Reise durch Indien
Tuc-Tuc-Tour
Ich mag es, an einem Ort einen Fahrer zu haben, den ich kenne, den ich für grössere Fahrten engagieren kann. Auch die Fahrer selber sind immer sehr interessiert, sofort Nummern auszutauschen, damit man sich an sie erinnert. Natürlich fahre ich für spontane kurze Fahrten auch mit dem Tuctuc, das grad an mir vorbeikommt, aber für grössere Fahrten mag ich jemanden, mit dem ich mich unterhalten kann, der also Englisch spricht und mit dem ich auch mal zu einem Kaffee zusmmensitzen kann.
In Varanasi ist das Rajeev. Er ist meistens in der Umgebung des Hotels unterwegs und hatte mich ein paarmal angesprochen, bis ich endlich einstieg und mich zum nächsten ATM fahren liess, weil die mir bekannten in der unmittelbaren Umgebung nichts mehr hergaben. ATM sind Geldautomaten. Manchmal können sie meine Karte nicht lesen - obwohl es gestern noch geklappt hat - manchmal sind sie defekt oder leer. Es ist also auch der Gang zum ATM immer ein Abenteuer. Darum lasse ich das Geld nie ganz ausgehen. Mit Karte zahlen ist in indien nicht sehr gefragt. Wenn, dann mit der eigenen einfachen Handy-App mit der man kleine Beträge bargeldlos bezahlen kann, doch damit habe ich mich gar nie auseinander gesetzt.
Auch die Hotels, in denen ich bin, bestehen meistens auf Barzahlung. Und auch die Seidenhändler wollen Geld sehen. Ausser man hätte dann wirklich für einen grossen Betrag bezahlt, aber das ist bei mir ja eh nicht der Fall.
Bargeld ist mir zwar auch recht, dann habe ich meine Ausgaben besser unter Kontrolle, aber der Bezug ist leider sehr beschränkt. 10'000 Rupies pro Bezug, das sind knapp. 120. Dazu kommen bis zu 10 Franken Gebühren. Doch was solls, damit kann ich leben.
Ich habe also Rajeev zufällig kennen gelernt. Er kam damals grad vom Spital, seine Frau hatte ihre kleine Tochter geboren. Da es ein Kaiserschnitt war, muss sie noch ein paar Tage im Spital bleiben.
Brinda, eine indische Freundin, die ich in Rishikesh kennengelernt hatte, und die mir seither in Facebook folgt, gab mir den Tipp, zu einem bestimmten Ghat zu fahren, da man dort in den Strassen in der Umgebung manchmal Musik hören würde. Vielleicht ist dort eine Musikschule, genaueres habe ich dabei nicht erfahren, aber der Tipp war es wert, ihm nachzugehen.
Also fragte ich Rajeev, ob er mich hinbringen könnte. Natürlich sehr gern, wir vereinbarten einen bestimmten Tag und fuhren durch die halbe Stadt. Nicht dem Fluss entlang, weil der Verkehr in der Innenstadt viel zu gross gewesen wäre.
So kamen wir unterwegs irgendwo zu diesem Platz, wo eine Gruppe Jugendlicher laut mit den Trommeln schlugen. Ist da ein Fest? Bitte anhalten, ich will das sehen
Sofort war ich mitten drin, liess meine Kamera laufen, wurde da am Àrmel gezupft, damit ich mich umdrehe und auch die Frauen hinter mir aufnehmen soll, dann wieder von den Kindern abgelenkt, um ihren wilden Tanz zu sehen. Ich wusste gar nicht, wie mir geschah und hatte auch überhaupt keine Ahnung, worum es ging.
Nach einer Weile fand ich es genug, ging zurück zu Rajeev und fragte ihn, ob er fragen könne, ob jemand Geburtstag hätte, oder ob eine Hochzeit stattfinde. Er kam zurück mit dem Bescheid:
Eine alte Person ist gestorben, fast 100-jährig. Darum wird getrommelt und getanzt.
Wir fuhren weiter, kamen an diesem riesigen Tor vorbei, das offensichtlich in einen Tempel fuhrt. Anhalten bitte!
Wie der Tempel heisst, weiss ich nciht, aber er ist ungewöhnlich in seiner ganzen Aufmachung, in der Architektur und vor allem in den Farben. Hinein konnte ich nicht, die Gitter oben an der Treppe waren geschlossen und als wir später wieder hier vorbei fuhren, war auch das grosse Eingangstor geschlossen. Ich hatte also Glück, dass ich hinein sehen könnte.
Es war nicht möglich, mit dem Tuktuk bis zum Ghat zu fahren, darum parkierte Rajeev irgendwo in einer ruhigen Gasse und wir gingen zu Fuss. Dabei kamen wir an diesem Mann vorbei, der in der Nähe des Wassers am Meditieren war. Zuerst fotografierte ich ihn heimlich, fand dann aber, dass das gar nichts hergibt. Also fragte ich ihn, ob ich ein Bild machen dürfe. Er lächelte und wackelte mit dem Kopf.
Darauf löste er seine Haare, die er zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden hatte, holte einen Kamm irgendwo aus seinen orangen Tüchern und kämmte sich ausführlich seine hennagefärbten Haare. Es dauerte eine ganze Weile bis er sich hübsch genug für mein Foto fand. Dieses begutachtete er und ich musste eine davon löschen, weil er sich darauf nicht gefiel. Hab ich übertrieben, wenn ich finde, dass Männer sehr grossen Wert auf ihre Haare legen?
Beim Ghat stiegen wir die Treppe hinunter und kauften von einem Mann Vogelfutter. Es bringt gutes Karma, die Vögel zu füttern, also warfen wir ihnen die Körner zu, bis sie draussen auf dem Wasser eine attraktivere Futterquelle fanden und dem Schiff folgen, auf dem Pilger ebenfalls Futter ins Wasser warfen.
Rajeev erkundigte sich bei dem Mann, ob er wisse, wo man Musik in den Gassen hören könne, doch der wusste von nichts. Also stiegen wir die Treppe wieder hinauf, fragten noch ein wenig herum, doch niemand wollte etwas von Musik und Gesang wissen
Wir schlenderten noch ein wenig durch die engen Gassen, die hier ganz besonders viele farbigen Bilder aufwiesen. Es muss ein sehr musisches Quartier sein, wenn hier so viele Künstler leben, oder Hausbesitzer, die Wert auf bemalte Wände legen. Die Graffitis habe ich in einem eigenen Kapitel gezeigt.
Zuerst war Rajeev etwas irritiert, dass ich so viel fotografierte. Jede Gasse musste festgehalten werden, jede schöne Türe, jede eigenwillige Fassade und jedes farbige Bild. Doch mit der Zeit entdeckte auch er, was ich meinte, und machte mich darauf aufmerksam, wenn ich ein Bild verpasst hatte.
Irgendwo im Gewirr der Gassen stiessen wir auf diesen Chai-Kocher. Es war Zeit für eine Rast, ich wollte mich irgendwohin setzen, also bestellte ich zwei Chai und wir setzten uns eine Weile. Sehr zur Freude und Verwunderung der älteren Männer, die hier bedächtig ihren Chai tranken. Chai gehört inzwischen zu den Dingen, die ich ohne weiteres überall auf der Strasse trinken kann. Wasser und Milch wird aufgekocht mit verschiedenen Kräutern und Zucker. Es werden immer nur kleine Portionen aufs Mal gekocht und darum ist er immer frisch. Das kann meinem Magen nicht schaden, daran hat er sich inzwischen gewöhnt.
Ausgeschenkt wird er oft in kleinen Kartonbechern, manchmal in kleinen Tonschälchen, die allerdings auch nur einmal bentzt werden, was ich nicht ganz verstehen kann.
Hast du das kleine Feuer gesehen? Rajeev macht mich auf das kleine Licht aufmerksam. Eine Kerze am Wegrand? Es gilt dem Baum. Es ist die Verehrung des Baumes, des Lebens.
So vieles ist es, was man allein übersehen würde. Darum liebe ich es, mit jemandem unterwegs zu sein. Vor allem wenn er mich nicht mit Informationen überhäuft und mir nicht immer sagt, was ich sehen muss, sondern versucht, meinem eigenen Rhythmus zu folgen und keine eigene Tour im Kopf hat, der man folgen muss.
Wir gingen zurück zum Tuktuk, fuhren ein wenig weiter und kamen zu einem Parkhaus. Es war offensichtlich, dass Rajeev noch nie hier parkiert hatte, er musste sich erst erkundigen, wie das funktioniert und bekam vom Wärter eine Quittung, die wir fotografierten, falls wir sie verlieren würden.
Danach schlenderten wir noch einmal durch die Gassen und waren bald in der Nähe des Burning Ghat, des grossen Brandplatzes. Die grossen Holzstapel und der Geruch, der plötzlich in der Luft lag waren ein klares Zeichen.
Wir bleiben eine Weile stehen, schauen zu, was da so abläuft. Hier ist tatsächlich ein viel grösserer Betrieb, als in dem kleinen Ghat in der Nähe meines Hotels. Nur schon in der kurzen Zeit, in der wir da standen, wurden mindestens 15 Tote gebracht, von der Strasse, aber auch mit Schiffen. Verschiedene Feuer brannten, andere wurden neu aufgeschichtet. Und in der Nähe stapelten sich riesige Holzlager.
Als wir weiter gingen, kam uns in einer Gasse eine Gruppe Trommler entgegen. Ich zog mich in einen Seitengasse zurück, konnte es dann aber doch nicht überwinden, ein Foto zu machen von den Trommlern und der Bahre, die mit einer Fahrradrikscha hergefahren wurde.
Die grossen Trommeln waren übrigens die gleichen, wie die, die wir am Morgen in der Stadt gesehen hatten. Auch jene werden sich wohl irgendwann aufgemacht haben, den Toten ans Ghat zu bringen.
Schon in der Stadt, als wir mit dem Tuktuk unterwegs waren, ist uns mitten im Verkehrsgewühl ein solcher Leichenzug entgegen gekommen. Die Männer rufen dann gemeinsam ein bestimmtes Wort in immer gleichem Takt, worauf die Strasse kurz für sie frei wird. Varanasi, die Stadt, in der gestorben wird. In der die Toten durch die Strasse getragen werden um beim Ghat direkt ins NIrvana aufzusteigen.
Wir gingen zurück zum Parkhaus, wo wir das Tuktuk an einem anderen Platz fanden Irgend jemand von der Aufsicht muss es an einen anderen Ort gestossen haben. Um wieder aus dem Parkhaus zu kommen, musste ich dann allerdings aussteigen, denn der schwache Motor überwand die Steigung der Ausfahrt nur knapp. Das Parkhaus ist sehr neu und daher für alle ungewohnt. Am Ausgang gibt man die Eingangsquittung ab und bezahlt ein paar Rupies fürs Parkieren.
Danach fuhren wir zurück zum Hotel, wo ich erst einmal ein wenig ausruhte, bevor ich noch einmal einen Spaziergang zu Sadhev machte. Doch seine Boutique war noch nicht eingerichtet. Noch immer wird gearbeitet. Jetzt werden die Gestelle an den Wänden wieder angebracht. Die Farbschlieren an den Wänden sind geblieben, die waren wohl nicht wegzumachen.
Am Abend war ich bei Bose eingeladen. Er kochte Fischcurry und es wurde ein feuchtfröhlicher Abend, denn er stellte eine Flasche Whisky auf den Tisch. Zusammen mit einem seiner Brüder, der zu Besuch war, hatten wir angeregte Gespräche oben auf der Dachterrasse des Hotels.
Bose ist übrigens voller Geschichten. Er will ein Buch schreiben. Mit all seinen Geschichten, seinen Legenden, seinen Erfahrungen mit Touristen aus aller Welt.
Es wurden schon so viele Bücher für die Touristen geschrieben, lächelt er verschmitzt, es ist Zeit, dass mal jemand ein Buch ÜBER die Touristen schreibt. Ich hoffe, dass er es schafft und ich das Buch irgendwann lesen kann. Es wird in Englisch sein.
Hab ich schon gesagt, dass ich mich immer mehr heimisch fühle hier?
Aufbruch: | 01.06.2022 |
Dauer: | 8 Monate |
Heimkehr: | 30.01.2023 |
Indien
Indonesien