Reise durch Indien

Reisezeit: Juni 2022 - Januar 2023  |  von Beatrice Feldbauer

Knockout

Ich habs nicht kommen sehen - und trotzdem lag es wohl in der Luft. Ich erwache am Morgen mit vollem Bauch. Es scheint, dass mein Nachtessen von gestern keinen Milimeter weiter ist, als gestern Abend.

Ich habe einen Druck auf der Brust. Googeln in dem Fall führt allerdings nur zu erschreckenden Ergebnissen, dann eben mal Fieber messen. Keine Temperatur, das ist schon mal gut.

Ich versuche mir, das Hotel-Frühstück vorzustellen, aber ich merke, dass mir schon der Gedanke daran widersteht. Essen? Nein Danke!

Ich bleibe erst einmal im Zimmer, tue mir selber leid, weiss nicht, was mit mir los ist. Ist das jetzt der Abbruch?

Jetzt, wo ich das schreibe ist ziemlich viel Zeit vergangen seit diesem Morgen. Ich habe inzwischen jede Menge Ratschläge bekommen: Viel trinken, aufpassen was ich esse, nur gekochtes essen, und ganz vieles mehr.

Ich weiss aber inzwischen, dass ich mir definitiv nichts aufgelesen habe, auch der Fruchtsalat, den ich am Vortag noch auf der Strasse gegessen hatte, ist mir gut bekommen. Nein, es war generell das Fehlen von Restaurants, das tägliche Suchen, wo ich mich verpflegen könnte, meine tägliche Überwindung für das Essen, das man mir vorgesetzt hat. Ich habe mich an das indische Frühstück mit den weissen Idli und den pikanten Beilagen gewöhnt. Auch die Sprossen, die oft dazu gehören, mag ich. Auf den Kaffee kann ich gut verzichten und den Chai trinke ich auch gern mal unterwegs.

Ein typisch indisches Frühstück. Idli sind die weissen gedämpften Küchlein aus Urdubohnen und Reis.

Ein typisch indisches Frühstück. Idli sind die weissen gedämpften Küchlein aus Urdubohnen und Reis.

Doch in vielen Hotels wird schon das Frühstück so lieblos präsentiert, dass ich dazu Überwindung brauche. Essen unterwegs habe ich kaum je gefunden,

Restaurants in den Orten, wo ich zuletzt war, Fehlanzeige. Das Essen, das ich mir ins Zimmer liefern liess sah fast immer ziemlich unappetitlich aus. Aber das Schlimmste war wohl, dass ich mir das nicht eingestand, dass ich versuchte, mir einzureden, dass das ok sei, dass das eben dazu gehöre. Ich wollte kein Weichei sei, dachte ich sei wohl einfach zu zimperlig, zu anspruchsvoll. Und ich redete mir ein, dass das normal sei, dass es ja eigentlich gut schmecke, dass man das problemlos essen kann, dass andere das schliesslich auch schaffen. Ich liess den Ekel nicht aufkommen, obwohl er permanent da war.

Und irgendwann fand mein Körper, dass er mir das jetzt mal zeigen müsse. Dass er so nicht mehr mitmache.

Dass er mir das ausgerechnet im dümmsten Moment mitteilte, gehört natürlich zum Prinzip. So hat die Verweigerung am meisten Wirkung.

Ich hatte eine lange Fahrt mit dem Bus vor mir und ich hätte meinen Magen gern vorher noch geleert, denn ich wusste nicht, ob es eine Toilette im Bus gab.

Also versuchte ich, während des Tages mit viel Wasser meine Verdauung wieder auf Vordermann zu bringen, doch da rührte sich nichts, der Druck blieb und langsam machte sich Panik breit. Zum Glück durfte ich bis zum Abend im Hotel bleiben. Dann packte ich meine Sachen zusammen und verabschiedete mich von den freundlichen Angestellten. Es regnete in Strömen und bevor ich endgültig mit einem Tucktuck losfuhr, fragte ich noch nach einem Schirm. "Nein, nicht zum mitnehmen, nur um ein Foto zu machen." Wieder einmal hinterliess ich fragende Gesichter, als ich den Schirm nur kurz aufspannte und gleich wieder zurückgab, um im Regen zum Tucktuck zu laufen. Man braucht mich ja nicht immer zu verstehen, ich verstehe mich ja selber manchmal auch nicht.

Das Bild ist ein ziemlicher Fake. Es ist Abend, es regnet in Strömen und mir geht es ziemlich übel.

Das Bild ist ein ziemlicher Fake. Es ist Abend, es regnet in Strömen und mir geht es ziemlich übel.

Also fuhr ich zur Busstation und war da viel zu früh. Ich stromerte noch ein wenig herum, das Gepäck konnte ich deponieren. Ich trank einen Chai am kleinen Stand und versuchte eines dieser eigenartigen Brote, die auf dem heissen Blech gebraten und dann mit beiden Händen malträtiert werden - ein entsprechendes Video findet man auf meiner Seite. Dazu kaufte ich eine kleine Flasche Cola. Als Medizin sozusagen. Doch ich traute mich kaum, diese zu trinken. Was, wenn es im Bus keine Toilette gab?

Zur Vorsicht suchte ich hier noch eine auf, aber meine Verdauung streikte noch immer komplett.

Porrta hat es der Verkäufer genannt, habs aber mit allem googeln noch nicht gefunden, scheint ein lokaler Name zu sein.

Porrta hat es der Verkäufer genannt, habs aber mit allem googeln noch nicht gefunden, scheint ein lokaler Name zu sein.

Das sind die Doppelbetten, auf der anderen Busseite liegen die Einzelkojen.

Das sind die Doppelbetten, auf der anderen Busseite liegen die Einzelkojen.

Und dann war es Zeit einzusteigen. "Gibt es Toilette?" fragte ich den Adjudanten, der mir meine Schlafkoje zuwies. "No," war die kurzangebundene Antwort und ob es irgendwo einen Halt gäbe, konnte ich gar nicht erst fragen.

Also versuchte ich, mich in der schmalen Schlafstatt einzurichten. Das war eigentlich ganz einfach, denn sie bot nicht viele Möglichkeiten. Ein paar wenige cm länger als ich, und höchstens 50 cm breit. Am Fussende hing tatsächlich ein Fernsehmonitor und über meinem Kopf gab es eine Steckdose. Die sogar funktionierte.

Ich bekam Panik, was, wenn meine Verdauung in dieser Nacht wieder einsetzen würde. Was mache ich dann? Ich holte eine meiner beiden Notfall-Immodium-Tabletten aus dem Portemonnaie, wo sie schon manche Reise überlebt hatten und versuchte zu schlafen. Der Bus fuhr pünktlich los. Mit einem riesigen Hupkonzert. Mindestens mit einer 4-Ton-Hupe machte er nicht nur die Aussenstehenden auf sich aufmerksam, sondern erschreckte auch die Fahrgäste. Jedenfalls mich. Und dabei blieb es dann auch. Bis Mitternacht erschallte die Hupe alle paar Minuten. Zum Teil klang es wie ein Trompetensolo, es schien, dass der Chauffeur zuweilen richtig mit seinem Instrument jubelte. Nur mir war es nicht ums Jubeln, mir wurde immer klammer.

Irgendwann muss ich wohl eingedöst sein, als ich merkte, dass wir stehen. Also rasch hinaus. Der Chauffeur wollte mich zwar gleich wieder zurück schicken, aber ich bestand auf einer Toilette. Also zeigte er mir, wo ich sie finden konnte und dann stand ich vor dem Bus. Ohne Brille wie ein Maulwurf in der absoluten Dunkelheit. Nur mein Handy hatte ich dabei. Wenn jetzt der Bus losfahren würde?

Natürlich ist er nicht losgefahren. Jedenfalls nicht weit, nur bis zu den Toiletten, wo ich sofort wieder einsteigen sollte, als ich aus dem Verschlag kam.
"Hopp, hopp, wir müssen fahren!" Er hat es indisch gesagt, aber es hat sich so angehört. Auch gegen drei Uhr gab es noch einmal einen kurzen Stopp, Leute stiegen aus, andere stiegen ein und ich konnte noch einmal zur Toilette.

Und endlich, kurz nach Sonnenaufgang kamen wir an. In Bangledore, einer Millionenstadt. Ich kaufte noch zwei Flaschen Mineralwasser und fuhr mit einem Tucktuck zum Hotel. Und dort verkroch ich mich. Es ging mir tatsächlich mies. In solchen Momenten fragt man sich dann, ob das jetzt tatsächlich das Ende der Reise sei. Doch so schnell gebe ich nicht auf. Ich fragte den Hotelmanager nach einem Aspirin und bekam zu meiner Überraschung zwei Saridon. Die hat doch mein Grossvater jeweils genommen. Vielleicht half es. Eine Tablette ist jetzt anstelle des geschluckten Immodiums in meinem Portemonnaie, denn eine Tablette musste genügen.

Ich könnte nicht sagen, dass es mir viel besser ging, aber ich war überzeugt, dass ich mich in eine psychische Falle gelockt hatte. Ich hatte mich mit menem ewig positiven Denken selber manipuliert, hatte verpasst, auf mich zu hören, meinen Ekel wahr zu nehmen. Mein ganzer Bauch hatte sich inzwischen so verkrampft, dass er mir rundum weh tat. Durfte ihn kaum berühren und konnte mich im Bett kaum umdrehen. Weil ich etwas von leichten Massagen gelesen hatte, versuchte ich, ihn vorsichtig mit dem duftenden Kokosöl einzureiben, das ich in einem der Hotelbadezimmer eingepackt hatte. Mir was gutes tun.

Das Hotelrestaurant fürs Frühstück

Das Hotelrestaurant fürs Frühstück

Essen aber konnte ich mir noch immer nicht vorstellen. Höchstens eine Tasse Hühnerboillion, das hatte mir schon auf meinen Südamerika-Reisen immer am besten getan. "Tut mir leid", meinte der sehr nette Hotelmanager, "aber in unserer Gegend isst man keine Suppe - nein, auch keine Gemüsebrühe oder Reissuppe". Dann bestellte er mir trotzdem eine Suppe in einem chinesischen Restaurant und mit Todesverachtung schlürfte ich die schleimige Brühe. Irgendetwas musste ich ja essen.

Am Morgen versuchte ich es beim Frühstück im Restaurant, aber schon der Anblick der beiden Töpfe verschlug mir das bisschen Appetit. Nur einen Chai konnte ich ertragen, was mich zu der Frage nach einem Krug Tee brachte. Doch nein, meinte der Kellner, das gibt es hier nicht.

Man trinke hier halt keinen Tee, ausser tassenweise Chai, klärte mich dann der Hoteldirektor auf. Er bemühte sich aber trotzdem und ich bekam eine Flasche extrem starken Schwarztee.

Was man so alles erfährt, wenn es einem nicht gut geht. Inzwischen ging es mir etwas besser, ich konnte mich jetzt auch ein wenig ums Internet kümmern, das in meinem Zimmer leider nicht funktionierte. Aber draussen im Gang, auf dem Bürostuhl, der unmotiviert vor dem Lift stand, hatte ich Empfang und manchmal ging ich hinaus, um mit jemandem zu chatten. Oder einen Post zu machen, um zu erklären, warum ich mich schon länger nicht mehr gemeldet hatte. Dass das Hotel grad umgebaut wurde und es den ganzen Tag irgendwo hämmerte oder krachte, als ob ganze Zimmer zusammengeschlagen und Wände eingerissen würden, war in der ganzen Sache nur noch ein Detail.

Das Hotel hiess Phönix. Ich stellte mir vor, dass der Wundervogel wohl kurz vor seiner Aschephase stand und sich im nächsten Jahr vielleicht wieder aus der Asche erheben würde. Der Hoteldirektor aber meinte, die Schuttphase hätte vor zwei Jahren angefangen, jetzt müsste er nächstens wieder auferstehen... Wünsche ihm viel Glück. Phönix wird das bestimmt schaffen.

Ein kleiner Aufsteller und ein Gruss aus der Heimat. Das Bild an der Wand im Hotelzimmer.

Ein kleiner Aufsteller und ein Gruss aus der Heimat. Das Bild an der Wand im Hotelzimmer.

Der Hoteldirektor vermittelte mir einen Chauffeur, der mich am dritten Tag nach Mysore fuhr. Vier Stunden, von denen ich nicht mehr viel weiss. Sightseeing war nicht vorgesehen. Ich hatte während meiner Internet-Besuche vor dem Lift ein Zimmer in einem sehr guten Hotel in Mysore für eine Woche gebucht, wollte mich zurückziehen und erholen.

Das erste, was ich beim Eintreffen sah, waren die Schirme vor dem Eingang. Und so kam es, dass ich auch hier wieder einen etwas verwirrten Portier hinterliess, als ich mir kurz einen Schirm aufspannen liess, ein Selfie machte und ihn zurückgab.

Scheint mir ja bereits besser zu gehen

Grad wenn es dir nicht so gut geht, brauchst du einen Lippenstift.

Grad wenn es dir nicht so gut geht, brauchst du einen Lippenstift.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Es geht wieder los. Vier Monate ist es her, seit ich von meiner Südamerikareise zurück gekommen bin. Sieben Monate war ich unterwegs. Und jetzt stehe ich vor einem neuen Start. Mein Traum ist das Taj Mahal. Mein Ziel heisst Indien.
Details:
Aufbruch: 01.06.2022
Dauer: 8 Monate
Heimkehr: 30.01.2023
Reiseziele: Vereinigte Arabische Emirate
Indien
Indonesien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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