Neustart

Reisezeit: Juni 2021 - Januar 2022  |  von Beatrice Feldbauer

Letzte Tage BA

Es sind die letzten Tage in Buenos Aires, meine Reise geht zu Ende. Die Rückreise in die Schweiz habe ich vor einem Monat gebucht. Ich will Mitte Februar zu Hause sein, denn wir haben dann unser traditionelles Familientreffen. Zwar braucht es für die Schweiz im Moment keine Quarantäne mehr bei der Einreise, aber ich wollte sicher sein, dass es mit dem Zusammentreffen klappt, daher reise ich Ende Januar ab.

Und was mache ich hier in Buenos Aires noch? Eigentlich nichts mehr. Ausser ein paar Spaziergängen durch inzwischen vertraute Strassen. Noch einmal zur Florida-Strasse, denn ich muss jetzt tatsächlich noch meine Reserve-Dollars wechseln.

Ich brauche etwas Geld für den PCR-Test und meine Pesos gehen zur Neige. Zwar bin ich nicht ganz sicher, ob ich den Test überhaupt brauche. Für die Schweiz reicht mein Impfzertifikat. Auch für Spanien wird offiziell kein Test verlangt, aber trotzdem steht in den Unterlagen der Iberia, dass ich ein negatives Testresultat vorlegen muss und beim BAG heisst es, dass die Fluggesellschaft trotzdem noch einen Test verlangen kann.

Also gehe ich auf Nummer sicher.

Ich spreche einen der jungen Männer an, die in der Florida-Strasse ihr monotones "Cambio! cambio!" ausrufen und frage, wieviel er mir für meine 60 Dollars zahlen kann. Er rechnet kurz mit dem Taschenrechner. Es ist der doppelte offizielle Dollar-Betrag.

"Ok, deal".

"Komm mit", meint er und führt mich über die Strasse, zur Avenida 9 July und dort zu einem Blumenladen. Tatsächlich ist es genau der Blumenladen, bei dem ich vor ein paar Wochen an einem Sonntagmorgen meinen Kaffee getrunken habe. Ich muss in den kleinen Verschlag hinter den Blumen eintreten, wo mich ein Geldwechsler erwartet und mir meine Pesos auszahlt. Wusste ich es doch, dass die vielen Leute, die auf der Strasse Dollar wechseln wollen, gar nicht selber das Geld haben. Sie arbeiten alle für ein paar diskrete Geldwechsler in ihren versteckten Wechselstuben. Mein Vermittler wartet draussen, wird wohl seine Provision bekommen, sobald ich weg bin.

Danach fahre ich mit dem Taxi zum Flugplatz, der fast noch in der Stadt ist und bei dem man innert einer halben Stunde ankommt. Hier gibt es eine grosse Teststation und zu meiner grossen Überraschung komme ich gleich an die Reihe. Kein Anstehen, nur Online-Formular ausfüllen, bezahlen und gleich zum Test. Resultat kommt per Mail. Meine Nase kitzelt, meine Augen tränen.

Eine Stunde später bin ich zurück in der Stadt.

Ich lasse mich bei der bekanntensten Einkaufsgalerie absetzen. Die Galerias Pacifico ist ein quadratsicher Gebäudekomplex mit pompösen Eingängen an allen vier Seiten. In der Mitte befindet sich eine grosse Kuppel mit einem riesigen Fresko. Bilder wie in einer Kirche, aber die Galerie war von Anfang an als Einkaufstempel geplant. Im unteren Stockwerk gibt es einen Springbrunnen, darüber kommt die Gemäldekuppel und über dem ganzen gibt es eine Glaskuppel, und Glasdächer, die genügend Licht bis ins Untergeschoss einlassen.

Über 150 Geschäfte sollen sich hier unter dem gewaltigen Dach befinden. Es sind vor allem die grossen internationalen Marken und teure Kleiderboutiquen. Schmuck und Uhren, auch die Swatch hat einen eigenen Store. Ich schlendere ein wenig über die Galerien, bewundere die Recycling-Kleider, die von Schülern einer Modeschule hier ausgestellt werden. Sie erinnern mich an meine brasilianische Freundin Suelli, die in Zürich Kleider und Dekogegenstände aus Kaffeekapseln herstellt.

Ich war am allerersten Tag in Buenos Aires bereits in dieser Galerie. Sie war ein Stopp der City-Tour und ein Muss, sie zu besuchen. Damals stand da noch ein hoher Weihnachtsbaum in der Mall und ich hatte kaum die Musse, mich richtig umzusehen. Zu kurz war der Stopp.

Ich setze mich ins Cafe beim Springbrunnen im Parterre und geniesse einen letzten zuckersüssen Lemon Pie. Zusammen mit dem Cappuccino mit Schlagsahne füllt der mir den Magen so, dass ich heute nichts mehr zu essen brauche. Danach schlendere ich durch die Fussgängerpassage zurück in meine Unterkunft, wo ich mich etwas ausruhe und noch einmal versuche, mich mit dem Blog zu befassen.

Unerwartet bekomme ich dabei auch gleich schon das Resultat des PCR-Tests. Genau vier Stunden nachdem mir das Wattestäbchen in die Nase gesteckt wurde. Negativ.

Es gibt sie eben doch auch in BA, die Obdachlosen. Hier hat sich eine Gruppe junger Leute mit ihren Hunden niedergelassen...

Es gibt sie eben doch auch in BA, die Obdachlosen. Hier hat sich eine Gruppe junger Leute mit ihren Hunden niedergelassen...

auch das ist das Heim eines Menschen

auch das ist das Heim eines Menschen

ein letztes Mal die Casa Rosada

ein letztes Mal die Casa Rosada

Kurz vor Einbruch der Dunkelheit gehe ich zum allerletzten Mal nach San Telmo. Tango-Tänzer treffe ich heute keine an, sie seien am späteren Nachmittag hier gewesen, bevor sie von einem leichten Regen vertrieben wurden, erzählt mir Zarela, die auch heute wieder arbeitet. Von ihr wollte ich mich noch verabschieden. Und mich für ihre Freundschaft bedanken. Dank ihr bin ich am Silvester hergekommen, ohne ihre spezielle Aufforderung wäre ich wahrscheinlich früh schlafen gegangen.

Wir wechseln die Kontakt-Daten, wer weiss, vielleicht komme ich wieder einmal hierher und vielleicht arbeitet sie dann immer noch hier. Ausserdem machen wir noch ein paar Fotos. Ich trinke ein letztes Glas Weisswein und höre dem Musikant zu, der mit seinem Bandoneon meine Stimmung genau auffängt. Das Bandoneon ist ein sehr typisches Musikinstrument, das zum Tango gehört. Ursprünglich eine deutsche Handorgel hat sie sich zu einem eigenen Musikinstrument entwickelt. Der ältere Mann, der für die paar verbliebenen Gäste spielt, spielt eine Mischung von Traurigkeit, Melancholie aber auch Fröhlichkeit. Genau so wie ich mich fühle. Abschied und Aufbruch.

Als er sein Instrument einpackt, gehe auch ich zurück in mein Zimmer.

Am nächsten Tag bleibe ich im Zimmer, gehe nur zum Frühstück ins Fotomuseum und befasse mich im übrigen mit meinem Koffer. Und ausserdem versuche ich, noch einmal zu verstehen, was für Formulare ich alles brauche, um am Abend einzuchecken.

Früh genug fahre ich zum Flugplatz und stelle mich in die lange Schlange zum Einchecken. Es braucht verschiedene Formulare, die am Flughafen online per Handy ausgefüllt werden müssen.

Da ist einerseits die Ausreise von Argentinien mit Gesundheitsfragen, dann das gleiche für die Einreise in Spanien. Hier muss auch noch das Zertifikat eingescannt werden. Am Schluss bekomme ich von beiden Orten ein Mail mit einemk QR-Code, den ich beim Check-in vorzeigen muss. Und dann kommt noch das Einreiseformular für die Schweiz. Hier wird die Sitznummer im Flugzeug gefragt, weshalb ich es nicht vorgängig machen konnte. Nach dem PCR-Test wird gefragt, zeigen muss ich ihn nicht. Im Gegensatz zum Zertifikat, das ich mehrmals vorzeigen muss.

Einen Vorteil haben diese ganzen Prozeduren: Ich lerne sehr viel über mein Handy und das korrekte Ablegen der verschiedenen Formulare, so dass ich sie bei Bedarf auch wieder finde.

Beim Scannen des Handgepäcks muss ich wieder einmal meine Kristallkugel hervorholen. Immer wieder sorgt sie für Irritationen. Ich muss den Rucksack öffnen und die Angestellten am Scanner wollen wissen, was dieses Glasding ist und wozu ich es brauche. Also ergibt sich noch eine spontane Kugelfoto der Kontrollhalle.

Und dann warte ich am Gate, beginne ein neues Buch, das ich mir gestern noch gekauft habe. Bis Zürich werde ich es ausgelesen haben.

ein spannendes Buch von einer afrikanischen Autorin über zwei Frauen in Südafrika

ein spannendes Buch von einer afrikanischen Autorin über zwei Frauen in Südafrika

Flughafen Madrid

Flughafen Madrid

Es ist soweit, der Wind hat gedreht, es geht heimwärts.

Es ist soweit, der Wind hat gedreht, es geht heimwärts.

Auf dem langen Flug von Argentinien nach Spanien sinniere ich über die letzten sieben Monate. Sieben Monate, manchmal schienen sie lang, jetzt scheinen sie wie im Flug vergangen zu sein.

Wenn ich durch die Fotos stöbere staune ich selber, was ich alles erlebt habe, was ich alles gesehen habe. Es gab viele Begegnungen, ich habe wunderbare Leute kennengelernt, neue Freundschaften geschlossen. Mit einigen werde auch ich in Zukunft noch per Facebook verbunden bleiben, andere bleiben auf Fotos und im Gedächtnis haften.

Ich hatte keine genauen Vorstellungen von meiner Reise, als ich im Juni abgereist bin. Die ersten beiden Monate in Lima und Iquitos waren noch berechenbar, da wusste ich, was mich erwartete, doch ab dem Moment wo ich ins Schnellboot nach Yurimaguas eingestiegen bin, betrat ich Neuland. Eigentlich wollte ich nach Chile oder nach Argentien, beides Länder, wo ich 2008 schon einmal gereist bin. Doch diese beiden Länder waren zu der Zeit, als meine drei Monate in Peru abgelaufen waren noch immer abgeschirmt und geschlossen. Kolumbien stand tatsächlich nie in meinem Fokus. Ich hatte mich noch nie mit dem Land befasst, hatte die Vorurteile, die wohl die meisten Leute haben wegen den Drogen und der hohen Kriminalität. Kolumbien war die Überraschung. In jeder Beziehung. Die schönen Städte wie Villa Leyva, Popayan, Salento mit dem Cocona-Tal und den hohen Palmen - unvergesslich.

Es ging mir immer gut, ich bin überrascht, dass ich tatsächlich keinen wirklichen Tiefpunkt erlebt habe. Zwar war ich sieben Monate allein unterwegs, richtige tiefe Gespräche gab es wenige, aber viele sehr freundschaftliche Begegnungen mit Einheimischen. Mit anderen Touristen hatte ich kaum Kontakt. Es waren auch kaum welche unterwegs. Als Alleinreisende ältere Frau war ich vielleicht eher eine Exotin, aber es fühlte sich immer ganz normal an.

Natürlich war ich manchmal einsam, aber nie verlassen. Das ist vor allem meinen treuen Lesern zu verdanken. Egal ob per Whatsapp, per Facebook oder Blog, ich fühlte mich immer getragen. Spürte die täglichen kleinen Begegnungen wenn der eine oder die andere meinen Status angesehen, eine Bemerkung, ein Like geschenkt hat. Dafür bin ich all meinen Freundinnen und Freunden sehr dankbar. Dank Euch kann ich so unbeschwert unterwegs sein. Es gab intensive, wenn auch virtuelle Begegnungen, einige fühlten alle Abenteuer mit mir, andere fühlen sich bestärkt und motiviert, selber eine Reise zu unternehme, selber wieder unterwegs zu sein. Andere schwelgten in eigenen Erinnerungen an Reisen nach Südamerika. All diese Rückmeldungen haben mir sehr geholfen, wenn es manchmal etwas einsam wurde.

Meinen Blog mache ich allerdings nicht nur für all die Leser, er ist später auch für mich sehr wertvoll noch zu wissen, wie ich mich genau gefühlt habe, was ich gesehen und wie ich es verstanden habe. Denn auch ich kann mir nicht alles merken, auch wenn ich es selber gesehen habe.

Zürich Flughafen - Gepäckabholung

Zürich Flughafen - Gepäckabholung

Punktlich um 18.15 Uhr komme ich in Zürich Kloten an. Erwartet werde ich von meinem Bruder und seiner Partnerin. Ich bin zu Hause, bin angekommen. Fühle mich geborgen, aufgehoben.

HEIMAT ist da wo man zu Hause ist und wo jemand auf einem wartet.

Ergänzend zu diesem Blog gibt es auf meiner eigenen Bison-Seite ein paar Videos zu allen wichtigen Orten.
www.bison.ch

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Immer wenn der Mensch seine Zukunft plant, fällt das Schicksal im Hintergrund lachend vom Stuhl. Dieser Satz hat mich durch das Corona-Jahr begleitet. Eigentlich war mein Abflug nach Südamerika am 3. April 2020 gebucht. Doch dann kam alles anders.
Details:
Aufbruch: 20.06.2021
Dauer: 7 Monate
Heimkehr: 29.01.2022
Reiseziele: Peru
Kolumbien
Argentinien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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