Neustart
Buchladen
Nachdem ich gestern die Bilder dieses wunderschönen Buchladens ins Facebook gestellt hatte, machte mich eine Freundin darauf aufmerksam, dass in Buenos Aires der schönste Buchladen der Welt sei. Natürlich will ich mir den heute ansehen. Also mache ich mich am Mittag auf den Weg. Knapp 10 km meint mein Handy. Bin nicht sicher, ob ich das alles zu Fuss machen will, aber ich werde ja unterwegs bestimmt das eine oder andere Fotosujet finden, für das es sich lohnt anzuhalten.
Ganz in der Nähe ist das skurile Denkmal von Don Quijote. Ich weiss gar nicht, von welcher Seite ich es am besten betrachten soll, es liegt von allen Seiten quer in der Luft, wie der Held da mit sienem Pferd Rosinante versucht, aus dem Stein zu steigen. Die beiden kämpfen erfolglos dagegen, fast wie gegen die Windmühlen. Etwas weiter weg ist das grosse Portrait von Eva Peron. Es wurde für ihre Verdienste um die Rechte der Frauen in Argentinien am Gebäude des Ministeriums für soziale Entwicklung und Gesundheit angebracht und überblickt die Hauptverkehrsader, die Avenida des 9. Juli. Diese gilt mit ihren 140 m Breite noch immer als breiteste Strasse der Welt. In ihrer MItte steht der Obelisk. Dieser ist heute mein erstes Ziel, denn ich habe gelesen, dass im Inneren 206 Stufen bis hinauf führen. Natürlich will ich da hinauf steigen.
Doch leider finde ich keinen Eingang, resp. die Türe, die an seinem Sockel angebracht ist, ist unscheinbar und sieht überhaupt nicht nach einem Eingangstor aus. Ausserdem führt ein Gitterzaun rundum. Also nichts gewesen. Ob da die Pandemie schuld daran ist, dass der Obelisk nicht zugänglich ist?
Ich gehe weiter, vorbei am Teatro Colon, dem wichtigsten Teater der Stadt, wo ich so gern eine Aufführung besucht hätte, doch das Teater hat den Betrieb noch nicht aufgenommen.
Im Park sehe ich wieder einmal eine dieser provisorischen Behausungen, da wohnen Menschen unter ein paar Schirmen und Plastikplanen. Es scheint dass hier eine ganze Familie lebt. Die grösste Armut neben dem Prunk des Teatro Colon.
Das gehört zu Buenos Aires, genauso wie das nächste Gebäude, das für mich das Sinnbild für das Nebeneinander von alt und neu dieser Stadt bedeutet. Der moderne Glaspalast mit dem alten verschnörkelten Turm mit Kuppel, die miteinander verschmolzen scheinen.
Ich gehe weiter, komme jetzt durch schmalere Strassen mit kleinen Geschäften rechts und links. Ja, die Stadt besteht nebst den grossen Verkaufsgalerien an den Prachtstrassen und in der Fussgängerzone aus unzähligen kleinen Geschäften. Ein Rolladen, der abends heruntergezogen wird und das Geschäft, das sich dahinter verbirgt komplett abdeckt. Es gibt Haushaltwarengeschäfte, Brillenläden, Maxikioske, Lebensmittelläden mit und ohne frische Früchte. Und überall sind die Angebote (Offertas) auf Tafeln vor dem Geschäft angeschrieben. Kleine Cafes stellen ihre Tische und Stühle auf den Gehsteig, Es gibt die Lotterieannahmestelle, Wäschereien, Take-Away-Imbisse. Doch auch hier fällt mir auf, dass viele Läden geschlossen sind. Auch hier: Buenos Aires läuft auf Sparflamme. Viele Häuser haben ein se vende-Plakat an der Fassade, bei anderen kann man Ladenlokale oder ganze Stockwerke mieten.
Ich gehe weiter, komme in Parks, wo riesige Bäume mit gelben Blüten blühen, gehe über gelbe Blütenteppiche, und manchmal steht da eine Kirche. Manchmal ist sie diskret in die Häuserreihe eingebaut, manchmal steht da eine gewaltige Kirche, wie die Iglesia del Salvador, die leider geschlossen ist. Also muss ich weiterlaufen. Bänke gibt es nur in Parks und den letzten habe ich ohne Pause durchlaufen, weil es grad so angenehm war, unter den hohen Bäumen zu spazieren. Inzwischen ist es aber wieder ziemlich heiss geworden.
Und dann stehe ich plötzlich vor diesem riesigen Gebäude, das so gar nicht zu irgend einem Baustil passen will, den ich bis jetzt hier gesehn haben. Schon die Farbe und die Kombination der Steine ist sehr eigenartig. Es ist breit, und wirkt schwer. Und doch habe ich das Gefühl, das Haus wäre eben mit einem Raumschiff gelandet. Irgend jemand hat es hier in diesen grossen umzäunten Garten gestellt. Rote und beige Steine sind harmonisch zusammengefügt, bilden mit ihren Brüstungen, den steinernen Balustraden, den Balkonen und dem gewaltigen Eingangstor eine harmonische Einheit.
Ein Blick auf mein Handy sagt mir, dass ich vor dem Museum für Wasser und Hygiene stehe. Es ist geschlossen, auch der Zaun rundum ist abgeschlossen, ich gehe weiter.
Bald darauf habe ich meine Strasse gefunden und stehe vor dem El Ateneo. Auch das ein eindrückliches Gebäude. Aber eines wie es in dieser Stadt unzählige gibt. Mit Figuren, die wie Atlas in der griechischen Sage das Gewicht der Brüstungen tragen, mit klienen Balkonen und Erkern.
Ich trete ein und stehe in einem Theater. Tatsächlich ist dieser Bücherladen in einem alten Theater untergebracht. Die Wände zwischen Entree und Zuschauerraum sind entfernt worden, es ist alles offen, gibt den Blick in den riesigen Zuschauerraum frei. Auf die Emporen, die rundum laufen, auf den Bühnenvorhang, hinter dem sich die Cafeterie befindet. Es ist eine unglaubliche Atmosphäre und sie nimmt mir kurz den Atem. Tatsächlich ist das die allerschönste Buchhandlung, die ich je gewehen habe.
Staunend gehe ich durch die Gestelle, steige hinauf auf die Empore, in die Logen, lasse den Blick hinunter schweifen bis ins Untergechoss, wo Kinderbücher und Musik angeboten werden.
Ganz andächtig werde ich, als ich die verschiedenen Buchtitel betrachte. So viele Bücher und ich kenne kaum etwas davon. Da braucht man nur einmal in einer anderen Sprache zu stöbern und schon kennt man sich nicht mehr aus. Natürlich gibt es ein paar internationale Autoren, aber das spanische Sprachgebiet ist so riesig, die füllen die ganzen Gestelle mit ihren eigenen Autoren. Neben der Belletristik gibt es auch viele Sachgebiete. Nichts wird ausgelassen, von Lebenshilfe, Kochen, Mathematik über Ratgeber in allen Lebenslagen, Naturkundebücher, Bildbände, Fotobücher aus der ganzen Welt.
Mit meinem obligaten Cappuccino und einer Lemon Pie verziehe ich mich ins Restaurant und lasse die Athmosphäre auf mich einwirken. Wer weiss, wann ich das nächste mal auf so einer Bühne sitzen werde.
Bücherläden sind übrigens die einzigen Orte, wo ich tatsächlich richtig Kauflust bekomme. Hier allerdings hindert mich die Sprache, denn so gut ist mein Spansich doch nicht, als dass ich Bücher lesen könnte. Aber es erinnert mich, dass ich mich um meine eigene E-Book-Bibliothek wieder einmal kümmern sollte.
Für den Rückweg nehme ich eine etwas andere Route und komme am Parlamentsgebäude vorbei. Und auf dem Weg kreuze ich einen Hundepark. Jedenfalls nenne ich ihn in Gedanken so, denn er ist mit einem Gitter umzäunt und es sind mehr Hundebesitzer mit ihren Vierbeinern unterwegs als anderswo. Ausserdem gibt es sogar einen Hundetrainingsplatz wo grad eine Gruppe mit einer Hundetrainerin übt, über Hindernisse zu laufen.
Hunde gibt es sowieso sehr viele in der Stadt. Die meisten sind an der Leine, wenige scheinen ohne Besitzer unterwegs zu sein. Manchmal begegne ich Leuten, die mehr als einen Hund ausführen. Weil das meistens völlig verschiedene Rassen sind, vermute ich, dass es sich um Hundesitter handelt. Leute, die gegen Geld mit den Hunden Gassi gehen. Manchmal muss man aufpassen, dass man nicht in die Hinterlassenschaft von Hunden tritt, aber meistens werden die Sachen mit einem Plastiksack aufgenommen. Überhaupt ist auch diese Stadt wieder sehr sauber, auch wenn hier nicht wie in anderen Städten, zum Beispiel Lima oder Medellin dauernd Strassenwischer unterwegs sind. Aber es gibt genügend Abfalleimer und grosse Container. Und ich begegne dem Abfallwagen immer wieder auf meinen Spaziergängen durch die Stadt.
Zwar ist es jetzt nicht mehr so weit bis nach Hause, aber am Ende des Parkes vor dem Parlamentsgebäude nehme ich ein Taxi. Schliesslich will ich noch etwas ausruhen, bevor ich heute in den Ausgang gehe.
In meiner Strasse habe ich schon bei meinem ersten Aufenthalt ein Tangolokal entdeckt. Das Querandi gehört zu den alten traditionellen Lokalen und die Kellner haben mich schon öfters eingeladen, den Abend hier zu verbringen.
Tangoshow mit Nachtessen. Alles inklusive. Natürlich will ich das erleben. Da es so nahe ist, brauche ich nicht einmal einen Transport.
Das Nachtessen fängt ab 20.00 Uhr an, als ich kurz vorher eintreffe bin ich tatsächlich der einzige Gast. Es werden noch ein paar dazu kommen, verspricht mir der Kellner, der auf der Strasse versucht, Passanten für die Show zu gewinnen.
Er behält recht, am Schluss sind wir 8 Personen. Ein texanisches Paar und drei Brasilianer kommen zum Nachtessen und kurz vor Beginn der Show kommen noch zwei Argentinier dazu.
Dessert: Vigilante, ein traditionelles Dessert aus Quittenpaste, Süsskartoffeln und Frischkäse. (Vigilante = Wachsam)
Und die Show wird tatsächlich durchgezogen. Vier Musiker stehen auf der Bühne, zwei Tanzpaare, eine Sängerin und ein Sänger bestreiten den Showteil. Sie bieten eine professionell hochwertige Show. All den Glamour und die Melancholie des Tangos bringen sie auf die kleine Bühne. Und ich sitze in der ersten Reihe. Wir alle sitzen in der ersten Reihe.
Morgen Abend sei eine Gruppe von 60 Leuten angemeldet, erklärt mich Domingo, der Kellner, der mich den ganzen Abend betreut hat und mein Weinglas im Auge behalten hat, damit ich nicht verdurste.
Ich habe ein paar Videos von diesem Abend und auch von anderen Tagen in meiner Bison-Seite aufgeladen. Man findet dort auch die Ausflüge von Ushuais und die Tänze aus Salta, den Wolkenzug und genz viel Tongo aus Buenos Aires.
www.bison.ch/Argentinien-Videos
Aufbruch: | 20.06.2021 |
Dauer: | 7 Monate |
Heimkehr: | 29.01.2022 |
Kolumbien
Argentinien