Reise durch Indien

Reisezeit: Juni 2022 - Januar 2023  |  von Beatrice Feldbauer

Im Zug nach Agra

Obwohl er mich grossartig gefragt hatte, wann ich den fahren wolle, am Morgen oder am Abend, hat Ahmed mir doch den frühen Zug gebucht. Der, der schon um 7.00 Uhr ab Delhi losfährt. Das heisst, ich sollte eine Stunde vorher dort sein, um sicher zu sein, dass ich meinen Platz finde. Was auch immer das heissen mag.

Dafür werde ich dann schon um halb zehn am Ziel in Agra sein.

Es ist noch dunkel, als mich das Taxi um halb sechs abholt. Das Taxi fährt mich zum Hauptbahnhof von Delhi, an dem schon einiges los ist.

Mein Taxifahrer hat mir kaum den Koffer aus dem Auto gehievt, da steht schon einer da, empfiehlt sich, den Koffer zum Bahnsteig zu tragen. Erst will ich abweisen, hab ja schliesslich Räder am Koffer, doch dann finde ich, dass ich dadurch wohl nicht lange abklären muss, wo mein Zug einfahren wird. Ich akzeptiere den etwas hohen Preis und der Mann packt meinen Koffer auf seinen Kopf, läuft mit grossen Schritten voraus. Läuft über den Perron, zur Rolltreppe, über die lange Überführung, vorbei an schlafenden Menschen, schlängelt sich durch entgegen kommende Träger und Passanten. Er hat ein ziemliches Tempo drauf und schaut sich nicht ein einziges Mal um. Ich muss mich schon sehr beeilen und darf den Koffer nicht aus den Augen verlieren, denn ich bleibe immer mal wieder bei entgegenkommenden Gruppen hängen.

Dann geht es hinunter auf Plattform 7, der Mann stellt meinen Koffer ab. Für den gleichen Betrag, wie ich fürs herbringen bezahlt habe, will er mir auch noch beim Einsteigen und einladen helfen, doch ich winke ab, das sollte ich selber hinbekommen

Erst als er bereits wieder weg ist, merke ich, dass ich meinen reservierten Sitzplatz nicht kenne. Es steht keine Nummer auf meinem Fahrschein. Ich sehe mich um und merke, dass ich mitten in einer Baustelle bin. Ein Betomischer steht da, Sand und Steine und Eisenstangen liegen auf dem Perron. Und dort zwischen zwei Stangen, hockt eine Frau am Boden. Ich brauche eine ganze Weile, um zu merken, was sie da macht. Erst als sie aufsteht und sich ihren Rock zurechtzieht, erkenne ich, dass sie jetzt grad ein kleines Geschäft erledigt hat. Ganz diskret.

Doch wo genau muss ich stehen, um meinen reservierten Platz zu bekommen. Und was ist meine Platznummer? Ich frage einen der Träger, der den Koffer von einem anderen Reisenden herbringt. Er schaut sich mein Ticket an, öffnet eine App und erklärt, dass ich hier genau richtig stehe. Der Wagen H1 wird genau hier anhalten. Platz 21. Ganz überzeugt bin ich noch nicht, das schien mir jetzt doch etwas zu zufällig zu sein.

Ich frage noch einen Bahnangestellter. Auch der öffnet seine App und bestätigt, dass ich hier genau richtig stehe. Kurz darauf fährt der Zug ein. Er ist extrem lang, aber der Wagen H1 bleibt tatsächlich diret vor mir stehen. Jetzt noch den Koffer über den steilen Einstieg hieven, dann habe ich es geschafft. Da kommt zum Glück der Bahnangestellte noch einmal vorbei und hilft mir. Alles ok, ich bin im ersten Abteil. Und wenn ich mir bei der 1. Klasse mit Klimaanlage irgend etwas spezielles vorgestellt habe, bin ich jetzt wieder auf dem Boden der Tatsachen angekommen. Ich habe eine Pritsche, keinen Sitz, ein Bahnangestellter bringt kurz darauf zwei saubere Leintücher vorbei, bezieht das Kissen neu, ich bin ausgerüstet, die Fahrt kann losgehen. Bevor wir losfahren kommt noch ein junger Mann, der die Pritsche über mir bezieht, dann fahren wir los. Da das Sitzen unter der oberen Pritsche etwas unbequem ist, lege ich mich tatsächlich hin und lese, während ich durch eine unbekannte Gegend fahre.

Und dann komme ich tatsächlich um halb zehn in Agra an. Die Frage, wie ich den Koffer aus dem Zug bekomme, klärt sich sofort, denn ich bin kaum von meiner Liege aufgestanden, da steht schon jemand in meinem Abteil, nimmt mir den Koffer aus der Hand und will wissen, in welchem Hotel ich untergebracht bin. Keine Zeit zum Überlegen, keine Zeit zum Verhandeln. Wobei er stellt sich dann draussen nicht als der Taxifahrer heraus, sondern er vermittelt Tuctucs. Und der Preis ist in Ordnung, also bin ich kurz darauf unterwegs zu meiner Unterkunft. Es ist ein Hostel, das in der Nähe zum Taj Mahal liegt, darum gibt es dahin keine Zufahrt für Taxis. Das hatte mir das Hostel noch gestern mitgeteilt, ich solle ab der Station ein Tuctuc nehmen. Der Fahrer weiss Bescheid, es dauert keine halbe Stunde, wir fahren durch alte Quartiere, über Schlaglochstrassen und stehen schon bald vor dem Hostel Joey's. Es ist eine einfache Unterkunft, gebucht habe ich sie, weil sie von der Terrasse einen dirketen Blick zum Taj Mahal verspricht. Ob das wohl stimmt?

Es stimmt. Und wie. Fast nimmt es mir den Schnauf, als ich da oben im Restaurant sitze. Vor mir, in 500 m Entfernung glänzt mein Kindheitstraum. Ich war noch klein, vielleicht 8 Jahre alt, als ich dieses Bauwerk zum ersten Mal sah. Und ich wusste augenblicklich, da möchte ich hin. Irgendwann möchte ich diesen Ort besuchen. Und das, obwohl Reisen in unserer Familie noch ein Fremdwort und Fernreisen schon gar nicht im Bereich der Möglichkeiten standen. Doch mir hatte sich das Bild eingebrannt und nie mehr losgelassen. Indien und Asien standen dann, als ich anfing zu reisen aber noch lange nicht auf der Liste der Möglichkeiten, das Taj Mahal blieb ein Traum. Andere 'Wunder dieser Erde' - so hiess das Buch, in dem ich das Bild zum ersten Mal gesehen hatte, hatte ich inzwischen gesehen.

Und jetzt, 60 Jahre später stehe ich hier. kann es kaum fassen. Muss einfach erst einmal tief durchatmen. Ziel erreicht. Was stört es da, dass das Zimmer sehr einfach ist, dass es wohl kaum warmes Wasser gibt, die Treppe hinauf eng und alles einmal eine richtige Bürste und Seitenwasser ertragen könnte. Doch wo war das in Indien eigentlich nicht so.

Wichtig ist jetzt nur, ich bin angekommen.

Viel später, als ich wieder hinunter auf die Strasse trete, fragt mich der Mann, der mir beim Aussteigen mit dem Koffer geholfen hatte, ob ich Lust hätte eine spezielle Produktion zu sehen.

Ich will erst wissen, wer er ist und Tejveer, der an der Rezeption arbeitet, meint: das ist Ali, er hat eine Agentur next door und hilft manchmal hier ein wenig. Nun denn, ich lasse mich darauf ein und bin schon wieder unterwegs. Es geht in eine Marmorfactory.

Zu spät habe ich gemerkt, worum es geht. Der sehr nette und kompetente Angestellte des Geschäftes erklärt mir erst die Produktion der aufwändigen Intarsien. Es ist die Arbeit, für die Agra bekannt ist und die auch am Taj Mahal an den Wänden angewendet wird. Natürlich ist auch hier wieder alles von Hand gemacht. Aufgrund einer Zeichnung schleift einer der beiden Arbeiter die farbigen Edelsteine auf die richtige Grösse - oder Winzigkit. Der zweite kratzt mit einer Ahle die Aussparungen heraus, so dass die Steine dann hinein passen und mit Leim befestigt werden können. Danach wird das Ganze geschliffen und poliert.

Im Laden dann führt er mir anhand eines wunderschönen Tisches vor, wie durchscheinend Marmor ist und wie unterschiedlich sich die verschiedenen Farben präsentieren. Es ist sehr eindrücklich und ich bin froh, dass ich diese Arbeit kennen lernen durfte. Doch beim Kaufen muss ich passen. Die Sachen sind extrem teuer, das ist zwar aufgrund der riesigen Arbeit völlig in Ordnung. Trotzdem muss ich mich wieder einmal erklären und mir ist bald klar, dass sich der ganze Besuch um den Verkauf handelte. Ali hätte sich wahrscheinlich eine kleine Provision verdient, hätte ich irgendwo eingeschlagen. Ein voller Koffer ist selbstverständlich kein Hinderungsgrund. Der Versand wäre gratis, versichert mir Mr. Kahn, der Verkäufer. Das Goberment käme den Handarbeitsbetrieben in dieser Beziehung entgegen, so dass sie Gratisversand anbieten könnten.

Ich sehe mich noch ein wenig im Laden um, winke auch bei den kleinen Elefanten ab, schliesslich habe ich vor nicht allzulanger Zeit eine ganze Elefantensammlung ins Brockenhaus gebracht. Ich werde jetzt nicht wieder anfangen, Dinge zu sammeln, und seien sie auch noch so schön.

Später sitze ich auf dem Balkon bei einem einfachen Nachtessen und sehe zu wie die letzten Sonnenstrahlen, dem Taj Mahal eine leicht orange Aura verleihen.

Danach erwarte ich, dass die Scheinwerfer eingeschalten werden, und das berühmteste Bauwerk der Welt anstrahlen mögen. Doch damit ist nichts. Das Taj Mahal wird nicht künstlich beleuchtet. Es ist eine Sehenswürdigkeit für den Tag, nachts steht es mausgrau da.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Es geht wieder los. Vier Monate ist es her, seit ich von meiner Südamerikareise zurück gekommen bin. Sieben Monate war ich unterwegs. Und jetzt stehe ich vor einem neuen Start. Mein Traum ist das Taj Mahal. Mein Ziel heisst Indien.
Details:
Aufbruch: 01.06.2022
Dauer: 8 Monate
Heimkehr: 30.01.2023
Reiseziele: Vereinigte Arabische Emirate
Indien
Indonesien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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