Reise durch Indien
Bummeln
Pläne habe ich heute keine, ausser dass ich meine Weiterreise planen sollte. Dafür frage ich an der Rezeption nach. Ich möchte morgen nach Bangalore, das sind gut 400 km in den Norden. Also die bisher längste Strecke meiner Reise.
Warum man mir auch hier nicht den Zug empfiehlt, kann ich nicht verstehen, aber der junge Mann meint, der Bus sei das Beste. Da würden etliche Nachtbusse fahren, die können ich online reservieren.
Nachdem ich also einen passenden gefunden habe, er fährt abends nach neun Uhr los und kommt morgends um sechs Uhr an, versuche ich, ihn zu reservieren.
Bis zur Zahlung klappt alles, aber da happert es. Meine Kreditkarte wird nicht angenommen. Auch nicht die zweite und auch mit der Debitkarte komme ich nicht weiter. Und jetzt? Dass eine Kreditkarte hier in Indien mal bei einem Hotel oder beim Geldautomaten nicht funktioniert, macht mich längst nicht mehr nervös, meistens funktioniert dann eine andere. Dafür habe ich ja verschiedene dabei. Gerade weil ich allein reise, ist es sehr wichtig, mehr als eine Option zu haben. Dass aber gar keine angenommen wird, ist schon eher speziell. Also meint der Mann von der Rezeption, ich könne ja auch direkt zur Busstation gehen und da direkt buchen. Er schreibt mir den Busbahnhof auf einen Zettel.
Gesagt, getan, ist mir eh am sympatischsten und Zeit habe ich auch. Dumm ist nur, dass ich bei einer falschen Station lande. Das sehe sogar ich, als ich aus dem Tucktuck aussteige, dass das nicht die Art der Busse ist, die ich suche. Hier fahren die lokalen Busse los. Die werden in jedem Dorf anhalten, das dauert dann Stunden. Ich laufe trotzdem einmal die ganzen kleinen Büros ab und stehe danach etwas ratlos herum, bis mich ein junger Mann anspricht. Wohin ich denn wolle. Als ich ihm mein Ziel nenne, weiss er sofort was zu tun ist. Er ist ein Tucktuckfahrer und weiss, welches der richtige Busbahnhof ist.
Also fahren wir noch einmal quer durch die Stadt in eine ganz andere Richtung und an der Busstation angekommen bringt er mich zum richtigen Büro. Dass er sich damit bei der Agentur einen kleinen Bonus verdient, weil er einen Kunden gebracht hat, ist mir sofort klar. Hab ihn am Schluss sogar danach gefragt und er hat es etwas verschämit zugegeben. Doch was solls, Geschäft ist Geschäft, es gibt mehrere Busse, die nach Bangalore fahren.
Jedenfalls werde ich bald einig, buche eine Schlafkoje und soll morgen Abend um neun Uhr hier sein, eine halbe Stunde später wird der Bus losfahren.
Und jetzt, wohin könnte ich noch gehen, was ansehen in Madurai? Das Gandhi-Museum könnte vielleicht einen Besuch wert sein. Mein Tucktuck fährt mir hin und da stehe ich dann vor dem schönen weissen Gebäude.
Doch leider ist es geschlossen. Der Wächter liegt zwischen den Säulen am Boden. Mittagspause. In einer Stunde wird er wieder öffnen.
Also setze auch ich mich irgendwo in den Schatten auf eine kleine Mauer. Zuvor aber besorge ich mir bei der Verkäuferin einen frischen Fruchtsalat. Ja, ich weiss, man sollte damit vorsichtig sein, doch die Früchte sind so sauber präsentiert, die Kartonteller sauber verpackt, die Zahnstocher in Ordnung. Wenn mich etwas so sehr anmacht, muss es ok sein. Die Frau streut noch etwas Gewürzsalz darüber und das Ganze schmeckt tatsächlich wunderbar.
Dann stromere ich ein wenig über das Gelände. Neben dem Museum scheint eine Schule zu sein, jedenfalls sehe ich überall Kinder in Uniformen. Kichernd verschwinden sie hinter Mauern, drücken sich irgendwo in den Schatten. Eine Ausländerin wurde wohl schon länger nicht mehr gesehen hier.
Ich entdecke ein Theatergebäude und eine grosse Arena. Hier könnte man grosse Schulaufführungen machen. Ob da Stühle aufgestellt würden, oder ob man sich eher direkt auf den Boden setzt? Es ist heiss geworden, auch ich suche Schatten. Und werde gleich wieder von tanzenden Schmetterlingen gelockt. Sie schaukeln in der heissen Sonne über trockene Gräser und vertrocknete Blumen. Eigentlich weiss ich es, bei dieser Hitze setzen sie sich kaum je lange genug hin, doch ich kann es nicht lassen, bleibe ihnen hinterher, folge ihrem Schaukeln, ihren Lockungen. Ich brauche immer lange, bis ich es einsehe, dass da nichts mehr wird daraus.
Und dann ist es endlich soweit, das Museum ist geöffnet, vor dem Eingang haben sich tatsächlich ein paar Leute angesammelt.
Es geht eine Treppe hinauf in den ersten Stock und da erwartet mich ein dunkler Saal. Die Leute sehen sich die Plakate und Schriften an der Wand mit der Taschenlampe an. Ich brauche einen staunenenden Moment und frage mich, was dieser spezielle Effekt soll, bis ich merke, dass wohl einfach der Strom ausgegangen ist.
Ein kurzer Überblick zeigt mir, dass es auch hier wieder vor allem um viele Fotos geht. Gandhi in der Jugend, Gandhi in London, wo er Jura studierte, Gandhi als junger Rechtsanwalt, in Südafrika und Gandhi auf seinem grossen Friedesnmarsch.
Es gäbe viel zu lesen, vieles in Hindi, einiges in Englisch und ich spüre wieder einmal, dass ich eben doch nicht viel mit Museums anfangen kann. Ich werde mir das Leben von Gandhi lieber noch einmal im Internet nachlesen,
Auf dem Rückweg ins Zentrum komme ich an einem Marktstand mit spanischen Nüssen vorbei. Es sind rohe Nüsse, ungeröstet. Ich merke, dass mir noch gar nie bewusst war, dass die Nüsse, wie wir sie kennen, bereits einen Röstungsprozess hinter sich haben, oder mindestens einen längeren Trocknungsprozess. Die Nüsse, die hier angeboten werden, sind noch frisch und weich und erinnern irgendwie an Erbsen. - Späteres Googeln bestätigt diese Ahnlichkeit. Eigentlich ist die Erdnuss eben keine Nuss, sondern eine Bohnenart. Peanut - Erbsnuss, der englische Name erinnert daran. Jedenfalls schmeckt sie frisch völlig anders und sehr ungewohnt.
Ich bummle noch ein wenig den Früchteständen entlang.
Irgendwo werde ich von einem älteren Mann angesprochen. Er ist ein Rischkafahrer und will mich unbedingt irgendwohin bringen. Doch ich habe Bedenken. Darf ich ihm das tatsächlich zumuten? Soll ich da tatsächlich einsteigen? Er besteht darauf, fragt, wohin ich will.
Einfach eine kurze Runde, versuche ich zu erklären und mache eine ausholende Bewegung mit der Hand. Ich steige in das wackelige Gefährt, fühlt sich gut an.
Doch schon als der Mann aufsteigt, tut er mir bereits wieder leid. Er braucht ziemlih viel Kraft, bis er sein Gefährt in Fahrt bringt. Tapfer tritt er in die Pedale und bleibt gleich wieder im Verkehr stecken. Und dann geht es doch wieder weiter. Der Mann ist so dünn, dass ich ihn echt bedaure, dass er sich auf mich eingelassen hat. Ich glaube, auch er kommt zu diesem Schluss, denn schon nach ein paar Minuten hält er an. "Da vorne der Tempel!" meint er. Ja, wunderbar, das ist doch ein perfektes Ziel, ich steige aus, gebe ihm seinen verlangten Preis. Vielleicht ist es das einzige Einkommen heute. Vielleicht auch nicht, wer weiss das schon.
Darf ich ihn fotografieren? Ja natürlich, er bringt sogar ein kleines Lächeln zustande. Und als ich ihm sein Bild zeige, ist er tatsächlich erfreut. Lächeln verschenken - meine Passion.
Ich bummle zum Tempel, der ist im Moment noch geschlossen, öffnet erst um vier Uhr wieder. Dafür treffe ich auf meinen Schneider, der sich sofort freut, mich zu sehen. Ob mir das neue Outfit gepasst habe will er wissen.
Aber selbstverständlich, und wie, ich habe es an meinem Geburtstag getragen. Ich zeige ihm mein Bild und er freut sich. Dazu setzen wir uns auf die Stufen vor einem Laden mit Handarbeiten. Und kommen damit ins Gespräch mit einem Verkäufer, der meinen Schneider natürlich ebenfalls kennt.
Tawseef heisst er und er will wissen, woher ich komme, was meine Pläne sind. Der normale Smalltalk halt, wie er sich ganz schnell entwickelt. Natürlich empfiehlt auch er sich, mir jederzeit zu helfen, wenn ich irgendwo Probleme hätte, auf meiner Reise. Vor allem wenn ich in sein Heimatland reisen würde, nach Kaschmir. Wieder einmal zeigt es sich, dass Leute von Kaschmir irgendwie anders sind. Bergvolk, ein Land, das auf den Fotos wie die Schweiz aussieht mit verschneiten Bergen, spiegelnden Seen. Es wird ein spannendes Gespräch, wir reden über vieles und irgendwann komme ich auf mein Problem mit dem Gepäck. Ich schleppe einfach zu viel Gepäck mit mir, sollte unbedingt ein paar Dinge loswerden. Doch ich weiss nicht, wie ich ds anstellen sollte.
Was willst du denn loswerden, will der Schneider wissen. Ein paar Kleider, T-Shirts und ein paar andere Sachen, Ich muss erst aussortieren. Es wird nichts wichtiges sein, aber vielleicht kann es doch noch jemand brauchen.
Und so ergibt es sich, dass ich meine überflüssigen Dinge, egal was, dem Schneider geben kann. Er wird sehen, was er davon brauchen kann. Er wird noch vor Einbruch der Dunkelheit bei meinem Hotel sein.
Also verabschieden wir uns, nachdem wir Nummern ausgetauscht haben. Tewseef fungiert auch als Empfänger für die Fotos vom Schneider, denn der hat kein Handy mit WhatsApp, hätte aber gern seine Fotos gehabt. Er will sie ausdrucken, seine Bilder mit dem Enkel und seiner Frau, die ich vor ein paar Tagen gemacht. habe.
Auf dem Rückweg treffe ich auf die drei Blumenbinder, deren Chef mir vor ein paar Jahren eine kleine rote Rose ins Haar gesteckt hat. Heute bekomme ich von ihnen eine gelbe, als ich genau wissen will, wie sie diese zwischen die Blätter stecken und damit ihre Blütenkränze machen.
Im Hotel mache ich mit hinter meinen Koffer. Da gibt es einiges, was ich noch nie gebraucht habe, oder worauf ich gut verzichten könnte. T-Shirts werden durch die neuen indischen Blusen ersetzt, diese sind viel leichter. Auch Hosen, ein Kleid, das ich einmal getragen und Kosmetika kann weg, ein paar Schuhe, ich trage ja eh nur Flipflops. Und dann ist da noch der Malkasten, den ich mir für allfällig kreative Schübe eingepackt hatte. Dazu gutes, schweres Papier. Auch das kann weg, die Kreativität ist bisher ausgeblieben. Ein Bleistift und mein Notizbuch muss dafür genügen. Und dann gibt es noch ein paar Zahnbürsten und Seifen, die ich in den Hotels manchmal eingepackt habe, Das passt perfekt für den kleinen Enkel. Am Schluss staune ich selber. Es sind fünf Kilos geworden, mein Koffer wiegt jetzt nur noch die vorgeschriebenen 15 Kilos. Ich könnte also fliegen, ohne dass ich mir die Regenjacke über den Arm legen und die warmen Kleider anziehen müsste.
Ich fühle mich extrem erleichtert, als ich dem Schneider, der punktlich um sechs Uhr mit einem Kollegen auf dem Motorrad vorfährt eine Tasche übergebe. Ob er alles brauchen kann, bezweifle ich, aber ein paar Sachen werden einen neuen Nutzer finden.
Am Abend gehe ich in die kleine Bar im Hotel. Ich hatte sie erst vor ein paar Tagen entdeckt. Hatte ein Glas Weisswein bestellt und dafür fast soviel bezahlt wie für das einfache Nachtessen. Die Flasche muss noch im Kühlschrank stehen, die hat bestimmt niemand mehr verlangt. Tatsächlich, Gnanam, der Barkeeper kennt mich. Natürlich steht meine Flasche noch irgendwo zwischen all den Bierflaschen im Kühler.
Getrunken wird hier in Indien tatsächlich nicht viel, betätigt er mir. In der Bar sitzen zwei Männer, einer trinkt einen Whisy, der andere hat eine Flasche Bier vor sich. Auf dem Bildschirm läuft ein stummes Autorennen, aus den Lautsprechern tönt etwas gedämpfte Musik.
Vielleicht kann ich in der Bar etwas kleines essen, das wäre bedeutend netter, als in dem leeren Hotelrestaurant, oder noch schlimmer im Hotelzimmer. Leider, meint er, gibt es nur die paar Snacks zu den Drinks, mehr kann ich dir nicht anbieten. Schade.
Wir haben Zeit zum schwatzen.
Er will wissen, was ich für Pläne habe, was ich mir in Indien ansehen möchte und ich erzähle von meinen Kindheitsträumen, zu denen das Taj Mahal und Machu Picchu gehörten. Mit Machu Picchu kann er nichts anfangen, das Bild, das ich ihm auf dem Handy zeige, hat er noch nie gesehen.
"Was sind denn deine Träume?" will ich wissen.
"Träume? Nein, Träume habe ich eigentlich nicht. Ich bin schon froh, wenn ich täglich eine Arbeit habe und meine Familie damit durchbringen kann".
Gnanam kommt aus einem Ort in der Nähe, etwa zwei Stunden mit dem Bus. Er hat eine Frau und zwei halbwüchsige Töchter, die in seinem Heimatort leben. Einmal in der Woche, an seinem freien Tag geht er sie besuchen.
Unter der Woche teilt er sich mit einem Freund ein kleines Zimmer hier ganz in der Nähe. Von seinem Lohn von knapp 300 Franken kann er sich und seine Familie ernähren, das Schulgeld für die Töchter bezahlen. Manchmal kommt noch etwas Trinkgeld dazu. Eigentlich ist er ganz zufrieden, wie sein Leben läuft. Jedenfalls seit vier Monaten, seit diese Bar wieder eröffnet wurde. Vorher hat er noch weiter weg gearbeitet, da konnte er seine Familie nur alle Monate einmal besuchen.
Bevor ich mich verabschiede, erzähle ich ihm, dass ich Blog schreibe, und dass ich wahrscheinlich sein Bild mit seiner Geschichte verwenden werde. Ist das in Ordnung so.
Selbstvrerständlich, meint er lächelnd, es ist schön, dass du dich für unser Leben interessierst. Er wünscht mir eine gute Reise, vielleicht sieht man sich wieder im Facebook. Jedenfalls sind wir dort jetzt befreundet.
Ich gehe ins Zimmer, bestelle eine Frühlingsrolle und Nudeln mit Chicken. Obwohl das nicht sehr ansprechend aussieht, esse ich es und gehe schlafen. Der Tag war gut, viele gute Gespräche, viele Begegnungen. Ich bin müde.
Aufbruch: | 01.06.2022 |
Dauer: | 8 Monate |
Heimkehr: | 30.01.2023 |
Indien
Indonesien