Reise durch Indien
Rameswaram
Irgendwie hatte ich das mit dem Frühstück im Booking.com wohl falsch verstanden. Es stand, dass man das Frühstück im Hotel bezahlen könne und ausserdem wurde es in den Bewertungen ausdrücklich mit Note 10 beurteilt. Die Frage ist nur: welches Frühstück? Man könnte es beim Zimmerservice bestellen, doch das mag ich nicht. Ich möchte gern in einem Frühstücksraum essen... Soweit die Vorstellung.
Die Tatsache ist, dass es sowas gar nicht gibt. Bestellen ja, das könnte man wohl, dann wird es irgendwo besorgt. Doch wie soll ich wissen, was ich zum Frühstück bestellen könnte.
Also hinaus auf die Strasse. Da hab doch gestern ganz in der Nähe ein Geschäft gesehen, angeschrieben mit Bakery. Und genau da stehe ich dann an diesem Vormittag, lasse mir einen Chai geben, ein brandheisser Tee in einer kleinen Tasse mit Milch und viel Zucker, wenn ich den nicht im letzten Moment verweigert hätte. Der Topf mit dem Tee steht den ganzen Tag auf der Platte, bleibt heiss, dann wird er durch einen Kaffeefilter in ein Glas oder eine Tasse gesiebt und mit Milch ein paarmal umgeschüttet, bis er vor mich hingestellt wird. Dazu bestelle ich mir ein Kokosnuss-Gebäck. Das geht ganz gut als Frühstück.
Diese Bakery ist der Treffpunkt der Männer, nur manchmal kommt eine Frau, kauft etwas im Laden und geht gleich wieder. Die Männer aber bleiben stehen, trinken ihren Chai, plaudern, checken ihre Mails und fahren mit ihren Motorrädern wieder weg.
Es sind die verschiedensten Männer, die sich hier treffen. Männer in langen Longhi, mit Bügelfalten-Hosen, in Pluderhosen. In T-shirts oder weissen gebügelten Hemden, Männer mit Kopfbedeckung, mit Bart oder ohne. Sie kommen zu Fuss, mit dem Motorrad, auf das sie trotz langem Rock elegant aufsteigen, auch auf dem Sozius. Es ist ein unglaublicher Mix an Menschen, der sich hier überall trifft. Der Chai-Stand ist dafür nur ein ganz kleines Beispiel.
Obwohl ich die einzige Frau bin, die ihren Chai hier trinkt, fühle ich mich nicht falsch oder angestarrt. Ich fühle mich aufgehoben.
Ich schlendere weiter. Ich kann mir alle Zeit nehmen, mich umzusehen. Die roten Bananen am Stand unter die Lupe, respektive in den Fokus nehmen, die farbigen Fassaden mit den verschiedenen Schriften. Viel kann ich nicht lesen und wenn ich es lesen kann, weiss ich nicht, was es bedeutet. Doch das ist gar nicht so wichtig. Ich gehe am rechten Strassenrand, damit ich den Verkehr sehe, der auf mich zukommt.
Es sind vor allem Motorräder unterwegs, aber auch Autos und natürlich ganz viele Tucktucks. Die mit den Augen und welche ohne Augen. Auch Fahrräder gibt es. Ganz normale oder Transporträder, die einen Wagen vor sich her schieben, oder hinten einen Aufbau haben. Damit werden Waren transportiert. Frauen tragen manchmal ein Bündel auf dem Kopf. Und immer tragen sie einen wunderschönen Sari. Sie sind der Schmuck der Strasse, die Farbtupfer. Und manchmal zwängt sich ein Bus über die Strasse.
Beim Überqueren der Strasse muss man immer die Fahrzeuge im Blick behalten. Sie halten nicht an, fahren weiter, vor einem oder hinter einem. Stehen bleiben gilt nicht, das ist nicht vorgesehen. Alle hupen. Hupen für andere Verkehrsteilnehmer, für Hunde, für Fussgänger, hupen für sich, zur Freude, nur für die Kühe hupen sie nicht.
Tatsächlich, ich habe das jetzt immer wieder beobachtet, wenn Kühe die Strasse überqueren, hält zwar auch niemand an, aber es wird nicht gehupt.
Und da kommt tatsächlich eine ganz besondere Herde daher. Vier graue grosse Rinder mit nach hinten liegenden Hörnern trampeln gemütlich über die Strasse, verschwinden um die Ecke wieder, so wie sie gekommen sind. Allein, ohne Begleitung sind sie unterwegs. Ob die jemandem gehören?
Ich weiss es nicht, stelle mich an eine Ecke und lasse meine Kamera laufen. Mache ein Video, versuche diese fremde Welt irgendwie einzufangen. Doch schon während ich dastehe merke ich, dass all das gar nie auf einem Video eingefangen werden kann. Aber wenigstens ein kleines bisschen vom Rameswaram-Gefühl kann ich damit für mich und meine Leser konservieren. Die Rinder sind natürlich nicht mehr aufgetaucht. Finden kann man dieses Video mit vielen anderen auf meiner eigenen HP: www.bison.ch unter Indien-Videos, Kapitel Rameswaram.
Ich will auch heute noch einmal in den Tempel. Wähle jetzt aber nicht das Haupttor oder West-Tower, sondern den Südtower. Hier lasse ich die Schuhe draussen an der Strasse und trete hinein.
Sofort packt mich diese ganz spezielle Athmospäre, lässt mich ruhig werden, verlangsamt meinen Schritt. nimmt meinen Blick gefangen. Hinauf zur Decke mit ihren immer wieder anderen Ornamenten, zu den Fantasiefiguren oben an den Säulen, den grafischen Elementen an den dicken eckigen Säulen.
Ich laufe andächtig über die kühlen Steinplatten, folge den Gängen, biege in neue Gänge ein. Der Lichteinfall ist heute bei Tag ganz anders. Überall kommt Tageslicht hinein.
Ich finde auch die Treppenstufen wieder, die mich hinaus führen zum grossen Wasserspeicher. Er ist voller Seerosen, Lotusblüten. Es sind erst wenige geöffnet.
Das ist ein Ort der Ruhe, hier kann ich mich auf eine niedrige Stufe setzen und die Atmosphäre aufnehmen. Es kommt fast niemand hierher. Hinter ein paar Säulen liegt ein bärtiger Mann mit einem Tuck um den Kopf und einem gelben Longhi. Ein Pilger? ein Erleuchteter? oder einfach einer der müde ist vom Herumlaufen, so wie ich.
Es ist genau die Stelle, wo ich gestern meine Aufnahme mit dem Vollmond gemacht habe.
Dann bin ich wieder unterwegs, Versuche zu fotografieren, versuche, etwas von der heiligen Stimmung einzufangen. Ich kann nur Bilder machen, wie sie wirken, kann ich nicht entscheiden.
Irgndwo entdecke ich ein paar Wasserlachen auf dem Boden. Reflektionen, ja, Spiegelungen, das wärs jetzt. Eine Herausforderung. Schön wäre es, wenn der ganze Bereich nass wäre. Am liebsten würde ich eine der Frauen bitten, die immer und überall mit ihren kurzen Besen, die wie Ruten aussehen, unterwegs sind, ein paar Kessel Wasser auszuleeren. Doch das geht natürlich nicht. Wüsste auch nicht, wie ich das begründen könnte. Ausserdem sollte ich mich nicht allzu auffällig benehmen, fotografieren ist auch hier nicht erwünscht. Zwar bin ich nicht die einzige, immer wieder sehe ich Leute, die Selfies und Gruppenfotos machen, aber es ist besser, sich erst umzusehen, ob nicht einer der uniformierten Aufsehen in der Nähe ist.
Ich muss auch heute wieder ein wenig suchen, bis ich meinen Ausgang wieder finde, dort wo meine Flipflops liegen, doch habe ich heute bereits eine bessere Orientierung. Und ausserdem bin ich vorwiegend in den Gängen geblieben und nicht ins Innere eingedrungen.
Jetzt muss ich nicht mehr weit gehen, bis ich am Meer bin. Da hinter grossen Toren liegt eine breite Treppe, die ans Wasser führt.
Hier scheint es, dass die Leute baden. Doch soweit ich erkennen kann, sind nur Männer komplett im Wasser. Schwimmen vielleicht sogar ein paar Züge. Die Frauen stehen höchstens mit den Füssen im Wasser, Auch nebenan am Strand das gleiche Bild. Die Frauen in ihren farbigen Saris stehen am Ufer, ein paar Männer waten ins Wasser.
Bei einer der Säulen entdecke ich ewas, was ich noch gar nie gesehen habe. Ein Paar füttert eine Kuh. Sie strecken ihr grüne Zweige entgegen. Es ist das erste Mal, dass ich sehe, wie eine Kuh etwas grünes frisst, das auch wirklich Gras nahe kommt. Bis jetzt habe ich sie an grüner Schnur nagen sehen, in Abfall wühlen. Das ganze ist tatsächlich eine sehr spezieller Umgang mit diesen grossen Tieren.
Mich lockt derweil eine frische Kokosnuss. Genau das richtige bei den Temperaturen. Als ich mich mit meiner frisch aufgeschnittenen Frucht auf der Mauer am Meer bequem mache, kommt einer der bärtigen Männer auf mich zu. Er möchte auch eine, wie mir scheint. Das kann ich nicht abschlagen, ich gehe zurück zum Verkäufer, kaufe eine zweite. Doch auf dem Weg zurück sitzen zwei andere Männer auf der Strasse und sehen mich eindringlich an.
Heute ist Kokosnusstag, entscheide ich und hole für jeden eine. Sie wollen dafür fotografiert werden. Ob sie es tatsächlich wollen, kann ich natürlich nicht wirklich überprüfen, aber wahrscheinlich hat ihre Erfahrung sie gelehrt, dass Touristen als Gegenleistung für ein Geschenk, ein Bild machen wollen. Ich jedenfalls komme dadurch zu Portraitaufnahmen, die ich mich nicht getraut hätte, zu machen. Dass der eine Bettler mit seinem Beinstumpf darauf besteht, dass ich nicht nur eine Portraitaufnahme mache, sondern dass sein Bein sichtbar ist, ist etwas speziell, aber er will wohl einfach auf seine Situation aufmerksam machen. Jedenfalls nickt er die Foto erst nach einer erneuten Aufnahme mit einem Lächeln ab.
Von der Uferpromenade könnte man Schiffahrten unternehmen. Leider hat das Schiff erst grad abgelegt. Ich bleibe eine Weile da sitzen, sehe hinaus auf das Meer, sehe rechts die Fischerboote liegen und entdecke dann am Zaun eine interessante Geschichte. Es scheint, dass hier ein Märchen erzählt wird, oder die Legende von Rama.
Ich lade die App aus dem App-Store, öffne sie und halte die Kamera auf die Bilder. Und tatsächlich, sie erwachen zum Leben. Die Figuren beginnen sich zu bewegen. Erzähllt wird in indisch oder in englisch. Natürlich probiere ich es gleich aus. Um die Geschichte tatsächlich aufzunehmen, habe ich allerdings im Moment keine Lust, keine Lust alles zu übersetzen, aber die Möglichkeit fasziniert mich.
Mit der App Rameswaram AR, die man herunterladen kann, erwacht dieses Bild zum Leben. Man kann das sogar ab der Foto ausprobieren.
Bei Einbruch der Dunkelheit gehe ich zurück zum Hotel. Heute habe ich keine Lust, mir ein Restaurant zu suchen. Ein paar Bananen, die ich auf dem Heimweg kaufe, müssen mir das Nachtessen ersetzen. Wasser und Bananen, tönt fast wie Wasser und Brot, werde das aber problemlos überleben, man braucht also kein Erbarmen zu haben mit mir.
Aufbruch: | 01.06.2022 |
Dauer: | 8 Monate |
Heimkehr: | 30.01.2023 |
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