Reise durch Indien
Assam
Ich hab einfach keinen Schirm mehr gefunden in den letzten Tagen. Kein Wunder, es regnet ja hier auch nie um diese Jahreszeit. Einzig auf dem kleinen Markt im Delta sah ich zwei Frauen mit diesem niedlichen roten Schirm mit Rüschen an den Rändern vor mir laufen. Als ich ihnen hinterher wollte, um mir den Schirm kurz auszuleihen, wurde ich von der Gruppe zurückgerufen. Danach ist mir kein Schirm mehr begegnet, der mir gefallen hätte.
Darum muss jetzt eben diese Deko für eine Hochzeitsparty, als symbolischer Schirm herhalten. Ich bin nämlich unterwegs zur nächsten Destination. Muss schweren Herzens meine Unterkunft in Kolkata aufgeben. Hab aber vorher noch eine Nacht zugebucht, um noch etwas am Blog zu arbeiten und vor allem um die nächsten Reiseabschnitte zu planen. Was gar nicht so einfach war, denn Weihnachten fällt in diese Zeit und ich möchte sicher sein, dann wieder ein schönes und bequemes Hotel zu haben, denn ich merke, dass ich in letzter Zeit etwas bequemer geworden bin. Ausserdem muss ich zwei Flüge buchen, was ebenfalls ziemlich schwierig ist, denn meine Kreditkarten funktionieren bei IndiGo online nicht. Das Problem hatte ich bereits in Rishikesh. Dort hat mich ein Tuctucfahrer zu einer Reiseagentur gefahren. Hier ist das schwieriger, weil ich gar nicht weiss, wo ich eine Agentur finden würde. Aber da ist ja noch Krishna in Varanasi. Er hatte mir versprochen, dass er mir überall in Indien bei Transportproblemen helfen könne.
Hat auch wunderbar geklappt mit dem Buchen der Flüge, das Problem kam erst, als ich ihm das Geld überweisen sollte. Er schickte mich auf eine Bank, wo ich es direkt auf sein Konto überweisen lassen könne. Das stellte sich dann nicht ganz so einfach heraus, aber am Schluss hat es geklappt. Allerdings musste ich dafür zuerst Bargeld beziehen, was immer mit grossen Spesen verbunden ist, und das dann am Schalter wieder einzahlen. Der Zahlungsverkehr in Indien ist für Inder extrem einfach mit verschiedenen Apps (so wie TWINT in der Schweiz) aber als Ausländer ist es fast unmöglich, Geld zu überweisen. Also verbrachte ich fast den ganze Tag im Hotelzimmer und mit der Geldbeschaffung, verabschiedete mich am Abend von den netten Kellnern im Restaurant. Am Morgen erkundigte ich mich beim Zimmerservice-Team, wie es der Taube mit ihrem Nachwuchs ginge, denn nachdem ich von Sunbardan zurück gekommen war, hatte ich ein anderes Zimmer. Das zweite Junge scheint nicht mehr geschlüpft zu sein, aber das erste gedeiht und wächst. Schade kann ich es nicht mehr sehen, aber das Zimmer ist bereits wieder besetzt.
Ich habe genügend Zeit, um am Morgen zu packen und meine Siebensachen in Koffer und Rucksack richtig zu verteilen, doch weil inzwischen ein Paket in die Schweiz unterwegs ist, ist das Gewichtsproblem weitgehend gelöst. Habe mir allerdings wieder Kauf-Verbot auferlegt.
Am Mittag rufe ich ein Uber und fahre zum Flughafen. Dabei komme ich am Big-Ben vorbei. Tatsächlich steht da eine Immitation inmitten einer Kreuzung. Leider habe ich ihn zu spät entdeckt und kann ihn nur noch aus dem Heckfenster des Taxis fotografieren.
Die Abwicklung auf dem Flughafen läuft reibungslos, der Sicherheitscheck ebenfalls. Ganz wichtig ist bei Indigo, dass man alle elektronischen Geräte und alle Kabel und jegliches Zubehör auf das Band hinauslegt. Inzwischen habe ich das auch im Griff und muss nicht mehr irgendwelche Kabel aus den Tiefen des Rucksacks klauben, nachdem der einmal durch den Scanner gelaufen ist und ein vergessenes Kabel entdeckt wurde. Auch die Glaskugel lege ich jetzt schon vorher raus. Immer beim Sicherheitscheck kommt sie mir wieder in den Sinn. Ich glaube nicht, dass sie ein weiteres Mal mit mir auf die Reise kommt. So oft habe ich sie tatsächlich nicht gebraucht.
Beim Souvenirshop stosse ich auf den ersten Weihnachtsmann dieses Jahres. Er steht gleich neben dem ersten Weihnachtsbaum, den ich dieses Jahr sehe. In Südameriko, wo ich oft um die Weihnachtszeit war, konnte ich jeweils Sammlungen von Weihnachtsbäumen anlegen, hier in Indien sind sie sehr rar.
Eigentlich würde ich jetzt noch gern einen Kaffee trinken, aber das einzige Restaurant mit bequemen Tischen ist die Bier-Bar. Auch gut, ein kühles Bier am Mittag ist ja nicht übertrieben. Allerdings haut mich das so um, dass ich nachhere am liebsten nur noch schlafen möchte. Wer hätte gedacht, dass ich das so schlecht ertrage.
Endlich, nach zwei langen Stunden im Flughafen, der übrigens erstaunlich ruhig ist, fängt das Boarding an. Es ist eine übersichtliche Abflughalle, es gibt kaum Durchsagen aus dem Lautsprecher, die Gates sind gut beschriftet, die Infotafeln überall. Und es gibt genügend Aufladestationen für Handys und Batterien.
Es ist nur ein gut einstündiger Flug und es geht noch einmal in den Norden. Ich konnte mich lange nicht entscheiden zwischen Darjeeling und Assam. Beides sind Teegebiete im Nordosten Indiens. Ich hatte aber die Temperaturen an beiden Orten etwas beobachtet und mich daraufhin für Assam entschieden. Darjeeling liegt relativ hoch und die Tagestemperaturen steigen selten über 10 Grad. Das war mir dann doch zu wenig mit meinen limitierten Kleidern für kältere Tage. In Assam wird es bis 25 Grad warm. Assam liegt ziemlich abgelegen. Auf dem Landweg gibt es nur eine schmale Landverbindung zu dem Bundesstaat, der eingeklemmt zwischen Butan, China und Bangladesch liegt. Ich hab ein wenig gegoogelt und weiss nun, dass er knapp doppelt so gross wie die Schweiz ist und 31 Millionen Einwohner hat.
Assam-Tee umfasst fast die Hälfte der indischen Teeproduktion. Er ist im deutschsprachigen Raum Hauptbestandteil des ostfriesischen Tees. Ich sollte also Teepflanzungen sehen können. Ausserdem soll es hier noch einmal ein kleines Zentrum für Seidenproduktion geben.
Ich bin also gespannt, was mich hier erwarten wird.
Grad als sich die Sonne hinter den Bergen im Hintergrund verabschiedet, lande ich in Guwahati, der grössten Stadt Assams. Die Dekorationen in der grossen Empfangshalle sind etwas fremd mit ihren Spitzhüten. Ich nehme an, dass es die Hüte der Teearbeiter sind. Was es mit den Majuli-Masken und Figuren auf sich hat, weiss ich noch nicht, mich erinnern sie an die Luzerner Fasnacht.
Ich versuche ein Uber zu rufen, als mich ein Mann anspricht. Taxi? Ja, gern. Ich zeige ihm das Angebot von Uber und er meint, er würde mich zum gleichen Preis fahren. Mir ist es recht, dann muss ich nicht erst auf das Auto warten. Er führt mich aus dem Flughafengelände und meint, es dauere nur 2 Minuten, dann sei er mit dem Wagen wieder hier. Es dauert dann aber bedeutend länger und je länger desto besser verstehe ich, warum er mich hier in einen etwas abgelegenen Ort geführt hat. Hier kommen keine anderen Taxis her, hier kann mich niemand sonst abwerben. Nicht dass ich mich fürchten würde, so abgelegen ist es denn doch nicht, es ist ein Imbiss nebenan, aber ich mag es nicht, wenn man mich nicht richtig informiert. Ich bin schon dabei, wieder ein Uber zu rufen, als er doch noch zurück kommt. Allerdings fährt er nicht selber, er hat nur vermittelt und sein Freund wird mich zum Hotel fahren. Bevor der Vermittler wieder aussteigt, versucht er, den Preis zu erhöhen: 150 Rupies für den Parkplatz. Da der Preis eh sehr günstig ist für die fast 25 km, willige ich ein und wir fahren los. Es geht durch die ganze Stadt, durch dichten Verkehr, durch den Markt und dann Hügelauf. Hill Top heisst das Hotel und es liegt etwas ausserhalb der Stadt.
Mein Fahrer spricht etwas englisch und er versucht zu ergründen, was ich morgen für Pläne habe. Das weiss ich noch nicht, wir tauschen daher erstmal WhatsApp-Nummern aus und ich bezahle ihm seinen Preis. Erhöhe, so wie ich das eigentlich von Anfang an vorgesehen hatte. Aber bevor ich mich von ihm verabschiede, mahne ich ihn: don't cheat me. Ich weiss, dass das mit dem Parkplatz ein Versuch war. Du warst gar nicht auf dem Flughafenparkplatz und ausserdem hat das mit mir gar nichts zu tun. Aber die Fahrt hierhin war jetzt sehr viel aufwändiger, als erwartet, daher ist das Extra-Trinkgeld angemessen. Wenn du mit mir einen fairen Preis machst, kannst du mich morgen gern wieder irgendwohin fahren.
Er versteht, meint, dass das vermeintliche Parkplatz-Extra die Vermittlung war, die er seinem Freund auszahlen musste und ausserdem sei das auch nicht etwa ein sehr guter Freund. Alles klar, morgen sehen wir weiter.
Ich bin angekommen und werde vom Hotelmanager begrüsst und in mein Zimmer gebracht. Es ist ganz oben im vierten Stock des verwinkelten Hauses.
Später bringt er mir mein Nachtessen aufs Zimmer und bald darauf bin ich eingeschlafen. Reisen macht müde, egal ob mit Zug, Bus oder einfach per Flugzeug. Es gibt immer stundenlange Wartezeiten.
Am Morgen sehe ich, dass ich an einem speziellen Ort gelandet bin. Es ist das Haus eines Teeplantagen-Besitzers. Leider ist er im Moment nicht hier, sondern kommt erst zurück, wenn ich bereits wieder weiter reise.
Es ist ein grosses Haus, etwas vernächlässigt, mit einem Garten, zwei Aufenthaltsräumen, In einem steht sogar ein Christbaum und über der Türe hängt ein Merry Christmas. Als ich später die Mutter des Besitzers kennen lerne, frage ich sie danach.
Wir feiern hier alle Feste, meint sie, wir sind multikulturell. Schenken uns sogar Geschenke zu Weihnachten, so wie auch verschiedene andere Religionen das Diwali-Festival mit uns feiern. Ausserdem sei sie als Kind in einer Missionsschule mit Nonnen gewesen und ihre Schwiegertochter sei Christin. Also offen für alles.
Während des Frühstücks meldet sich Rahul, mein Taxifahrer. Was hast du für Pläne heute. Noch keine, aber ich interessiere mich für Tee und für Seide, schreibe ich zurück. Any Ideas?
Ja, meint er,. die Teeplantage wäre in 35 km Entfernung, die Seidenproduktion in 40 km. In verschiedenen Richtungen.
Dann wähle ich erst einmal die Seidenfabrikation. Aber ich interessiere mich für die Produktion, brauche keinen weiteren Verkaufsshowroom, schreibe ich zurück und will den Fahr-Preis wissen. Dieser ist sehr günstig. Rahul holt mich um ein Uhr ab.
Ramesh, der Manager des Hotels, der mir inzwischen ebenfalls einen Ausflug vorschlagen möchte, ist ziemlich erstaunt, dass ich mich bereits organisiert habe. Er hätte mir auch einen Fahrer gehabt, der zwar kein Englisch versteht, aber überall hin fahre, wenn er vorher genaue Instruktionen bekommt. Da bin ich mit Rahul doch besser bedient.
Wir fahren los, und halten gleich wieder an. Denn ich will die Aussicht hinunter auf den Fluss festhalten. Es ist der Brahmaputra, der breite Strom, der auf 5700 Metern im Süden Tibets entspringt und dann durch ganz Assam fliesst. Später fliesst er durch Bangladesch und ergiesst sich zusammen mit dem Ganges im Sunbardan ins Meer.
Brahmaputra, schon der Name tönt wie ein Gedicht. Der Wasserstand scheint tief zu sein, jedenfalls gibt es verschiedene Sandbänke.
Wir fahren wie gestern Abend durch die Stadt und überqueren dann den Fluss über eine neuere Brücke. Die alte Eisenkonstruktion liegt daneben, auf ihr wird der Gegenverkehr geführt. Leider ist ein Blick hinunter auf den Fluss nicht möglich, weil dicke Eisengitter die Sicht versperren und der Fussgängersteg ist mit einem weiteren Zaun abgeteilt.
Auf der anderen Seite des Flusses kommen wir durch gelbe blühende Felder, die mich sofort an Raps denken lassen. Ob es hier Raps gibt? Aber die Pflanzen scheinen mir zu niedrig zu sein.
Was das für Pflanzen sind, will ich von Rahul wissen. Das ist wild, meint er lässig und glaubt, dass er mich damit befriedigt hat. Doch da hat er nicht mit meiner Neugier gerechnet. Das kann nicht wild sein, das ist doch eindeutig angesät. Schau dir das doch mal genauer an. Er gibt keine Antwort, hängt an seinem Handy und scheint mit verschiedenen Leuten zu telefonieren. Dabei glaube ich manchmal das Wort Switzerland zu hören, kann mich aber auch täuschen.
Und plötzlich hat er die Antwort: Es snd Senfpflanzen. Wunderbar, da hat jemand wirklich verstanden, dass ich es wissen will. Er hat sich bei seinen Freunden durchgefragt und die richtige Antwort bekommen. Ich weiss jetzt, dass ich den richtigen Fahrer für die nächsten Tage gefunden habe. Man muss nicht alles wissen, aber es ist gut, wenn man weiss, wo man sich erkundigen kann.
Wir kommen ins Dorf Sualkuchi, von dem ich inzwischen weiss, dass es das Zentrum der Assam-Seidenproduktion ist. Wir fahren durch das Dorf, vorbei an vielen Silkshops, doch wir scheinen etwas anderes zu suchen.
Ein Freund würde auf ihn warten, er müsse ihn nur noch finden, meint Rahul. Tatsächlich, kurz darauf steigt ein junger Mann zu und zeigt uns den Weg zu einer Seidenfabrik. Sie ist ziemlich ausserhalb des Dorfes, dort wo wahrscheinlich eher selten Touristen hinkommen. Ein Mann zeigt mir einen grossen Raum mit vielen Webstühlen, auf denen überall angefangene Seidenarbeiten aufgespannt sind. Warum arbeitet niemand, will ich wissen. Lunchtime, ist die Antwort, aber ich darf mich frei bewegen, darf fotografieren, was ich will. Nur eine junge Frau ist noch an ihrem Arbeitsplatz, geht aber kurz darauf auch hinaus. Die Arbeiter werden erst in einer Stunde zurück sein. Schade, hätte ich das gewusst, wären wir später gekommen.
Es ist wieder eine andere Webtechnik, mit speziell vielen eingewobenen Gold- und Silberfäden. Die Farben glänzen vor allem in rot und gelb.
Die typische Seide ist die Muga-Seide, erzählt mir der Mann, der mich inzwischen doch zurück in den Verkaufsraum geführt hat. Allerdings nicht, um mir etwas zu verkaufen, sondern tatsächlich nur, um mir die verschiedenen Seidenarten zu zeigen. Muga-Seide, ich habe noch nie davon gehört, aber es scheint sich um eine spezielle Raupenart zu handeln. Es entsteht eine Rohseide, die einen ganz besonderen gelb-goldenen Glanz hat, etwas robuster ist, als andere Seidenarten und ausserdem mit dem Waschen noch mehr Glanz und Weichheit bekommt. Ihr Preis ist fast doppelt so hoch, wie die anderen Seidenprodukte.
Das typische Kleid hier in Assam ist nicht der Sari, sondern der Mekhela Chador. Anhand eines Kalenderbildes zeigt mir der Chef der Fabrikation eines dieser wunderbaren Gewänder. Im Gegensatz zum Sari, der aus einem einzigen Stück Stoff und einer kurzen Bluse besteht, ist der Mekhela Chador zweiteilig. Zum einen ein Jupe, der Chador, der umgebunden wird und zum anderen aus einem Oberteil, Mekhela genannt, das aus einem langen Umhang besteht, der kunstvoll um den Oberkörper drappiert wird.
Im Showroom ist eine junge Frau dabei, sich den Stoff für ein neues Kleid auszusuchen und ich sehe ihr einen Moment lang zu, bevor wir uns verabschieden. Ich bin zwar voller neuer Informationen, aber doch nicht ganz zufrieden, denn gern hätte ich die Webstühle in Aktion gesehen.
Wir bringen den jungen Mann, dessen Name ich mir nicht merken konnte, zurück ins Dorf. Er wusste wo diese Fabrik liegt, denn er ist hier aufgewachsen, ansonsten aber war er nicht an einer Kommunikation interessiert. Vielleicht arbeiten seine Eltern an den Webstühlen.
Rahul möchte jetzt eigentlich zurück fahren, man könnte unterwegs noch einen Tempel besuchen, aber ich finde, diese Stunde müssten wir doch irgendwie überstehen und um vier Uhr noch einmal zur Fabrik zurück fahren.
Ich bin nicht ganz sicher, wie das Rahul gefällt, aber er macht mit, findet als Zwischenlösung das kleine Museum, das an der Strasse liegt. Es ist wirklich nur sehr klein, aber es zeigt das Leben und die Seidenproduktion noch einmal mit Puppen und Original-Holzwerkzeugen.
Das hätte ich gern in echt gesehen, das Aufspannen der Kettfäden. 30'000 seien es in der Breite, hatte mir der Mann in der Fabrik erzählt.
Der Beginn der Seidenproduktion vom Schmetterling über die Eier, die Raupe, die Puppe und die Seidenfäden, die direkt von der Puppe gesponnen werden.
Mit meinem Taxidriver Rahul
Wenn man wartet, geht die Zeit extra langsam vorbei, wir trinken noch einen Tee bei einem Imbiss. Wobei der Tee auch hier aus kleinen Bechern getrunken wird. Und immer ist er mit Milch, nie habe ich klaren Tee gesehen oder bekommen. Es ist auch hier so, dass unsere Vorstellungen nicht immer eingehalten werden. Tee sieht hier eigentlich immer wie Milchkaffee aus.
Endlich ist es vier Uhr, die Sonne steht schon ziemlich tief am Horizont, als mich Rahul fragt, ob ich zur Fabrik zurück wolle. Ich merke schon, er würde jetzt gern zurück ins Hotel fahren, aber ich will zurück zur Seidenproduktion.
Es hat sich gelohnt. Der Mann im Shop meint, ich dürfe gern noch einmal durch die Halle gehen, viele Arbeiterinnen seien jetzt zurück an ihren Arbeitsplätzen .
Dort werde ich von den meisten Frauen mit einem Lächeln begrüsst, einige winken mir, fragen woher ich sei. Und ich sehe jetzt wie die Fäden aufgewickelt werden, sehe die Seidenknäuel, wie sie angeliefert werden. Die meiste Seide käme aus China und Vietnam oder Thailand, hatte mir der Mann im Shop erklärt. Nur die Muga-Raupen werden hier in Assam gezüchtet.
Die Wollknäuel werden auf eine Spindel aufgespannt, und mit einer einfachen Maschine auf grosse Spulen umgewickelt. Diese sehen aufgereiht und nach Farben sortiert wunderschön im Gestell aus.
Die Spulen werden danach von den Weberinnen nach Bedarf mit den Konstruktionen die wohl aus Fahrrädern gebaut sind, auf kleine Spulen umgewickelt. Die kleinen Spulen werden ins Wasser gelegt, wahrscheinlich um sie geschmeidiger zu machen. Dann werden sie in die Weberschiffchen gelegt und bilden den Schussfaden, der auf den Webstühlen verwoben wird.
Es sieht ganz anders aus, wenn die Maschinen in Betrieb sind. Man hört das Klappern der Balken, das schlagen des Fadens an den Anschlag. Jeder Faden wird extra verarbeitet. Es ist Hand- und Beinarbeit und manchmal richtige Fingerfertigkeit, dann wenn einzelne Fäden von Hand eingezogen werden müssen. Ich darf ohne weiteres fotografieren, die Frauen fühlen sich nicht gestört. Manchmal überprüft eine, ob ich nicht vielleicht doch etwas zu nahe bin und eventuell von einem seitlichen Holzstück geschlagen werde. Doch sie lächeln nachsichtig und ich bin vorsichtig, damit ich sie nicht wirklich störe. Es geht tatsächlich Faden für Faden vorwärts.
Im ganzen Saal stehen wahrscheinlich gegen 70 Webstühle. Sie werden mehrheitlich von Frauen bedient, aber es gibt auch ein paar Männer an den Maschinen.
Manchmal zeigen sie mir das bereits fertige Muster, das für die Arbeit abgedeckt ist, zum Schutz vor Schmutz und Schweiss.
Immer wenn wieder ein oder zwei Zentimeter geschafft sind, muss der ganze Stoff neu aufgedreht, neu gespannt werden, damit die Arbeitsfläche immer am gleichen Ort liegt. Eine ungeheure Arbeit, ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das zu diesen Preisen überhaupt möglich ist - hab die konkreten Preise allerdings wieder vergessen, die der Mann mir im Shop gesagt hat, war auch nicht mein Hauptinteresse, denn eigentlich kann diese Arbeit überhaupt nicht bezahlt werden.
Als ich aus der Fabrik komme, ist es schon fast dunkel, und wir fahren zurück in die Stadt, zurück über den Fluss und durch den wieder dichten Verkehr. Denn es ist wieder die gleiche Zeit wie gestern. Rahul hatte wahrscheinlich schon recht, dass er vor einer Stunde zurück wollte. Doch er kämpft sich durch den Verkehr und bald sind wir wieder in der Höhe, fahren den Hügel hinauf. Noch einmal ein Fotostop, noch einmal ein Blick über den Brahmaputra by Nacht.
Nachtessen gibt es im Zimmer. Chickenstew mit Reis. War fein.
Aufbruch: | 01.06.2022 |
Dauer: | 8 Monate |
Heimkehr: | 30.01.2023 |
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