Reise durch Indien

Reisezeit: Juni 2022 - Januar 2023  |  von Beatrice Feldbauer

Töpfermarkt

Überraschung am Morgen. In der Fensternische neben meinem Schreibplatz liegen zwei Eier in enem spartanischen Nest. Kurz darauf sitzt auch tatsächlich eine Taube da und lässt sich von mir nicht stören. Schade, dass ich nicht dabei sein werde, wenn die Jungen schlüpfen. Die Brutzeit dauert 15-18 Tage, so lange will ich nicht hier bleiben, auch wenn ich im Moment noch nicht so genau weiss, wo und wann es weiter geht und ich darum meinen Aufenthalt um ein paar Tage verlängert habe. Mir tut das Zimmer gut. Es könnte irgendwo auf der Welt sein, von Kolkata spüre ich höchstens die Trommelklänge am Morgen und am Abend, die irgendwo bei einem Tempel geschlagen werden, die Tuctucs, die unten vorbei fahren, gelegentliches Hupen, von der Strasse, die Baustelle tief unter meinem Zimmer, wo weiterhin von Hand gearbeitet wird.

Ich habe ein stabiles Internet, einen Zimmerservice, der täglich das Bett frisch macht, so dass ich es jeden Abend in einwandfreiem Zustand antreffe Ich habe eine richtige Dusche ohne den Plastikkübel, den es bisher in jedem Zimger gab, habe heisses Wasser, kann jederzeit etwas aus dem Restaurant bestellen und zum Frühstück gibt es ein Bufett. Zum Nachtessen seit gestern ebenfalls.

Es war fantastisch, in Varanasi direkt im Zentrum zu wohnen. Ich habe es geliebt, durch die Gassen zu stöbern. Immer auf der Suche nach Bildern, nach Begegnungen. Dass das Hotelzimmer trotz recht hohem indischen Standard aber eben doch nicht wirklich zum Wohnen einlud, habe ich gern in Kauf genommen. Ich bin natürlich in eher günstigen Hotels unterwegs, das müsste man in diesem Zusammenhang vielleicht noch erwähnen. Doch jetzt bin ich reif für etwas mehr Komfort. Und den geniesse ich, indem ich gestern wieder einen Schreib- und Nichtstun-Tag eingeschoben habe. Dafür ist dieses Zimmer der ideale Ort. Ausserdem wurden gestern in der Schweiz zwei neue Bundesräte gewählt, erst recht ein Grund, zu Hause zu bleiben.

Mein Hotel, meine Burg

Mein Hotel, meine Burg

Heute aber zieht es mich wieder hinaus. Und da ich mich jetzt nicht mehr mit Taxis herumschlagen mag und auch die Suche nach einem englisch sprechenden Fahrer aufgegeben habe, mache ich mich gleich auf den Weg zur nächsten UBahn-Station. Dabei treffe ich tatsächlich auf das allererste Zeichen zur WM in Indien. Ich weiss nicht, ob sich Inder überhaupt für Fussball interessieren aber hier in Kolkata sehe ich zum ersten Mal ein paar Brasilien und Argentinien-Fahnen über der Strasse wehen. Und an der Wand prangt ein ganz neues WM-Graffiti. Es scheint hier also doch Fans zu geben.

Freiluftrasur pure and simple.

Freiluftrasur pure and simple.

Kurz darauf, nachdem ich einen kleinen schmutzigen Fluss überquert habe, gelange ich in ein Quartier, das man wahrscheinlich als Slum bezeichnen könnte. Habe gestern gelesen, dass rund ein Drittel der Bevölkerung noch immer in 5000 Slums leben. Natürlich ist es als aussenstehende Besucherin immer schwierig zu entscheiden, was ist Slum, was sind bewohnbare Hàuser, und ich komme sehr oft an solche Orte, die ich dann manchmal aus Pietätsgründen gar nicht fotografieren mag, und manchmal, eben gerade als Dokumentation und Erinnerung für mich eben doch festhalten will.

Kurz darauf bin ich mitten in einem Fischmarkt. Da werden Fische auf dem Boden ausgelegt auf grossen Bananenblättern. Sie werden ausgenommen, zerhackt, ganz oder als Teile verkauft. Ein leichter Fischgeruch liegt zwar in der Luft, aber es sind frische Fische. Aus dem Meer? das liegt ja nur 50 km entfernt. Ich versuche meine Fragen zu stellen, doch es gibt keine Antworten. Kolkata ist tatsächlich der erste Ort in Indien wo ich niemanden finde, der Englisch spricht. Das ist doch sehr überraschend. Ob man sich hier so stark von der britischen Vergangenheit abwenden will, oder ob einfach das Bildungssystem, resp. das Verständnis für die Wichtigkeit der Bildung in den ärmeren Schichten fehlt. Natürlich gibt es auch hier viele gebildete Menschen in guten Positioen, doch die Leute, mit denen ich in Kontakt komme, scheinen in der Schule schwere Defizite zu haben.

Nebst Fischen gibt es aber auch Hühner zu kaufen. Sie werden in kleinen Verschlägen gehalten und hier an Ort und Stelle geschlachtet und ausgenommen.

MIch faszinieren auf allen Märkten die Waagen mit den uralten Gewichten, die längst ihre Gewichtsangaben verloren haben vom immer wieder brauchen.

MIch faszinieren auf allen Märkten die Waagen mit den uralten Gewichten, die längst ihre Gewichtsangaben verloren haben vom immer wieder brauchen.

ein spezielles Schneidsystem hat sich dieser Händler ausgedacht. Er führt nicht das Messer, sondern das Fleisch über die Klinge.

ein spezielles Schneidsystem hat sich dieser Händler ausgedacht. Er führt nicht das Messer, sondern das Fleisch über die Klinge.

Auch ein paar Gemüse und Früchtestände gehören dazu. Vor allem Kartoffeln fallen mir auf. Je mehr nördlich in Indien, je mehr sieht man Kartoffeln. Im Süden waren sie weniger präsent. Was allerdings nie fehlen darf, sind Zwiebeln und Knoblauch. Die findet man überall.

Es ist also alles da, um das Quartier zu versorgen, auch ein paar Garküchen. Einfach essen ist in Indien relativ billig. An den Garküchen bekommt man kleine Portionen für wenige Rupies.

Als ich weiter gehe, fällt mir bei einem grossen Haus eine lange Warteschlange auf. Menschen, vor allem Männer stehen an und haben grössere Geschirre mit Deckel in den Händen Es sieht ganz nach einer Abgabestelle für Gratisessen aus. Ich behalte das Bild im Kopf, lasse die Kamera in der Tasche. Die Warteschlange erstreckt sich bis zur nächsten Ecke.

Der Zeitungsverkäufer

Der Zeitungsverkäufer

Er macht Fischkroketten, paniert sie und frittiert sie im heissen Oel

Er macht Fischkroketten, paniert sie und frittiert sie im heissen Oel

Bald darauf komme ich zur Metrostation und fahre Richtung Norden. Es gibt, soweit ich das sehe, erst eine einzige U-Bahn-Linie in Kolkata. Darum ist die Orientierung äusserst einfach. Auch heute wieder ist sie gut besucht. Grad mache ich mich auf eine längere Fahrt im Stehen gefasst, als ein junger Mann aufsteht und mir seinen Sitzplatz anbietet. Zuerst bin ich etwas perplex, denn gestern sassen vor allem junge Männer, heute scheint es anders zu laufen.

Nebst der Freude ob der Freundlichkeit frage ich mich natürlich heimlich, ob ich heute wohl älter aussehe, als gestern. Doch was solls, es ist eine Tatsache, dass ich längst älter bin, als meine Grossmutter damals, als ich sie kennenlernte und von Anfang an als alte Frau sah. Heute schaut sie mir am Morgen manchmal aus meinem Spiegel entgegen. Dann greife ich kurz entschlossen zum Lippenstift und verjage das Gespenst

Heute habe ich zwei Ziele, von denen ich beim einen gar nicht weiss, ob ich überhaupt am richtigen Ort bin. Habe den Hinweis auf Sonagachi, das grösste Rotlichtquartier Asiens von einem Taxidriver in Agra bekommen. Doch habe ich keine genaue Ortsangabe gefunden und bin ausserdem gar nicht sicher, ob ich das sehen möchte. Denn ohne Zweifel muss es ein extrem trauriger Ort sein. Ob Mutter Teresa da gewirkt hat? Wenn man in Kolkata durch die Strassen geht, kommt man nicht umhin, sich zu fragen, wo sie ihre Kranken wohl gefunden hat. Man findet sie nämlich überall liegen. Die in Lumpen gehüllten Menschen an Strassenrändern. Wie weggeworfen.

Auch jetzt wieder, da wo ich ausgestiegen bin, gibt es viele provisorische Hütten, Plachen, die über ein paar Stangen gehängt wurden. Manchmal leben Menschen darunter, manchmal sind es kleine Läden, Strassenküchen, manchmal wahrscheinlich beides.

Unter einem dieser Verschläge sehe ich ein paar Männer sitzen, sie sehen alle in die gleiche Richtung und schon glaube ich, einen Fernseh-Treff entdeckt zu haben, wo man gemeinsam einen Fussballmatch sehen kann. Doch gefehlt, es ist eine Strassenküche, die Männer sind am Essen. Jeder für sich. Mit den Händen aus den obligaten Blechtellern.

Unter einem der nächsten Verschläge hocken 4 junge Männer. Jeder spielt oder chattet mit seinem Handy. Ob sie keine Arbeit haben? Oder ob sie bereits müde sind, weil sie die halbe Nacht irgendwo gearbeitet haben. Waren geschleppt. Was weiss ich schon. Ich versuche daher, nicht zu viel zu denken, keine Vorurteile aufkommen zu lassen, einfach nur sehen, hinsehen.

Mein zweites Ziel, von dem ich sicher bin zu wissen, wo es ist, ist die Kurmatuli Pottery District. Ich mache mich auf eine Strasse mit Töpferwaren gefasst. Auf Tassen und Teller, Blumenvasen und Tonfiguren. Bevor ich in die Strasse einbiege, wo ich das Quartier vermute, setze ich mich noch bei einem kleinen Kiosk hin, bestelle einen Chai. Auch hier wie überall, keine Kommunikation möglich, ich bin der Frau eher etwas suspekt, wie ich da in ihr Umfeld eindringe und sie ist froh, als ich zahle und weitergehe. Ist wohl überall auf der Welt so, was fremd ist, macht uns Unbehagen.

Hier kann man Dekomaterial für Hochzeiten und Geburtstage mieten.

Hier kann man Dekomaterial für Hochzeiten und Geburtstage mieten.

Also suche ich jetzt Läden mit Keramikartikeln und finde keine. Nur diese riesigen Strohpuppen, die plötzlich überall auftauchen. Auf der Strasse, vor Werkstätten, in Scheunen. Manchmal sitzen da Männer, schnitzen an Bambusrohren. Ja ich darf hinein kommen, man winkt mir, ich soll fotografieren. Aber reden, nein reden können wir nicht.

Als ich dann bei einer anderen Werkstatt eine ganze Kolonie dieser Figuren mit einer Lehmschicht umschlossen sehe, dämmert es mir. Nicht kleine Tonfiguren sind es, die hier gemacht werden, sondern riesige Götterbilder. Viele Frauenfiguren mit grossen Brüsten und mehreren Armen. Es ist Kali, eine wilde schwarze Göttin.

Unabhängig von einem Gefährten, treibt sie ihr Unwesen Oder wie soll ich sonst die vielen Köpfe interpretieren, die sie wie eine Halskette umgehängt hat. Sie erinnern mich an die Schrumpfköpfe vom Amazonas.

Immer mehr dieser grossen Figuren entdecke ich, aber sie beschränken sich nicht auf Kali, es gibt ganz viel verschiedene Themen. Helden, Götter, auch Staatsmänner sind darunter. Ich kann die Freiheitsstatue entdecken und sogar eine Marienstatue mit Kind.

Und was machen die goldenen Rentiere in jenem Lokal?

Christmas? frage ich den Mann, der mich herein gebeten hat. Yes, Christmas.

Sein Wortschatz ist damit allerdings bereits wieder erschöpft. Immerhin kann er mir noch Shopping-Mall sagen, was ich so verstehe, dass die grossen Einkaufszentren mit diesen Figuren dekoriert werden. Inder feiern jedes Fest, hat mir Bose in Varanasi erklärt. Bin gespannt ob ich von Weihnachten überhaupt etwas spüren werde. Ich werde allerdings nicht extra in eine Shopping-Mall gehen, um etwas Klingeling mit zu bekommen.

Ich schlendere weiter, verlasse die Töpferwerkstätten und komme in ein kleines Quartier, das mir durch seine Farbenfülle auffällt. Die Häuser sind meist in starken Farben bemalt, von den Fenstern hängen Tücher in allen Farben und die Frauen tragen farbige Kleider. Diese wirken noch mehr vor grauen Mauern, wie diese Frau, die eben die Gasse entlang kommt. Ob ich sie wohl fotografieren darf? Ihr Kopfwackeln kommt etwas zögerlich, aber als ich ihr die Fotos zeige, kommt ein kleines Lächeln auf ihr Gesicht.

Zwischen zwei Häusern haben ein paar Männer eine Plache auf den Boden gelegt. Sie spielen Karten. Sie verteilen sie, geben aus, nehmen zurück, analysieren und bevor alle Karten gespielt sind, legt einer sein Spiel auf den Boden. Gibt auf oder hat bereits gewonnen. Ich kann es nicht beurteilen, aber es wird alles gewissenhaft in einem Heft notiert. Vielleicht geht es um Geld. Ich sehe eine Weile zu, niemand beachtet mich, niemand stört sich daran, aber leider ist gleich nebenan ein öffentliches Pissoir und das verströmt seinen typischen Geruch, so dass ich es hier nicht mehr aushalte. (Sorry, ich muss solche Dinge manchmal in meinen Blog einbauen, um eine authentische Stimmung zu erzeugen)

Ein paar Ecken weiter haben zwei Buben ein Carron aufgestellt. Ein Brettspiel, das in Asien sehr verbreitet ist. Es wird auch Fingerbillard oder Carambole genannt. Geschickt jagen sie ihre Scheibe über das Brett und versuchen die Spielsteine in den Löchern zu versenken. Bei ihnen wird noch nichts aufgeschrieben, aber bestimmt wissen auch sie, welcher der beiden der bessere ist. Der Kleine in der Mitte möchte vielleicht auch mitspielen, doch die beiden grossen müssen die Sache erst einmal untereinander ausmachen.

Die Argentinien-Flaggen weisen mir den Weg zu einem nächsten Spielplatz. Zwei Kinder spielen Federball. Leider will es ihnen nicht so richtig gelingen und so lassen sie sich von meiner Gegenwart ablenken.

Sag: How are you, rät die Mutter des kleinen Jungen, worauf er mir brav die Frage stellt, die er noch nie gestellt hat, die ihn aber in seinem späteren Leben begleiten wird, denn sie wird mir immer und überall gestellt. Bewusst direkt oder einfach so im vorübergehen. I am good, and you? worauf er sich wieder Rat bei seiner Mutter holt. I am fine.

Leider ist damit auch der Wortschatz der Mutter erschöpft. Ich würde nämlich gern wissen, ob man sich hier für Fussball interessiert. Ja schon, erfahre ich, aber Fernsehen, nein, das hat man hier im Quartier anscheinend nicht. Das verwundert mich zwar und ich bin nicht ganz sicher, ob ich unsere Konversation richtig interpretiere, denn nach meiner Erfahrung gibt es oft in den schäbigsten Hütten TV.

Wenigstens bringen wir es mit Hilfe des Mannes, der jetzt auch dazu kommt, zusammen, die verschiedenen Länderflaggen aufzuzählen: Argentinien, Brasilien, Portugal und natürlich Indien.

Fotografieren darf ich, vor allem nachdem ich die Fotos der Mutter gezeigt habe. Jetzt will auch deren Mutter auf einem meinem Bilder sein und auch der Vater, oder ist es der Mann, setzt sich in Position.

Ich gehe weiter durch die farbigen Gassen und bin immer wieder erstaunt, wie unbehelligt ich unterwegs sein kann. Man beachtet mich nicht, aber man stört sich auch nicht an mir. Ich finde noch ein paar schöne Eingangstüren an alten Häusern mit Balkonen und Erkern und eingeschlagenen Fensterscheiben. Es ist alles bewohnt, überall hängt Wäsche zum Trocknen. Schade um die alten wunderschönen Häuser und traurig, dass Menschen in solchen Ruinen leben müssen

Da entsteht tatsächlich etwas neues inmitten der alten verfallenden Häuser

Da entsteht tatsächlich etwas neues inmitten der alten verfallenden Häuser

Unerwartet komme ich zur Bahnlinie. Der Bahnübergang ist unbewacht und so checke ich erst einmal beide Seiten genau ob sich kein Zug nähert, bevor ich versuche, die Geleise aus verschiedenen Winkeln aufzunehmen. Das Leben spielt sich hier auf beiden Seiten der Schienen ab. Kinder spielen, Hunde suchen etwas zu fressen, der Coiffeursalon ist direkt am Bahngeleise, der Mann der grad frisiert wird, hat mich durch den Spiegel entdeckt, winkt mir zu.

Und dann kommt tatsächlich ein Zug. Ich bin schon ein paar Schritte weitergegangen, als ich ihn von weitem Tuten höre. Das erklärt, warum der Zug auf der ganze Strecke immer wieder seine laute Sirene ertönen lässt. Es geht um die unbewacheten Bahnübergänge und überhaupt alle Stellen, die ungeschützt in der Landschaft liegen. Fotografiert habe ich ihn leider nicht, aber es ist ein Video entstanden.

Beim Weitergehen komme ich auf der anderen Seite der Geleise jetzt tatsächlich zu Slums. Zu unglaublich schlimmen Hütten. So wie sie dastehen, scheinen sie schon ewig da zu sein. Zusammengehalten mit Plachen, Brettern, Abfällen. Ohne Fenster, mit Löchern und winzigen Türen. Was ist das für ein Leben, was für eine Perspektive, wenn man an einem solchen Ort aufwächst. Ob man da in die Schule geschickt wird? NIcht vorstellbar.

Hier gibt es mitten im Chaos einen kleinen Kiosk.

Hier gibt es mitten im Chaos einen kleinen Kiosk.

Die beiden Ehepaare am Fluss erinnern mich an die vier Jungs, die ich vor ein paar Stunden in den Slums der Stadt getroffen habe. 
Übrigens, auch mich würde man meistens so entdecken.

Die beiden Ehepaare am Fluss erinnern mich an die vier Jungs, die ich vor ein paar Stunden in den Slums der Stadt getroffen habe.
Übrigens, auch mich würde man meistens so entdecken.

Ich bin jetzt am Fluss angekommen, der hier sehr breit ist. Eben nähert sich die Sonne im Westen langsam dem Horizont. Noch ist es erst gut vier Uhr, aber in einer Stunde wird es wohl dunkel sein. Zeit also, mich zu organisieren, damit ich bei Einsetzen der Dunkelheit irgendwo bin, wo Taxis fahren. Da wo ich seit ich aus der UBahn gewesen bin, habe ich den ganzen Nachmittag keine Taxis, ja kaum Autos gesehen.

Ich schlendere dem Ufer entlang, gehe manchmal hinunter zum Fluss, fotografiere, sehe den Leuten zu, die ihre Reinigungsrituale halten, oder sich schlichtwegs waschen. Wie jener Mann, der sich bevor er ins Wasser steigt, zuerst richtig einseift Danach taucht er einmal komplett unter und ist sauber.

Am Pier legt jetzt grad eines der Ausflugsschiffe an, die ich an meinem ersten Abend gesehen habe. Es ist ein rostiges Boot, ohne Sitzgelegenheit. Gerade richtig, um ein paar Stationen zu fahren, aber nicht geieignet, eine genüssliche Sunset-Fahrt zu machen. Diesen Punkt kann ich also auf meiner Liste wieder streichen. Sehe den Sonnenuntergang auch gut vom Ufer aus.

HIer trifft man sie also wieder, die Tonfiguren der Pottery Line

HIer trifft man sie also wieder, die Tonfiguren der Pottery Line

Die vielen Blumenstände die jetzt immer mehr auftauchen, weisen auf die Nähe des Blumenmarktes hin. Bereits kann ich die Howrah-Brücke sehen, der Markt weitet sich bis hierher aus. Ich gehe durch ein Tor, will noch einmal hinunter zum Fluss, als ich abrupt stehen bleibe.

Auf einer Bahre, direkt vor mir liegt ein Toter. Ich kann zwar nur seine blossen Füsse sehen, aber es jagt mir trotzdem einen richtigen Schrecken ein. Wie konnte mir das entgangen sein, dass es auch hier Verbrennungen geben könnte. Das ist Indien, da werden Tote so beerdigt. Die Holzvorräte und die Reisigbündel hätten mich darauf aufmerksam machen müssen.

Betroffen gehe ich zurück zur Strasse, bleibe auf der anderen Strassenseite stehen und beobachte erst einmal die Umgebung. Gerade eben ist ein weisser Leichenwagen vorgefahren. Es dauert einen Moment, bis der Tote herausgehoben und durch das Tor getragen wird.

Und dann kommt ein gläserner Sarg auf einem Lieferwagen. Der Tote liegt darin, ausgestellt, und als sie ihn herausheben und die Bahre auf die Strasse legen, sehe ich, dass nicht einmal sein Gesicht abgedeckt ist. Ich stehe da, bin schockiert und fasziniert, bleibe einfach da und schaue. Und später gehe ich noch einmal durch das Tor und sehe jetzt in einem separaten Raum drei grosse Feuer. Ich hatte vorher nur den brennenden Himmel im Blick, jetzt erkenne ich, dass auch die Erde brennt.

Beim Weitergehen werde ich allerdings ganz schnell wieder von der Realität abgelenkt. Ich bin jetzt in der Nähe, wo ich vorgestern schon einmal war. Da wo die Lastwagen stehen, die ausgeladen werden. Letztes Mal war ich auf der anderen Seite von Schiene und Strasse, jetzt bin ich direkt am Fluss. Lastwagen an Lastwagen stehen sie da. Hoch beladen. Und die Fracht wird umgeladen auf die Träger und ihre Wagen. Auf Köpfe und Schultern. Ein, zwei Säcke mit schwerem Inhalt. Es ist eine ganze Karawane, die mir jetzt entgegenkommt. Männer mit Lasten, Wagenladungen, Rischkas. Es hört überhaupt nicht mehr auf. Und das Gedränge nimmt zu. Jetzt muss ich aufpassen, niemandem in Wege zu sein.

Jetzt ist es nicht mehr weit bis zum Blumenmarkt. Nur noch unter dem langen dunklen Tunnel durch, der unter der Brücke mit der doppelspurigen Strasse führt.

Während die eine Seite relativ sauber ist und auch immer wieder von Arbeitern gewischt wir, sammeln sich auf der anderen Seite Berge von Abfall. Natürlich wird der Ort auch als Pissoir und versteckte Toiletten benutzt. Und trotzdem werden da unten auf der einen Seite Früchte und Gemüse, Gewürze und Getreide verkauft. Und Blumen natürlich.

Bald habe ich den Tunnel geschafft und bin zurück auf dem Blumenmarkt. Eigentlich wollte ich wieder hierher kommen, aber eben an einem Vormittag, nicht dann wenn er bald geschlossen wird.

Ich sehe mich trotzdem noch etwas weiter um und entdecke an verschiedenen Ständen Rosen. In allen Farben. Dazu Gerberas und andere Schnittblumen. Diesmal kann ich nicht widerstehen, ich kaufe einen Bund Rosen.

Es sind wunderschöne langstielige rosarote Rosen und auf dem Weg über die breite Strasse, beim Ausweichen der Busse und Autos, überlege ich, was ich damit anstellen sollte. Ich rufe ein Uber, natürlich auch jetzt wieder mitten im Stossverkehr, aber eine knappe Stunde später treffe ich im Hotel ein. Und jetzt weiss ich auch, was ich mit den Rosen mache: ich schenke sie der Rezeption. Dann kann ich sie jeden Tag sehen und es haben auch andere Leute Freude daran.

In meinem Zimmer erwartet mich darauf ebenfalls eine Überraschung. Mein Bett ist nicht nur frisch bezogen, der Zimmerservice hat mir sogar zwei Schwäne hingestellt. Karma schlägt zurück - oder so.

Rosen in der Hotellobby

Rosen in der Hotellobby

dafür Schwäne im Bett

dafür Schwäne im Bett

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Es geht wieder los. Vier Monate ist es her, seit ich von meiner Südamerikareise zurück gekommen bin. Sieben Monate war ich unterwegs. Und jetzt stehe ich vor einem neuen Start. Mein Traum ist das Taj Mahal. Mein Ziel heisst Indien.
Details:
Aufbruch: 01.06.2022
Dauer: 8 Monate
Heimkehr: 30.01.2023
Reiseziele: Vereinigte Arabische Emirate
Indien
Indonesien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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