Reise durch Indien
Fort Amritsar
Der Vormittag gehört dem Schreiben, am späteren Nachmittag bringt mich Sachin zum Gobingarh Fort.
Wir fahren durch die Stadt und ich merke, dass Sachin eine spezielle Strecke fährt. Er will mir immer wieder neue Orte der Stadt zeigen, leider kann ich seine Erklärungen schlecht verstehen, die er mir zwischendurch nach hinten ruft. Er soll sich besser auf den Verkehr konzentrieren, finde ich. Oder anhalten.
Doch an einem Ort sehe ich endlich wieder einmal Kühe. Die habe ich seit Agra nicht mehr gesehen. In Kaschmir gab es keine Kühe auf der Strasse und in Amritsar sind mir bisher auch keine begegnet. Hier aber stehen sie auf dem schmalen Mittelstreifen, wo ein paar Grashalme wachsen. Oder in der Nähe der Abfalltonne, wo etwas verwesender Abfall rumliegt. Und dann rieche ich sie. Hier ist ein Stall, hier wohnen die Kühe, ruft Sachim nach hinten. Habs zu spät realisiert, bis ich meine Kamera gezückt habe, sind wir längst vorbei. Es gibt Fahrer, die haben ein Faible dafür, was der Tourist fotografieren möchte, die werden dann langsamer oder halten gleich kurz an. Do you want Foto? fragen sie dann. Leider gehört Sachim nicht dazu. Natürlich könnte ich ihn bitten, zurück zu fahren. Dann würde er mitten auf der Strasse, egal wie befahren sie grad ist, umdrehen und in die Gegenrichtung fahren. Und das gleich noch einmal dort, wo ich fotografieren will. In dieser Beziehung versucht Sachim wirklich alles richtig zu machen.
Aber egal, ich habe den Stall gerochen - und wie und ausserdem sind wir auf dem Weg zum Fort.
Wir fahren dann noch einen Moment an Hütten und Zelten vorbei, hier leben wohl die Ärmsten der Stadt. In ihren improvisierten Unterkünften. Hier möchte ich aus pietätischen Gründen nicht anhalten, denn es ist einfach nicht vorstellbar, wie Menschen in solchen Verhältnissen überleben können.
Beim Kaufen des Tickets stellt er mich gleich einem Guide vor, der mich mit seinem eigenartigen Fahrzeug zum Eingang des Forts bringen wird. Es ist eine spezielle Tour, die er mir da vermittelt hat, das merke ich schnell. Der Guide spricht allerdings so schnell, dass ich ihn kaum verstehe. Nicht weil er schlecht englisch spricht, sondern weil er es so schnell spricht, dass ich tatsächlich sehr Mühe habe. Bitte sprich langsam, Englisch ist nicht meine Muttersprache. Ok, nickt er und fährt los. Und dann kann er tatsächlich so sprechen, dass ich ihn verstehe.
Wir sind aber kaum durch das Tor gefahren, als er fragt: kann ich anfangen. Ja klar, nicke ich, worauf er seinen Vortrag startet, von dem ich jetzt tatsächlich kaum mehr was verstehe. Bei der grossen Übersichtstafel erzählt er mir vom Erbauer des Forts, von dem Land der fünf Flüsse - natürlich zählt er sie alle auf, von den verschiedenen Herrschern und den Kriegen und ich verstehe je länger desto mehr nur noch Bahnhof. Da mischen sich Namen von Personen und Orte, von denen ich noch nie was gehört habe zu einem einzigartigen Wortsalat in dem ich keine Informationen mehr heraus ziehen kann. Gerade die indischen Namen sind sehr schwer als solche zu erkennen, für Orte gilt das gleiche. Ich weiss am Schluss nur noch, dass das Fort als Verteidigung gebaut wurde, dass es nur Unterkunft für Soldaten bot und dass es nach der Übernahme durch die Briten ebenfalls als Truppenunterkunft genutzt wurde. Danach war es lange Zeit für das Publikum nicht zugänglich, bis es vor wenigen Jahren durch zum Teil private Unternehmer gekauft und als Themenpark genutzt wird. Jedenfalls ist es riesig.
Etwas verschüchtert frage ich, wie lange seine Erklärungen dauern würde. Falls das zu lange so weiter geht, muss ich intervenieren, denn stundenlang möchte ich so nicht unterwegs sein. Doch er meint, in 20 Minuten wäre die Führung zu Ende. Das ist auszuhalten.
Mit dem spannenden Löwenauto - am Kühler prangt ein goldener Löwenkopf - fahren wir rund um die ganze Festung. Früher war hinter der Mauer ein grosser Wasserspeicher. In diesem schwammen Krokodile. Nur schon darum war das Fort nicht einnehmbar. Dann kommen die beiden dicken Mauern, die zweite Mauer ist bis zu 6 Meter breit. Aber um das ganze Fort gibt es einen Weg, der genau die richtige Breite für das Löwenauto hat. Vor allem wenn es um die Ecken geht, muss der Fahrer genau wissen, wo seine Räder stehen, denn allzu schnell könnte er damit in den Graben fahren, der sich auf der rechten Seite entlang der Mauer zieht. Bei einem schönen Tor auf der gegenüber liegenden Seite des Eingangs parkt mein Guide sein Auto und heisst mich aussteigen. Seine Erklärungen haben inzwischen den Vortrags-Status überwunden, ich kann ganz normal mit ihm reden. Bei der Gelegenheit zeigt er mir noch einmal die Dicke der Mauern und übernimmt dann meine Kamera. Er wird jetzt zum Fotografen. Da trifft es sich gut, dass ich heute das neue Kleid von der Schneiderin angezogen habe. Das kommt jetzt so richtig zur Geltung.
Nach einer Fahrt durch den Innenhof wo er mir zeigt, wo ich die verschiedenen Attraktionen finde, fährt er zu einem grossen Platz innerhalb der Mauern, wo er mir anbietet, selber mit dem Auto zu fahren. Das ist ein Automat, nur Gas und Bremse. Fahr damit eine Runde, ich werde dann ein Video aufnehmen. Gesagt getan. Zuerst bin ich noch etwas zaghaft unterwegs, während er mit meinem Handy neben mir herläuft. Am Ende des Platzes zeigt er mir mit Handbewegungen, dass ich eine Kurve drehen und zurück fahren soll. Also werde ich etwas schneller, während er jetzt langsam auf Trab kommt. Dass er mir dabei Slow, slow zugerufen hat, habe ich erst auf dem fertigen Video gehört. Ich hatte geglaubt, ich solle schneller werden...
Jetzt folgt noch eine zusätzliche Fotosession, bei der ich auf die Kühlerhaube sitzen soll. Setz dich ruhig, das hält die schon aus. Schau hierhin, schau dorthin, kreuze die Beine, die Hände da, neig dich nach vorne und jetzt setz dich ans Steuer, ja so, genauso.
Sind gar nicht schlecht geworden, die Fotos. Ganz unerwartet hatte ich wieder einmal einen guten Fotografen. Für mein Gesicht bin ich allerdings selber verantwortlich.
Die Sonne schickt grad ihre letzten Strahlen über die Festungsmauer, als ich mich mit einem Trinkgeld von ihm verabschiede und mich aufmache, die nächste Attraktion zu finden.
Es ist eine 7-D-Vorführung über die Geschichte des Forts. In etwas alten Sesseln sitzen ein paar Zuschauer und erwarten das Spaktakel, für das wir 3-D-Brillen bekommen haben. Es handelt sich wohl um den ersten Besitzer des Forts, der bei einem Kampf gegen die Gegner früh verstorben ist . Sein Sohn übernahm die Führung als Maharadscha im Alter von 12 Jahren und führte seine Leute durch viele erfolgreiche Kriege. Beim Ritt auf den Pferden fangen die Sessel unter den Zuschauern an zu schaukeln, was ganz lustig aussieht, denn jeder Sitz bewegt sich anders, so wie es auf dem Pferd auch wäre. Beim Sprung über den Wassergraben kommen noch ein paar Spritzer Wasser dazu und natürlich fegt uns die ganze Zeit der Wind um die Ohren.
Noch intensiver wird das Erlebnis beim nachfolgenden Trickfilm wo man mit Hilfe von Düsenantrieb durch eine belebte Stadt fährt und jeglichen Verkehrsmitteln ausweichen muss, um am Schluss ganz knapp das Ziel zu erreichen. Bei diesem Höllenritt bin ich tatsächlich kurz in Versuchung, mit an der Sessellehne festzukrallen, um nicht vom hohen Stuhl zu fallen. Doch dann ist das Spektatkel schon vorbei
Draussen scheine ich soeben eine Tanzaufführung verpasst zu haben, ich frage die farbigen Tänzer, ob ich sie wenigstens fotografieren dürfe. Ja, aber nur, wenn ich mit ihnen auch ein Selfie machen würde. Na wenns weiter nichts ist.
Die nächste Aufführung wird in einer halben Stunde sein. Ich schlendere ein wenig durch die Anlage. Suche die letzten Blumen, die schon sehr spärlich geworden sind. Es ist Herbst, nur noch wenige Bäume tragen Blumen, Sehe den Kamelen zu, auf denen man reiten könnte, mache eine Runde zu den Schiessbuden, wo man mit Bällen Blechdosen abschiessen könnte. Es ist nicht viel los, es sind wenige Leute unterwegs. Darum dreht wohl auch das Karussel nicht. Im grossen roten Gebäude mit den grossen Bogenfenstern entdecke ich im oberen Teil einen grossen Saal mit einem Restaurant. Die Tische sind gedeckt, aber es sind keine Gäste hier. Wann wird es geöffnet, will ich von einem der Kellner wissen. Er schaut mich etwas verlegen an. Es ist bereits offen. Ich verspreche, zurück zu kommen und gehe wieder hinaus.
Über die breite repensentäble Treppe komme ich hinauf zu Ausstellungsräumen. Im einen sollte eine Bildergalerie sein, doch sie ist komplett leer. In der anderen aber befindet sich das Turban-Museum Hier sieht man die Anfänge des Turbans, der für die Sikhs seit 17. Jahrhundert obligatorisch ist. Er entwickelte sich von einer einfachen Kopfbedeckung zu diesem modernen wunderschönen Turban, der aus einem langen Tuch von 7-10 Metern um den Kopf gebunden wird und die langen Haare der Männer bedecken soll. Schon kleine Jungen tragen eine Kopfbedeckung, in der ihre aufgesteckten Haare eingebunden sind. Man sieht sie in den Strassen von Amritsar viel. Die farbigen Turbane der Männer gehören grundsätzlich zum Strassenbild. Egal ob zum Anzug oder zum traditionellen Kleid, der Turban gehört zu einem Sikh, so wie auch der Bart.
Inzwischen ist es dunkel geworden, die Beleuchtung am runden Gebäude hinter der Bühne kommt jetzt leuchtend rot zur Geltung, die Tänzer treten noch einmal auf. Wenige Zuschauer nur sitzen fauf den Plastikstühlen auf der grossen Wiese und eine der Frauen versucht, andere dazu zu animieren, mit ihr auf dem Platz vor der Bühne zu tanzen. Leider hat sie nicht grossen Erfolg, die wenigen, die mitmachen, geben bald wieder auf. Tatsächlich ist es das erste Mal, dass ich eine Frau so fröhlich, so voller Leben erlebe. Sie tanzt derweil unentwegt weiter, wiegt sich in ihem schönen Kleid zur Musik von der Bühne, hebt die Arme und man spürt ihre Lebensfreude.
Nach der Vorstellung gehe ich ins Restaurant, wo ich noch immer der einzige Gast bin. Dafür habe ich drei Kellner, die sich bemühen, mich richtig zu bedienen. Dass sie keine Ahnung haben, woher der Wein kommt, der hier auf der Karte steht, scheint sie nicht zu stören. Einer klärt aber immerhin ab und kommt mit der Erklärung, es handle sich um ein indisches Produkt, die Flasche kann er mir aber nicht bringen.
Egal, er wird elegant und ziemlich kühl in einem hohen Glas serviert.
Ich bestelle zur Vorspeise in Nüssen panierter Blumenkohl mit drei verschiedenen Sossen. Dass mir der Kellner diese wunderschön angerichtete Vorspeise auf meinen Teller umbettet, kommt wohl daher, dass er eben sonst überhaupt nichts zu tun hat. Und ich habe es verpasst, den wirklich schön angerichteten Teller zu fotografieren. Sowas habe ich in den letzten Monaten nie mehr gesehen, dass essen richtig schön präsentiert wird.
Beim Hauptgang bin ich dann geistesgegenwärtig genug und bitten den Oberkellner, mir doch den Teller mit den Fischstücken direkt zu servieren, ohne Umlagerung auf einen anderen Teller. Der Koch hat sich doch solche Mühe gegeben, den Teller schön anzurichten, begründe ich meine Bitte.
Mit einem unschlüssigen Kopfwackeln wird meinem Wunsch entsprochen. Dazu gibt es Kartoffelpüree und Zitronnensosse, die sich als Mayonaise mit Zitronenaroma entpuppt.
Jedenfalls habe ich in Indien noch nie so fein und so vornehm gegessen. Der Saal in dem wohl früher die Regimenter - oder vielleicht doch nur die Offiziere gespiesen haben tut sein übriges mit den hohen Kronleuchtern und den vornehm gedeckten Tischen.
Das wenige Englisch des Oberkellners lässt keine grosse Konservation zu, aber immerhin verstehe ich, dass in diesen Tagen des Diwali-Festivals viele Touristen abends an die Grenze fahren um die Fahnenzeremonie zu sehen. Und ausserdem werden diese Räume oft für Hochzeitsgesellschaften gebucht.
Ja und dann ist der Ort halt einfach sehr teuer für indische Verhältnisse. Das kann ich bestätigen, für diesen Betrag könnte ich in normalen Restaurants wohl dreimal essen. Aber es hat sich trotzdem gelohnt, ich habe den Abend sehr genossen.
Inzwischen hat sich Sachim gemeldet. Ob ich noch immer im Fort sei. Ich hatte ihm gesagt, er soll nicht auf mich warten, sondern versuchen, andere Fahrten zu machen, da ich aus Erfahrung immer sehr lange für solche Besichtigungen brauche. Jetzt steht er aber mit seinem Tuctuc vor dem Tor.
Bei der Bühne scheint die fröhliche Frau inzwischen besseren Erfolg zu haben, jedenfalls tanzen jetzt einige Frauen zu der noch immer laufenden indischen Musik aus den Lautsprechern.
Bei meinem Gang aus dem Fort, entdecke ich in einem Toreingang das Leo-Auto. Es sei das einzige, hatte mir mein Guide erklärt.
Sachim fährt mich nach Hause und ich merke, dass er auch jetzt wieder eine spezielle Route ausgesucht hat. Obwohl die Strassen noch immer von Leuten voll sind, fährt er mitten durch den Markt, wo in den meisten Läden Hochzeitsschmuck verkauft wird. Schmuck, Seidenbänder und Dekorationen für das Kleid und natürlich wunderschöne Kleider. Und ausserdem ganz viele wertvolle Geschenke.
Ich habe zwar heute nicht viel unternommen, aber trotzdem war mein Tag wieder voller neuer Erlebnisse und ich bin hundemüde, als ich endlich in meinem dunklein Zimmer ankomme. Meinem Zimmer ohne Fenster mit der harten Matratze. Lange hat mich diese auch heute nicht mehr gestört.
Aufbruch: | 01.06.2022 |
Dauer: | 8 Monate |
Heimkehr: | 30.01.2023 |
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