Reise durch Indien
Zentralwäscherei
Als ich gestern Nachmittag beim Hotel angekommen bin, hat mich ein älterer Taxifahrer angesprochen. Ob er mich irgendwohin fahren könne. Ich weiss es nicht, warum ich darauf eingegangen bin, aber ich habe tatsächlich abgemacht, dass er mich heute 2-3 Stunden durch die Stadt fahren soll und mir ein paar Orte zeigen, die ich noch nicht gesehen habe.
Was das sein wird, weiss ich noch nicht, aber es wird ihm bestimmt etwas einfallen. Jedenfalls steht er pünkflich vor dem Haus, als ich herauskomme.
Wohin? Er zählt auf: Victoria-Station - hab ich schon gesehen
Hängende Gärten - schon gesehen
Gateway of India - schon gesehen
Zentralwäscherei - ja auch jeden Fall, das will ich sehen
und wie ist es mit dem Tierpark? Wusste gar nicht, dass es einen Zoo gibt, aber natürlich interessiert der mich auch.
Wir kommen bei der Viktoria-Station vorbei und da hier viele Gebäude im englischen Stil stehen, bleibt er ein paarmal stehen, damit ich fotografieren kann. Und er nimmt seine Aufgabe ernst, fragt zum Beispiel im Wärterhäuschen nach, ob seine Touristin nicht kurz in den Garten dürfe, um von den Gebäuden bessere Bilder zu machen. Leider nutzt das gar nichts, auch mein Lächeln hilft da nicht. Die Tore bleiben geschlossen und ich muss die Häuser hinter den hohen Bäumen von der Strasse her ablichten.
Auch der allein stehende Uhrturm, der mich an den Big Ben in London erinnert. Es sind schöne, herrschaftliche Bauten, die an europäische Burgen angelehnt sind. Heute sind darin vor allem Verwaltungen untergebracht. Einige sind auch exklusive Wohnbauten.
Wir verlassen die vornehmen Quartiere, kommen in engere Gassen, sind unter der Schnellstrasse, die über die Stadt gebaut wurde. Und jetzt erfahre ich auch den Namen für diese hochgelegten Strassen: Fliy over bridges. Das passt perfekt. Überflieger-Brücken. Sie wurden überall in Indien gebaut, ich habe sie auch in anderen Städten gesehen. Manchmal für die Metro, wie in Bangalore, oft aber einfach als höher gelegte Strassen, um dem Gewusel in den engen Strassen und Gassen zu entgehen.
Der Ort darunter bietet geschützten Wohnraum für Obdachlose, denn die Brücken geben einigermassen Schutz vor Niederschlägen. Überall haben die Menschen ihre Hütten aufgeschlagen, überall wohnen sie, leben, schlafen, essen, meditieren, versuchen sich ihren Lebensunterhaltl zu verdienen oder wenigstens zu überleben. Irgendwie.
Wir kommen zum Zoo, wo mein Driver auf dem Parkplatz auf mich warten will. Egal wie lange es dauert, nimm dir Zeit, meint er.
Wieder einmal ist es als erstes ein Baum der mir auffällt. Der breite Boabab scheint mir hier nicht einheimisch zu sein. Er kommt eher von Madagaskar und Afrika, aber er ist eindrücklich, wie er da in seiner ganzen Breite gleich hinter dem Eingang steht.
Ich habe mir an der Tafel beim Eingang einen kleinen Überblick gemacht, aber ich merke bald, dass nicht alle Gehege zugänglich sind. An vielen Orten wird gebaut und ausgebessert. Es scheint, dass man mehr Betonung auf Park, denn auf Tiere legt, denn natürlich gibt es auch hier wieder viele beieindruckende Bäume.
Auffällig sind die vielen Bänke. Habe ich doch bisher an vielen Orten Ruhebänke vermisst. Hier gibt es welche. Sie sind verspielt, in Form von Früchten. Oder verziert mit geschnitzten Blumen.
Auch die Informationen sind ausführlich und sehr interessant dargestellt. So finde ich zum Beispiel bei dem Schakal eine Zusammenstellung der hundeähnlichen Tiere mit Schakal, Wolf, Wildhunde, Hyäne.
Auch beim Rotwild gibt es eine entsprechende Tafel, auf der alle Grössen, vom riesigen Sambar-Hirsch bis zum kleinen Maus-Reh dargestellt sind.
Interessant finde ich die Informationen zum Tiger. Die Zeichnungen jedes Tigers auf der ganzen Welt sind verschieden. Keine zwei haben die gleichen Muster in ihrem Fell, jeder ist individuell. Ausserdem scheint der Tiger im Gegensatz zu anderen Katzen gern zu schwimmen. Darum gibt es auch einen recht grossen Pool in seinem Gehege.
Und dann kommt er, der Bengalische Tiger. Direkt hinter der Glasscheibe läuft er vorbei und bei der Gelegenheit kann man sehen, wie riesig dieses Tier ist. So nah kann man ihn wohl selten neben einem Menschen sehen. Jedenfalls sind die Leute beeindruckt und werden ganz still, wenn er auf seinen weichen grossen Pfoten an ihnen vorbei schreitet.
Gleich beim Tigergehege stehen zwei riesige Kanonenkugelbäume. Riesige Kugeln hängen direkt am Stamm an langen Stielen. Man kann sich beim Anblick dieser reisigen Früchte gar nicht vorstellen, wie wunderschön die Blüten dieses Baumes sind. Leider ist im Moment keine Blütezeit. Ich kann einzig einen kleinen Zweig erkennen mit Knospen. Die Blüten brauchen wohl noch ein paar Tage.
Den Baum habe ich zum ersten Mal in Kambodscha im Königspalast gesehen, später aber fand ich ihn in den Strassen von Rio sehr oft an. Und immer wieder kann ich mich kaum sattsehen an dieser Exotik. Ich weiss auch nicht, was mit den Früchten passiert, ich nehme nicht an, dass sie essbar sind, hab sie jedenfalls noch nie an einem Früchtestand angetroffen
In einem Gehege, das neu angelegt wird, treffe ich auf diese kleine Gruppe Arbeiter. Hinter ihnen steht ein Schaufelbagger, der wohl den kleinen Erdhügel aufgehäuft hat, von dem zwei der Männer mit einer Hacke rote Erde auf Schalen häufen. Die Schale wird an den nächsten Mitarbeiter weitergegeben, dieser gibt ihn einen Meter weiter einem weiteren Mann und dieser leert die Schale aus. Das ganze sieht sehr gemütlich aus, alle sind beschäfigt, keiner überfordert, im Gegenteil, als ich die Kamera für einen Video hebe, hat man noch Zeit, mir zuzuwinken.
Mit dem Schaufelbagger, in dem ein weiterer Mann sitzt, hätte man die ganze Arbeit wohl in weniger als 10 Minuten erledigt, aber dann hätten die Männer keine Arbeit mehr. Und auch der Aufseher, der ein paar Meter davon im Schatten sitzt, wäre seinen Job wohl los.
Hinter einem Blumenbeet entdecke ich einen Busch, der wohl einmal ein Tier darstellen sollte. Aber genau so wie die Tiere im hängenden Garten hat er sich ausgewachsen und würde dringend einen neuen Schnitt brauchen.
Das Geschrei der Vögel zieht mich an. Ein Teil des Parkes ist dichter bepflanzt, als andere Teile. Hier leben anscheinend viele Vögel. Sie hocken weit oben in den Zweigen, verstecken sich hinter Ästen und Blättern und vollführen einen Heidenlärm.
Andere sind in einer riesigen Voliere. Hier entdecke ich wieder einmal den Buntstorch. Diesen Vogel hatte ich früher noch nie gesehen, hier in Indien gibt es ihn in jedem Zoo.
Es gibt noch andere Vögel, die in den Ästen sitzen wie Silberreiher und Ibisse, am besten gefallen mir aber die schönen rosa Pelikane. Sie sind riesig und haben ein seidenes Federkleid. Jedenfalls wirkt es so, wenn ich den beiden zusehe, wie sie Feder für Feder hervorholen, kurz darüber kämmen und sie am richtigen Ort wieder hinlegen.
Irgendwo gäbe es noch Pinguine, doch die brauche ich jetzt nicht, es scheint mir eine ziemlich abwegige Situation, in einen Kühlschrank zu steigen, bei Aussentemperaturen von 27 Grad. Ich sehe nur noch kurz den Wasserschildkröten zu und gehe dann zurück zum Eingang, wo mein Driver im Taxi bei offenen Türen schläft.
Nachdem ich ihn ein paarmal angesprochen und an der Türe gerüttelt habe, wacht er mit einem Lächeln auf. Lass uns zur Wäscherei fahren,
Ob die heute überhaupt arbeiten? Schliesslich ist Sonntag. Die arbeiten jeden Tag, erklärt mir Jadhav, denn so heisst mein Fahrer. Auch auf der Strasse sieht man keinen grossen Unterschied zu einem Werktag, jedenfalls kommt uns kurz darauf eine Baumaschine entgegen. Dafür fehlen in Delhi die Tuktuks In den meisten Quartieren sind sie verboten. Dafür hat es unglaublich viele dieser kleinen gelb-schwarzen Taxis. Warum mein Fahrer ein blaues Auto fährt, habe ich ihn leider nicht gefragt.
Ich hattte schon einmal ein Bild von der Zentralwäscherei gesehen, aber so genau konnte ich mir darunter nichts vorstellen. Ich steige aus und stehe an einer Mauer mit einem kleinen Balkon, der eine Übersicht auf eine riesige Ansammlung von Hütten bietet. Überall hängt Wäsche.
5000 Menschen leben hier, erklärt mir eine junge Frau, als ich sprachlos meine Blicke schweifen lasse. Über diese Hütten, die behelfsmässigen Unterkünfte, die endlosen Wäscheleinen, die dicht an dicht aufgehängten Tücher, Kleider, Uniformen. Und gleich dahinter stehen die Hochhäuser. Die meisten sind noch im Bau und sehen doch schon aus, als ob sie verwahrlost wären. So wie ich viele Neubauten in der Stadt gesehen habe. Also ob sie dem Verfall gewidmet sind, noch bevor der Kran auf dem Dach wieder abgebaut ist.
Du kannst hinuntergehen, meint die Frau, es gibt Führer, die dich durch das Labyrinth führen, die dir erzählen, wie die Wäscherei funktioniert.
Lebst du selber auch hier? will ich von ihr wissen. Nein, nicht direkt hier, aber ganz in der Nähe.
Natürlich will sie mir bei der Gelegenheit etwas verkaufen. Kühlschrankmagneten, oder billigen Schmuck. Manchmal fühle ich mich richtig mies, wenn ich schon wieder absagen muss, aber ich habe mein Gepäck tatsächlich ausgemistet, will mich auf gar keinen Fall wieder neu belasten. Denn wie heisst es so unschön: Kleinvieh macht auch Mist.
Vorsichtig steige ich die Eisentreppe hinunter. Hinunter da wo die Hütten stehen. Man grüsst mich freundlich, nickt mir zu, und schon bald werde ich von einem jungen Mann angesprochen. Er stellt sich als der Guia vor. Erzählt, dass hier in dieser Anlage, die gesamte Wösche der Stadt gewaschen wird. Seit mehreren hundert Jahren existiert dieser Waschplatz schon. Das Wasser wird vom Gobierno zur Verfügung gestellt. Jedes Waschbecken hat einen Besitzer, der mit den Kunden verhandelt und Leute angestellt hat. Es sind vor allem Männer, die hier waschen, denn die Arbeit ist hart. Es wird geschruppt, mit Bürsten wird der Wäsche zu Leibe gerückt, sie wird eingeweicht, geschlagen, gewrungen und wieder gebürstet, und am Schluss gespült und aufgehängt. Viele Hotels bringen ihre gesamte Wäsche her, Auch die Spitäler lassen hier waschen. Schon immer. Und alles wird von Hand gemacht. Nur an einigen Orten stehen grosse Waschmaschinen, in die riesige Mengen von Wäsche eingefüllt werden. An anderen Orten sehe ich Bottiche mit farbiger Flüssigkeit. Ja hier werden neue Blusen oder Hemden gefärbt. Auch das ist ein Service, der hier geboten wird.
Das Waschwasser ist kalt und trübe, Trübe vom Schmutz und von der Seife. Und überall hängt Wäsche. Jeder Ort wird von Seilen überspannt. Oft hängen die Wäschestücke mit gleichen Farben zusammen. Ganze Uniformen von Hotels oder Spitalpersonal zum Beispiel. Es sind allerdings heute nicht viele Leute tatsächlich am Waschen. Es scheint, dass doch irgendwie ein Sonntag eingehalten wird. Wir gehen zwischen den Wasserbecken, bücken uns in den niedrigen Hütten, passen auf, dass wir in den Wasserlachen nicht ausrutschen. Jedenfalls ich muss sehr aufpassen, denn in den Hütten ist es oft dunkel. Die Menschen leben und arbeiten hier. Sie essen, sie schlafen in den oberen Räumen oder zwischen den Bündeln mit schmutziger Wäsche. Hier leben Männer und Frauen und Kinder. Zwei Mädchen spielen zwischen den Wasserbottichen, lachen, kichern. Zwillinge, erklärt der Guia und ruft ihnen etwas zu.
Ja, du darfst alles fotografieren, muntert er mich wieder auf und tatsächlich, die Menschen lächeln mir zu. Es kommen im Moment eh nicht viele Leute her, um ihnen zuzusehen Und dabei sind die Beiträge, die der Guia von den Besuchern kassit für die Menschen bestimmt. Nein, ich nehme das Geld nicht für mich, ich bin ein Teil der gesamten Gemeinschaft hier, erklärt er mir. Mit dem was wir einnehmen, versuchen wir die Menschen und Familien zu unterstützen.
Überall liegen Bündel von Wäsche. Wie behält da irgend jemand den Überblick? Ich hatte am Morgen im Hotel ebenfalls meine Wäsche abgegeben. Der alte Mann, der sie abgeholt hatte, wollte wissen, wieviele Stücke es seien und hat die Sachen in eines meiner T-Shirts gewickelt. Ohne Sack, einfach so. Ich hab ihn gefragt, aber er die Wäsche hierher bringe aber er meinte, nein, er wasche bei sich zu Hause.
An einigen Stellen gibt es Auswringmaschinen. Sie werden komplett gefüllt und schwingen mit Getöse.
Hier in diesem Teil wird ausschliesslich Spitalwäsche gewaschen erzählt mein Guia und macht mich auf die Operationsmäntel aufmerksam. Die Kunden bringen ihre Wäsche und holen sie am Abend oder am nächsten Tag wieder ab. Die Menschen, die hier arbeiten, sind fest angestellt. Sie haben einen fixen Lohn von 100 Rupien pro Tag.
Pro Tag? Ich glaube ich habe mich verhört. Das ist ja grad mal etwas mehr als ein Franken. Ja, 100 Rupien pro Tag für 16 Stunden Arbeit.
Wir kommen zu den Arbeitsplätzen der Männer, die Bügeln. Perfekt zusammengelegte Hemden und Blusen stapeln sich. Bettwäsche, Saris, grosse Tücher. Alles wird sorgfältig gebügelt. Das ist nichts mit Dampfbügeleisen. Da gibt es nur das breite heisse Eisen. Und geschickte Hände, die die Wösche erst glatt streichen bevor sie das Eisen darauf pressen.
Wir kommen zurück zum Anfang. Ich bin völlig überfordert. Hab all die Fragen nicht gestellt, die mir jetzt, wo ich das schreibe, auf der Zunge liegen. Was machen die Kinder hier, gehen die zur Schule, was machen die Frauen, wie wird gekocht? gegessen? Und wie überlebt man mit 100 Rupien Tageslohn mit einer ganzen Familie? Wieviele Leute einer Familie arbeiten damit das Überleben gesichert ist? Ja, ich hätte hinauf in die Wohnräume steigen dürfen, doch plötzlich kam mir das alles viel zu intim vor. Wie ich da mit der Kamera durchlaufe, lächeln zurück gebe, und einfach nur unendlich froh bin, dass ich nicht so leben muss.
Es war tatsächlich ein eindrücklicher Besuch und ich bezahle den verlangten Eintritt, auch wenn er mir etwas hoch scheint. Ich glaube dem Guia, dass er nicht den ganzen Betrag für sich behält, denn wenn er nicht das Vertrauen seiner Leute hätte, würden die wohl die Fremden nicht so grossmütig in ihre intimsten Orte lassen.
Ich lasse mich zum Hotel zurückfahren, vereinbare mit dem Taxifahrer, dass er mich morgen um neun Uhr abholt, denn ich werde Mumbai verlassen. Mein Flieger fliegt am Mittag und ich soll zwei Stunden vorher da sein.
Ich bin kaum zurück im Zimmer, als meine Wäsche zurück gebracht wird. Gewaschen und gebügelt, eingepackt in Zeitungspapier. Wunderbar.
Später gehe ich in der Nähe in ein Restaurant, das ich erst gestern entdeckt habe, obwohl es doch nur um die Ecke liegt. Es fängt grad an zu regnen und die Leute stehen Schlange vor der Türe. Das erinnert mich, dass ich unbedingt noch einen Schirm besorgen muss. Da passt es ja gut, dass mich eine Frau bittet, von ihrer Familie ein Bild zu machen, wie sie unter ihren Schirm vor dem Restaurant warten Darf ich den Schirm kurz ausleihen? Nein, nur ganz kurz. Nur für ein Selfie, nein danke, ich mache das selber. Schon passiert, sie nehmen den Schirm zurück, ich hab was ich wollte.
Das Essen ist gut, das Warten hat sich gelohnt. Nur der Wein ist etwas sauer, aber wer bestellt schon indischen Wein. Ich werde es schon noch lernen und bleibe wohl doch besser gleich beim Wasser so wie die meisten Gäste rundum.
Aufbruch: | 01.06.2022 |
Dauer: | 8 Monate |
Heimkehr: | 30.01.2023 |
Indien
Indonesien