Neustart
Villa de Leyva
Ich hab wunderbar geschlafen. Am Morgen hole ich mir an der Rezeption den Gutschein fürs Frühstück ab. Leider ist das Restaurant im Hotel geschlossen. Wegen der Pandemie. Der Tourismus kommt erst langsam wieder in die Gänge. Aber ich kann wählen, ob ich lieber im traditionellen oder in einem moderneren Ort frühstücken will. Ich wähle für die ersten beiden Morgen das traditionelle Restaurant.
Auf dem Platz sind heute Lastwagen vorgefahren. Es ist etwas im Gange. Kabelstränge überall, eine nette Dame, die mir erklärt, dass ich im Moment nicht direkt über den Platz laufen darf, es wird ein Film gedreht.
Zwar würde sich die Kulisse perfekt für einen Western eignen und bestimmt sind hir schon etliche Couwboys durchgeritten, aber die beiden Autos, die sich gerade über die Steine quälen kommen aus einem anderen Genre.
Tatsächlich ist die beliebteste Telenovela des Landes zu Gast hier.
Pasion de gavilanes, eine Serie die bereits 13 Jahre auf Netflix läuft.
Ich gehe ein paar Häuser weiter, erst frühstücken. Es gibt verschiedene Frühstücksvarianten, ich wähle die traditionelle und bekomme eine Fleischsuppe. Etwas ungewöhnlich, aber das gibt bestimmt Energie für den Tag. Dazu ein Rührei, ich bin bereit, den Tag in Angriff zu nehmen.
Auf dem Platz hat man inzwischen die erste Szene aufgebaut. Noch wird die Hauptdarstellerin im roten Cabriolet mit einem grossen Sonnenschirm geschützt, doch dann fahren die beiden Autos hintereinander über den Platz. Anhalten, die junge Dame steigt aus. Fertig. Und das ganze nochmals von vorne. Mit den Autos zurück auf Anfang. Ein paar Statisten müssen ebenfalls zurück auf die Ausgangsposition, schlendern dann erneut über den Platz, während der Motor des roten Sportwagens aufheult.
Ich schaue eine Weile zu, nehme sogar meine eigene Version der Szene auf, doch bald wird mir zu langweilig. Ich werde aber versuchen, ein paar Sequenzen auf Youtube zu finden, um zu wissen, worum es sich bei der Serie überhaupt handelt.
Dann schlendere ich durch die Gassen rund um den Platz. Villa de Leyva ist ein koloniales Stadtchen, fein herausgeputzt und sich seines Charmes bewusst. Noch sind wenige Leute unterwegs, ich bin aber überzeugt, vor Covid war der Ort überlaufen. Es gibt sehr viele Restaurants, noch mehr Boutiquen und Touranbieter.
Die weissen Häuser mit ihren Balkonen sind fantastische Fotosujets und ich weiss gar nicht, wo ich anfangen und wo ich aufhören soll. Irgendwo sind Männer dabei, die Weihnachtsbeleuchtung an den Häusern anzubringen. An vielen Orten stehen Blumentöpfe vor den Häusern, an anderen gibt es einfache Bönke, wo ich mich hinsetzen und beobachten kann.
Ich lasse erstmal die Bilder für sich sprechen, jede Gasse, jede Strasse erstrahlt sauber und sehr gepflegt. Der einzige Schönheitsfehler sind die vielen Autos, die in den Gassen parkieren. Aber sie zeigen, dass der Ort lebt.
Man könnte verschiedene Ausflüge machen. Zum Thermalbad, zum Canoning, Reiten, zu einer Straussenfarm. Ich lasse es bleiben, will den Ort geniessen.
Als ich zurück komme zum Platz, ist die Filmcrew abgezogen, der Platz liegt an der prallen Sonne, es ist heiss und ich ziehe mich zu einer Siesta ins Hotel zurück.
Nubia hatte mir empfohlen, unbedingt das Casa de Barra, das Lehmhaus zu besuchen. Ein Haus aus einem einzigen Stück Terracota. Es liegt etwas ausserhalb des Ortes und ich mache mich auf den Weg. Bald habe ich die gepflasteten Strassen hinter mir und bin auf unbefestigtn Wegen unterwegs. Hier gibt es hinter dichten Zäunen und hohen Toren schöne Villen und Fincas. Und viele Blumen auf dem Weg für die Fotopausen.
Zum Glück gibt es auch immer wieder kurze Passagen mit Bäumen, denn es wird heiss und es ist sehr trocken hier. Irgendwo komme ich an einer modernen Kirche vorbei, doch das Tor dazu ist verschlossen. Und vielleicht ist es ja doch eine eigenwillige Villa.
Auch den Zugang zum Casa Terracota finde ich nicht auf Anhieb, doch als ich endlich vor dem Eingang stehe, ist es geschlossen. Öffnet erst wieder am Donnerstag. Doch dann bin ich voraussichtlich schon wieder auf dem Weg. Ich beschliesse, einen Tag länger zu bleiben.
Auf dem Rückweg komme ich an einem Vivero vorbei, einer Blumengärtnerei, die auch ein schönes Restaurant enthält. Genau der richtige Platz für eine Pause. Ich schlendere durch den Garten, bewundere die schönen Weihnachtssterne, die auch hier in Töpfen angeboten werden.
Ich bestele einen Fruchtsaft, den ich noch nicht kenne, noch nie gehört habe, und frage die Bedienung, wie denn die Frucht aussähe. Sie bringt mir eine, eine Fejioa. Und sie zeigt mir auch den Strauch mit den noch unreifen Früchten. Ausserdem bringt sie mir eine zum Essen ."Du kannst sie komplett essen, mit Schale". Die Frucht ist etwas säuerlich, hätte im Saft doch etwas mehr Zucker bestellen sollen und enthält winzige Kerne, die man beim reinbessen besser nicht zwischen die Zähne bekommt, denn sie sind steinhart.
Die Frau zeigt mir noch andere Früchte und ich sehe mich im ganzen Garten ein wenig um.
Auf dem Rückweg ins Dorf komme ich bei einer schönen Überbauung an einem Blumenbeet mit eigenartigen roten Blüten vorbei. Später habe ich herausgefunden, dass es sich um Kängurublumen handelt. Hab ich noch nie gehört und kann mir auch den Namen nicht wirklich erklären.
Auch die riesigen Hibiskus-Blüten muss ich wieder fotografieren. Ihre Farbe ist fantastisch und ausserdem sind sie riesig. Mindesten 10 cm im Durchmesser.
Als ich zurück zum Platz komme, wird grad das hohe Tor der Kirche geöffnet. Es war die ganze Zeit bisher verschlossen. Das gibt mir die Gelegenheit, einen Blick in das Innere zu werfen. Es ist eine schlichte Konstruktion mit einem goldbemalten Altarhintergrund.
Zum Nachtessen gehe ich in eines der Restaurants am Platz mit Blick zur Kirche. Ich bestelle eine feine Lasagne. Direkt vor mir kann ich ein älteres Paar beobachten, wie sie den Abfallkübel untersuchen. Die Frau fischt die Plastikflaschen und auch andere Plastikabfälle heraus, während der Mann sich gerade mit zwei grossen Kartons beschäftigt. Noch ist er dabei, die beiden Schachteln zu zerlegen damit sie in seine Schubkarre passen, während seine Frau mit ihrem grossen Plastik-Sack bereits den nächsten Abfallkübel auf dem Platz anpeilt.
Endlich ist auch der Mann soweit. Er stapelt den Karton in seine Schubkarre, legt darauf einen schwarzen Sack, in dem sich anscheinend schwerere Dinge befinden, dem Ton nach könnte es Glas oder Metall sein, und dann stösst er seinen Karren zum nächsten Abfallkübel. So geht getrenntes Recyclen. Wahrscheinlich verdienen sich die beiden einen kleinen Zuschuss zu ihrer Rente.
Bald nach Einbruhch der Nacht geht der Mond auf. Ich geniesse die letzten Momente des Tages wieder auf der Terrasse. Villa de Leyva ist ein Traum.
Aufbruch: | 20.06.2021 |
Dauer: | 7 Monate |
Heimkehr: | 29.01.2022 |
Kolumbien
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