Reise durch Indien
Tempelstadt
Ich habe ganz gut geschlafen, aber am Morgen habe ich Mühe, in die Gänge zu kommen. Es ist in meinem Zimmer auch um neun Uhr noch genauso dunkel und ruhig wie all die Stunden vorher. Ich beschliesse, nach dem Frühstück noch einmal nach einem anderen Zimmer nachzufragen. Der junge Mann an der Rezeption, schüttelt langsam den Kopf. Unterdessen weiss ich, dass das keineswegs NEIN bedeutet, sondern mindestens 'ich werde versuchen, ob ichs richten kann'. Es ist auch nicht unbedingt ein Kopf schütteln, eher ein Kopf wackeln, das bei allen möglichen Fragen angewendet wird. Es besteht also Hoffung und ich gehe als eine der letzten zum Frühstück.
Meine dreiwöchige Ayurveda-Kur hat inzwischen Spuren hinterlassen, ich bediene mich bei den heissen Töpfen, lasse Brot und Konfitüre schnöde links liegen. Dass es allerdings nur kleine Becher mit Tee gibt, kann ich nicht so richtig verstehen. Dann also ein Fruchtsaft und später Wasser im Zimmer.
Nach dem Frühstück gebe ich dem Mann an der Rezeption zu verstehen, dass mein Gepäck im Zimmer bereit sei und nur noch in ein anderes Zimmer mit Fenster gebracht werden muss. Kopf wackeln, lächeln.
Jetzt trete ich auf die Strasse und merke, dass alles nicht ganz so schlimm ist, wie es gestern Nacht in der Dunkelheit schien. Zwar sind die Gehsteige weitgehend nicht begehbar, weil sie von Motorrädern überstellt sind. So gehe ich also am Rande der Strasse und muss mich immer konzentrieren, woher die Fahrzeuge kommen, denn es herrscht Linksverkehr. Ich weiche in schmale Gasen aus, hier fahren nur noch Motorräder und Tucktucks und die sind dauernd am Hupen, können also nicht überhört werden.
Irgendwo treffe ich an einer viel befahrenen Strasse auf Ganesha, den Gott mit dem Elefantenkopf.
Ebenfalls auf einem Podest steht ein goldener Mann. Vielleicht ein Politiker, wie ein Gott sieht er jedenfalls nicht aus. Es führt eine Treppe hinauf zu ihm und jemand hat ihm wohl heute eine Blumenkette mit Jasminblüten und Rosen um den Hals gehängt.
Auf dem Weg treffe ich immer wieder auf weisse Zeichnungen vor Hauseingängen. Ich habe darüber gelesen. Vor allem hier in den südlichen Bundesstaaten Tamil Nadu und Kerala zeichnen die Frauen, nachdem sie den Vorplatz mit Wasser und Kuhdung gereinigt haben, diese Zeichen mit Reismehl. Sie haben verschiedene Bedeutungen, die vor allem religiös geprägt sind, sie können aber zum Beispiel auch die Konzentration fördern.
Und dann treffe ich tatsächlich die erste Kuh in der Stadt. Ist das jetzt eine dieser heiligen Kühe? Ein junges Rind, das grad etwas grünes frisst, das aber definitiv kein Gras ist. Eher eine grün gefärbte Schnur. Das scheint nicht wirklich ein heiliges und behütetes Leben zu sein, das diese Tiere in der Stadt erleben. Sie wären vor allem in der Nähe von Hindutempeln anzutreffen, hatte mir Titu, mein Fahrer von Kovalam erzählt. Nun, Hindutempel gibt es hier zur Genüge. Grad steht wieder einer vor mir, allerdings sind sie im Moment alle geschlossen, ich kann nur einen Blick durch die Gittertüre erhaschen.
Da ich mich noch immer nicht richtig in diesem Gewimmel von Strassen und Strassenhändlern, parkierten und fahrenden Motorrädern auskenne und mich vor allem unwohl fühle - wie konnte ich nur auf die Idee kommen, in dieser Stadt, vier Nächte zu verbringen? - versuche ich ein Tucktuck für eine einstündige Rundfahrt zu gewinnen. Die Stadt ansehen, ein paar Tempel fotografieren und hierher zurück kommen, so lautet mein Auftrag. Dazu braucht es ziemlich viel Handarbeit. Mit einer grosszügigen Geste erkläre ich das Umfeld, mit einem Finger auf die Uhr, dass es eine Stunde dauern soll und dann kommt noch die Verhandlung um den Preis. Mein Fahrer spricht kein Englisch, sein Kollege nur ein paar Worte. Doch irgendwie glaube ich, dass wir uns einig sind, wir können losfahren.
Knatternd fahren wir los. Per Tucktuck ist das Chaos besser zu ertragen, denn wir fahren einfach mitten ins Gewimmel. Mit Hupen macht der Fahrer Fussgänger oder andere Verkehrsteilnehmer auf sich aufmerksam. Ein kurzes Handzeichen, das wohl kaum jemand wahrnimmt und wir drehen ab, quer zum Verkehr, direkt in den Gegenverkehr, nur Zentimeter von Fussgängern entfernt. Auch anhalten ist gar kein Problem. Er bleibt einfach stehen, wenn ich ein Foto machen will. Fährt mir aber sofort hinterher, wenn er glaubt, dass ich mich zu weit von ihm entferne.
Immer wieder macht er mich auf Tempel aufmerksam. Viele sind klein, ein paar farbige Figuren über einem Holztor oder einem verschlossenen Gitter. Doch dann kann ich weit vorne in der Gasse eine Pyramide erkennen. Ein grosser Tempelturm. Und später noch einer und dann noch einer. Wenn wir nicht immer wieder die gleichen Tempel angefahren haben, würde ich glauben, dass wir in der kurzen Zeit gegen 50 Tempel gesehen haben und dabei sind wir nicht viel mehr als einen Kilometer im Umkreis gefahren.
Irgendwo treffen wir in schmalen Gassen wieder auf Kühe, sogar mit Kälbern. und Ziegen. Hier wird allerdings nicht gehupt. Nein, es wird ganz manierlich um die Kühe herumgefahren oder sogar einen Moment gewartet, bis sie selber Platz machen. Niemand vertreibt sie, ganz im Gegenteil zu den streunenden Hunden, die schon mal mit einem Stecken verjagt werden. Der Umgang mit Tieren ist auch hier wieder sehr schwierig anzusehen.
Mit den Tempeltürmen hört es jetzt allerdings überhaupt nicht mehr auf. Und langsam erkenne ich auch ein Muster. Die Mauern, die nicht mit unzähligen Figuren bestückt sind, sind meistens rot/weiss bemalt. das war auch beim grossen Schrein in Kanyakumari am Kap genauso. Nur hatte ich damals noch nicht gewusst, dass das überall so ist.
Irgendwann verlassen wir den Tempelbezirk und kommen zum Fluss. Hier gibt es ein paar Brücken, wobei mir vor allem die geschwungene Bogenbrücke sehr gut gefällt. Darunter spielen Kinder im schmutzigen Wasser und am Ufer wird Wäsche gewaschen. Das Wasser scheint nicht tief zu sein und windet sich um einzelne grasbewachsene Inseln, auf denen sogar ein kleiner Tempel steht.
Wir fahren über die Brücke und kehren auf einer anderen wieder zurück
Bald sind wir wieder im Tempelbezirk und sage und schreibe auf die Minute genau kommen wir nach einer Stunde wieder am Ausgangspunkt an.
Die Tucktuckfahrt hat mir einen guten Überblick über die Stadt gebracht. Sie hat mir aber auch gezeigt, dass es zumindest in meiner unmittelbaren Umgebung kein Restaurant gibt, in dem ich mich mit einer Tasse Tee oder Kaffee hinsetzen und den Verkehr beobachten könnte. Geschweige denn zum Essen hingehen. Schade, ich würde gern einfach mal eine Weile sitzen und beobachten.
Beobachten kann ich allerdings auch im Stehen. Zum Beispiel den Koch an der Strasse, der kleine flache Brötchen brät. Es ist nicht Naan, er hat mir einen anderen Namen genannt, aber den konnte ich mir nicht merken. Jedenfalls hat er nichts dagegen, dass ich ihn auf Video aufnehme. Er lächelt und sein Kollege scheint stolz zu sein über die Aufmerksamkeit einer Fremden.
Später sehe ich hoch oben an einem Masten einen Mann, der dabei ist, ein Kabel auszuwechseln, oder wohl eher, ein neues zu montieren. Als er sieht, dass ich meine Kamera auf ihn fokussiere, winkt er mir mit einem breiten Lächeln zu.
Auch auf dem Früchtemarkt habe ich nicht das Gefühl, dass ich jemanden mit meiner Kamera störe. Bin ich doch die einzige Europäerin, die im Moment unterwegs ist.
Die Blumenbinderin möchte mir einen Blütenstrang verkaufen. Auf meine Frage meint sie keck: 200 Rupien. Ich winke ab, sehe ihr lieber zu, wie sie mit geschickten Händen die kleinen Jasminblüten aufknüpft.
"Nein, nein" meint ihre Kollegin, die neben ihr sitzt und macht ein entsprechendes Zeichen mit Daumen und Zeigefinger, Bla, bla, das ist viel zu viel. Sie schneidet einen kurzen Strang und fängt an, ihn in meinen Haaren festzumachen. 50 Rupien, meint sie dann und damit bin ich einverstanden. Sie will mich fotografieren und ich überlasse ihr kurz mein Handy. Und da ist er, dieser Moment, wo man das Gefühl hat, jetzt grad einen grossen Fehler gemacht zu haben. Was macht sie mit meinem Handy? Ist sie bereits abgehauen, während ich glaube, dass sie hinter mir steht und mich fotografiert. Drehe ich mich jetzt um? Will ich diese Aufnahme, ist es das wert?
Doch der Moment ist ganz schnell vorbei. sie gibt mir mein Handy zurück 'Good?' will sie wissen. 'Very good, thank you'. Und dann machen wir noch ein gemeinsames Selfie und die beiden Frauen freuen sich.
Ich bummle weiter, lasse mich aber bald von einem Tucktuck zurück ins Hotel fahren. Noch immer habe ich kein anderes Zimmer. 'Please wait, ruhen sie sich aus'. meint der Mann an der Rezeption.
Das nehme ich wörtlich und verziehe mich in meine Höhle, versuche meinen Blog von gestern zu schreiben und lege mich dann einfach noch einmal hin. Vieles ist in den letzten Stunden auf mich eingestürmt. Der Wechsel von dem beschaulichen Kap, von der ruhigen Kovala-Beach bis zu diesem überquellenden Madurai braucht seine Zeit. Es sind diese Momente, wo ich einerseits gern jemanden dabei hätte, um die Eindrücke zu besprechen, andererseits aber auch sehr gern mich allein zurückziehe. Mitten am Tag ein Nickerchen mache.
Und dann klappt es tatsächlich mit den anderen Zimmer. Ich muss noch einmal insistieren, lasse mich nicht mehr vertrösten, als ich sehe, dass das andere Zimmer fast fertig ist, sondern bringe mein Gepäck eigenhändig hin. Das stört zwar das Konzept des Mannes, der für das Zimmer zuständig ist, aber ich bin jetzt umgezogen. Durch ein Fenster, das sich allerdings nicht öffnen lässt, habe ich Aussicht auf die Strasse, wo der Verkehr hupend vorbei fährt.
Später mache ich mich wieder auf zur Tempelstadt. Ich weiss jetzt, in welcher Richtung sie ist und bin auch schon bald wieder bei den gewaltig hohen Tempeltürmen mit den unenndlich vielen detailgetreuen farbigen Figuren.
Hier gibt es auch wieder die Händler mit den Blüten. Meine Jasminblüten habe ich im Zimmer gelassen, sie geben ihm das richtige Parfüm. Der alte Mann mit den langen Girlanden, die um den Hals gehängt oder als Gaben für die Götter bestimmt sind, schenkt mir eine kleine gelbe Rose, besteht aber darauf, sie mir selber mit einer Haarnadel ins Haar zu stecken.
Und dann stehe ich vor dem Eingang zur Tempelstadt Minakshi. Ein riesiger Komplex mit verschiedenen hohen Türmen. Die Flipflops lasse ich an dem dafür vorgesehenen Schalter und man weist mich an, auch mein Handy hier zu lassen. Mein Handy! ich glaube ich habe mich verhört. Ich verspreche, keine Fotos zu machen - was ich zwar fast nicht einzuhalten gedenke - doch es nutzt nichts. Man überzeugt mit, indem man mir verischert, dass das Handy sicher aufbewahrt in einem Kasten, werde und man mich bei der Sicherheitskontrolle mit Handy niemals einlassen würde. Ich ergebe mich, bin mein Handy los.
Bei der Sicherheitskontrolle werde ich tatsächlich von einer Frau genau kontrolliert. Da ich keine Tasche dabei hab, sondern jetzt nur noch mein Portemonaie dabei habe, kann ich schon fast hinein, doch: Die Maske bitte. Also wieder hinaus, da verkauft eine alte Frau Masken für einen Rupie. Beim nächsten Versuch am Sicherheitsposten werde ich gefragt, ob ich einen Guide möchte. Ja, das wäre bestimmt interessant. Also wieder hinaus, da ist jemand, der einen Guide vermittelt. Ich muss noch einen Moment warten, bis der Guide kommt. Ich verhandle den Preis, doch dann stellt sich heraus, dass er eigentlich auf seinen Bruder wartet. "Er braucht heute unbedingt noch einen Job, ich hatte heute bereits zwei Touren", meint er treuherzig. Kurz darauf ist der Bruder hier, ich kann jetzt durch die Sicherheitsschleuse und drinnen ziehe ich auch die Maske wieder aus, denn kaum jemand trägt eine.
Die Tempelanlage ist dem Gott Shiva, respektive vor allem seiner Gattin Parvati gewidmet. Mein Guide erzählt ausführlich die Legende des Ortes von Shiva und seiner Gattin Minaski, die unter dem Namen Parvati verehrt wird. Sie wurde wegen einer Sünde ihres Vaters mit drei Brüsten geboren, verlor aber nach einer Profezeiung die dritte Brust, als sie ihren zukünftigen Mann, den Gott Shiva erblickte. Das Kind aus dieser Verbindung war Murugan, einer der beliebtesten Götter der Hindus. Alles in allem also eine wirre und wilde Geschichte, die auf vielen Bildern und Skuplturen im Innern erzählt wird.
Zum innersten Heiligtum dürfen nur Hindus treten. Sie stehen in einer langen Schlange bis zu 2 Stunden lang an und birngen ihre Opfergaben: Bananen, Blumen und Kokosnüsse oder andere Gaben. Natürlich auch Geld. Oft bekommen sie auch wieder etwas zurück, das sie dann feierlich essen. Es ist eine lange Abfolge von Riten, ganz am Schluss liegen sie vor einem der Schreine der Länge nach am Boden, ungeachtet der vielen Besucher, die neben ihnen vorbei gehen.
Es ist eine riesige Anlage. Es gibt 14 verschieden hohe Türme. Früjher, erzählt mein Führer, dessen Name mir entfallen ist, konnte man noch hinaufsteigen. Siehst du die verschiedenen Fensterlücken in der Front. Als ich ein kleiner Junge war, war ich dort oben, doch das ist über 30 Jahre her. Auch fotografieren durfte man früher in beschränktem Masse. Bis es 2018 zu einem Unglück kam. Beim Südturm brach bei den Souvenirständen ein Feuer aus. Wegen eines überhitzen Handys. Grosse Teile des Komplexes wurden zerstört. So wurde eine ganze Ecke rund um den Wasserpond neu erbaut. Er zeigt mir die Unterschiede von den manuell gemeisselten Säulen zu den neuen, mit Maschinen bearbeiteten.
Die Figuren an den Türmen sind natürlich alle von Hand geformt, bemalt und wurden auf den steinernen Aufbau gestellt. Der höchste Turm ist 52 Meter hoch. Das letzte Mal wurden sie 2016 neu bemalt.
Die einzige Foto, die ich vom Inneren des Komplexes habe, ist die von einem der offziellen Fotografen. Eigentlich hätte ich sie gern ohne mich gehabt, aber das wollte der Fotograf nicht. Entweder mit mir oder gar nicht. Auch durfte er sie mir nicht per Whatsapp schicken. So musste ich eben das ausgedruckte Bild fotografieren.
Nach der offiziellen Führung verabschiedet sich mein Guide, und sein Bruder übernimmt. Ich hatte nämlich gefragt, wo denn dieses Geschäft sei, bei dem man vom Dach wenigstens einen kleinen Blick über die Türme fotografieren könne. Und tatsächlich arbeitet sein Bruder genau dort in diesem Geschäft.
Hatte ich davon in einem Reiseführer gelesen.
Ich darf also hinauf auf die grosse Terrasse. Der Besitzer des Ladens schenkt mir eine Flasche Wasser, obwohl ich ablehne, weil ich eh nichts kaufen werde. Doch er lässt es sich nicht nehmen, lädt mich ein, auch morgen noch einmal bei Tag herzukommen.
Er zeigt mir wo die Tucktucks stehen und gibt mir der Tipp fürs Abendessen auf dem RoofTop eines grossen Hotels.
Leider ist dieses Restaurant seit der Pandemie geschlossen. Doch der Tipp mt den Hotels bewährt sich, ich finde ein anderes, ganz in der Nähe wo ein grosses Buffet angeboten wird.
Später habe ich in meinem Hotel die kleine Bar neben dem Eingang entdeckt. Sie ist zwar fast leer, aber ich bestelle trotzdem ein Glas Weisswein. Den muss man allerdings erst noch in den Kühler stellen.
Bezahlt habe ich für das eine Glas fast soviel wie in dem anderen Hotel für das ganze Nachtessen. Es war eben ein Wein aus Ausstralien.
Aufbruch: | 01.06.2022 |
Dauer: | 8 Monate |
Heimkehr: | 30.01.2023 |
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