Neustart
Eduardo V - Express
Der Wind hat gedreht, es ist Zeit, weiterzuziehen, Da ist es natürlich praktisch, dass ich grad einen passenden Schirm zur Hand habe, um den Wechsel einzuleiten.
Eigentlich wollte ich einen Flug buchen nach Tarapoto, doch dann musste ich feststellen, dass es keinen Direktflug ab Iquitos gibt. Alle Flüge gehen über Lima. Das würde heissen Umsteigen in Lima und einen weiteren Flug buchen. Wäre zwar mit gut 4 Stunden immer noch kürzer, als die anderen Alternativen, aber mir nicht sehr sympatisch.
Die Alternative wäre das Frachtschiff nach Yurimaguas. Ich habe die umgekehrte Fahrt von Yurimaguas nach Iquitos bereits zweimal gemacht. Es ist toll, in der Hängematte auf dem Amazonas zu schippern, aber 3 Nächte sind mir für diesmal eine zu lange Zeit. Also bleibt das Expressboot. So wie ich nach Pebas gefahren bin, kann ich bestimmt auch nach Yurimaguas fahren.
Keyla klärt mir die Möglichkeit ab und besorgt auch gleich das Ticket für die Eduardo V, die in Nauta ablegt.
Und so sitze ich jetzt also im Wartebereich der Reederei Eduardo und warte darauf, dass das Schiff ablegt. Es wird wieder eine Nachtfahrt sein. Abfahrt um 17.00 Uhr, Fahrzeit ungefähr 14 Stunden.
Um halb elf hat mich Pablo im Casa Fitzcarraldo abgeholt. Der Abschied war kurz, ich mag keine langen Abschiede. Und ausserdem komme ich ja wieder. Irgendwann, und hoffe, Walter und seine Tochter Micaela wieder zu sehen.
Pablo brachte mich zum Paradero, zum Standort der Sammeltaxis für Nauta. Wir waren früh und brauchten auch nicht lange zu warten, bis ein Auto frei war. Darum bin ich jetzt um Stunden zu früh hier.
Es ist zwar nicht sehr bequem hier, aber ich könnte ja schon mal die Fotos aufladen, dann muss ich später nur noch schreiben.
Heute Morgen beim Frühstück kam May noch rasch vorbei. Wollte einfach noch einmal Adios sagen, nachdem er am Morgen mein Schirm-Foto im Facebook gesehen hatte. Er wünscht mir eine gute Reise und dass ich bald wieder zurück komme.
Es sind die Zufälle, die ich so liebe, und die man nicht planen kann. Während wir plaudern, kommt Micaelas Mutter, um sich von mir zu verabschieden und fragt nebenbei, ob May eventuell Dschungel-Guide sei, sie brauche einen für Freunde. "May, ist der beste Dschungel-Guide, man könnte manchmal glauben, er kommuniziere mit den Tieren persönlich", erkläre ich ihr. Und das stimmt tatsächlich, auch wenn all die anderen, die ich kenne auch gut sind. Es könnte also sein, dass May nächstens einen Auftrag bekommt. Er könnte diese Arbeit so gut brauchen, auch wenn inzwischen die Boutique von Evila recht gut läuft, so ist der Auslieferungsservice, den May übernimmt, eben doch nicht das, wofür er brennt. Er will neu starten mit seinem Service und hat auch bereits eine neue Homepage eröffnet. www.allpayacu.com
Auch eine Facebook-Seite hat er eröffnet und ich gebe ihm noch ein paar Tipps, wie er dort ganz gezielt Werbung schalten kann. Bin jetzt selber gespannt, ob es funktioniert. Bei der Boutique von Evila jedenfalls hat es schon bald eingeschlagen.
Mit einem anderen Guide habe ich mich in den letzten Tagen auch noch getroffen. Mit einem sehr speziellen. Christoph Meyer ist Schwezer und lebt seit fast 8 Jahren in Iquitos Er ist mit Violeta, einer einheimischen Polizistin verheiratet und inzwischen ein Spezialist für Dschungeltouren. Schlangen und Frösche sind sein Spezialgebiet. Letzte Woche war er mit einem Gast auf der Suche nach Aquarium-Fischen, von denen es im Amazonas sehr spezielle gibt. Ich kenne Christoph schon lange und bin immer wieder beeindruckt, wie weit er es hier gebracht hat. Im Moment macht er eine Schulung zum nationalen Guide, so dass er auch Touren in ganz Peru anbieten könnte. In Peru ist der Tourismus sehr streng reglementiert. Wenn man mit einer Gruppe unterwegs ist, muss man immer einen lokalen Guide engagieren.
Christoph hat auch die Pandemie hier überlebt. Wobei man tatsächlich von überleben reden muss, denn er hat unter Covid 19 sehr stark gelitten. Während seine Frau ihre ebenfalls erkrankte Mutter ausser Haus pflegen musste, kämpfte er zu Hause gegen die Krankheit. Ausserdem organisierte er im Höhepunkt der Pandemie eine Nachbarshilfe und verteilte Lebenmittelpakete. Gründe genug, mich endlich einmal richtig mit den beiden zu treffen und es nicht nur immer bei einem gelegentlichen Hola zu belassen. Wir hatten jedenfalls zusammen mit Keyla einen sehr schönen Nachmittag im Restaurant Al Frio y al Fuego, das ich zu den besten von Iquitos zähle.
Regen zieht auf... Das Restaurant schwimmt mitsamt Pool draussen auf dem Rio Itaya und ist nur mit dem Restaurant-eigenen Boot zu erreichen.
Auch Davis ist ein ehemaliger Dschungelguide. Mit ihm waren wir im Januar 2020 unterwegs. Er kennt sich vor allem mit Medizinalpflanzen aus. Auch er macht zur Zeit die Ausbildung zum nationalen Guide. Weniger, weil er das so brauchen würde, sondern mehr, weil die Guides in Zukunft dieses Zertifikat brauchen, um im Tourismus von den Veranstaltern engagiert zu werden.
Im Moment versucht Davis allerdings, als Mototaxifahrer etwas Geld zu verdienen. Das ist nicht ganz einfach, denn er hat kein eigenes Gefährt, muss es jeweils mieten und ausserdem gibt es einfach viel zu viele Mototaxis in der Stadt. Trotzdem, an den Wochenenden lohne sich das Fahren, erzählt er mir, nachdem er mich im Hotel abgeholt hat. Er wohnt etwas ausserhalb der Stadt, in Quistacocha, da wo der Zoo von Iquitos ist, und auch wenn die Fahrt dorthin fast dreiviertelstunden dauert, will er mir unbedingt sein Heim zeigen. Eine Freundin, die ihn im letzten Jahr unterstützt hat, möchte gern sehen, was er mit dem Geld gemacht hat, denn irgendwie war das nicht immer so klar und Davis scheint manchmal nicht richtig kommuniziert zu haben. Darum besteht er darauf, dass wir zu ihm fahren. "Damit du mit deinen eigenen Augen siehst, was wir realisiert haben, und das Eveline und Peter mit deinen eigenen Worten erklären kannst.
Juane - die in Blätter eingewickelten Reiskugeln mit Poulet sowie regionale Hühner will Angelika hier verkaufen.
Es ist tatsächlich ein sehr kleines Haus, in das er, wie sich herausstellt, mit seiner Grossfamilie vor einem halben Jahr eingezogen ist. Er möchte hier einen kleinen Essensstand realisieren und hat bereits das Gerüst und das Blechdach aufgestellt. Auch eine Mauer hat er gebaut, das Terrain aufgeschüttet, Platikstühle und einen Sonnenschirm sind auch bereits da. Jetzt fehlt noch etwas Sand und Zement, um das Terrain auszuebnen. 4 Säcke Zement lagern in der Stube, die später zu einem kleinen Supermercado umfunktioniert werden kann. Darum hat er auch die grosse breite Türe installiert.
Ich verstehe jetzt, warum die Kommunikation so schlecht funktioniert hat. Davis ht nur immer erzählt, wofür er jetzt gerade Geld brauche, dass das ganze aber ein Prozess ist, der seine Zeit braucht, bis der Verkauf tatsächlich staten kann, hat er nicht glaubwürdig übermitteln können, während meine Freunde immer auf Resultate gewartet hatten und nicht verstanden, dass noch immer keine Ergebnisse da waren. Ich glaube aber, dass jetzt nicht mehr viel fehlt. Bereits stellt Angelika jeweils am Wochenende einen Tisch auf und versucht etwas Geld zu verdienen, mit dem improvisierten Stand ist das allerdings schwierig.
Ich jedenfalls möchte nun wissen, wie die Familie überhaupt wohnt. Die drei Kinder schlafen in den beiden Etagenbetten, zusammen mit Angelikas zwei Kindern aus einer früheren Beziehung. Weitere Betten kann ich keine sehen, dabei gibt es noch den Bruder von Angelika und im Garten habe ich ihre Mutter kennen gelernt. Ich kann mir die Situation nicht richtig vorstellen, erfahre aber, dass Davis und Angelika abends eine Holzplatte auf den Boden legen, da wo jetzt die Stühle stehen, darauf kommt die Matratze, die über dem Doppelbett liegt. Unvorstellbar.
Im kleinen Badezimmer, das mit WC, Lavabo und Dusche eigentlich ganz gut aussieht, gibt es kein Wasser, es ist also völlig unbrauchbar. Einzig die Kanister mti dem Wasser, das von einer Pumpe geholt werden muss, werden in der Dusche gestapelt.
Nebst dem Eingangsbereich, der später zu einem Laden umfunktioniert werden soll und dem Kinderzimmer gibt es noch einen anderen Raum, den ich als Küche definieren würde. Jedenfalls lagern hier Lebensmittel und das Geschirr. Ob hier am Abend auch eine Matratze auf den Boden gelegt wird? Die Feuerstelle zum Kochen ist hinten im kleinen Hof, in dem man vielleicht später noch das eine oder andere Zimmer anbauen könnte. Und ganz hinten im Garten ist die Toilette, die ich mir allerdings nicht von nahem ansehen möchte.
Ich weiss, dass sehr viele Menschen hier so leben, habe in Belen verschiedene von den schwimmenden Häusern besucht, aber so beengte Verhältnisse habe ich mir nicht vorgestellt.
Ich bin froh, dass wir auf dem Herweg noch bei einer Polleria angehalten haben und für alle gebratene Hühnchen mit viel Reis gekauft haben. Für den Rückweg in die Stadt nehme ich mir ein Taxi, denn bereits versinkt die Sonne hinter dem Horizont und am Abend sollte Davis eigentlich bei seiner Familie sein und nicht noch so lange brauchen, bis er mich in die Stadt zurück gebracht hat.
Was für ein Unterschied, am gleichen Abend, an dem ich bei Davis und seiner Familie war, treffe ich mich mit Keylas Familie zum Abschiedsessen im Eisenhaus. Mit gefällt die Atmosphäre da. Diese simple Eleganz, verbunden mit einem sehr guten Service und excellentem Essen.
Beim Essen spreche ich die Situation mit der Lodge an. Ich weiss, ich mische mich da in eine Familienangelegenheit ein, werde aber die Vermutung nicht los, dass man meinen Traum weiterführen will. Und das völlig ohne entsprechende Ressourcen, wie Geld, Erfahrung im Tourismus, Verbindungen usw. Keyla ist übrigens die einzige, die Englisch spricht, aber Keyla ist mit ihrer Arbeit in der kleinen Agentur komplett ausgelastet.
Pablo hört sich meine Argumente an, und ich bin völlig überrascht, dass er mir beipflichtet. "Wir haben auf dich gewartet, wollten wissen, was du dazu sagst. Ja, wir möchten die Lodge unbedingt weiterführen, aber du hast Recht, uns fehlt alle Erfahrung dazu". Damit bestätigt er mir, dass man sich noch immer an des unnötige Versprechen, das man mir vor fünf Jahren gegeben hat, verpflichtet fühlt. Dabei habe ich persönlich damals mit der Sache abgeschlossen, wollte auf keinen Fall jemand anderen damit belasten. Für Pablo scheint die Sache damit erledigt zu sein, und fast glaube ich Erleichterung zu spüren. Schwieriger ist es bei Teresa. Sie ist so sehr Feuer und Flamme, liebt ihren Dschungelgarten, die Freude daran, mit mir an die Playa zu gehen. Sie kämpft mit ihren Emotionen.
"Liebe Teresa, wir brauchen doch keine Lodge, um einen wunderbaren Nachmittag an der Playa zu verbringen. Das können wir doch auch hier in der Umgebung von Iquitos haben. im Gegenteil, es wäre schön, wenn ihr euch gelegentlich selber solche Tage gönnen würdet und nicht nur, wenn ich da bin. ich würde in Zukunft gern Fotos von Euren Ausflügen sehen".
Sie wird noch etwas Zeit brauchen, aber auch sie wird verstehen, dass sie freier ist, wenn sie keine fremden Träumen nachhängt. Dass sie ein kleines Grundstück an der Strasse zu Nauta haben, wo Teresa einen Garten unterhält und Hühner hat, erfahre ich bei der Gelegenheit auch noch.
Die Lodge wird also verkauft, wenn sich jemand findet, der sich dafür interessiert. Es eilt nicht, aber die Weichen sind gestellt.
Die kleine Luana hat sich für den Abschiedsabend extra hübsch gemacht. Und Diego scheint beim Frisör gewesen zu sein.
An meinem allerletzten Nachmittag gehe ich noch einmal bei Victoria vorbei. Schon oft hatte ich für sie Bestellungen bei meinen Freundinnen aufgenommen. Auch dieses Mal habe ich ein paar ihrer Glücksanhänger ins Facebook gestellt, und gefragt, ob sich jemand dafür interessieren würde. In den letzten drei Wochen sind 17 Bestellungen eingegangen und Victoria freut sich sehr darüber. Damit würde der August doch noch ein guter Monat, meint sie, denn auch sie ist auf mehr Touristen angewiesen.
In meinen Augen ist die beste Unterstützung, wenn man jemandem etwas abkauft. Das ist direkte Hilfe und Wertschätzung in einem. Victoria hat abgeklärt, was der Versand in die Schweiz kosten würde und verpackt heute die einzelnen Schmuckstücke in kleine Säcklein. Noch heute Nachmittag wird sie sie an eine Freundin schicken, die dann die Kleinverteilung machen wird, denn ich kehre noch nicht so schnell zurück.
Ich gehe noch einmal zum Bulevard, um zu sehen, wie weit das Wasser inzwischen zurück gegangen ist. War es vor einer Woche noch ein schmales Rinnsal, durch das man mit schmalen Booten in die Nähe des Bulevards gelangen konnte, so breitet sich jetzt eine grüne Wiese aus. Es gibt keinen Zugang mehr zum Fluss und bald wird auch die kleine Lagune ausgetrocknet sein.
Auf dem Bulevard treffe ich einen alten Freund. Sandro hat mir früher immer die Boote für die Ausflüge ab Nanay vermittelt, inzwischen bietet er City-Tours an. Weil er noch auf seine Gäste wartet, die im Restaurant Meson beim Mittagessen sitzen, lade ich ihn und seinen Begleiter Pablo zu einem Maracuya-Saft ein. Und dieser Pablo erzählt mir eine Geschichte, die zu gut ist, als dass ich sie hier nicht erzählen sollte.
Es war letztes Jahr, als er mit einem jungen Mann aus Deutschland in den Dschungel ging. Dieser war so begeistert, dass er gleich eine ganze Woche bleiben wollte. Man schlug ein Camp auf, fischte, kochte, machte Expeditionen und spontan verlängerte der Deutsche noch zweimal so dass die beiden am Schluss nach einem Monat zurück nach Iquitos kamen. Doch hier war nichts mehr wie sonst. Kaum Menschen auf der Strasse, alle trugen Masken. Läden und Restaurants geschlossen und Bankautomaten gesperrt. Die beiden verstanden überhaupt nicht, was passiert war. Erst allmählich begriffen sie, dass die Welt Kopf stand. Da Michael kein Geld mehr hatte und auch keines beschaffen konnte und es ausserdem keine Flüge mehr gab und alle Hotels geschlossen waren, nahm Pablo ihn zu sich nach Hause. Hier blieb er fast einen Monat bis die deutsche Botschaft sich meldete und den Rückflug organisierte.
Natürlich hat Pablo noch heute Kontakt mit Michael. "Wir wurden wie Brüder", erklärt er ergriffen.
Am Abend spaziere ich noch ein wenig über den Hauptplatz, sehe den Händlern zu, die ihre Spielsachen und Luftballone verkaufen und mit ihren Seifenblasen den Platz verzaubern, dann hole ich Keyla in ihrem Büro ab. Vor ihrer Agentur stehen immer mindetens 10 Personen. Sie ist pausenlos am Arbeiten. Nimmt kleine Beträge entgegen, bezahlt Stromrechnungen, Wohnungsmieten, Wasser oder Versicherungen und gibt kleine Bezüge aus. Dabei steht sie auf ihrem niedrigen Podest, damit sie über den Tresen sieht und desinfiziert sich die Hände wohl 100 mal am Tag.
Dann gehen wir ein allerletztes Mal zusammen zum kleinen Italiener und dann gilt es endgültig Abschied zu nehmen.
Es war eine schöne Zeit, hier in Iquitos. Mit vielen Emotionen, vielen wunderbaren Begegnungen und unerwarteten Abenteuern.
Keyla hat mir die Tickets für die Schiffahrt nach Yurimaguas besorgt und verspricht mir, dass mich ihr Vater am Morgen bei Hotel abholen und zum Sammeltaxi fahren wird.
Bye bye Iquitos, bye bye amiga, nos vemos.
Aufbruch: | 20.06.2021 |
Dauer: | 7 Monate |
Heimkehr: | 29.01.2022 |
Kolumbien
Argentinien