Neustart
Eine saubere Stadt
Auf der Suche nach einer Cafeteria für mein Frühstück gehe ich heute in eine neue Richtung. Einfach immer geradeaus der Carrera 72 entlang. Irgendwann finde ich immer einen Kiosk oder eine Cafeteria mit frischem Gebäck und richtigem Cappuccino. Dieses Mal muss ich zwar etwas länger laufen, vielleicht bin ich aber auch etwas Anspruchsvoller. Am Schluss habe ich meinen Kaffee und eine Blätterteig-Käsestange.
Frisch gestärkt laufe ich einfach weiter. Ich komme durch einen kleinen Park wo wieder einmal zwei Männer dabei sein, Plastik zu sortieren. Ich habe Zeit und spreche sie an, will wissen, woher sie sind und was sie hier machen. Sie sind nicht wirklich offen, wer will schon gern Auskunft geben, dass er den Abfall der Stadt einsammelt und davon lebt. Es entsteht eine etwas holperige Konversation bei der ich erfahre, dass sie aus Venezuele sind und mit dem Abfall einsammeln ihr Leben bestreiten. Sie sortieren Plastik, Karton und Büchsen in verschiedene Säcke. Auch eine Batterie aus einer fortgeworfenen TV-Selbstbedienung wird herausgeholt. Die sortierten Säcke verkaufen sie einem Händler, der ihnen 1000 Pesos pro Kilo Plastik bezahlt. Das sind 25 Rappen.
Es braucht viel, bis man davon leben kann. Bevor ich weiter gehe, überlasse ich ihnen meine Münzen.
Beim Weitergehen fällt mir auf, dass in einer Strasse an allen Orten Müll sortiert wird. Es scheint, dass hier in der Nähe ein Altwarenhändler ist.
Bei einem grossen Müllberg sehe ich drei Frauen und versuche noch einmal ins Gespräch zu kommen. Auch hier ist es zuerst Zurückhaltung, aber dann erzählen sie mir, dass sie ganz in der Nähe wohnen. Sie sind einheimische Frauen mit Familien. Zweimal pro Woche ziehen sie morgens um vier Uhr los und sammeln Abfall. Aus Abfallsäcken, die vor den Häusern deponiert sind, vor Geschäften und in Abfalleimern. Sie bringen alles zusammen an diesen Sammelplatz, wo sie die Sachen sortieren. Was sie dafür bekommen, können sie mir nicht sagen - kommt auf das Gewicht an - aber es scheint, dass Karton sich am besten auszahlt.
Verkaufen können sie die Sachen an den Altstoffhändler auf der anderen Strassenseite.
Sie machen diese Arbeit erst seit der Pandemie, vorher konnten sie von dem Einkommen ihrer Männer leben und sich um ihre Familien kümmern.
Ich werde nachdenklich. Ja, Medellin ist eine sehr saubere Stadt. Nirgends liegt Abfall herum. Die Strassen und Parks sind alle sehr sauber. Doch diese Sauberkeit geht auf Kosten der schwächsten, der ärmsten Menschen in dieser Stadt. Sie sind es, die die Abfalleimer laufend leeren, die weggeworfenen Unrat einsammeln. Es macht mich traurig und bevor ich mich von ihnen verabschiede, hole ich ein paar Noten aus meinem Portemonaie. Viel ist es nicht, aber bestimmt eine kleine Aufmunterung. Jedenfalls darf ich sie jetzt fotografieren und vielleicht würden sie mir jetzt sogar doch etwas mehr Informationen geben. Doch jetzt kommt mir das irgendwie gekauft vor. Ich verabschiede mich und wünsche ihnen, dass sie heute noch mehr positive Überraschungen erleben.
Natürlich sind überall auch die staatlichen Strassenwischer unterwegs. Sie kümmern sich überall unentwegt um Laub und Strassenstaub.
Inzwischen gucke ich jetzt wo ich eigentlich hingeraten bin und entdecke, dass ich in der Nähe eines Cerros, eines Hügels bin. Es ist der Cerro el Volador, der Hügel des Fliegenden. Es sei einer der sieben Wächterhügel der Stadt. Wenn die Stadt sieben Hügel hat, ist es kein Wunder, dass ich immer wieder an einen stosse. Und auch wenn ich Mühe habe, aufwärts zu laufen, nehme ich die Stufen in Angriff. Natürlich nicht, ohne immer wieder stehen zu bleiben und wieder richtig zu Atem zu kommen. Irgendwo treffe ich auf drei Strassenarbeiter. Auch sie sind müde, haben sich auf den Stufen zu einem Nickerchen hingelegt. Einer grüsst mich freudnlich, als ich vorbei gehe.
Es ist ein sehr gepflegter Weg und immer wieder kann ich Vögel beobachten, höre sie in den Zweigen zwitschern. Vor der Kamera will keiner länger verbleiben. und für Aufnahmen in den Zweigen eignet sich meine Handy-Kamera trotz drei Linsen eben doch nicht. Aber immerhin geben mir die Vögel einen Grund, immer wieder stehen zu bleiben, mich auf die Stufen zu setzen und zuzuhören.
Weiter oben komme ich zu einem kleinen Blumenbeet, das von bunten Schmetterlingen umflattert wird. Hier kann ich endgültig verweilen und versuchen, die wunderbaren Geschöpfe mit der Kamera einzufangen.
Kurz darauf komme ich zu einem kleinen Beizlein, wo es frisch gepresstes Zuckerrohr gibt. Einfach himmlisch. Bei den Blumen kann ich einen Kolibri beobachten, doch auch da bin ich zuwenig schnell, um auch nur einen Hauch des flatternden Diamanten zu erhaschen. Egal, wichtig ist, dass ich ihn gesehen habe, wie er in der Luft stehend mit seinem langen Schnabel Nahrung aus einem Blütenkelch gesogen hat.
Der Wirt erklärt mir, dass ein steiler Pfad hinauf zum Gipel gehe, dass es aber einen relativ flachen Rundgang von einem Kilometer gäbe, bei dem man ebenfalls eine wunderbare Aussicht hätte. Ich entscheide mich für den Rundgang und breche frisch gestärkt auf.
Der Weg ist angenehm, steigt nur ganz minim und ich entdecke wieder neue Pflanzen. Jedenfalls habe ich diese grünen Kugelfrüchte, die wie aufgeblasene Ballone wirken, noch nie gesehen. Der Weg ist aufgeteilt in einen breiten Fahrradstreifen und einen bequemen Fussweg. Autos gibt es keine und auch sonst begegnet mir kaum jemand.
Auf halbem Weg gibt es einen Aussichtsplatz mit Bänken und kleinen Blumenrabatten. Ich lege mich auf ein niedriges Mäucherchen, das von der Strasse her nicht gesehen werden kann, sehe den Wolken zu, beobachte ein Flugzeug, das wohl auf dem nahen Flugplatz gestartet ist und träume in den Tag. Ein wenig dösen unter den schattigen Bäumen an diesem heissen Tag tut richtig gut. Meine Handtasche habe ich mir unter den Kopf gelegt
Nach dieser langen Pause gehe ich weiter, gemütlich, um keinen Schmetterling, keine exotische Blume und keinen Aussichtspunkt zu verpassen.
Und dann komme ich noch einmal zu einem Zugang zum höchsten Punkt des Hügels. Jetzt packe ich den Mut zusammen und nehme den Aufstieg unter die Füsse. Ich werde mit einem fantastischen Panorama belohnt. Es scheint, als ob der Cerro El Volador in der Mitte der Stadt läge. Er ist übrigens nur 130 m hoch, aber mir macht eben jeder Hügel bereits zu schaffen.
Über den Hügel kehre ich dann bald zurück zum Beizlein, wo ich unbedingt noch einmal einen Zuckerrohrsaft haben muss. Hier entdecke ich an einem kleinen Gebäude ein paar eiserne Schmetterlinge. Es scheint, dass man diese sehr gut pfegt hier und auch extra die richtigen Blumen anpflanzt. Überhaupt ist der ganze Hügel sehr schön gepflegt und die Wege und Treppen sind wohl erst kürzlich instand gestellt worden.
Zurück gehe ich entlang der Strasse, die Treppenstufen gehen mir jetzt zu sehr in die Knie. Unterwegs komme ich durch einen Eukalyptuswald.
Unten angekommen, halte ich ein Taxi an, für den Ruckweg bin ich zu müde. Wir fahren durch eine Strasse mit auffallend vielen schönen Restaurant. Ja, meint mein Taxifahrer, hier ist Nachts immer etwas los. Musik und Tanz und fein essen, hier ist jede Nacht Party. Er ist etwas erstaunt, als ich erkläre, dass ich nachts eigentlich kaum ausgehe. Aber er ist ja auch erst gut 20, da darf er noch die Nächte durchtanzen. Offen seien die Restaurants solange es Gäste habe, jedenfalls meistens bis Mitternacht. Allerdings muss er zugeben, dass es seit der Pandemie bedeutend ruhiger geworden ist.
Später kehre ich zum Nachtessen in dem kleinen italienischen Restaurant mit den Katzenbildern ein. Ich bestelle ein überbackenes Brot und danach Gnoggi Bolognese. Es schmeckt wieder wunderbar und ich bin glücklich, ein so feines Lokal inder Nähe zu wissen. Es sind nur fünf Minuten, bis ich danach zu Hause bin.
Die Besitzerin muss übrigens eine grosse Katzenfreundin sein. Ich entdecke in dem verwinkelten Restaurant noch mehr Katzenbilder, kann nur nicht alle fotografieren, weil Leute davor sitzen. Doch ich werde hier nicht zum letzten Mal eingekehrt sein.
Aufbruch: | 20.06.2021 |
Dauer: | 7 Monate |
Heimkehr: | 29.01.2022 |
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