Reise durch Indien
Victoria Memorial
Heute Nachmittag will ich noch einmal ins Victoria Memorial. Am letzten Montag waren die Innenräume geschlossen, heute müsste es offen sein. Also starte ich, nach einem intensiven Schreibvormittag und rufe ein Uber-Taxi, das auch tatsächlich nach wenigen Minuten vorfährt und mich für wenige Rupies zum Victoria Memorial fährt. Zum Vordereingang. Hatte gar nicht gemerkt, dass ich letztes Mal beim Hintereingang angekommen bin. Sind aber eh beide Seiten gleich, ausser dass hier auf der Vorderseite Königin Victoria auf ihrem Thron sitzt und die vielen Besucher begrüsst.
Königin Victoria, immerhin über sie habe ich mich etwas schlau gemacht, war 64 Jahre Königin des Vereinigten Königreiches Grossbritanien und Irland. Ausserdem trug sie den Titel Kaiserin von Indien. Sie starb 1901 mit 82 Jahren. Bis zur Regentschaft von Elisabeth II hatte sie die längste Regentschaft und daher auch einen ungeheuren Einfluss auf die Entwicklung des Landes und des ganzen Empires. Nach ihr kamen Eduard VII mit 9 Jahren Regentschaft, Georg V mit 26 Jahren, Eduard VIII mit knapp 11 Monaten und Georg VI, der Vater von Elisabeth mit 15 Jahren. 1952 kam Elisabeth II auf den Thron, wo sie 70 Jahre blieb. Inzwischen hat sich die Situation von Indien geändert. 1947 wurde das Land unabhängig von England. Wenn man so die Jahre zurück schaut, ist das eine sehr eindrückliche Ahnenreihe. Und eine ungeheure Geschichte dieses Landes.
Es sind auch heute wieder viele Menschen hier. Sie spazieren auf den Wegen, sitzen auf den Bänken an den verschiedenen Wasserbecken und posieren vor den Statuen und dem Gebäude.
Ich steuere den Eingang an wo mein Ticket kontrolliet wird, danach geht es durch die Sicherheitskontrolle. Meine Handtasche wird gescannt, ich selber von einer Frau mit enem Scanner abgesucht. Das habe ich bisher nicht im Detail erzählt, passiert aber in sehr vielen Tempeln und Gebäuden im ganzen Land. Es ist eine kurze Prozedur, dann bin ich drin. In der riesigen Halle, unter der runden Kuppel.
Drinnen gibt es zwei Ausstellungsräume mit vielen riesigen Gemälden in der grossen Kuppelhalle.
In einer Halle gibt es eine Fotoausstelllung von jungen Menschen. Scheint ein Wettbewerb zu sein. Die Fotos zeigen Blumen und Naturbilder. Auf der anderen Seite sind es Männer - es sind tatsächich nur Männer - der Geschichte Indiens. Kämpfer, Helden, Kriegsführer. Viele Originaldokumente, viele Fotos. Da ich all diese Männer nicht gekannt habe und auch die geschichtlichen Abläufe nicht in eine Zeitachse bringe, übergehe ich die einzelnen Bilder und lenke meine Blicke hinauf in die Kuppel. Auch in den Nebenräumen gibt es Kuppeln, denn es gibt keinen Zwischenboden. Mich fasziniert es immer, unter Kuppeln zu stehen, zu versuchen ein Bild direkt unter dem Mittelpunkt zu machen. Heute ist das gar nicht so einfach, es sind einfach viel zu viele Leute hier.
Es gibt eine Treppe, die hinauf zum oberen Stockwerk führt, da wo man eine gute Übersicht über den Eingangsbereich des Gartens hat. Doch auch hier stehen die Leute an für ein Selfie, für ihre Gruppenfotos, für ein Erinnerungsbild. Ich hatte eigentlich gehofft, ich könne von hier die Sonne noch einmal einfangen, doch heute ist der Sonnenuntergang überhaupt nicht sichtbar, es wird nur ganz kontinuierlich dunkel und bis ich wieder unten beim Ausgang des Monuments bin, ist es draussen tatsächlich dunkel. und die Beleuchtung setzt ein.
Ich warte noch einen Moment auf einer Bank beim grossen Wassertank bis es richtig dunkel ist, jetzt sind etwas weniger Leute unterwegs und ich kann noch einmal ein paar Fotos ohne viel Leute machen. Dafür mit der beleuchteten Fassade.
Ich erinnere mich an die Kamele vor der St. Pauls Cathedrale und gehe hinüber zu der Kirche.
Dort weist mich der Wärter zum Ticketoffice. Ich müsse einen Eintritt bezahlen. Ich will aber nur die Wiese dort hinten sehen, erkläre ich ihm, und sehe, dass eine andere Frau mit dem Handy am Ohr unbekümmert an ihm vorbeiläuft, obwohl er auch bei ihr versucht, sie aufzuhalten. Nachdem das bei ihr klappt, versuche ich es auch und gehe einfach weiter. Kann doch nicht sein, dass ich für den Besuch einer Kirche einen Eintritt bezahle. Wahrscheinlich wird sie nächstens geschlossen, oder wenigstens das Ticket-Office.
Es klappt und kurz darauf stehe ich tatsächlich vor der Krippe. Das lebensgrosse Personal ist bereits eingetrudelt. Maria und Josef sind in der Hütte, die inzwischen ein Dach bekommen hat. Nebenan kommen die Hirten mit ihren Schafen und auf der anderen Seite die Könige mit ihren Kamelen. Also, es wird eine Krippe geben, nur auf den Hauptdarsteller wartet man noch. Und auf die Beleuchtung.
Hinter der Kirche erstrahlt ein Partyzelt. Ein Freiluftzelt mit vielen Lämpchen. Wie Weihnachten, doch dazu ist es noch zu früh. Ich muss nachsehen, worum es sich dabei handelt.
Es ist eine Hochzeitsgesellschaft, die hier erwartet wird. Ein grosses Buffet ist aufgebaut, zwar gibt es noch keine Speisen, aber alle Pfannen sind da. Das Geschirr, die Beschriftungen, die livrierten Kellner. Die runden Tische mit den eleganten Stühlen mit den weissen Houssen. Die goldenen Vorhänge, die vielen Rosen und die Bilder der beiden jungen Leute. Noch ist es erst sechs Uhr, die Gäste werden wohl erst viel später erwartet. Im Moment sind nur zwei Fotografen da, die alle Details in ihre Kameras bannen. All die Dekos, den Weg, den das Brautpaar nehmen wird, den Eingang mit den Blumengirlanden.
Vielleicht, wer weiss, ist die Gesellschaft ja im Moment noch in der Kirche. Ich gehe hinein und werde diesmal von niemandem angehalten, das Handy auszuschalten. Also kann ich jetzt in aller Ruhe noch einmal ein Bild vom Innenraum machen. Doch von Hochzeit ist nichts zu sehen, auch keine Blumen, keine Dekoration. Leider ist auch die Beleuchtung nicht stark genug, so dass man das berühmte Glasfenster von aussen sehen könnte.
Egal, für mich ist es jetzt Zeit, zurück zu gehen.
Bei den Taxis versuche ich einmal mehr einen Fahrer zu finden, der Englisch versteht, denn ich habe keine Lust, zu erklären, wo mein Hotel ist. Niemand kennt es bis jetzt, da es so neu ist und mein GPS auf dem Handy kann auch keiner lesen. Also gehe ich zum Früchtestand, bestelle ein Uber-Taxi. Es ist noch ziemlich weit weg, und die Wartezeit beträgt gute 20 Minuten. Das gibt mir die Gelegenheit, einen frischen Fruchtsaft zu bestellen. Der Mann gibt zuerst etwas in den Becher, bevor er den frisch gepressten Saft aus Orangen und Ananas hinein giesst. War das Zucker? will ich wissen. Oder doch Salz? Ja, Salz ist es, Masala. Eine Gewürzmischung. Das ist es, was das Getränk so speziell macht. Das werde ich später auch einmal ausprobieren.
Ich mache mich auf die Wartezeit gefasst, als mich ein Mann anspricht. Hotel Alipore Road? Ja, woher weiss er das?
Es stellt sich heraus, dass es der Taxifahrer vom letzten Mal ist. Er hat mich nach dem Besuch des Planetariums von hier ins Hotel gebracht und jetzt hat er mich tatsächlich wieder erkannt. Wie ich da in der Dunkelheit wieder am gleichen Ort unter dem Baum sitze. Auf mein Uber warte. Das muss belohnt werden. Ich storniere meinen Uber-Auftrag, das Auto steckt noch immer irgendwo im Verkehr, und steige in das Taxi. Reden kann er nicht, aber er freut sich wie ein Schneekönig. Vor allem weil er gesehen hat, dass ich das Uber abbestellt hatte.
Es gibt immer wieder Überraschungen und ich versöhne mich innerlich mit den Taxifahrern von Kolkata.
Aufbruch: | 01.06.2022 |
Dauer: | 8 Monate |
Heimkehr: | 30.01.2023 |
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