Reise durch Indien
Über Land
Am Frühstücksbuffet sind sie mir aufgefallen. Die beiden jungen Inderinnen in ihren wunderschönen Kleidern. Viel zu schön für einen Sonntag-Vormittag. Bestimmt haben die beiden etwas spezielles vor.
Nachdem ich einige Zeit mit mir gehadert habe, spreche ich sie an. Sie sitzen mit der ganzen Familie am Tisch und der älteste Mann ist sichtlich erfreut, über mein Kompliment für die beiden Damen. Es sind seine Enkelinnen und die ganze Familie lebt in den USA. Heute sind sie hier, weil sie zu einer Hochzeit eingeladen sind. Selbstverständlich hat man sich dafür neu eingekleidet. Und selbstverständlich darf ich von den beiden jungen Damen Fotos machen. Das blaue Kleid ist übrigens ein richtiger Sari mit dem passenden kurzen Shirt dazu, während das türkisfarbene eher ein langer Rock mit reich besticktem Oberteil und einem raffiniert drappierten Schal ist. Jedenfalls sind die beiden eine Augenweide.
Am MIttag holt mich Shariff ab. Ich hatte ihn gestern gefragt, ob er mir an meinem letzten Tag in Mysore noch etwas zeigen könne. Ob er noch irgend enie Attraktion im Ärmel hätte. "Auf jeden Fall", meinte er, "es ist nur etwas weit bis dahin. 37 km über Land, aber es wird dir gefallen, da bin ich ganz sicher."
37 km ist schon eine imposante Strecke für so ein kleines Tuktuk, aber wenn er sich das zutraut, soll es mir recht sein.
Shariff weiss inzwischen, was mir gefällt. Wenn ich etwas sehe, das ich fotografieren möchte, fährt er langsamer oder hält an. Oder er erzählt mir, was wir sehen.
Noch in der Stadt fahren wir an riesigen Hallen vorbei, deren Eingänge zum Teil mit Blumen geschmückt sind. Marriage-Halls - Hochzeitshallen. Man kann sie mieten zu einem Tagespreis von 2000 - 2500 Dollars. Darin werden dann die aufwändigen Hochzeiten gefeiert mit bis zu 3000 Gästen.
"3000 Gäste!!!? Aber das ist nur für die Reichen! Wie feiern denn normale Familien ihre Hochzeiten?" "Zu normalen Hochzeiten kommen vielleicht 800 Freunde und Familienangehörige", lacht Shariff. Bei seiner eigenen Hochzeit waren es gegen 1000. Alle bringen etwas mit, werden dafür aber 1-3 Tage verköstigt. "Und am Schluss sitzt du da und hast gar nichts mehr?" frage ich entgeistert nach. Ja, so ähnlich, meint er etwas verwirrt, denn anscheinend ist so eine Hochzeit eben nicht in Frage zu stellen.
Bei mir waren es gerade mal 50 Gäste, erkläre ich und komme mir schon sehr mikerig vor. Meine neue Bekanntschaft von heute Morgen wird jetzt wahrscheinlich in so einer grossen Eventhalle sein.
Bald sind wir auf dem Land und fahren wieder an vielen Reisfeldern vorbei. Da und dort gibt es auch eine Reisfabrik. Dahin bringen die Bauern ihren Reis, dort wird er geschält, gewaschen, verpackt und versandt.
Je weiter wir hinaus aufs Land kommen, je vielfältiger wird die Landwirtschaft. Es gibt Bananenplantagen, Papayafelder, Bohnen und Blumenkohl. Und natürlich überall Zuckerrohr.
Bananen wachsen übrigens nur, bis die Bananen geerntet werden können, dann werden sie umgehauen und die vielen Jungpflanzen, die sich rund um den Hauptstamm gebildet haben, wachsen weiter und bringen die nächsten Früchte. Papayas, die auch sehr schnell wachsen, werden hingegen geerntet und wachsen weiter bis zur nächsten Ernte.
Wir kommen zu einem Fluss, es ist der Kaveri-Fluss, der gleiche, bei dem wir gestern im Norden waren. Jetzt sind wir östlich von Mysore und der Fluss ist ein breites Wasser. Er muss sehr fischreich sein, denn kaum haben wir den Fluss über die lange Brücke überquert, kommen wir zu Fischhändlern, die ihre frische Beute vor sich ausgelegt haben. Es sind sehr schöne kleinere und grosse Fische, die auf ihre Kàufer warten.
In einem separaten Käfig krakeln ein paar Krebse und in einem Bottich schwimmen zwei Aale.
Wir unterhalten uns einen Moment mit dem Fischer. Er ist mit dem heutigen Fang ganz zufrieden und hofft jetzt, dass die Kundschaft vom nahen Dorf und von den Passanten nicht ausbleibt. Ich will den Preis eines der grossen Fische wissen: 500 Rupies.
Wir fahren weiter durch Dörfer, vorbei an Reisfeldern und erreichen bald darauf unser Ziel. Ein kleines Dorf mit einem berühmten Tempel. Er scheint unscheinbar mit seiner Mauer, die den niedrigen Tempel verdeckt. Viel imposanter scheint mir der Baum der davor steht. Ein Rain-Tree. Ich habe sie schon an vielen Orten in Indien gesehen, aber dieser ist ein selten schönes Exemplar. Dadurch dass er so ungehindert wachsen konnte, hat er seine breiten Äste auf alle Seten gleichmässig ausbreiten können und diese bieten weitum Schatten.
Ich möchte den Eintritt bezahlen, werde aber vom Wächter auf die Online-Buchung verwiesen. Zuerst versuche ich mich rauszuschwatzen: ich hab kein Internet, aber er bietet mir gleich seinen Hotspot an, worauf ich zugeben muss, dass ich sehr wohl mein mobiles Wifi dabei habe. Doch dann strauchle ich daran, dass ich keine indische Telefonnummer habe. Da erst hat er ein Einsehen und fragt, ob ich denn auch Cash dabei hätte. Hab ich und schon klappt es.
Der TempeL heisst Keshava und ist ausschliessich dem Gott Vishnu gewidmet. Gebaut wurde er um 1268 und der Ort heisst Somanathapur.
In der Eingangshalle werde ich von einer jungen Frau angesprochen. Ob ich eine Führung wolle. Ja gern, wenn sie mir nicht jedes einzelne Detail erzähle, versuche ich zu erklären. Die Frau lächelt und weist mir eine Guia zu. Und natürlich hat das mit der Einschränkung nicht geklappt, wir gehen zum Tempel, auf die sternförmige Plattform und jetzt erklärt mir die junge Frau die Struktur des Tempels.
Er ist aus lauter Einzelstücken zusammengesetzt, die auf einen gemauerten Kern montiert sind. Es sind insgesamt 190 verschiedene Figuren, die vorwiegend den Gott Vishnu in all seinen Inkarnationen und anderen Erscheinungsformen darstellen. Der Stein, in den die Figuren mit äusserster Präzision geschnitten sind, nennt sie Soap-Stein, also Seifen-Stein oder Speckstein, wie mir Google später erklärt.. Er scheint ziemlich weich zu sein, was die unglabliche Feinheit der Figuren erklärt. Es ist nicht nur eine oberlächliche Schnitzerei, es gibt auch Stellen mit Durchgängen, es gibt feine Schmuckdarstellungen, Colliers, Ornamente. Zwischen den verschiedenen Vishnudarstellungen steht immer eine Tänzerin. Auch sie in Perfektion ausgearbeitet und keine zwei sind identisch, wie mir die junge Dame erklärt.
Rund um den Sockel des gesamten Tempes, der immer wieder Zacken aufweist, die wohl den Sternen nachempfunden sind, gibt es verschiedene Ornamente. Elefanten zum Beispiel. Keiner ist identisch, an einer Ecke zeigt sie mir einen Elefanten mit einem Kopf und zwei Körpern. Dann gibt es eine Reihe mit Schwänen. Schwäne als Sinnbild des Lebens, an den Kanten füttern sie ihre Jungtiere.
Es gibt Szenen aus dem Leben, Familienszenen, Götter, Pferde, Wagenladungen. Jedes Bild ist anders und doch ziehen sich die Themen um den ganzen Tempel als Ornamentring. Ja, es hat nichts genutzt, dass ich nicht alles im Detail wissen wollte, ich muss es mir jetzt trotzdem ansehen und ich muss gestehen, es hat sich gelohnt. Eine solche Führung, und wenn sie auch viel zu ausführlich ist, gibt ein viel besseres Gefühl für die Leistung und die Vielfalt dieses Tempels.
Man hofft übrigens, dass der Tempel nächstes Jahr auf die Unesco-Kulturgüter-Liste kommt. Darum ist man dabei, die Figuren zu säubern. Darum ist auch das Gerüst auf der einen Seite des Tempels aufgetellt. Putzen, damit der Tempel im nächsten Jahr in neuem Glanz erstrahlen kann.
Das Innere des Tempels ist eher klein und düster. 18 dicke glatt polierte Säulen, natürlich keine wie die andere, tragen die steinerne Decken mit den verschiedenen runden Reliefs. Es gibt drei kleine Kammern in denen wieder Gott Vishnu in verschiedenen Inkarnationen die Huldigungen der Gläubigen empfängt.
Dann ist die Führung vorbei. Im Eingangsbereich unterhalte ich mich noch kurz mit einem der Wächter und vergewissere mich über den Namen des Baumes. Rain-Tree, meint er und zeigt mir seine Handy-App. Wir müssen beide grinsen, er hat tatsächlich die gleiche App wie ich. Offentsichtlich interessiert er sich auch für Pflanzen und Bäume. Ursprünglich war das kein einheimischer Baum, meint er noch, er wurde von den Engländern nach Indien gebracht und ist inzwischen im ganzen Land sehr verbreitet.
Die Bettlerin vor dem Tempel wollte ich zuerst übersehen, doch das ist nicht ganz einfach, wenn sie sich so in den Weg stellt. Nachdem ich ihr ein paar Rupies in die Hand gedrückt habe, besteht sie darauf, dass ich sie fotografiere. Und dann überprüft sie mein Bild und lässt mich passieren. Sachen gibts.
Kurz nachdem wir losgefahren sind, fällt mir die alte Frau mit den Schafen am Strassenrand auf. Shariff hat bereits angehalten, bevor ich etwas sagte, er weiss tatsächlich, war mir gefällt, wo ich meine Bilder sehe.
Eigentlich war mir ja vor allem der Schirm der alten Dame aufgefallen, aber dann traue ich mich doch nicht, ihn für eine Selfie auszuleihen. Obwohl ich eigentlich einen Schirm brauchen würde, Morgen werde ich nämlich Mysore verlassen.
Beim nächsten Zuckerrohrstand bleiben wir stehen, ich brauche dringend eine Erfrischung.
Auf der Rückfahrt kommen wir wieder bei den Reisfeldern, den Fischverkäufern, den Palmhainen und den Zuckerrohrfeldern vorbei. Shariff bleibt kurz stehen, nachdem wir das Fuhrwerk mit den beiden Ochsen überholt haben, überholt später ganz langsam die Motorrader mit den Frauen in ihren schönen Saris, die seitwärts auf dem Sozius sitzen.
Irgendwo bei einem Dorf bleibt er stehen. "Willst du die Oelmühle sehen?"
Es ist eine kleine Mühle, wo die Leute ihre Waren bringen und der Besitzer presst für sie das Oel heraus. Gerade sind es Kokosnüsse, die durch die Mühle getrieben werden. Der Kunde hat ein paar Flaschen mitgebracht und nimmt sein eigenes Oel gleich wieder mit.
Manchmal sind es nur ein paar Kilos, die die Kunden bringen, manchmal wird es Sackweise gebracht. Wie die Erdnüsse, die noch auf die Verarbeitung warten. In einem Sack finde ich die Schlacken, die harten Überreste der Kokosnüsse. Sie werden zurück in die Erde gebracht, wo sie als Dünger dienen
Aus grossen Chromstahlgefässen verkauft der Besitzer die verschiedenen Oele auch direkt an die Kundschaft. Und daneben gibt es ein paar Behälter, aus denen es wunderbar riecht wenn man sie öffnet: Masala - Gewürzmischungen.
Wir sind jetzt schon ganz nahe der Stadt, die 37 Kilometer waren zwar eine lange Strecke, aber sie haben sich mehr als gelohnt. Eigentlich möchte ich jetzt kurz ins Hotel, aber Shariff will mir noch etwas anderes zeigen.
"Hier gibt es die besten Masala-Dosa", verspricht er, als er vor einem Lokal anhält. "Nicht von Mysore, auch nicht von Karnataka, nein, es sind die besten der Welt. Die musst du einfach versuchen".
Das kleine Lokal ist voll, alle Tische besetzt, also gehen wir direkt in die Küche. Da ist auch das Waschbecken, damit ich mir die Hände waschen kann. Und etwas weiter hinten kann ich dem Koch zusehen, wie er die flüssige Reismehl-Teigmischung auf die heisse Herdplatte streicht, etwas Oel drauf gibt und sie dann einmal wendet. Dann kommt eine gewürzte Sosse aus Gemüse darauf, das ganze wird einmal umgeklappt und so auf einem Bananenblatt serviert. Jetzt noch eine Kelle voll Kokosnusssosse dazu, es kann gegessen werden.
Inzwischen hat es im Restaurant Platz gegeben, ich kann mich setzen und Shariff wartet auf mein Urteil. Tatsächlich, die Masala-Dosa schmeckt wunderbar, viel feiner als im Hotel. Shariff strahlt. Und er bezahlt auch gleich die Rechnung, schliesslich hat er mich dazu eingeladen.
Jetzt noch rasch ins Hotel, ich will mich kurz hinlegen, Shariff hat vor dem Hotel neue Fahrgäste bekommen, dann holt er mich wieder ab. Inzwischen ist es dunkel. Sonntagabend, der Palast erstrahlt wieder im Glanz der 90'000 Lichter.
Ich will noch einmal eine Fotosession machen. Nehme meine Kugel mit und weiss wieder gar nicht, wo anfangen, wo aufhören. Allerdings ist es auch hier wieder ziemlich schwierig, den Fokus in die Mitte der Kugel zu bringen. diese mit einer Hand zu halten, mit der anderen die Kamera, aber irgendwie habe ich am Schluss wieder eine riesige Ausbeute.
Shariff bringt mich zurück zum Hotel. Ich glaube er ist jetzt tatsächlich etwas traurig. "Du wirst mich schon morgen anrufen: Shariff ich brauch dich! ich werde sofort kommen, werde in den Bus steigen und dich zurückholen von Bangalore. Du wirst mich brauchen, wenn es dir nicht gut geht"
Da könnte er nicht ganz unrecht haben, vermissen werde ich ihn bestimmt. Er hat mir unglaublich vieles von Mysore gezeigt, vieles erklärt und vor allem gezeigt, wie man hier lebt.
Aufbruch: | 01.06.2022 |
Dauer: | 8 Monate |
Heimkehr: | 30.01.2023 |
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