Reise durch Indien
McLeodganj
Ich hab wunderbar geschlafen in dem bequemen Bett und bin vom Tageslicht geweckt worden. Was für eine Erholung.
Zum Frühstück suche ich mir ein Lokal an der Hauptstrasse, denn das Frühstück in dem leeren kantinenhaften Hotelrestaurant war nicht ganz nach meinem Geschmack gestern.
In einem winzigen tibetisch/italienischen Restaurant mit ein paar wenigen Tischen ein paar Häuser weiter kehre ich ein und bestelle das Frühstück auf der Karte.
Bratkartoffeln - wann hatte ich sowas zum letzten Mal? - Rührei und Toast mit Butter bekomme ich und einen Tee mit Milch.
Frisch gestärkt steige ich weiter hinauf, gehe durch das Dorf und komme zu der Baustelle, die wohl der Grund ist, dass die Strasse zum Teil wechselseitig einspurig geführt wird. Wie an allen Baustellen im Land fällt mir auch hier wieder eine Frau auf, die hier in ihren langen Kleidern arbeitet. Was sie allerdings mit ihrem kleinen Spachtel auf der Strasse anstellen will, kann ich nicht ganz erkennen, aber ich sehe, dass trotz Betonmischer auch hier fast alles in Handarbeit erledigt wird.
Bei einem der letzten Häuser des Ortes komme ich an diesen beiden Frauen vorbei, die mich freundlich grüssen, Ich bin schon fast vorbei, als ich mich umdrehe und frage, ob ich sie fotografieren darf. Sie sehen mich lächelnd an und wackeln mit dem Kopf Ja? oder doch nein?
Es ist ein neugieriges Ja und nachdem ich ihnen ihr Foto gezeigt habe, zeigt die eine neben sich. Ich soll mich zu ihnen setzen, ein gemeinsames Selfie. Sie rücken zur Seite, doch so breit ist die Treppenstufe doch nicht, dass wir alle drei darauf Platz hätten. Aber irgendwie bringen wir das Selfie zustande und ich behalte das Bild als Erinnerung an eine kurze fröhliche Begegnung, ganz ohne gemeinsame Worte. Nur mit Lächeln und Gesten.
Bald bleibe ich wieder stehen. Der blühende Baum hat meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Er sieht aus wie ein Apfelbaum. Und obwohl hier bestimmt Äpfel wachsen, kann ich mir doch nicht vorstellen, dass die jetzt im Herbst blühen könnten. Denn auch hier ist Herbst.
Daneben stehen auf einem kleinen Balkon, zu dem eine schmale Treppe führt, ein paar Blumentöpfe. Ob ich näher kommen darf, frage ich den Mann, der soeben aus der Türe guckt. Auch er antwortet mit einem Wackeln des Kopfes, macht eine entsprechende Bewegung mit den Händen und verschwindet wieder hinter dem Vorhang. Ich steige die paar Stufen hinauf und fotografiere die letzten Blumen des Sommers. Eine fast verwelkte Rose und ein paar Azeleen. Ganz sicher bin ich allerdings nicht ob es tatsächlich Azeleen sind. Später, beim Betrachten der Bilder merke ich, dass sich auch noch eine künstliche Gerbera hinein geschlichen hat. Beim fotografieren ist es mir nicht aufgefallen, sie blühte ganz normal in einem Topf.
Ich gehe weiter den Hang hinauf, immer weiter die steile Hauptstrasse entlang. Ich habe inzwischen den Ort verlassen, komme in einen Bergwald. Da oben gibt es noch ein paar Hotels. Ob sie ganz neu, oder bereits am Verlottern sind, ist mir nicht immer ganz klar, jedenfalls wurden sie ziemlich abenteuerlich zwischen die hohen Tannen gebaut. Ob da wohl alle Hangsicherungen berücksichtigt wurden?
An einem kann ich an der hohen Hausmauer eine Kletterwand erkennen. Das sind die Gäste, die hier einkehren: Wanderer, Kletterer, Hicker, Bicker. Nicht ganz meine Themen, aber schön ist es hier trotzdem. Jedenfalls wenn ich ganz gemütlich weiter ansteige und immer wieder kurz stehen bleibe.
Bei einem grossen Tor steht bei mir auf der Karte Folksmuseum, doch als ich hinein gehe, kann ich davon nichts erkennen. Ich treffe auf ein paar junge Leute, die mit einem Saiteninstrument ein paar Takte üben und dabei ein paar Schritte machen. Es scheint eine Musikschule zu sein. Ein Institut sei es, erklärt mir eines der Mädchen und das Instrument, das sie spielt ist eine tibetische Laute, eine Dranyen.
Von einem Museum wissen sie nichts. Ich höre ihnen noch eine Weile zu und gehe dann weiter.
Bei einem Parkhaus-Neubau - jedenfalls hängt da ein Schild PARKING - vielleicht wird es später doch ein Hotel, denn es hat eine wunderbare Aussicht - begegnen mir ein paar Affen. Ich bleibe stehen, überlege schon, ob ich umkehren soll. Ich merke, die Begegnung mit dem Affen in Bali, der mir die Brille aus dem Gesicht gerissen hat, hat einen tiefen Eindruck hinterlassen. Natürlich würde ich sie gern fotografieren, getraue mich aber erst, als sie schon etwas weiter weg sind und mir den Rücken zukehren, was natürlich nicht sehr attraktive Bilder gibt.
Immerhin gehe ich weiter. Lass mich doch von ein paar dummen Affen nicht vertreiben.
Beim nächsten Hotel kehre ich ein. Es heisst Gandhis Paradise und hat eine grosse Terrasse mit Aussicht auf einen weiteren Teil des Ortes. Wie man da wohl hinunterkommt, ich habe keinen Weg gefunden, obwohl ich auf den letzten Metern immer überlegt hatte, ob ich nicht besser wieder hinunter gehen sollte, denn weiter oben scheint nichts mehr zu sein.
Doch hier geniesse ich einen Eiskaffee, den mir die Angestellte anstelle des gewöhnlichen Kaffees empfohlen hat. Es war tatsächlich eine wunderbare Alternative und überhaupt werde ich zuvorkommend bedient, obwohl ich der einzige Gast bin und es nicht so aussieht, als ob hier oft Passanten einkehren würden.
Zurück auf der Strasse halte ich ein Tuctuc an, das mir entgegenkommt und frage, ob er mich hinunter zu dem Ortsteil bringen kann, den ich von oben gesehen habe. Und dann fährt er tatsächlich noch ein paar Meter weiter nach oben bis zu einer Abzweigung, auf der wir innert ein paar Minuten unten beim grossen Parkplatz sind. Es hätte also nicht viel gebraucht, und ich hätte die Abzweigung selber gefunden.
Hier gibt es in der Nähe einen Wasserfall, ich brauche nur dem Weg dort zu folgen dann werde ich ihn sehen. Rajesh wird derweil auf dem Parkplatz auf mich warten.
Also folge ich den Verkaufsständen, die es immer dort hat, wo spezielle Touristenattraktionen auf Gäste warten und komme auf einen schmalen Weg. Etwas weiter unten sehe ich den Bach, aber einen Wasserfall kann ich nicht erkennen. Wenn die das Wasser meinen, dass über ein paar höhere Steine in ein etwas tieferes Becken fällt, dann kann ich auf diese Attraktion und den Abstieg und Aufstieg gut verzichten. Ich höre lieber dem Musikanten zu, der für ein paar Rupies die Leute unterhält. Und staune über die fantasievollen Namen der kleinen Beizlein am Weg. Fusion-Cafe, No name Cafe, Welcome-Cafe...
Auf dem Rückweg begegne ich beim kleinen Tempel einer Frau, die mit ihrem grossen Naturbesen die Platten rund um das Wasserbecken wischt. Ich frage sie, ob sie mir ihren Besen kurz ausleihen würde. In zwei Tagen ist Haloween, da könnte ich eine Besenfoto auf dem Status brauchen.
Ich stelle mich also in Position, halte den Besen nach oben und mache mein Selfie.
Da kommt die Frau auf mich zu und erklärt mir, dass ich den Besen andersrum halten müsse, die Borsten gehören auf den Boden. Fast hätte ich laut gelacht, aber ich kann ihr den Sinn meines Fotos schlecht erklären und gebe ihn mit einem Lächeln zurück. Die wird sich ihre Sache denken über die verrückten Touristen, die keine Ahnung haben, wie man mit einem Besen richtig umgeht.
Es sind diese kleinen Begebenheiten, die mir immer wieder so viel Freude bringen auf meinen Reisen.
Rajesh hat auf mich gewartet und bringt mich in den Ort zurück. Wir verhandeln eine Sightseeing-Tour auf der er mir alles zeigen will, was McLeodgunj zu bieten hat. Zuallererst fährt er zum Tempel des Dalai-Lama, der komplett in der anderen Richtung des Dorfes ist. McLeodgunj ist der obere Ortsteil in dem mein Hotel liegt.
Es ist wie ein kleines Dorf, was mich hinter dem grossen Tor erwartet, aber es ist nichts oppulentes. Ganz gewöhnliche kleine Häuser, ein Souvenirladen, ein Buchshop und eine grosse mit einer grossen Plane überdeckte Halle auf drei Stockwerken.
Vor dem Tempel hängt ein grosses Bild mit dem Potola, dem grossen Palast in Lhasa, in dem der Dalai-Lama seine ersten Lebensjahre verbracht hat.
Der Tempel selber ist eigentlich nur eine grosse Halle. An den Seiten sind viele Teppiche aufgehängt, vorne thront eine grosse goldene Buddhastatue und davor ein breiter Stuhl mit einem gelben Tuch überdeckt. Wahrscheinlich sitzt dort der Dalai-Lama, wenn er im Tempel ist.
Der Altar ist mit goldenen Schnitzereien verziert. In einer Seitennische sind ein paar grosse Statuen, wobei eine drei Köpfe mit je drei Gesichtern trägt. Ganz oben sitzt noch einmal ein Kopf. Also eine Statue mit 10 Gesichtern, während die Statue daneben eher ein Dämon ist. Mit seinen grossen Augen sieht er jedenfalls ziemlich furchteinflössend aus.
Rund um den Tempel sind goldene Gebetsmühlen angebracht, die die Leute drehen, damit sich die Sprüche und Weisheiten, die darauf geschrieben sind, verbreiten und auf die Umgebung wirken, auf dass sich eine gute Atmosphäre verbreite und der Frieden in die Menschen eingehen soll.
Ein kleiner Raum daneben ist voller Oellampen. Die Leute gehen hinein, zünden ein neues Licht an, verweilen einen Moment und kommen wieder heraus.
Alles strahlt eine ruhige Atmosphäre aus, ein paar Mönche sind unterwegs, aber die Hoffnung, dass der Dalai-Lama selber plötzlich um die Ecke biegt, erfüllt sich natürlich nicht. Schade, aber die Vorstellung war auch völlig realitätsfremd. Am Freitag soll er allerdings hier gewesen sein und die Leute unterrichtet haben. Wo er jetzt ist, weiss niemand.
Beim Ausgang begegnet mir noch einmal eine grosse Gebetsmühle in einer Nische, ähnlich wie die, die im Dorftempel steht. Auch sie dreht sich noch lange weiter, nachdem sie einen Anstoss bekommen hat, verbreitet ihre Lehre an alle, die dafür empfänglich sind.
Als nächstes fahren wir zu einer christlichen Kirche. 1852 von den Engländern eingeweiht. St. John in the Wilderness. Und in der Wildnis scheint sie auch tatsächlich zu stehen. Wir fahren auf der Bergstrasse und stehen plötzlich im Stau.
Vor uns lauter Autos, doch auf der linken Spur hat es noch genügend Platz zum überholen. Jedenfalls für einen frechen Tuctuc-Fahrer. Ganz zuvorderst sehen wir die Ursache für den Stau. Ein grosser Betonmischer lässt seine Ladung hinunter in ein Bachbett fliessen. Dieses soll wohl ausgebaut werden, da der Bach im Moment kein Wasser führt. So wie es aussieht, wird es noch weitere Ladungen brauchen und viel Zeit, bis es richtig ausgetrocknet ist.
Nach einer Viertelstunde ist der Mischer fertig, muss auf der schmalen Strasse nur noch wenden. Wir aber können bereits losfahren und sind damit die ersten hinter dem Lastwagen. So geht das hier, jeder drängt, jeder kämpft um den Vortritt, hier in den Bergen genauso wie in der Stadt. Die anderen werden ihren Weg auch gefunden haben.
St. John in the Wilderness, die Kirche ist Johannes dem Täufer gewidmet, liegt ausserhalb des Dorfes in einem Wald. 1852 wurde sie von den Engländern eingeweiht. Erbaut aus grauen Ziegelsteinen ist sie eine ganz spezielle Erscheinung.
Auffällig ist der Turm mit dem etwas eigenartigen Aufbau. Ob wohl dort oben der Küster wohnt? Fast hätte ich ihn gefragt, aber da sehe ich das Schild, dass man in der Kirche nicht fotografieren dürfe. Da bleibe ich lieber hinter seinem Rücken und folge ihm in die Kirche. So komme ich buchstäblich hinter seinem Rücken doch noch zu einem Bild. Warum ausgerechnet hier keine Fotos gemacht werden dürfen, erschliesst sich mir hier nicht, darf doch in den meisten Tempeln und Moscheen unbeschränkt fotografiert werden. Jedenfalls behält mich der Küster im Auge, vielleicht hat er etwas bemerkt.
Später erfahre ich im Internet, dass der Turm der Kirche bei einem Erdbeben schwer beschädigt wurde. Das Dach wurde wohl als vorübergehender Schutz gebaut. Bekannt ist die Kirche für ihr Glasfenster hinter dem Altar und das Denkmal zu Ehren des Vicekönigs Lord Elgin, der hier in Dharamsala 1863 starb.
Wir fahren weiter auf der schnalen Bergstrasse, begegnen irgendwo, weit weg von den Häusern, ein paar Kühen, die auch hier anscheinend frei leben und kommen zu einem kleinen See. Der sei jetzt fast ausgetrocknet, meint Rajesh. Zu anderen Jahreszeiten sei er voll und wunderschön. Nun, es hat noch genügend Wasser, dass sich die Bäume am Ufer darin spiegeln können aber man kann am Ufer schon erkennen, dass der Wasserspiegel normalerweise höher ist.
Es geht noch immer in die Höhe, bis mein Höhenmesser 1900 Meter anzeigt. Hier halten wir an, hier gibt es einen Aussichtspunkt, der bestimmt eine wunderbare Aussicht in das Tal bieten würde, wenn es da unten nicht so dunstig wäre. Aber immerhin, der Blick in die Berge ist grandios und wenn ich genau hinsehe, erkenne ich hinter den Wolken das gewaltige Himalayamassiv.
Und der Cappuccino in der kleinen Cafeteria ist fein. Sogar Rajesh lässt sich dazu einladen, in der Regel wollen die Tuctu-Fahrer lieber draussen warten, so sind sie sich das gewohnt.
Das wäre ein guter Platz um den Sonnenuntergang zu betrachten, meint Rajesh, worauf ich beschliesse, hier zu bleiben. Es dauert nur noch gut eine Stunde, bis es soweit ist.
Bis dahin fährt mich Rajesh noch zu einer Schule, wo es eine Fotoausstellung gibt. Über berühmte Persönlichkeiten der Gegend und über Lichterscheinungen, unerklärliche Phänomene. mystische Begegnungen.
Diese lassen sich allerdings nicht gut fotografisch festhalten, so dass sie bei mich eher wie schlecht belichtete Fotos ankommen. Doch vielleicht fehlt mir in diesem Zusammenhang einfach der esoterische Hintergrund. Jedenfalls kommen wir zur rechten Zeit zurück zum Restaurant, wo ich diesmal allein bleibe. Rajesh wartet im Tuctuc bis ich meinen Moctail Ping Pong mit dem untergehenden Feuerball der Sonne getrunken habe.
Dann fährt er mich zurück in den Ort, wo ich am Hauptplatz in einem sehr schönen Lokal einkehre. Eine Pizza bestelle und danach gemütlich durch die erleuchteten Gassen zurück zum Hotel schlendere.
Es war wieder ein Tag voller neuer Begegnungen. Dass ich Rajesh getroffen habe, war ein richtiger Glücksfall.
Aufbruch: | 01.06.2022 |
Dauer: | 8 Monate |
Heimkehr: | 30.01.2023 |
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