Neustart
Nichtstun
Es ist ein trüber Tag, genau richtig, um endlich wieder ein wenig zu schreiben. Ausserdem bin ich von meiner Wanderung auf den Hügel von gestern noch ein wenig müde.
Also setze ich mich mit dem Laptop in das kleine Restaurant auf der anderen Strassenseite. Das W-LAN von meinem Appartement reicht bis hierher, ich brauche also nicht den Hotspot meines Handys zu benutzen. Sehr praktisch.
Ich bin noch nicht lange da, als es anfängt zu regnen. Was heisst da regnen, es schüttet, wie aus Kübeln, der Himmel hat alle Schleusen geöffnet. Durch das Gitter weht der Wind die Regentropfen und bevor ich und der Laptop komplett nass werden, verschiebe ich mich unter das Dach an die Wand. Neben mir das Fenster zur Küche, aus der es verführerisch riecht. Hier bin ich ungestört und der Regen draussen, kann mir nichts mehr anhaben. Übrigens sind die meisten Restaurants offen, Türen, sofern vorhanden, sind oft nur Gitter. Aus dem Lautsprecher ertönt Musik. Latino-Musik in gewohnter Lautstärke. Manchmal singt die Köchin voller Inbrunst mit. Es geht immer um Carino und Amor.
Draussen fahren Autos vorbei, die richtige Atmosphäre für die Beschreibung des Lebens in Medellin. Die Serviertochter kennt mich inzwischen, stellt die Zuckerdose nicht mehr zum Kaffee auf den Tisch. Manchmal laufen Leute vorbei, strecken ihre kleine Box hin, versuchen ein paar Peseten zu erbetteln. Das ist noch immer sehr schwierig. Auf der Strasse bin ich manchmal fast froh, habe ich eine Maske an, das gibt etwas Distanz. Hier im Restaurant, bei einem Kaffee oder einem Fruchtsaft sitzend, ist es schwieriger, nein zu sagen. Manchmal hole ich ein paar Münzen aus dem Hosensack, aber tatsächlich wehre ich meistens ab. Geht nicht, hab nichts.
Später verbringe ich den Tag mit Lesen. Hatte schon lange keine Zeit mehr dazu. Ab heute gehört der Tolino wieder in meine Handtasche. Die Lebensgeschichte von Beltracchi hab ich inzwischen ausgelesen. Sie war ein Vorschlag aus einer Umfrage im Facebook. Hat sich gelohnt, das Buch ist sehr spannend und zeitweise schlicht unglaublich, wie dieser Mensch gelebt und wie er alle Experten genarrt hat. Er muss ein Genie sein.
Das Buch von Jonny Fischer berührt mich. Ich habs in diesen beiden Tagen fast ausgelesen und brauche nächstens wieder Nachschub.
Ich werde öfters auf meinen Reader angesprochen. Serviertöchter fragen mich, was ich mit meinem Tablet mache und sind sehr überrascht, wenn ich sage, dass das mein Buch, meine Bibliothek sei. Lesen erregt Aufmerksamkeit. Und an diesen trüben Tagen ist es das beste, um in andere Welten abzutauchen.
Zum Nachtessen gehe ich ins Bisonte 1774, ein Grillrestaurant. Das muss einfach gut sein, nur schon wegen dem Namen.
Es ist tatsächlich sehr fein, das Fleisch zart, die Kartoffeln gut gewüzt, aber der Rotwein eiskalt. Am Nebentisch wird er mit Eiswürfeln getrunken. Tztztztz...
Dafür ist das Dessert wieder wunderbar. Eine dicke Scheibe Ananas, auf dem Grill gewendet mit einer Kugel Clace.
Das Restaurant ist nur ein paar Blocks von meiner Wohnung entfernt.
Auch am nächsten Tag bin ich wieder lesend unterwegs. Und entdecke auf der anderen Strassenseite, wo ich meinen Cappuccino trinke, vor der Kirche einen grossen Wagen. Es ist ein Leichenwagen. Aber was für einer. So elegant und gross. Verglast mit grossem Innenraum und einer Rückbank hinter den Vordersitzen.. In der Kirche wird die Abdankung gefeiert und später wird der Sarg von vier eleganten Trägern im blauen Anzug in den Wagen gehievt.
Bis es soweit ist, habe ich mich noch ein wenig mit dem Carchauffeur unterhalten. Er wird die Gesellschaft zum Friedhof fahren, wo die alte Mutter beigesetzt wird. Ältere Leute würden vorwiegend noch im Sarg in den kleinen Gebäuden beigesetzt, jüngere würden heute eher kremiert. Auch hier verändern sich die Gewohnheiten.
Vom Kochen habe ich mich übrigens inzwischen verabschiedet. Zwar war ich heute noch kurz in einem grossen Supermarkt einkaufen, aber es war mehr die Neugier - und der Regen - die mich hinein trieben. Joghurts und Wasser hätte ich auch in den kleinen Tiendas in der Nähe bekommen, aber ich wollte sehen, wie das Angebot in einem so grossen Lebensmittelgeschäft ist. Meine Erkenntnis. Es sieht aus wie bei uns, nur die Marken sind andere.
Dass ich nicht mehr kochen mag, hat mit dem Angebot an wirklich guten Restaurant in meiner Nähe zu tun und mit dem Umstand, dass meine Küche einfach zu schlecht ausgestattet ist. Beim Kochen der Spaghettis musste ich diese fast einzeln mit der Gabel aus dem Wasser fischen, weil ein Abtropfsieb fehlt. Ausserdem gibt es nur kaltes Wasser und ich müsste zum Abwaschen immer Wasser aufkochen. Nein, ich lasse es besser bleiben.
Vor dem Nachtessen, frage ich in einem dieser kleinen Kiosks nach dem typischen Apero. Was trinkt man hier?
Die Frage hat den Wirt etwas überfordert, natürlich macht er hier keine Cocktails, aber es scheint, dass er auch sonst ausser Bier kaum was Alkoholisches verkauft.
So komme ich zu einem Aguardiente. Soll ich das mit Zahnputzwasser übersetzen? Jedenfalls geschmacklos, Wasser eben, aber stark. Ich werde in Zukunft besser darauf achten, wo ich meinen Apero trinke. Die Kioske sind gut für den Frühstückskaffee, aber für den Apero gibt es bessere Orte.
Aufbruch: | 20.06.2021 |
Dauer: | 7 Monate |
Heimkehr: | 29.01.2022 |
Kolumbien
Argentinien