Reise durch Indien
Tempel-Tour
Heute ist eine Tempel-Tour auf dem Programm. Ich war ja noch immer nicht im goldenen Tempel. Mit Dipa auf der Morgentour schien uns die Wartezeit zu lange, denn die Warteschlange war riesig und ausserdem schickte man mich als Ausländerin zum Gate 4, was auf der anderen Seite des Tempels lag. Mit Rajeev will ich es heute noch einmal versuchen, denn der Besuch des goldenen Tempels gehört einfach zu Varanasi.
Wir fahren mit dem TucTuc in die Nähe, müssen es aber irgendwo stehen lassen, denn der Bereich rund um den Tempel ist für Tuctucs gesperrt.
Das gibt mir Gelegenheit, Tore zu fotografieren. Mein neuestes Ziel. Schöne Tore und Türen. Manchmal sind sie bemalt, manchmal aus dickem Holz, manchmal gibt es steinerne Bogen, manchmal farbige Ornamente. Manchmal sind sie der Eingang zu kleinen Tempeln. Rajeev hat sich inwischen daran gewöhnt, dass ich mehr Zeit brauche und nicht einfach so rasch durch die Gassen spaziere.
Auf einem grossen Platz in der Nähe des Tempels fällt mir eine Menschenmenge auf. Sie stehen an, in grossen Töpfen wird gekocht. Was gibt es hier? will ich von Rajeev wissen. Das ist eine Gratis-Essenausgabe. Jeden Tag bezahlt jemand Gratis-Essen für die armen Menschen. Jeder kann sich anstellen, alle bekommen eine Portion Reis mit Dal und Gemüsecurry. Es sind reiche Menschen und Familien, die das bezahlen, aber man weiss nicht genau, wer es ist. Jeden Tag ist es jemand anders, es wird nicht bekannt gegeben, wer der aktuelle Spender ist.
Die Kluft von Arm und Reich ist gross in diesem Land. Manchmal kommen sie zusammen, manchmal treffen sie sich an ganz unerwarteten Stellen.
Wir gehen weiter, kommen an diesem eigenartigen Heiligen im roten Strampelanzug mit Blumen in den Haaren vorbei. Vielleicht ist das einer, der noch nicht gemerkt hat, dass die Hippies längst weiter gezogen sind.
Endlich sind wir in der Nähe des Tores, wo bereits eine lange Menschenschlange steht, die alle in den goldenen Tempel wollen. Doch wir werden sofort weggewiesen. Ausländer müssen zum Gate 4. Also doch. Das ist nicht nur am Sonntag so, wie Rajeev vermutet hat, die Regelung, die erst nach der Pandemie eingeführt worden ist, scheint jeden Tag zu gelten. Also alles wieder zurück, das Gate 4 ist auf der anderen Seite. Wir nehmen eine Fahrradrischka, doch ich hab schon beim Losfahren Erbarmen mit dem armen Fahrer. Als die Strasse dann auch noch ein wenig ansteigt, nicht viel, aber der Mann auf dem Fahrrad steigt ab und stösst, da steigt auch Rajeev ab und hilft stossen. Ich weiss wie hart es ist, als Rischka-Fahrer sein Geld zu verdienen, ich habe selber lange als Rikschafahrer gearbeitet, begründet er die Anweisung, dass ich sitzen bleiben soll. Damit kann der Mann wenigstens ein paar Rupies verdienen. Ja so ist es. Wenn ich die Dienste des Rischkafahrers nicht in Anspruch nehme, verdient er gar nichts, wenn ich aufsitze, kann ich ihm kaum zusehen, wenn er sich so abmühen muss.
Endlich erreichen wir die andere Seite des Tempels. Wir müssen uns registrieren, müssen zuerst in ein Touristenzentrum. Da fängt nun der Irrsinn mit der Administration an.
Zuerst muss ich meinen Pass zeigen. Es wrd alles gewissenhaft aufgeschrieben und geprüft. Dann bekomme ich ein Formular, das ich ausfüllen muss. Mit Namen und Passnummer, die eben erst in den Computer eingetippt wurde. Mit dem Formular muss ich zu einem anderen Schalter gleich nebenan, wo die Angaben vom Formular wiederum in einen Computer eingegeben werden. Zur Kontrolle muss ich dann allerdings doch noch den Pass zeigen. Jetzt muss ich einen Eintritt bezahlen und bekomme eine Quittung. Diese wiederum muss ich am ersten Schalter zeigen und es wird mir ein Guide zugewiesen. Dann müssen wir beide auch noch die Handys abgeben und bekommen den Schlüssel vom Schliessfach.
Jetzt könnte es eigentlich losgehen, nur noch die Schuhe deponieren und warten, bis eine kleine Gruppe Besucher beisammen sind. Ich weiss nicht, woher die anderen Touristen kommen, sie scheinen aber keine Europäer zu sein. Der Guide zählt kurz ab, dann starten wir. Laufen hinter ihm her über den Platz, vorbei an den wartenden Gläubigen, die ohne Registrierung anstehen und endlich kommen wir zu Gate 4, wo wir durch die Sicherheitskontrolle, bewacht von Polizisten müssen.
Beim Gate 4 gibt es zum Glück keine Warteschlange, unser Guide lotst uns hinein, an den Anfang der Warteschlange, die von draussen ansteht und er mischt uns zwischen die vordersten, die anstehen. So kommen wir ganz schnell zum Allerheiligsten. Zum kleinen Tempel, der im Sonnenlicht golden leuchtet. Wir werden durchgeschleust. In der Mitte nimmt ein Priester den Menschen die mitgebrachten Blumen und Geschenke ab und schmeisst sie in einen Wasserlauf, wo sie sofort weggespült werden. Das Geld nimmt er entgegen, legt es in eine Schale, die aber von einem anderen Helfer dauernd geleert wird. Von mir gibt es gar nichts, Ich kann es kaum ertragen, wie die Menschen hier abgefertigt werden. Ich weiss, es wollen noch viele hineinkommen, aber wenn ich ein Pilger wäre, der von weither gekommen ist, um hier meinem Gott zu huldigen, wäre ich zu Tode enttäuscht. Man wird regelrecht weitergedrängt, die Sachen, die man mitgebracht hat, werden einem achtlos aus den Händen genommen und man wird angehalten, sofort weiter zu gehen. Weiter! Weiter!
Wir sind so schnell am Allerheilgsten vorbei geschoben worden, dass ich es kaum bemerkt habe. Dafür bemerkt uns jetzt unser Guide, er meint, dass man eine freiwillige Spende für seine Führung geben könnte. Ich verzichte. Ich musste ihn schon am Anfang mit einem deutlichen Hello begrüssen, er hatte uns im Office mit keinem Blick gewürdigt. Jetzt vergewissert er sich noch, dass wir auch tatsächlich den Tempelbereich wieder verlassen und damit sind wir entlassen. Wir kehren zurück zur Touristeninfo, holen unsere Handys und Schuhe wieder ab und sind frei.
Wir laufen noch einmal über den Platz, denn jetzt wo ich mein Handy wieder habe, möchte ich noch ein paar Fotos machen. Von den Blumenhändlerinnen, den Zeitungslesern, den Menschen auf dem Markt, den speziellen Fassaden der alten hohen Häuser.
Wir gehen zurück zum Tuctuc, das Rajeev in einer schmalen Gasse parkiert hat.
Jetzt verlassen wir das Zentrum, denn der nächste Tempel, den er mir zeigen will, ist nicht in der Altstadt. Er ist auf dem Seminar-Complex. Das ist eine ganz spezielle Gegend von Varanasi. Es gibt viele verschiedene Fakultäten und Universitäten. Wenn ich das richtig verstanden habe, ist das hier das grösste Studentenzentrum Asiens mit über 40'000 Studierenden in den verschiedensten Kunstrichtungen. Die Studenten leben auf dem Campus, es stehen tausende von Wohnungen und Zimmern zur Verfügung. Gegründet wurde der Campus dank einem Visionär und Denker, der als Schwerpunkt gegen die Armut und Einkommensrückgang gegenüber Europa, dieses Gelände 1911 initierte. Eine Dankestafel ihm zu Ehren findet sich beim Eingang zum Shiva-Tempel
Der Shri Vishwanath Mandir-Tempel ist einer der wichtigsten und grössten Shiva-Tempel von Varanasi. Er soll sogar den höchsten Tempelturm der Welt haben. Eindrücklich ist schon das grosse Eingangstor mit seinen kleinen Läden, dann der Park rund um den Tempel und natürlich die Tempelhalle selber, die riesig ist und für einen Tempel sehr ungewöhnlich was Grösse und Höhe, sowie Ausstattung betrifft.
Die Halle ist ganz aus Marmor gebaut und gleicht eher einem Kirchenschiff. Im hinteren Teil sind die Altare und Gottheiten und die Menschen können hier mit viel Zeit ihre Verehrung zeigen, ihre Blumen niederlegen und ihre Gebete verrichten.
Auch ich nehme mir viel Zeit um mich umzusehen, entdecke die heilige Kuh in einem Seitenflügel, die vielen Glocken beim Eingang, die wahrschenlich von Pilgern da aufgehängt wurden und versuche möglichst viele Eindrücke einzupacken.
Auf dem Rückweg zum Tuctuc, das Rajeev in einer breiten Allee stehen gelassen hat, kommen wir an vielen verschiedenen Hinweisschildern vorbei, die die Wege zu den verschiedenen Universitäten und Instituren anzeigen. Die Legende erzählt, dass einer der Gründer des Komplexes in seiner Schule gemobbt oder nicht zugelassen wurde. Als er es später zu etwas gebracht hatte, initierte er diesen Complex, in dem Studenden aus der ganzen Welt günstig oder gratis studieren können. Rajeev hat mir die Geschichte erzählt, leider konnte ich sie danach nicht mehr verifizieren. Ich hatte wohl doch zu wenig genaue Informationen zu Namen und Jahreszahlen.
Dafür glaube ich diese Bohnen zu kennen, die da ein junger Mann auf dem Boden sortiert. Wir stossen auf ihn auf dem Weg zum Tuctuc. Weder er noch Rajeev können mir einen englischen Namen dazu sagen, Rajeev hat sie überhaupt noch nie gesehen, was mich erstaunt, denn es sind Tamarinden. Woher ich sie kenne, weiss ich eigentlich nicht, aber ich glaube, es gibt sie auch in Südamerika. Dass sie auf so hohen Bäumen wachsen, wusste ich nicht.
Auf dem Baum, ganz oben in den höchsten Ästen können wir einen Mann erkennen, der da die Früchte einsammelt. Gelegentlich lässt er einen Korb an einem langen Seil herunter. Ich sehe hinauf und mir wird fast schwindlig, ihn da oben zwischen den Ästen zu sehen. Gesichert ist er selbstverständlich überhaupt nicht. Am Baumstamm steht noch die hohe zusammengebastelte Bambus-Leiter, mit der er die ersten Äste erklommen hat.
Wir fahren zurück ins Zentrum und ich kann wieder einmal meiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen wähend des Fahrens. Den anderen Leuten zusehen. Und weil der Verkehr wieder einmal nur langsam vorwärts geht, kann ich auch wunderbar fotografieren. Die Familie, die mit dem Motorrad unterwegs ist. Die Mutter hält ihr Bebe auf dem Rücksitz fest, obwohl sie nur im Seitensitz darauf Platz genommen hat. Ich müsste mich dabei an den Fahrer klammern, um nicht vom Rad zu fallen, sie aber hat beide Hände für das Kind frei.
Oder den Vater, der stolz seinen kleinen Sohn vor sich hat, damit der schon früh, selber das Feeling bekommt, wie man ein Motorrad durch den Verkehr schlängelt.
Das Tuctuc, das völlig überfüllt an uns vorbei drängt. Als man sieht, dass ich fotografiere, winken mir die Insassen zu, Where you from?
Diese Frage kommt immer und überall. Auch wenn gar keine Zeit und kein Ort für eine Antwort ist. Die Frage liegt in der Luft, wenn Inder einen Ausländer sehen.
Den nächsten Tempel kenne ich bereits. Rajeev ist etwas überrascht, aber in dem roten Tempel war ich auf der Tour mit Dipa.
Noch immer sitzt die alte Bettlerin an ihrem Platz,
Wir gehen trotzdem hinein, denn der Tempel hat rundum Stufen, auf denen man sich gut etwas ausruhen und die Umgebung beobachten kann.
Zum Beispiel die wunderschönen Frauen, die Saris, die mit Eleganz und Grazie getragen werden. Neben mir sitzt eine Familie. Zwei Frauen mit zwei Kindern. Die Gesichter sind so wunderschön und die Farben harmonieren, ich muss sie immer ansehen. Bis ich sie frage, ob ich ein Foto machen dürfe. Natürlich, aber ich muss mich dazu setzen und natürlich wollen sie jetzt auch fotografieren. Und die Fotos werden nachher ausgetauscht. Ehrensache.
Immer wieder ist der Umgang mit den Menschen unglaublich locker.
Diese Tücher findet man immer vor Tempeln. Sie werden im Haar getragen, um den Arm gebunden oder um den Hals gewickelt.
Überall im Tempel, bei den Stufen und rund um das Allerheiligste hängen Glocken. Kleine und Grosse. Wenn man in die Nähe des Altars kommt, schlägt man die Glocke an, andere, wenn sie den Ort wieder verlassen. Auf einmal fängt ein alter Mann an, die grosse Glocke bei der Treppe zu schlagen. Worauf jemand anders mit einer der anderen Glocken einstimmt, andere bimmeln jetzt mit den kleinen Glöcklein, die an einer Schnur rund um den Haupttempel angebracht sind und plätzlich läuten alle Glocken. Eine ganze Weile, als ob das miteinander abgesprochen häre. Und dann hören alle wieder auf. Ich weiss nicht, was der Grund war, ob Zufall oder ob es irgend ein geheimes Zeichen gegeben hat, aber die Stimmung war grad sehr speziell.
Unsere Tempeltour ist damit zu Ende und Rajeev bringt mich zurück ins Hotel.
Ich mache noch einen kurzen Spaziergang und komme bei der Boutique von Sadhov vorbei. Er ist heute wieder in seinen Laden eingezogen,
Ich will mich ein wenig umsehen und er zeigt mir seine Schätze. Eigentlich wollte ich die erste Kundin im neuen Laden sein und das scheine ich jetzt auch tatsächlich zu schaffen, denn obwohl er schon am Mittag mit einrichten fertig war, hat noch niemand etwas gekauft.
Nachdem er mir ein paar Saris gezeigt hat, holt er Brokat hervor. Ich habe mich noch nie gefragt, was Brokat ist, aber er erklärt mir, dass es eine Mischung von Baumwolle und Seide sei. Wunderschöne Stoffe. Damit könnte man Möbel beziehen, oder eine Jacke schneidern, oder sonst irgend etwas wunderbares anstellen.
Mein Problem ist nur, dass ich nichts mehr in den Koffer bringe, ja auch gar nicht weiss, wie ich den nächsten Flug meistern soll. Doch er hat die Lösung. Wir schicken alles in die Schweiz. Das Paket wird in 10 Tagen ankommen und du hast deine Probleme gelöst. Das ergibt direkt ein neues Verkaufsfeeling. Nun, ich habe es geschafft, die erste Kundin zu sein und meine bisherigen Einkäufe werden morgen alle auf die Reise gehen.
Später, ich bin im Zimmer am Schreiben, als von der Strasse ein ungeheurer Lärm ertönt. Es scheint, als ob die ganze Strasse ein riesiges Fest wäre, oder eine Demo, oder eine Protestbewegung. Musik, Trommeln, Hupen, alles durcheinander. Ich muss unbedingt nachsehen was das ist.
Es ist ein Umzug mit Musik, mit Tänzern, mit ausgelassenen Menschen, wie man sie in Indien nur sehr selten sieht. Sie tragen beleuchtete Schirme mit sich, eine Musikanlage und sie reissen alles mit, was sich ihnen in den Weg stellt. Auch ich soll gleich mitmachen, kann mich im letzten Moment noch retten. Aber nur um in die nächste Gruppe zu stossen. Zwischendrin werden Böller und Raketen in den Himmel geschossen. Was ist das? Was passiert da?
Jetzt kommt sogar noch eine geschmückte Kutsche mit zwei Pferden daher.
Später, als wir beim Whisky und Hühnercurry oben auf dem Roof Top sitzen, habe ich Bose gefragt, was heute für ein Feiertag sei.
Nichts von Feiertag, es wird wohl eine Hochzeitsgesellschaft gewesen sein oder zwei, vielleicht sogar drei.
Aufbruch: | 01.06.2022 |
Dauer: | 8 Monate |
Heimkehr: | 30.01.2023 |
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