ein langer Weg sein, zurück ins Leben, zurück zu seiner alten positiven Lebenseinstellung.

Doch es gibt auch ein positives Beispiel. Rajeev schreibt mir, er möchte gern einen Lehrgang in Elektronik machen. Online. Es kostet nicht viel, aber es ist mehr, als er im Moment ausgeben kann. Ob ich helfen kann? Ja, ich kann, das ist nicht ganz so schwierig. Wer weiss, vielleicht fährt er nächstes mal nicht mehr Tuctuc, vielleicht kann er seine Situation verbessern. Aufbildung ist immer eine Unterstützung wert.

Das Problem mit den Bankanweisungen ist noch jetzt nicht gelöst. Die kleinen Beträge, die ich auf verschiedene Konten der Silk-Läden zum Testen überwiesen habe, sind allesamt zurückgekommen. Indien ist tatsächlich eine Knacknuss. Jetzt kann nur noch Western Union helfen, doch das ist keine Lösung für die Zukunft.

Bose hat angerufen, wollte wissen, wie es mir geht, nachdem ich sein Hotel bei meiner Nacht- und Nebelaktion am frühen Morgen verlassen hatte. (nächstes Kapitel) Ausserdem will er mir unbedingt noch mehr Geschichten erzählen. Ich werde auf dein Buch warten, hab ich ihm gesagt, und es bei dir persönlich abholen.

Vielleicht stimmt es, vielleicht werde ich nach Varanasi zurück kommen. Denn definitiv, an diesem Ort hatte ich die intensivsten und nachhaltigsten Kontakte von allen Orten, an denen ich war. Und ausserdem gibt es hier die allerschönsten Seiden-Läden.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Es geht wieder los. Vier Monate ist es her, seit ich von meiner Südamerikareise zurück gekommen bin. Sieben Monate war ich unterwegs. Und jetzt stehe ich vor einem neuen Start. Mein Traum ist das Taj Mahal. Mein Ziel heisst Indien.
Details:
Aufbruch: 01.06.2022
Dauer: 8 Monate
Heimkehr: 30.01.2023
Reiseziele: Vereinigte Arabische Emirate
Indien
Indonesien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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