Neustart
Fortaleza Real Felipe
Nachdem ich die frühen Morgenstunden mit Schreiben verbracht habe, bleibe ich am Vormittag im Bett. Dann erkunde ich meine Wohnung. Sie ist schnell gesehen. Es gibt eine kleine offene Küche mit einer Bar und drei Barhockern, ein spartanisches Wohnzimmer, das Schlafzimmer mit dem breiten bequemen Bett und die kleine Dusche/WC. Es ist alles vorhanden. Zwei Herdplatten, Backofen, Kühlschrank/Gefrierfach. Für Heisswasser muss ich 30 Minuten die Sicherung einschalten - und nachher auch wieder ausschalten, um den Strom zu sparen.
Es gibt einen Staubsauger, Putzzeug und sogar ein Bügelbrett mit Bügeleisen. Der Waschsalon befindet sich unten im Gebäude. Dort wo auch der kleine Supermarkt ist. Ich war gestern noch kurz dort, aber er ist eher ein Kiosk und führt fast nur Süssigkeiten und jede Menge Chips und Salzsnacks. Ausserdem Getränke und Kosmetika.
Am Mittag wartet Juan Manuel unten mit dem Taxi. Wir wollen zum Mittagessen gehen und ausserdem will er mir die Spitze der kleinen Halbinsel von Callao zeigen.
Callao ist eine eigene Stadt, gehört aber zur Grossaglomeration Lima, die sich in verschiedene Stadtteile aufteilt. Meine Unterkunft gehört noch zu Lima, grenzt aber an Callao. Ich wusste schon beim Buchen der Wohnung, dass sie nicht in einer bevorzugten Gegend liegt, aber mich reizte die Lage direkt am Meer.
Wir fahren durch schmutzige Strssen mit halb zerfallenen Häusern. "Dieser Teil der Stadt ist gefährlich, du solltest dich hier nicht zu Fuss aufhalten", meint Juan. "Hier kommt kaum je die Polizei hin. Da treiben sich Banden und Verbrecher um."
Auch wenn ich nicht so schnell Angst habe, so sehe ich tatsächlich keinen Grund, hier zu Fuss unterwegs zu sein. Es sind Häuser, die nie fertig gestellt wurden oder Häuser, die bereits wieder eingefallen sind.
Juan schaut mich kritisch an, als ich ihm erzähle, dass ich gestern Abend noch eine kleine Runde um den Block gemacht habe. "No paso nada, nichts passiert!" beruhige ich ihn, aber ich weiss, dass ich mit nächtlichen Ausflügen eh vorsichtig sein muss.
Bald kommen wir aber wieder in eine bessere Gegend. Wir sind auf der Halbinsel La Punta und Juan fährt vor einem kleinen einfachen Lokal vor. Er war selber noch nicht oft in der Gegend, das Lokal kennt er, weil ihn ein Gast einmal hierher eingeladen hat.
Er empfiehlt mir Hueveras Fritas und weil ich nicht weiss, was ich mir darunter vorstellen soll, bringt die Kellnerin eine kleine Kostprobe. Es schmeckt zwar fein, sieht irgendwie aus wie ein Rührei, das in Klümpchen frittiert wurde, aber ich bestelle dann doch ein Ceviche. Es schmeckt wunderbar, mit Mais und einer Kartoffel und einer Scheibe Süsskartoffel. Ceviche wird aus rohem Fisch gemacht. Es wird mit Zitronensaft gegart, der Fisch bleibt roh und doch gekocht. Eigentlich mariniert, aber man besteht darauf, dass der Fisch 'gekocht' ist.
Interessant ist, wie die Serviertochter uns bedient. Schon beim Eingang hat sie mit einem kleinen Gerät am Handgelenk (kontaktlos) die Temperatur gemessen, uns danach die Hände kurz desinfiziert und auf den Tisch stellte sie ein Glas mit heissem Wasser in dem das Besteck stand. Das Tablett mit den Getränken stellte sie mit den Gläsern und einem Flaschenöffner auf den Tisch. Und auch die beiden Teller brachte sie auf dem Tablett, vor uns hinstellen mussten wir es selber. Man ist hier tatsächlich sehr vorsichtig und der Umgang kommt mir schon sehr eigenartig vor. Wir sitzen im kleinen Gastraum, aber die Fenster und Türen sind natürlich alle offen.
Danach machen wir einen kleien Spaziergang zur Spitze der Halbinsel. Auf der Mauer hocken zwei Fischer. Einer hat soeben einen Fisch gefangen und ich frage ihn, ob ich ihn fotografieren darf. Ja, meint er, aber er hätte da noch einen grösseren Fisch, ich soll diesen fotografieren. Aus seinem Rucksack holt er darauf einen eigenartigen Fisch heraus, den er mir entgegenstreckt. Das gäbe ein feines Ceviche.
Wir gehen weiter, kommen an ein paar Restaurants vorbei, die allesamt viel schöner sind, als das, in dem wir gerade gegessen haben. Das zeigt mir wieder einmal, dass Juan eigentlich gar keine Ahnung hat, wie es hier aussieht. Er ist zwar oft in der Gegend mit dem Taxi unterwegs, war aber kaum je am Ufer spazieren. Und von Restaurants hat er überhaupt keine Ahnung. Das kenne ich von vielen Orten, wo es für Einheimische aus einer bestimmten Schicht nicht üblich ist, auswärts zu essen, es sei denn, sie sind eingeladen.
Auch Juan steht immer am Rande des Abgrunds. Zwar fährt er ein grosses Auto, doch das ist gemietet und seinen Anzug hatte er zwischenzeitlich, als wegen dem Ausbleiben der Touristen keine Arbeit als Flughafentaxi mehr da war, verkauft. Er war eine Weile ganz ohne Einkünfte und ist zeitweise Lastwagen gefahren. Doch jetzt normalisiert sich die Lage langsam, er trägt wieder einen anständigen Anzug und fährt mit seinem Taxi Touristen und Geschäftsleute von der Stadt zum Flughafen oder zurück.
Wir kommen zum Hauptplatz, mit dem kleinen Pavillion in der Mitte. Dort üben zwei Leute Musik. Der junge Mann spielt Gitarre, das Mädchen singt. Mir scheint, dass der Mann dem Mädchen Stunden gibt. Vielleicht gibt es zur Zeit keine Möglichkeit, das irgendwo in einem Raum zu machen.
Rund um den Platz sind die wichtigen Gebäude des Ortes: zwei Kirchen, die Feuerwehr, ein kleines Spital.
Wir treten in eine der beiden Kirchen. Sofot kommt eine Nonne auf uns zu, misst unsere Temperatur und bespritzt unserer Hände mit Desinfektionsmittel. Ausserdem sollen wir den Plexiglasschild aufsetzen, den mir Juan besorgt hat. Die zwei Nonnen sind damit beschäftigt, die Bänke zu blockieren, so dass sich nur noch zwei Personen pro Bank hinsetzen können.
Wir schlendern weiter und kommen zum Fortaleza Real Felipe, der Festung König Felipe. Sie wurde um 1640 gebaut und sollte den Hafen von Callao, vor Piraten schützen. Darum sind alle Kanonen auf den dicken Mauern Richtung Meer gerichtet. Callao war der wichtigste Hafen der spanischen Eroberer. Hierher wurde all das Gold gebracht, das man den Inkas in den Bergen um Cusco gestohlen hatte. Von hier wurde es verschifft, doch vor dem Hafen lagerten Piraten und vieles von den gestohlenen Schätzen wurde hier gleich wieder verloren.
Auch heute noch ist hier der Stützpunkt der peruanischen Kriegsmarine. Es gibt einige Kasernen und viele offizielle Gebäude die der Marine gehören. Und vor uns auf dem Meer liegen die grossen Kriegsschiffe bereit. An der Hafenmauer können wir aus der Ferne sogar eine U-Boot entdecken.
Hier sind aber auch viele private Jachten und die Fischerboote zu Hause. Ausserdem ist nebenan ein grosser Containerhafen.
Doch wir besuchen nicht den Hafen, sondern die Festung. Bei der Kasse werden wir angewiesen, wieder unsere Schilder anzuziehen, doch da wir die einzigen Besucher sind, nehmen wir sie bald wieder ab.
Es gibt zwei Türme zu besichtigen: den Turm der Königen und den Turm des Königs. Früher war die ganze Festung von Wasser mit Krokodilen umgeben, heute ist der Burggraben trocken.
Wir treten in den ersten Turm. Es gibt hier kleine Zellen und ich komme ins Grübeln, ob das wohl ein Quarantäneraum gewesen wäre. Es waren Gefängniszellen. Einige sind geräumig, andere sind unglaublich grausam. Juan liest im virtuellen Plan nach. In den schmalen Gängen, die schneckenformig ins Innere führen, waren mehrere Gefangene untergebracht. Am Ende des engen Ganges gibt es ein kleines Fenster, durch das Essen gereicht wurde. Unheimlich und fürchterlich muss es gewesen sein, fast glaube ich, die Schreie der Menschen noch zu hören. An den Wänden hängen an einigen Stellen Lampen, da waren früher vielleicht Fackeln angebracht. Doch an anderen Stellen ist es dunkel und wir brauchen unsere Handy-Lampen. Wie muss das früher gewesen sein?
Das ganze ist wie ein Labyrinth, Es gehen Treppen hinauf und hinunter, dunkle Gänge, die der runden Form des Turms folgen und leicht ansteigen. Wenn man sich nicht auskennt, könnte man sich in den dunkeln Gängen, oft stehen wir vor einer Mauer bei der es nicht mehr weiter geht. Zum Glück sind die Tore offen und es fällt irgendwo wieder Licht ins Inner und wir finden den Weg wieder hinaus an die Luft.
Wir haben nicht die ganze Festung erkundet, aber ich habe genug gesehen. Juan allerdings ist fasziniert vom Ort. Er war als Kind einmal da, seither hat er es nur immer wieder seinen Passagieren empfohlen, war aber nie mehr hier.
Die Festung schliesst um 17.00 Uhr, darum müssen wir die Besichtigung abbrechen ohne das wir die Räume gesehen haben, wo früher das Gold gelagert wurde.
Ich habe noch einen Wunsch. Ich brauche eine Telefonkarte für Peru, damit ich uneingeschränkten Internetzugang habe. Wir fahren zu einem grossen Centro comercial. Hier gibt es einen Verkaufsstand von Claro. Wir tragen wieder unsere Schutzschilder und ich merke, dass damit nicht nur meine Sicht eingeschränkt ist, auch das Hören hat sich enorm verschlechtert. Hinter all den Masken - viele Leute tragen sogar zwei übereinander - und dem Schutzschild wird die Sprache undeutlich und da ich eh noch etwa Mühe mit dem Spanisch habe, wird es noch schwieriger.
Zum Glück hilft mir Juan beim Kauf und jetzt bin ich bestens gerüstet, damit die Verbindung zur Welt nie ausgeht.
Nachdem mich Juan bei Einbruch der Dunkelheit nach Hause gebracht hat, bin ich so müde, dass ich schon um acht ins Bett gehe - und gleich einschlafe. Die Reise fordert ihren Tribut.
Aufbruch: | 20.06.2021 |
Dauer: | 7 Monate |
Heimkehr: | 29.01.2022 |
Kolumbien
Argentinien