Reise durch Indien
Grenzspektakel
Nach dem Frühstück sitze ich auch heute wieder in der Lobby zum Schreiben. Will den Anschluss nicht mehr verlieren und das ist gar nicht so einfach. Denn es gibt täglich einiges zu erzählen, auch wenn ich im Moment nicht die ganz grossen Touren unternehme.
Der Platz in der Lobby ist zwar nicht sehr bequem, da der Tisch zu niedrig ist und ich beim Aufstehen regelmässig den Rücken durchstrecken und mich wieder einrenken muss. Aber was macht man nicht alles, um seine selber aufgestellten Vorgaben zu erfüllen.
Am frühen Nachmittag habe ich mit dem Taxifahrer des ersten Tages abgemacht, dass er mich abholen soll, ich will an die Grenze fahren, denn inzwischen habe ich gehört, dass das zu den Must-do in Amritsar gehört.
Eigentlich sollte mich Sachin zum Treffpunkt mit dem Taxi fahren - Taxis dürfen bekanntlich nicht ganz ins Zentrum fahren, doch Sachim kommt nicht. "To much traffic" schreibt er worauf ich mich zu Fuss aufmache. Und prompt ebenfalls im Verkehr stecken bleibe. In einer der engen Gassen geht plötzlich gar nichts mehr. Tuctucs und Motorräder verstopfen beide Fahrbahnen, sofern man hier von sowas sprechen kann. Ein Traktor mit Anhänger steckt ebenfalls mitten im Chaos und keiner kann auch nur einen Zentimeter zurück, denn jeder im Stau hat bereits den minimalsten Raum für sich beansprucht. Für die Fussgänger bleibt nur noch ein ganz schmaler Streifen direkt an der Mauer, über einem schmalen Abwasserkanal, der notdürftig alle Meter mit einer Steinplatte belegt ist. Zurück fährt keiner, irgendwie geht es nach ein paar Minuten allerdings doch weiter. Später komme ich noch einmal in so eine Situation. Dabei verstopft ein Auto den Weg und muss es irdgendwie schaffen, durch die Enge zu kommen, ohne mit dem vorderen Rad in den Kanal zu fallen. Fast wäre es geglückt, der Mann, der das Auto, mit den Hnden lotst, hat noch nach links gewiesen, denn da wäre noch ein Zentimeter Luft gewesen, doch da sank das linke Vorderrad bereits zwischen den beiden Steinplatten in den Kanal. Und jetzt? Ich warte gespannt ab. Ein wenig schaukeln vor und zurück und das Auto ist wieder auf der Strasse. Jetzt muss es nur noch mit dem Hinterrad am Hindernis vorbei kommen, dann ist die Gasse wieder frei. Und ich kann auch weiter gehen.
Bin auf dem Weg, schreibe ich dem Taxifahrer und wenig später kann ich ihm ein Selfie schicken, um zu zeigen, dass ich am Treffpunkt angekommen bin. Und damit er mich erkennt, denn es kommt nicht der vom letzten Samstag, er hat seinen Bruder geschickt. Auch er ein Sikh mit einem roten Turban.
Wenig später sind wir unterwegs. und stecken schon wieder im Verkehr. Diesmal zwischen Autos auf dem Weg zur Stadt hinaus. Es sind noch immer sehr viele Leute in der Stadt, wegen dem Diwali-Festival, meint mein Fahrer. Darum sei auch auf der ganzen Strecke mit Verkehr zu rechnen.
Nachdem wir die Stadt endlich hinter uns gelassen habem kommen wir aber ganz gut voran es sind ja auch nur knapp 30 Kilometer bis zur Grenze. Aiuf der Fahrt google ich, worum es sich dabei eigentlich handelt und erfahre, dass eine Zeremonie durchgeführt wird zum Einholen der Fahne. Seit 1959 wird sie taglich durchgeführt. Sie soll die Rivalität aber auch die Zusammenarbeit der beden Länder an diesem Punkt symbolisieren. Dabei gehe es darum, die Beine höher zu heben, als der Gegner. Was auch immer das bedeuten soll.
Um vier Uhr kommen wir an der Grenze an wo grosse Parkplätze und Parkhäuser auf die vielen Besucher warten. Busse sind vorgefahren, Massen von Menschen streben den Grenzgebäuden zu. Mein Driver begleitet mich noch bis zur Sicherheitsschranke, wo ich durch den Scanner muss und zusätzlich von einer Frau abgetastet werde. Das passiert übrigens an vielen Orten. Sehenswürdigkeiten, Moscheen, Forts, usw. Ist eigentlch schon gar nicht mehr der Rede wert.
Bei den Abschrankungen sehe ich, dass ein paar Leute einen separaten Eingang in der Mitte benutzen. Ob ich da auch durch komme? Immer wieder werden einige abgewiesen. Pass? fragt mich einer der grossgewachsenen Soldaten. Ich zeige ihm mein Handy mit dem Foto des Passes. Er wirft kaum einen Blick darauf, winkt mich durch.
Dadurch komme ich nicht auf die Tribüne, sondern ganz nach vorne zum Grenztor. Ein Soldat weist mich darauf hin, dass ich ihm höchstens bis zwei Meter nähern darf, und dann weist er jemanden an, der mich fotografiert. Danach kann ich einen Platz oben auf der Tribüne suchen. Eine Tribüne wie ein Fussballstadion. Noch sind viele Plätze frei noch kann ich mich hinsetzen wo ich will. Und genau das ist gar nicht so einfach, denn wo hat man die beste Übersicht, und wo genau findet das ganze Spektakel überhaupt statt.
Ich entscheide mich für einen Platz in der halben Höhe nahe des Gernztores und staune. Staune über die riesigen Massen von Menschen. Die Ränge füllen sich jetzt kontinuierlich. Auch oben auf der hohen Empore sitzen jetzt Leute und es wird wohl tatsächlich voll werden. Unten werden Fahnen getragen. Es scheint eine spezielle Ehre zu sein, mit der indischen Fahne Richtung Grenze zu rennen. Jedenfalls machen das ein paar Frauen. Immer zu viert rennen sie jubelnd vor der Menge die halbe Strecke bis sie von einem Seil das als Absperrung dient, gestoppt werden.
Wenig spöter steht da eine Menschenmenge und singt jubelnd die indischen Schlager mit, die lautstark aus den Lautsprechern dröhnen. Es ist ein Volksfest ein Event für die ganze Familie. Sie kommen mit ihren Kindern, sie komemn aus dem ganzen Land, anders ist dieser ganze Volksaufmarsch überhaupt nicht zu erklären Fliegende Händler verkaufen Wasser und Süssgetränke, Glace, Dächlikappen in den indischen Farbe und kleine Flaggen
Hinter der pakistanischen Grenze geht langsam die Sonne unter, als die Zeremonie anfängt. Ein paar grosse junge Soldaten sind im Stechschritt aufmarschiert, während ein anderer, nicht ganz so farbig Uniformierter den Clown abgibt. Er hat ein Mikrofon in der Hand, macht immer wieder Luftsprünge und bringt die Menschen dazu, in Sprechchören auszubrechen. Hindistan wird geschrien. Immer wieder: HINDISTAN. Und es wird gejubelt, der Animator bringt die Leute dazu, wahre Schreiorgien auszustossen.
Längst ist natürlich auch die andere Seite erwacht. Dort scheint die Kulisse etwas kleiner zu sein, aber auch dort haben sich viele Menschen eingefunden. Dort ist es ein Trommler, der die Leute anstachelt, zu schreien. Vielelicht geht es darum, die höhere Frequenz zu erreichen lauter zu schreien, den Gegner mit Lärm einzuschüchtern. Ich würde sagen, Indien gewinnt dieses Duell, bin aber natürlich inmitten der Menge sehr voreingenommen.
Unten haben sich inzwischen ein paar Soldaten in Bewegung gesetzt. In Stechschritt und zum Teil grotesken Choreografien rennen und marschieren sie jeweils zu zweit Richtung Grenze und versuchen mit Gesten und Scheingefechten, den Gegner einzuschüchtern. Das gleiche wird auch auf der anderen Seite gemacht.
Mit kommt das Ganze inzwischen wie eine Operettenaufführung vor. Die fantasievollen Uniformen mit den Helmen auf denen aufgespiesste Fächer wie schön gefaltete Papierservietten sitzen, die hochschwingenden Beine, die einschüchternden Gesten, das ganze kriegerische Getue ist mehr witzig, als ernst zu nehmen. Und trotzdem, die beiden Länder befinden sich noch immer in einer Feindschaft, zeigen das hier in ihrer spielerischen Art, wären aber möglicherweise jederzeit bereit auf den anderen zu schiessen, wenn es von oben befohlen würde.
Da ist es ganz unterhaltsam diese ganzen Drohnungen als Luftspiele zu sehen. Welchen Einfluss das ganze Machtgehabe, auch wenn es witzig und leicht daher kommt, für die indischen Zuschauer hat, kann ich nicht beurteilen.
Endlich wird das Tor geöffnet, die beiden Gegner stehen sich gegenüber, gehen beide auf eine andere Seite des Grenztores und ziehen ganz langsam, Zug um Zug, die jeweiige Landesfahne ein. Auch die Flaggen hoch über den höchsten Zuschauerntribünen werden eingezogen. Und dann, nachdem sie sich ganz langsam in der Mitte nähern werden die Fahnen gepackt, gefalten und im Triumphzug zurück auf das jeweilige Territorium gebracht.
Das Tor schliesst sich wieder, die Soldaten bringen ihre Trophäe in Sicherheit, die anderen schreiten in Stechschritt zurück, die Vorstellung ist vorbei.
Ich bin eine der ersten, die die Tribüne verlässt, mein Driver hat mir gesagt, wenn wir frühzeitig losfahren könnten, würden wir dem Verkehrschaos entkommen. So ist es denn auch, wenn ich daran denke, wie viele Autos jetzt gerade wieder auf dem Rückweg sind, bin ich froh, dass das geklappt hat. Obwohl viellelicht die eine oder andere Foto eines der hübschen grossgewachsenen Soldaten noch drin gelegen wäre...
Am nächsten Tag hat mir eine indische Fanilie, die ich beim Frühstück getroffen habe, und die ebenfalls an der Zeremonie war, noch ein wenig von den Hintergründen erzählt. Auch sie waren von dem riesigen Aufwand überrascht. und hatten mit einem der Sicherheitsleute ein wenig geplaudert. Gegen 30'000 Menschen seien auf den Tribünen gewesen. Die Grenze ist tagsüber streng bewacht mit Schiesspflicht, wenn sie jemand unbefugt überqueren will. Es gibt nur einen ganz minimalen Grnzverkehr von Einheimischen oder sehr wichtigen Besuchen. Ansonsten ist der Grenzübergang geschlossen. Und dabei trennen die beiden Städte Amritsar und Lahore nur gerade 50 km. Eine sehr spezielle Situation.
Zum Nachtessen gibt es wieder einmal ein Paneer-Curry, das sehr fein schmeckt. Und zu der Rechnung bekomme ich für einmal nciht die obligaten süssen Bohnen, die man mit den Händen aus dem bereit gestellten Schüsselchen herausfischt und die ich immer verschmähe sondern Fenchelsamen und so etwas wie Nidelzältli, denen ich nicht widerstehen kann.
Ein Tuctuc bringt mich zurück in meine Unterkunft. Noch immer sind Strassen und Gassen verstopft, noch immer wimmelt es in der Stadt von Menschen und die Häuserfronten in der Altstadt zieren noch immer die farbigen Lichterketten
Aufbruch: | 01.06.2022 |
Dauer: | 8 Monate |
Heimkehr: | 30.01.2023 |
Indien
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