Reise durch Indien

Reisezeit: Juni 2022 - Januar 2023  |  von Beatrice Feldbauer

Zurück in Kolkata

Heute bin ich schon früh auf dem Dach. Will sehen, wie die Sonne aufgeht über der Stadt. Noch liegt Dunst über den Häusern, die Sonne kämpft sich durch und erscheint mystisch hinter den hohen Hotelbauten der Stadt.

Es braucht dann aber doch seine Zeit, bis ich endlich bereit bin zum Aufbruch. Frühstück, Mails checken, Whatsapp überprüfen und beantworten und nachsehen, wer auf meine Posts von gestern aus den Sundarban reagiert hat. Diese Momente sind für mich sehr wichtig. Dank diesen Reaktionen kann ich mich gar nie einsam fühlen. Immer weiss ich, dass da jemand ist, der mit mir mitreist, der sich interessiert, was ich grad mache, was ich sehe, was ich erlebe. Einige Freundinnen sind sehr intensiv dabei, mit ihnen entspannt sich manchmal ein Dialog, der mit Unterbrüchen am Laufen gehalten wird. Andere schreiben gelegentlich eine Bemerkung, bringen einen Tipp, zeigen schöne Fotos von ihren eigenen Ausflügen. Auch das bringt mir eine Verbindung. Ich habe nie das Gefühl allzu weit weg von zu Hause zu sein. Ist ja auch eine Welt, eine grosse Gemeinschaft, Freundschaften, die auch eine grosse Distanz aushalten.

Irgendwann bin ich dann aber doch so weit und fahre mit einem Uber zum Blumenmarkt. Man müsse am frühen Morgen hier sein, um die ganze Farbenpracht zu erleben, habe ich gelesen. Sie ist aber durchaus auch am späteren Morgen noch da und auch bei meinen Besuchen am Abend bei Sonnenuntergang empfand ich die gleiche Fülle, die gleiche Masse von Blumen.

Heute aber nehme ich mir etwas mehr Zeit, muss ja keine Bedenken haben, dass es bald dunkel wird. Ich bleibe stehen, stehe möglicherweise auch etwas im Weg rum, fotografiere, mache Videos, nehme das ganze Chaos von Blumenhändlern, Rischkafahrern, Blumenträgern, Gehupe und Geklingel und das ganze Stimmengewirr in mich auf.

Und wenn ich genauer hinsehe, gibt es da noch viele andere Blumen als nur die gelben und orangen Tagetes, die an langen Schnüren aufgefädelt sind.

Rosen in allen Farben werden angeboten und um sie frisch zu halten immer wieder mit Wasser besprüht. Chrisanthemen in allen Farben, einige wohl künstlich gefärbt, liegen in Bündeln bereit,

Duftende Jasminblüten, auch sie aufgefädelt in verschiedenen Arten liegen in Bastkörben. Und immer wieder Tagetes. Aufgefädelt oder in riesigen Säcken und Körben. Man kauft sie per Kilo oder einen Plastiksack voll. Kleine Lieferwagen fahren durch das Getümmel, bringen neue Blumen, Rischkafahrer bringen die gekauften Sachen wieder weg, gefolgt vom Käufer, der mit einer eigenen Rikscha hinterher fährt. Es ist ein riesiges Durcheinander, aber es funktioniert, man ist nett, macht mich darauf aufmerksam, wenn ich im Weg stehe, weicht aus, oder bittet, dass ich einen Schritt zur Seite trete.

Nachdem ich mich sattgesehen habe, laufe ich dem Fluss entlang weiter. Hier am Ufer leben die Armen der Stadt, jedenfalls ein Teil. In improvisierten Hütten, in Verschlägen aus Holz und Abfallprodukten.

Es gibt aber überall kleine Läden. Chai-Kocher, Kioske, die Knabbereien verkaufen, Imbissstände, die Reis und Dal anbieten.

Vor den Hütten stehen die Rischkas. In den Häusern leben wohl die Fahrer und Träger. Hier halten auch die grossen Lastwagen, hier sind die Lagerhäuser Ich sehe zu, wie so ein Lastwagen ausgeladen wird. So wie die Pakete aus dem Wagen geholt werden, müssen sie wohl sehr schwer sein. Sie werden ohne Rücksicht den Männern, die bereit stehen, auf die Schultern gelegt. Einmal ist es ein riesiger Sack, der vielleicht einen weicheren Inhalt hat, dann wieder eine unförmige Kartonschachtel, in der man die Eisenelemente klimpern hört. Einiges wird in einem der grossen Schuppen verstaut, anderes kommt auf einen der Handwagen oder eine Rischka.

Jeder versucht, irgend ein Stück dieser Arbeit zu bekommen. Alles ist Handarbeit, auch da.

Der Lastwagenfahrer hat mich beobachtet und wollte fotografiert werden. Ich bin immer wieder berührt über die Freundlichkeit der Menschen, ihre Toleranz gegenüber der Fremden, die hier nur zum zusehen ist, die die Bilder der Armut einfängt. Doch ich glaube, dass die Menschen selber ihre Armut gar nicht so empfinden, wie ich sie sehe. Sie leben so, seit Generationen und vielleicht hat sich ihre Situation im Laufe der Zeit sogar ein wenig verbessert. Immerhin haben sie Arbeit. Man lebt in grossen Familienverbänden zusammen, da ist es wichtig, dass ein bis zwei Mitglieder der Familie gelegentlich etwas Geld nach Hause bringen.

Was ich hier schreibe, sind allerdings nur Mutmassungen, ich weiss nicht, wie es sich tatsächlich anfühlt, hier zu leben.

Auf der anderen Seite der Uferstrasse mit den Hütten auf beiden Seiten, verläuft die Bahn. Auf einem der Bahnübergänge überschreite ich die Geleise. Die Bahnübergänge sind unbewacht, Schranken gibt es nicht, aber wenn der Zug kommt, stösst er eine so ungeheure Sirene aus, dass man ihn nicht überhören kann. Diesem Lärm ist man hier auf der ganzen Strecke dauernd ausgesetzt. aber es gibt nicht so viele Züge, jedenfalls kann man sich zwischendurch immer wieder auf die Schienen setzen und einen kleinen Schwatz abhalten.

Ich bin jetzt wieder auf einer der Verkehrsstrassen, mit Autos und Bussen. Doch auch hier reihen sich auf der einen Seite die Hütten der Armen. Auf der anderen sind es kleine Läden, die alles mögliche anbieten. Von Handyhüllen - hab mir eine neue gekauft - bis zu Früchten, Batterien, Flipflops, samt Schuhmacher, Kleidern Sonnenbrillen, Wasserflaschen und jede Menge Snacks aller Art.

Mir fallen plötzlich die vielen Wasserstellen auf. Auch bei mir im Quartier gibt es so einen Wasserhahn und ich habe auch dort einmal einen Mann gesehen, der sich komplett eingeseift und gewaschen hat. Aber hier sind sie alle 20-30 Meter. Ein Rohr aus dem Boden, aus dem das Wasser sprudelt. Davor und drum herum sammeln sich die Leute, meistens Männer. Sie waschen hier ihre Kleider. Gründlich mit Seife und Bürste, waschen sich selber, füllen ihre Kessel, übergiessen sich, seifen sich ein, lachen, schwatzen und stören sich überhaupt nicht an mir. Im Gegenteil, ich werde aufgefordert, zu fotografieren und als ich einem meinen Video zeige, den ich von ihm gemacht habe, meint er: I love you.

Hier wird das Geschirr abgewaschen

Hier wird das Geschirr abgewaschen

Überall sind sie, diese Wasserstellen, ich weiss gar nicht, warum sie mir nicht schon früher aufgefallen sind. Sie sind die Wasserversorgung der Armen in ihren Hütten, wo es kein Wasser gibt. Am Ufer holen sie das Wasser wohl direkt aus dem Fluss, hier in der Stadt aber kommen sie mit Kesseln und Kübeln, mit grossen Gefässen und holen sich das Wasser für die Küche. Zum Kochen und zum Abwaschen.

Oder sie bringen ihr Geschirr mit und reinigen es hier. Auch hier wieder mit viel Seife oder Scheuerpulver.

Ich laufe einfach weiter, würde mich zwar gern irgendwo hinsetzen, in ein Cafe sitzen, etwas trinken, dem Verkehr zusehen, den Menschen. Doch das ist in diesen indischen Städten einfach nicht vorgesehen. Bei den Chaiküchen kann man sich zwar manchmal kurz auf eine Holzbank setzen, doch die sind nicht für längere Beobachtungen gedacht. So ein Chai ist in zwei Minuten getrunken. Er wird ja überall nur in den kleinen Kartonbechern serviert. Die Musse, die wir in Europa haben, kennt man hier einfach nicht.

Es kann ja sein, dass ich an Restaurants vorbei gelaufen bin und sie nicht erkannt habe, weil sie sich im Inneren der Gebäude befinden. So wie ich das berühmte Indien Coffee House im Bücherquartier niemals gefunden hätte, wenn ich nicht gewusst hätte, dass es hier irgendwo sein muss. Doch ich stelle mir ja eben ein offeneres Lokal vor, ein gemütliches, eines zum länger verweilen.

Die Verschmelzung von Stadt und Natur. Bäume werden nicht gefällt, sie werden integriert, oder sie integrieren sich.

Die Verschmelzung von Stadt und Natur. Bäume werden nicht gefällt, sie werden integriert, oder sie integrieren sich.

Ein Baum-Altar. Wo fängt Baum an, wo hört Mauer auf? Die Verehrung ist allgegenwärtig. Es bleibt auch immer wieder jemand stehen um dem Baum seine Verehrung zu zeigen. Das zeigen auch die immer frischen Blumen.

Ein Baum-Altar. Wo fängt Baum an, wo hört Mauer auf? Die Verehrung ist allgegenwärtig. Es bleibt auch immer wieder jemand stehen um dem Baum seine Verehrung zu zeigen. Das zeigen auch die immer frischen Blumen.

Frisch geröstete geschälte Erdnüsse. Geröstet werden sie mit schwarzem Sand, der vor dem Verkauf abgesiebt wird.

Frisch geröstete geschälte Erdnüsse. Geröstet werden sie mit schwarzem Sand, der vor dem Verkauf abgesiebt wird.

Ich laufe also durch die Stadt, komme noch einmal zum Victoria Memorial, das ich allerdings links liegen lasse. Bei der Krippe aber mache ich einen Kontrollbesuch, doch da wartet man noch immer auf das Christkind. Es dauert noch eine Woche, bis das kommt.

Ich aber mag jetzt nicht mehr warten, suche mir ein Taxi und lasse mich in die Nähe meines Hotels fahren. Dort, wo ich weiss, dass es einen feinen Cappuccino gibt und ich gemütlich sitzen kann. Zwar auch ohne Aussicht, aber immerhin in einer netten Atmosphäre.

Diesmal habe ich allerdings Pech, die Cappuccino-Maschine ist defekt und was ich da als schwarzen Kaffee vorgesetzt bekomme, entspricht eher einer schwarzen Brühe.

Schade, ich lasse ihn stehen und muss ihn tatsächlich nicht bezahlen. Dem Kellner tut es leid, er kennt mich inzwischen und verzichtet von sich aus auf die Bezahlung, als er sieht, dass ich ihn stehen lasse.

Dafür bewundere ich seine Weihnachtsguetsli. Sie sind selten, die Hinweise auf Weihnachten in Indien, aber es gibt sie.

Dieser Coiffeur in der Nähe meines Hotels hat immer Kundschaft.

Dieser Coiffeur in der Nähe meines Hotels hat immer Kundschaft.

Ich komme grad zur richtigen Zeit zurück ins Hotel, um auf dem Roof Top die Sonne untergehen zu sehen. Auf der anderen Seite über anderen Hochhäusern.

Dann ziehe ich mich in mein Zimmer zurück und komme erst zum Nachtessen wieder hinauf auf die Terrasse. Das Restaurant da oben ist heute neu aufgegangen. Es bietet die gleiche Speisekarte wie das Restaurant in der Lobby. Und auch wenn es eine Theke wie eine Bar hat, gibt es trotzdem keinen Alkohol. Ich bleibe fast der einzige Gast, aber das Hotel ist eben einfach noch viel zu neu, da sind die Gäste noch Mangelware.

Zurück im Zimmer erlebe ich eine Überraschung. Meine Wäsche die ich am Morgen abgegeben habe, wurde zurückgebracht.

Gewaschen, gebügelt, gefalten und verpackt. Es sieht alles aus wie neu und passt perfekt, so dass ich es in meine Kofferboxen faltenfrei verpacken kann.

Einen so perfekten Wäscheservice habe ich auf der ganzen Reise noch nie erlebt, obwohl er überall gut war. Natürlich hat das Ganze auch seinen Preis, aber der war ja schon bei der Abgabe bekannt. Ist jedenfalls jede Rupie wert.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Es geht wieder los. Vier Monate ist es her, seit ich von meiner Südamerikareise zurück gekommen bin. Sieben Monate war ich unterwegs. Und jetzt stehe ich vor einem neuen Start. Mein Traum ist das Taj Mahal. Mein Ziel heisst Indien.
Details:
Aufbruch: 01.06.2022
Dauer: 8 Monate
Heimkehr: 30.01.2023
Reiseziele: Vereinigte Arabische Emirate
Indien
Indonesien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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