Neustart

Reisezeit: Juni 2021 - Januar 2022  |  von Beatrice Feldbauer

Lodge

Sie kam völlig unerwartet am Sonntag-Abend. Keylas Einladung, zusammen zur Lodge zu fahren. Immerhin war sie selber vor 8 Monaten im Dezember 2020 das letzte Mal dort. Die letzten Gäste waren ich mit Eveline und Peter im Januar 2020. Als wir den Ort damals verliessen, hatten wir keine Ahnung, dass es so lange dauern würde, bis wieder jemand herkommen würde. Denn unmittelbar darauf kam die Pandemie und die Ausgangssperre über Peru. Es war lange Zeit undenkbar, hinzufahren, ganz abgesehen davon, dass die Fahrt aufwändig und ziemlich teuer ist, jedenfalls wenn keine Einnahmen mehr da sind.

"Nimm deine Badehose mit, wir fahren an den Strand", schrieb Keyla noch. Am Montag müsse sie noch ein paar Dinge koordinieren, aber am Dienstag-Morgen gehe es los.

Auf der Karte kann man sehen, wohin die Reise diesmal geht. Es gibt von Iquitos eine einzige Strsse, die aus der Stadt fährt, nämlich nach Nauta. Der Ort gilt als der alteste Ort am Amazonas in Peru und liegt ziemlich genau 100 km von Iquitos entfernt am Rio Maranon. Kurz nach Nauta treffen sich die beiden Flüsse Maranon und Ucayali und bilden den Amazonas, der von diesem Punkt an diesen Namen trägt. Flussaufwärts am Ucayali kommt man zum kleinen Rio Yarapa und an diesem Fluss liegt die Lodge.

Ich werde also am Dienstag von Lucas abgeholt. Er war schon früher unser Fahrer, wenn wir nach Nauta fuhren. Auf der Strasse zwischen Iquitos und Nauta fahren Taxis. Wenn es gut geht, macht so ein Taxi 6 Fahrten, an schlechten Tagen sind es nur 4. Und manchmal kann ein Taxifahrer am Abend nicht mehr nach Hause fahren, dann übernachtet er im Auto. Die Taxis stehen an bestimmten Sammelplätzen, in Iquitos und in Nauta wo sie auf genügend Mitfahrer warten, oder auf jemanden, der den Fahrpreis für vier Personen übernimmt und dadurch eine Privatfahrt hat.

Wir haben auch eine Privatfahrt, aber wir füllen das Auto. Neuerdings fährt Lucas einen 6-Plätzer, also hat Keyla dafür gesorgt, dass wir 5 Passagiere sind. Zusätzlich fährt Gina, eine Nachbarin mit, um zu kochen, denn Terese kann nach einer Nervenkrankheit, die sie vor ein paar Jahren erlitten hat, eine Hand noch immer nicht richtig brauchen.

Alles Gepäck wird auf das Autodach geschnallt und die Fahrt kann losgehen. Ein Taxi gilt übrigens als öffentliches Verkehrsmittel, darum müssen wir Masken tragen. Auch wenn man das durch die abgedunkelten Fenster von aussen nicht gut sieht, bei einer Polizeikontrolle gäbe es eine Busse. Lucas hat eh schon eine Busse eingefangen. Bei einer Kontrolle hatte er keine Autoapotheke dabei. 120 Soles hat ihn das gekostet.

Wir fahren mit 80 - 100 kmh und Lucas weicht geschickt allen Löchern auf der Strecke aus. Es sind viele und sie sind meistens recht tief, jedenfalls tief genug, um die Stossdämpfer des Autos zu killen. Lucas fährt virtuos auf beiden Strassenseiten. Er kennt die Strecke auswendig. Wenn ein Taxi entgegen kommt, wird gewunken und die Lichter blinken auf. Manchmal ist auch die halbe Strasse mit Erde überschüttet, die bei einem starken Regenfall auf die Strasse geflossen ist, auch dann muss Lucas ausweichen. In der Nähe von Iquitos sind noch immer viele Mototaxis unterwegs, später treffen wir nur noch einzelne Lastwagen und Busse.

90 Minuten dauert die Fahrt bis wir Nauta erreichen. Wir fahren zum Paradero, zum Treffpunkt der Taxis, den die Autos dürfen nicht bis ganz zum Fluss fahren. Für den Rest nehmen wir uns drei Mototaxis. Alles wird umgeladen und wir fahren zum Fluss.

Dort herrscht wie üblich ein Riesenchaos. Der Fluss ist tief, so tief hab ich ihn noch nie gesehen. Das Ufer wie gewohnt von Abfall übersät. Lange steile Holztreppen ohne Geländer führen hinunter zum Wasser wo unzählige Boote liegen. Ein Frachtschiff hat angelegt und bringt eine riesige Ladung Bananen. Diese werden ausgeladen. Drei Träger bringen die Bananen an Land. Jeweils zwei Bund aufs mal. Über das Brett beim Schiff bis ans Ufer, dann das steile Ufer hinauf und oben werden die Bananen aufgeschichtet. 25 Kilos wiegt so ein Bund.

Während wir auf unser Boot warten, versuche ich mich im whatsApp und im Facebook abzumelden, denn ab jetzt gibt es kein Internet mehr. Auch Telefonanschluss ist keiner mehr vorhanden. Und das Netz ist auch in Nauta so schlecht, dass ich keine Bilder mehr aufladen kann. Nun, dann muss es eben ohne Abmeldung gehen, ist ja nur bis morgen.

Teresa kauft unterdessen noch ein paar frische Lebensmittel ein. Pedro, der junge Schiffsführer hilft, alles aufs Boot zu laden, dann geht es los. Wir fahren den Maranon hinunter und sehen bald die Sandbank, die den halben Fluss einnimmt. Diesen Strand steuert unser Boot an und verscheucht dabei eine ganze Kolonie Kormorane.

Bald darauf sind wir im Wasser, Allen voran Teresa, die eine unglaublich gute Laune ausstrahlt und Gina, ihre Nachbarin, die keine Badehosa hat, gleich mit ins Wasser nimmt. Später bauen sie den Picknicktisch und den Sonnenschirm auf und fangen an zu kochen.

Pablo holt seine Gitarre aus dem Boot, spielt und singt und Teresa tanzt. Es dauert keine zehn Minuten und wir haben die beste Strandparty, die man sich vorstellen kann. Das Wasser ist badewannenwarm, der Sand heiss. Man kann ein paar Züge schwimmen, sogar gegen den Strom, aber die Strömung ist ziemlich stark, wenn man zu weit hinaus geht. Gefährlich ist es nicht, und im schlimmsten Fall könnte Pedro mit dem Boot hinterherfahren, wenn einem die Strömung mitnehmen würde.

Jedenfalls geniessen wir die ausgelassene Stimmung bis Teresa uns zum Essen ruft. Die Schweizer Fahne hat Keyla mitgenommen, ich glaube die muss bei ihr einfach immer dabei sein, wenn ich da bin. Früher hingen ein paar in der Lodge.

Der fünfjährige Diego mit seiner Mama Keyla

Der fünfjährige Diego mit seiner Mama Keyla

Teresa

Teresa

Es gibt Poulet vom Grill mit Reis und Yucca und dazu ein frischer Salat aus Gurken, Tomaten, Brocolo und Avocados. Frisch gerüstet und mit Zitronensaft und Salz engerichtet.

Und dann überrascht Keyla wieder einmal mit einem ihrer Einfälle. Sie geht zum Boot und holt tatsächlich eine Flasche Rotwein und richtige Weingläser. öffnet die Flasche gekonnt und lässt mich versuchen. "Ein, zwei Grad zu kalt", stelle ich fest, denn der Wein ist tatsächlich gekühlt, aber das ergibt sich innert Kürze.

Wir stossen an, geniessen das Essen und kühlen uns noch einmal ab, dann packen wir alles zusammen, die Fahrt geht weiter. Weiter bis zum Zusammenfluss mit dem Ucayali, da wo der Amazonas beginnt. Auf der Fahrt auf fussaufwärts kommen wir an dem Ort vorbei, wo ich vor gut 12 Jahren meine Lodge gebaut hatte. Inzwischen ist das ganze Terrain weggeschwemmt, man kann nichts mehr erkennen. So wie übrigens auch das kleine Dorf Castilla, das genau beim Zusammenfluss stand. Es ist komplett verschwunden. Kein einziges Haus steht noch da. Wenn noch Leute hier wohnen, haben sie ihre Häuser weit weg vom Ufer gebaut.

Bald erreichen wir den kleinen Nebenfluss Yarapa. Das Wasser ist sehr tief, Pedro muss aufpassen, dass er nirgens auf Äste aufläuft, die am Ufer liegen und manchmal weit ins Wasser reichen.

Am Ufer erkenne ich manchmal grosse Vögel, die das Wasser überwachen. Cara-Cara sind es, eine Art Adler. Auch einen Eisvogel kann ich erkennen, der über das Wasser gleitet und einen Silberreiher.

Bald erreichen wir die Lodge. Hier kann man gut erkennen, wie tief das Wasser ist. Denn bei unserem letzten Besuch vor 18 Monaten mussten wir höchstens drei Meter bis zum Ufer gehen, jetzt sind es bestimmt 10 Meter. Aber das war eben Januar und damit in der Regenzeit, wo die Flüsse hier steigen.

Es ist ein eigenartiges Gefühl, die Lodge wieder zu sehen. Die Konstruktion steht noch, sieht aber sehr mitgenommen aus. Alle Netze an den Fenstern sind angerissen, bieten keinen Schutz mehr. Pablo geht voraus, will zuerst alle Bodenbretter überprüfen. Die meisten halten noch, einzelne sind etwas vermodert. Die Küche ist leer, Ein Tisch steht noch da, ein paar Reste von Möbeln.

Alle Pfannen und Töpfe sind weg. Auch Geschirr ist keines mehr vorhanden. Die Säcke mit der Bettwäsche, den Handtüchern. Alles weg. In den beiden Bungalows sind noch die Bettgestelle und die Matratzen, aber ich möchte auf diesen nicht schlafen, mag sie nicht einmal richtig ansehen. Darum habe ich mir ja am Montag noch einmal eine neue Hängematte mit Moskitonetz gekauft. Meine Ausrüstung von Pebas habe ich zum Teil dort bei der Familie gelassen, zum Teil Liborio überlassen.

Im Comedor steht die verwaiste Sitzgruppe, die Kissen sind weg, das Büchergestellt liegt am Boden. Nur ein einziges Buch von meiner grossen Dschungelbibliothek hat überlebt. Doch so wie es aussieht, würde ich die anderen Bücher gar nicht mehr sehen wollen. 18 Monate hier in diesem Klima greift alles an. Papier hat da keinen Bestand. Das gilt im übrigen auch für die Textilien. Vorhänge, Kissen, Bettwäsche, Matratzen. Nach all der Zeit ist das alles eh nicht mehr wirklich brauchbar.

Dass die sanitären Instllationen noch da sind, erstaunt mich. Die scheint man hier nicht zu brauchen. Natürlich ist der Wassertank leer, wir holen Wasser vom Fluss für die WC-Spülung. Besser als gar nichts. Trinkwasser zum Kochen und Trinken haben wir mitgebracht.

Draussen hat inzwischen die Natur das Szepter übernommen. Alles was Teresa noch angepflanzt hat, ist gewachsen. Die Bananenstauden haben Früchte getragen, die Papaias produzieren grad neue, das Zuckerrohr steht zwei Meter hoch und auch die Yucca ist bereit zur Ernte.

Pablo hat seinen Rasenmäher, mitgebracht und fängt bereits an, den Vorplatz zu trimmen. Alles Unkraut muss gemäht werden. Dina und Teresa machen sich daran, die Böden zu wischen und ich versuche, meine Gedanken zu ordnen. Viel unternehmen wir alle nicht mehr,

Ich hänge meine Hängematte in den Comedor und bei Einbruch der Dunkelheit ziehen wir uns alle irgendwo zurück.

Es war ein Tag voller Emotionen. Voller unbändiger Freude und voller Traurigkeit.

Überreste der Liegestühle, die ich im Gefängnis von Iquitos machen liess.

Überreste der Liegestühle, die ich im Gefängnis von Iquitos machen liess.

Die Dächer haben sich erstaunlich gehalten.

Die Dächer haben sich erstaunlich gehalten.

meine blaue Wolke...

meine blaue Wolke...

Ich habe wieder ein paar Videos mit den Eindrücken der Fahrt und den verschiedenen Verkehrsmitteln in meine HP gestellt.

www.bison.ch / Peru-Videos

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Immer wenn der Mensch seine Zukunft plant, fällt das Schicksal im Hintergrund lachend vom Stuhl. Dieser Satz hat mich durch das Corona-Jahr begleitet. Eigentlich war mein Abflug nach Südamerika am 3. April 2020 gebucht. Doch dann kam alles anders.
Details:
Aufbruch: 20.06.2021
Dauer: 7 Monate
Heimkehr: 29.01.2022
Reiseziele: Peru
Kolumbien
Argentinien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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