Reise durch Indien
Agra Red Fort
Ich bn in Agra angekommen. Eigentlich am Ziel meiner Indien-Reise.Und doch will ich nicht schon am ersten Tag zum Taj Mahal. Hat es jetzt so lange auf mich gewartet, kann das gut auch einen Tag länger dauern.
Also habe ich mit Munna eine Stadtbesichtigung vereinbart. Vor allem das Red Fort steht da an oberster Stelle. Auch in Agra gibt es also eine rote Festung. Der Name kommt vom roten Sandstein, mit dem das Fort gebaut ist.
Der Bau des Forts wurde im 16 Jahrhundert durch Akhbar den Grossen begonnen. Er hatte die Hauptstadt von Delhi nach Agra verlegt, kurz darauf aber in der Nähe eine neue Hauptstadt in Fatahpur Sikri gegründet und dort noch einmal einen Palast erbauen lassen.
Das rote Fort wurde im 17. Jahrhundert durch Shah Jahan, den Erbauer des Taj Mahal erweitert. Seine spezielle Tragödie ist, dass ihn später sein Sohn in diesem Roten Fort unter Hausarrest stellte und er das Mausoleum seiner Lieblingsfrau nur noch aus der Ferne sehen konnte.
Wie immer geht es erst durch zwei imposante Tore, die mit weissen Dekorationen versehen sind, in einen Innenhof. Es ist auch dies wieder eine riesige Anlage, die meiner bescheidenen Beschreibung nicht standhält. Jede Mauer, jedes Tor, jedes Gebäude ist aufwändig dekoriert mit immer neuen Mustern und Symbolen. Mit Schriften und Nischen in den Mauern. Mit Balkonen, die von Säulen getragen werden. In den ersten Höfen wird noch viel aus Sandstein gebaut, je tiefer hinein es geht, je mehr wechselt das Baumaterial zu weissem Marmor.
Es gibt weite Grasflächen, breite Gehwege und genau auf so einem Gehweg entdecke ich eine Frau mit einem kleinen bunten Schirm, den sie lässig in der Hand schlenkert.
Natürlich spreche ich sie an, frage, ob ich den Schirm kurz ausleihen dürfte und vergewissere mich, ob er tatsächlich von Jaipur sei. Ganz genau, die Familie ist aus Jaipur und dort im Fot haben sie den Schirm auch gekauft. Ich bin bereits ein bisschen stolz, dass ich so kleine Details bereits erkennen kann. Immerhin, am Schirm erkenne ich, woher die Leute kommen.
Es ist heiss heute und ein Sonnenschirm scheint mir tatsächlich nicht abwegig. Die verschiedenen Hallen, die Schatten versprechen, liegen weit verstreut, dazwischen breiten sich weite gepflegte Rasenflächen mit niedrigen getrimmten Büschen aus.
Ich verliere die Übersicht über die Anlage, bummle entlang den breiten Wegen, komme in eine Halle mit vielen Säulen und einem Sarkofag hinten an der Mauer. Hier im Schatten sitzen die Leute am Boden, machen ihre Fotosessions und ich kann nie müde werden, die wunderschönen Saris zu bewundern. Trotz Hitze tragen die Frauen ihre langen Röcke mit dem über die Schulter geworfenen Tuch mit grösster Grazie. Es ist, als ob ihnen die Hitze nichts antun könnte.
Überall an den Wänden gibt es Ornamente, farbige Steine wurden in Intarsientechnik in die Wände und über Torbogen eingelassen. An anderen Orten sind es Steinmetzarbeiten oder Malereien. Die Techniken sind vielfältig, so wie die Ornamente selber. Sie wiederholen sich nie, sind immer anders und wenn es nur in kleinen Details ist. Manchmal studiere ich einzelne Strukturen. Und auch wenn sie oberflächlich betrachtet identisch sind, so kann man überall kleine Details entdecken, die das eine Bild vom anderen unterscheidet. Man könnte hier gut überall Rätselbilder zum suchen von 10 Unterschieden herstellen. Faszinierend, denn es zieht sich überall durch. Über Fensterbogen, Geländer, Tore, Decken, manchmal weisen auch die Böden Dekorationen auf.
In einem eingehagten Bereich gibt es sogar einen Garten, der mit niedrigen Buchsbäumen verschiedene Kräuterbeete mit Ornamenten einrahmt.
Von einem Fenster im oberen Stockwerk eines Palastes - es gibt mehrere palastähnliche Gebäude, kann ich in der Ferne das Taj Mahal erkennen. In gut 2 km Entfernung liegt es am Fluss und besticht auch von hier durch seine Schönheit und Ästethik. Das war wohl der Blick, der seinem Erbauer in den letzten Lebensjahren noch vergönnt war.
Ich habe mir viel Zeit genommen, Munna konnte ein ausgiebiges Schläfchen machen. Wir fahren zurück in die Stadt, Munna will mich zu den Teppichknüpfern bringen.
Eigentlich wollte ich das Tuctuc neben uns diskret fotografieren, aber das kleine Mädchen hat mich entdeckt und seine Mutter auf meine Kamera aufmerksam gemacht. Worauf mir die beiden freundlich zuwinkten. Ein Tuctuc, das ist eigentlich ein Motorrad, mit 6 Personen. Diese Gefährte sind besser als ein PW. Manche haben hinten zwei Sitzbänke, dann werden sie gleich wie kleine Busse benutzt.
Wir fahren zu einem Teppichgeschäft. Hier erklärt mir der Verkäufer wie die Teppiche in Handarbeit entstehen. Es sind zwei Doppelknoten, die in die aufgespannten Kettfäden geknüpft werden. Das geht ganz schnell, das kann man von Auge gar nicht sehen. Abgeschnitten wird der Faden blitzartig mit der kleinen Sichel und schon ist der nächste Knoten fertig und geschnitten. Es sind zwei Männer, die an einem Teppich arbeiten. Sie werden gut zwei Monate brauchen, bis der er fertig ist.
Immer nach ein paar Knopfreihen, wird wieder ein Schussfaden, ein Querfaden eingezogen, um dem Teppich den Halt zu geben. Das habe ich nicht gewusst, ich dachte, Teppiche würden auf einen fertig gewobenen Stoff geknüpft, so wie auch wir das machen, wenn wir aus Hobby einen Teppich knüpfen. Dabei wird ein Häklein und fertig geschnittene Wollfäden benutzt. Das echte Teppichknüpfen ist davon natürlich weit entfernt.
Die Muster sind alte überlieferte Tradition. Sie werden immer wieder weiter gegeben. Die meisten Teppiche werden in den Familien geknüpft, die beiden Männer sind nur für die Käufer hier, um zu zeigen, wie die Teppiche entstehen.
In den Familien, in denen die meisten Familienmitglieder sich mit Teppichknüpfen beschäftigen, wird oft zu dritt an einem Teppich gearbeitet. Damit das schneller geht und die Muster nicht immer kontrolliert und abgezählt werden müssen, singt ein Familienmitglied die Muster vor, während die anderen danach knüpfen Die beiden Männer zeigen mir, wie das geht: einer singt die Zahlen und Farben, der andere bestätigt diese und knüpft derweil. Eine sehr intensive Arbeit.
Der Teppich wird aus Wolle geknüpft, die mit natürlichen oder synthetischen Farben gefärbt wurde. Die natürlichen Farben sind etwas heller und werden vor allem aus Pflanzen und Früchten, Beeren oder gar aus Mineralien gewonnen.
Nach dem Knüpfen wird der Teppich geschnitten. Mit einem Rechen wird er gekämmt und dann mit einer langen Schere geschnitten, so dass alle Wollfäden die gleiche Länge haben und der Teppich gleichmässig aussieht.
Danach wird er intensiv mit Seife und viel Wasser gewaschen. Es ist eindrücklich, wie der Arbeiter dem fertigen Teppich mit dem Holzschaber und viel Wasser nach Strich und Faden zu Leibe rückt
Jetzt geht es noch in den Raum, wo die Muster neu gemalt werden. Sie werden von den alten Vorlagen übernommen, bevor diese nicht mehr brauchbar sind. Dabei muss genau auf die Farben geachtet werden. Es werden hier meist alte Muster übernommen. Familien haben sich auf bestimmte Muster spezialisiert, können aber mit den Vorlagen auch neue Muster übernehmen. Der ganze Raum hängt voller Musterbilder und die beiden Männer sind konzentriert an der Arbeit.
Jetzt geht es noch in den Showraum, wo mir ein Chai serviert wird. Bevor der sehr freundliche Verkäufer seinen Gehilfen bittet, mit die grossen Teppiche zu zeigen, erkläre ich ihm, dass ich tatsächlich nichts kaufen werde. Ich würde es also nur fair finden, wenn sie sich die grosse Mühe nicht machen würden, ihren gesamten Bestand vor mir auszulegen. Dass ich den Prozess sehen durfte, finde ich schon sehr interessant, das Verkaufsgespräch können wir uns aber tatsächlich schenken.
Natürlich weiss ich, dass ich damit nicht die freundlichste Besucherin bin, doch nachdem ich ihm meine Situation ohne eigenes Heim und ohne eigene Wände erklärt habe und ausserdem erzählt, dass ich tatsächlich meinen ganzen Besitz weggegeben habe, kommen wir in ganz andere Gespräche und fast hätte er mir einen neuen Chai holen lassen. War auf jeden Fall ein äusserst spannender Besuch.
Beim Stoffhändler klemme ich früher ab, denn ich kann tatsächlich nichts ansehen ohne dass er mir erklärt, dass er den Stoff oder den Sari ganz klein einpacken kann und dass das überhaupt nicht ins Gewicht fällt. Ich mag nicht Hoffnungen wecken und so bin ich bald wieder auf der Strasse.
Den Schmuckhändler lasse ich gleich ganz weg und bitte Munna, mich ins Hostal zurück zu bringen, obwohl er mir noch das Baby Taj Mahal zeigen möchte. Doch ich werde eine ganze Woche hier sein, da wird sich bestimmt noch einmal eine Gelegenheit finden. Im Moment habe ich wieder genügend Eindrücke und meine Augen brauchen eine Pause.
Zurück beim Hostel fängt mich Ali ab. Er will unbedingt mit mir einen Chai trinken. Schon gestern hat er mich dazu eingeladen. Für einen Chai reicht meine Energie noch und inzwischen mag ich dieses aromatische Tell-Milch-Getränk richtig gern.
Ali muss etwas loswerden. Heute am Sonntag, kam per Kurier ein Brief, der wohl jeden im Quartier ratlos hinterlässt. Die Regierung kündigt darin an, dass jeder Gewerbetreibende ab dem 17. Oktober sein Geschäft zu schliessen hat. Für immer. Schon gestern Abend hatte der Manager beim Sonnenuntergang etwas davon erzählt, doch da war es noch ein Gerücht und es gab gestern Abend eine Versammlung der görsseren Geschäfte. Doch seit heute ist es offiziell. Es gibt keinen Aufschub, es bleiben zwei Wochen.
Und was sollen wir dann tun? Ali ist verzweifelt, neben den Schuhen. Das Haus hier bewohnen wir in der 4. Generation. Ich betreibe hier eine Reiseagentur, vermittle Ausflüge, Zugfahrten Flüge. Nichts grosses, aber wir können davon leben. Die ganze Familie mit seiner Mutter, seiner Schwester, Cousin und Kindern lebt von dem winzigen Büro, in dem der Cousin den Laptop bedient und die Buchungen vornimmt. Ali ist mehr derjenige, der die Kontakte knüpft, die Gäste des Hostels abfängt, ihnen mit den Koffern hilft, sich ins Gespräch bringt, einen Besuch in einem Handarbeitsbetrieb vermittelt um vielleicht eine kleine Kommission zu verdienen.
Wir haben eben erst die Pandemie überlebt, dabei sind die Ersparnisse draufgegangen. Da ist nichts mehr. Und das geht nicht nur mir so, das geht allen so, die hier im Quartier einen kleinen Laden, eine Agentur, ein Hotel oder eine andere Art von Geschäft betreiben.
Ich merke, es ist kein Jammern, Ali möchte nur seine Angst aussprechen, seine Probleme ausbreiten, verstanden werden. Sein breites Lachen wird er dabei nicht verlieren.
Es wird heute Nacht wieder eine Versammlung der Ladenbesitzer geben.
Eine Stunde vor Sonnenuntergang holt mich mein Tuctuc wieder ab. Munna will mich auf die andere Seite des Flusses bringen, gegenüber vom Taj Mahal soll ich es im magischen Licht der letzten Sonnen-Strahlen sehen.
Es ist vielleicht nicht der strahlendste Sonnenuntergang und vor allem findet er rechts neben dem Monument statt, aber es erstrahlt trotzdem noch einmal in seinem vollen Glanz, bevor es für die Nacht ins Grau abtaucht.
Ich mache noch ein paar eindrückliche Aufnahmen und freue mich auf morgen. Morgen will ich bei Sonnenaufgang im Taj Mahal sein.
es gehört nicht zu meinen besten Kugelbildern, aber da ich sie schon mitgeschleppt habe, will ich es auch zeigen.
Aufbruch: | 01.06.2022 |
Dauer: | 8 Monate |
Heimkehr: | 30.01.2023 |
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