Reise durch Indien
Government Holiday
Wenn man genauer hinsieht, merkt man, dass diese Söulen sich bei allen Gebäuden durchziehen - kein Wunder, sind ja alle gleich gebaut.
Heute gehe ich zum Frühstück in das Restaurant im 1. Stock, gestern war es geschlossen, darum musste ich auswärts gehen. Auch hier öffnet man erst um 10 Uhr, aber das ist für mich die ideale Zeit. Der Cappuccino ist perfekt ohne Zucker, weil ich darauf bestanden habe. Auch das Omlett mit Vollkorn-Toast ist in Ordnung. Ich bin jetzt gestärkt für den Tag. und gehe hinunter auf den Parkplatz.
Vom Hotelzimmer waren mir da zwei ziemlich alte Autos aufgefallen. Sie sind so sehr mit Sand und Staub überzogen, dass sie wohl schon lange nicht mehr gefahren wurden. Ich kann auch die Marke nicht erkennen.
Bei den Tuctucfahrern kommt sofort einer auf mich zu gerannt und will wissen, wohin ich will. Zum Capitol Complex. Wieviel kostet das? Zuerst will er mehr, doch wir einigen uns auf 200 Rupies. Worauf er seinen Kollegen zuruft: 200 zum Capitol Complex! Ich muss laut herauslachen, scheint also noch immer ein sehr guter Preis zu sein, dass er das seinen Kollegen so triumphierend mitteilen muss.
Beim Betonbüro dann die Enttäuschung. Er ist geschlossen. und dabei ist es doch elf Uhr, die erste Führung müsste bereits unterwegs sein. Ein Mann, der davor steht und vielleicht auch zu der Führung wollte, meint: Government Holiday, es ist heute alles geschlossen.
Ich fasse es nicht. Tatsächlich ist heute an diesem 8. November ein Feiertag. Später hab ichs ergoogelt (bekanntlich weiss der ja alles) Es ist der Geburtstag des ersten Sikh-Gurus. Und die Sikhs haben in dieser Stadt das Sagen. Schon gestern war mir aufgefallen, dass alle Polizisten einen Sikh-Turban tragen. Mein Tuktuk-Fahrer scheint kein Sikh zu sein, er hat keine Ahnung davon, aber jetzt weiss er, dass eben alles offizielle geschlossen ist. Auch Museen und die staatlichen Parks.
Und was jetzt? Gibt es irgend ein Gebäude, das ich mir ansehen könnte, irgend etwas, das er mir zeigen könnte. Gebäude? Er schüttelt den Kopf. Hey mann, wir sind in der Stadt des berühmten Architekten Le Corbusier, da muss es doch irgend ein sehenswertes Gebäude geben! Er kann oder will mich nicht verstehen. Wie steht es mit dem Vogel-Park, will ich wissen. Geschlossen. Der Rock-Park? geschlossen. Plötzlich scheint er es zu wissen. Und der Schmetterlingsgarten, den ich ebenfalls bei den Sehenswürdigkeiten der zweiten Brigade gefunden hatte.
Ja, meint er, der könnte offen sein. Also nichts wie hin, der ist drei Sektoren entfernt.
Er ist tatsächlich offen und er kostet nicht einmal Eintritt. Allerdings ist es ein winziger Park. Die meisten Schmetterlinge, die ich sehe, befinden sich auf den grossen Plakaten, die beim Eingang aufgestellt sind.
Ich schlendere durch den Garten, sehe die Schilder mit der Aufschrift: Schmetterlings-Umgebung und manchmal einem Bild eines Butterflys, für den die Pflanzen hier wohl angebaut sind, doch die Tiere selber halten sich nicht an ihre Anweisungen. Sogar der Pavillion ist abgeschlossen, nichts zu machen.
Ich bin schon mehr als enttäuscht, als ich doch noch zu einem kleinen Blumenbeet komme, wo noch ein paar Blumen blühen und wo tatsächlich ein paar Schmetterlinge herumflattern. Jetzt muss ich nur noch den einen oder anderen mit meiner Kamera einfangen können, dann ist meine Welt wieder in Ordnung.
Es braucht viel Geduld, ich bleibe einfach stehen, schaue ihnen zu, beobachte sie und versuche möglichst langsam und ruhig in die Nähe zu kommen, wenn sich einer irgendwo gesetzt hat.
Zurück bei Sachin, so heisst mein Tuctuc-Driver, überlegen wir, was ich mir noch ansehen könnte und da kommt ihm doch tatsächlich der japanische Garten in den Sinn. Entweder bietet Chandigarh eben nicht sehr viel, oder er hat schlicht keine Ahnung von Stadtführung. Ich vermute eine Kombination von beidem.
Aber der japanische Garten tönt spannend, wir fahren in den 31. Sektor. Ich vermute, dass jeder Sektor irgend eine kleine Attraktion hat. So gibt es in der Nähe meines Hotels den Rosengarten, doch ich mag keine verwelkten Rosen ansehen, darum finde ich den Japanischen Park eine gute Alternative.
Allerdings ist dann auch der Park keine wirkliche Atrraktion. Ein paar Skulpturen, ein paar Gebäude, Statuen, ein grösserer eleganter Buddha, ein ausgetrockneter See mit steinernen Krokodilen, die aus dem imaginären Wasser steigen. Kein wirklicher Aufsteller. Auch mit Blumen wird dieser Park nicht viel mehr hergeben.
Ein paar Leute sitzen auf den Rasenflächen, ein paar Familien mit Kindern und ich bekomme langsam Bedauern mit den Menschen, die sich mit solchen Attraktionen begnügen müssen. Denn die Stadt Chandigarh gilt nicht nur als die schönste Stadt Indiens, laut Umfragen sollen auch die Menschen hier am Glücklichsten sein. Und es soll auch ökonomisch interessant sein, hier zu leben. Das kann ich allerdings nur dem Umstand zuschreiben, dass hier sehr viele Anwälte und Juristen leben. So jedenfalls habe ich es in einer Geo-Reportage gehört, die ich mir gestern angesehen habe. In diesen Berufen werden wohl auch in Indien gute Gehälter ausbezahlt. Ausserdem scheint es viele Staatsangestellte zu geben. Also hat die Lebensqualität nur bedingt mit der Schönheit und Faszination der Stadt zu tun.
Lass uns zurück zum Hotel fahren, sage ich zu Sachin, als ich zurück zum Tuctuc komme. Ich könnte mir höchstens noch den Eiffelturm ansehen, kommt mir kurz darauf in den Sinn, der muss da in der Nähe sein, Im Sektor 10. Sechin hat noch nie etwas vom Eiffelturm gehört. Weder vom Original in Paris noch von einer kleinen Kopie hier in der Stadt. Auch ich weiss nicht, was ich von den Fotos halten soll, die ich im Internet gefunden habe, aber immerhin wird er bei den Sehenswürdigkeiten aufgeführt.
Und dann muss ich tatsächlich laut lachen, als wir da sind. Ein Eisengestell, ein paar Meter hoch, irgendwo unmotiviert hingestellt. Unglaublich, dass man sowas überhaupt irgendwo aufführt.
Ich nehme es zur Kenntnis, zeige Sechin Bilder des Originals im Internet und dann fährt er mich zurück ins Hotel, wo ich mich noch ein wenig entspannen will..
Die riesigen Kreisel an den Strassenkreuzungen werden von Arbeitern sorgfältig gepflegt. Da habe ich öfters Leute in den Blumenrabatten gesehen.
Der sagenhafte Eiffelturm. Irgendwo bei einem Park gleich neben dem Zaun aufgestellt. Scheint, dass er hier nur auf Zeit steht.
Ich verabschiede mich von Sechin, wir vereinbaren, dass er morgen auf mich wartet, damit wir noch einmal zum Capitol Complex fahren können, denn diese Tour will ich jetzt unbedingt machen.
Ich könnte in einem Restaurant noch einen Kaffee trinken, überlege ich und laufe los, unter den Arkaden meines Blocks, als ich plötzlich flach liege. Ich hab sie nicht gesehen, die ganz winzige Bodenwelle und stolpere über meine eigenen Füsse. Es gibt kein Auffangen mehr, ich liege platt auf dem Boden, auf dem Bauch, die Hände vor mir ausgestreckt, die Brille liegt am Boden, mir verschlägt es den Atem.
Tatsächlich brauche ich einen Moment, um zu mir zu kommen. Nein ich bin nicht bewusstlos geworden, musste nur erst einmal nachsehen und fühlen, ob etwas gebrochen ist. Sofort ist der Mann vom kleinen Kiosk bei mir, hilft mir auf die Beine. Nein, es ist alles in Ordnung. Nichts passiert. Möchte ich sagen, aber die Stimme bleibt mir einen Moment weg. Tatsächlich muss ich erst wieder zu Atem kommen, tief einatmen, spüren, dass alles noch funktioniert, die Rippen abtasten, sie schmerzen, die Knie berühren. Sie scheinen keinen Schaden zu haben.
Ich bleibe eine ganze Weile auf dem Plastikstuhl vor dem Kiosk sitzen, der Inhaber bringt mir eine Flasche Wasser, vergewissert sich, dass wirklich alles in Ordnung ist und als meine Stimme endlich wieder Kraft hat, versichere ich ihm, dass er sich keine Sorgen machen muss. Meine Brille hat den Sturz ebenfalls schadlos überstanden. Also alles ok.
Jetzt habe ich allen Grund, mich zu entspannen, ins Bett zu liegen und mich zu strecken. Wunden zu lecken. Es sind allerdings nur ein paar Schrammen an den Knien und an den Rippen. Gebrochen ist nichts, auch wenn es noch eine ganze Weile schmerzt. Und mich vor allem verwirrt.
In all den Städten mit den Schlaglöchern in Strassen und Trottoirs, mit all den Steinen und unebenen Untergründen habe ich immer aufgepasst, wo ich hintrete. Hier in der geplanten Stadt, stolpere ich über eine eingebaute Unebenheit, die schon beim Bau des Komplexes bestand. Die schräg oder zu hoch eingelegten Dohlendeckel, die es hier auch überall gibt, die fehlenden oder defekten Bodenplatten habe ich beachtet, aber an dieser fiesen kleinen Bodenwelle bin ich hängen geblieben.
Zum Nachtessen bleibe ich im Haus, gehe noch einmal ins Restaurant 'back to source', wo man mich inzwischen schon fast kennt. Heute Abend singt hier eine junge Frau englische Songs.
Ich trinke ein Glas Merlot und geniesse ein leichtes Currygericht. Heute bleibe ich allein, mag mir keine virtuellen Gäste dazu einladen.
Aufbruch: | 01.06.2022 |
Dauer: | 8 Monate |
Heimkehr: | 30.01.2023 |
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