Neustart
Brille
Im Zentrum von Lima gibt es eine Strasse, an der sich ein Brillengeschäft an das andere reiht. Schon immer wollte ich hier mal eine neue Brille kaufen, aber natürlich war ich nie so lange in der Stadt, dass das funktioniert hätte.
Diesmal aber wollte ich es durchführen. Ich stellte mir das interessant vor, von einem zum anderen Geschäft zu schlendern und überall Brillen zu probieren um das beste Modell zu finden.
Also fuhr ich anfangs Woche mit dem Taxi in die Innenstadt. Schon als ich aus dem Taxi ausstieg, fing mich ein älterer Mann - oder war es eine Frau? so genau liess ich das hinter der Maske nicht bestimmen - auf der Strasse ab. "Willst du eine Brille kaufen, komm mit, wir haben günstige Modelle, du bekommst sogar zwei für eines." Ich fand das so witzig und da ich ja genau dazu gekommen war, ging ich mit ihm. Blieb mir ausserdem fast nichts anderes übrig, denn er hatte mich bereits in ein kleines Brillengeschäft geschupft und holte ein paar Modelle aus dem Gestell. "Sehr flexibel, man kann sie knicken, das Material kann überhaupt nicht zerbrechen." Noch immer belustigt, sah ich mir eines genauer an. Es war tatsächlich sehr schön, aber eigentlich hatte mir vorgestellt, mit etwas mehr Ruhe auszuwählen. Ich fragte nach einem Spiegel, worauf er mir etwas verwundert den Spiegel an der Wand zeigte. Dass ich die Brille auch noch aufsetzen wollte, fand er fast schon eigenartig, aber er versicherte mir sofort, dass das Modell absolut passend sei. Als ich mich etwas hilflos umsah, holte er zwei andere Modelle. Er sprach dabei ununterbrochen auf mich ein, so dass ich nur knapp dazwischen funken konnte und mich erkundigte, ob man denn die Augen auch ausmessen und einen Test machen würde.
"Selbstverständlich, komm mit", meinte er und lief mir voraus, um mich ein paar Häuser weiter in ein anderes Geschäft zu bringen. Der Optiker sei gerade noch besetzt, aber ich könne mir ja diese Modelle hier ansehen, die sind genauso gut wie die am anderen Ort. "Wir führen allerbeste Qualität. Dreisichtgläser, für Weite, Nähe und Computer und automatischer Abdunkelung bei Sonne". Bereits füllte er einen Zettel aus mit meinem Namen. Dass er mich dabei die ganze Zeit Mamita nannte, machte ihn mir nicht sympatischer, aber ich kam irgendwie überhaupt nicht zum Denken, geschweige denn zum Handeln.
Zum Glück wurde jetzt der Optiker frei. Dieser war ein sehr ruhiger Mann, wollte wissen, wie lange ich meine Brille schon hätte, liess mich in den Apparat sehen und zeigte mir verschiedene Schriften. Ganz so wie es sich gehört. Kurzum hatte ich mein Rezept.
Wieder draussen im Laden ging es bereits an die Verkaufsverhandlung. Nur das allerbeste, zum besten Preis, der alte Mann kritzelte ein paar Zahlen auf ein Papier. Fast schon war ich überzeugt, denn das Gestell gefiel mir, der Preis war sehr gut. Das muss er gemerkt haben, denn jetzt liess er die Bombe platzen. "Mit den allerbesten Gläsern kostet es nur unwesentlich mehr und ausserdem kannst du die Brille in 3 Stunden abholen. Die Zahl, die er jetzt auf sein Papier schrieb war der doppelte Betrag von vorhin.
"Jetzt reichts, das wars jetzt." Entschlossen drehte ich mich um. "Das was du hier machst, ist im höchsten Masse unseriös, ich bin nicht mehr interessiert."
Zuerst war er völlig perplex, dann versuchte er es mit Rabattversprechen. "Es handelt sich hier nicht um den Preis, sondern um Vertrauen. Ich habe nicht das geringste Vertrauen in dieArt, wie du mir eine Brille verkaufen willst", sagte ich und verliess den Laden. Das hinderte ihn allerdings nicht, mir noch einen Moment hinterher zu laufen und das Blaue vom Himmel zu verprechen.
Sobald er von mir abgelassen hatte, stand der nächste Verkäufer vor mir. Mit einem Kopfschütteln huschte ich an ihm vorbei, um vor dem nächsten Geschäft der nächsten Verkäuferin in die Arme zu laufen. So hatte ich mir das gemütliche Aussuchen überhaupt nicht vorgestellt.
ich lehnte mich erst einmal an die Hausmauer und musste tief durchatmen. Dann versuchte ich vorsichtig in die nächsten Auslagen zu gucken, doch schon bald hatte mich wieder eine Verkäuferin im Griff. Auch hier schien es gar nicht darum zu gehen, lange auszuprobieren, ich war aber eh schon von der ganzen Sache konfus und versuchte nur noch zwei Modelle. Eine ungefähre Vorstellung hatte ich bereits gehabt, dass es dann aber so schnell gehen würde, hätte ich niemals gedacht.
Auch hier machte ich noch einmal einen Test, der unwesentlich anders war als der erste und schon sprachen wir wieder über den Preis. Der war in diesem Fall allerdings viel besser, ohne dass ich darüber diskutieren musste. Dreisichtgläser mit Verdunkelung und nicht reflektierend. Abholen in 3 Tagen.
"In 3 Tagen erst, am anderen Ort wollte man mir das in 3 Stunden machen". "Senora", erklärte mir darauf Karla. "Wir machen hier ein Qualitätsprodukt, das lässt sich nicht einfach so zusammenschustern. Das braucht seine Zeit. Das andere ist billige chinesische Ware, die ausserdem oft überrissen teuer verkauft wird".
Natürlich leuchtete mir das ein und so schlossen wir den Handel ab.
Karla, die junge Optikerin mit Jesus Maria, ihrer Mutter, die ihr im Laden hilft.
Opticas d'Karla, Jr Rufino Torrico No 555, Lima
Daraufhin schlenderte ich noch ein wenig durch die Innenstadt und liess mir im Cordano, dem ältesten Restaurant Limas ein "Lomo saltado" servieren. Das ist ein traditionelles Menu, das man im ganzen Land bekommt. Lomo saltado heisst genau übersetzt hüpfendes Filet. Es ist ein geschnetzeltes Rindfleisch mit viel Zwiebeln und Tomaten auf weichen Pommes mit Sauce und Reis. Hat sehr gut geschmeckt.
Als ich auf dem Rückweg bei der Kirche San Francisco vorbei kam, fielen mir die vielen Leute auf, die da vor der Kirche anstanden. Eine Frau erklärte mir, dass immer am 28. jedes Monats des heiligen Judas Thaddäus gedacht werde und es in der Kirche eine spezielle Messe gibt. Dazu werden viele Blumen gekauft, die dem Heiligen geopfert werden.
Die Schlangen vor der Kirche sind wahrscheinlich nur wegen der Pandemie so lang. Wahrscheinlich kann man normalerweise ganz normal in die Kirche eintreten. Im Moment aber wurde ein riesiges Sicherheitsregime aufgeboten.
Judas Thaddäus ist übrigens für schwierige und ausweglose Situationen zuständig.
Einen ganzen Block lang ist die Menschenschlange, die vor der Kirche wartet. Die meisten mit gebührendem Abstand.
Ein UBER brachte mich beim Eindunkeln zurück nach Hause.
Und mit dem UBER bin ich auch heute wieder unterwegs. Ich will meine Brille abholen. Bin ja gespannt, ob sie passt, ob das auch wirklich funktioniert hat.
Ein spezieller Baum: weil man die Handyantennen nicht so schätzt, wurden sie kurzerhand als künstliche Bäume getarnt. Ich sehe sie in der ganzen Stadt stehen.
Das Taxi bringt mich direkt vor das Geschäft, so dass ich mich nicht mit anderen Verkäufern herumschlagen muss, doch leider erklärt Karla, dass die Brille noch nicht angeliefert worden sei. "Kannst du bitte in zwei Stunden wieder kommen, dann ist sie bestimmt hier. "
Es ist Mittag und ich hatte den ganzen Morgen die Berichte vom Spiel der Schweizer Nationalmannschaft bei der EM gelesen. Ein Riesenereignis für die Schweizer. Da trifft es sich gut, dass in einigen Restaurants Bildschirme an den Wänden hängen, wo das Spiel übertragen wird. In einem einfachen kleinen Lokal trete ich ein und bestelle das Menu I.
Ein kleines Cazpacho (roher, in Zitronensaft marinierter Fisch) und Chaufa mit Meeresfrüchten. Gebratener Reis. Hat sehr gut geschmeckt und ganz nebenbei kann ich mit das Spiel ab der zweiten Halbzeit ansehen. Langsam kommen Leute ins Restaurant, einige sehen sich das Spiel sogar an, die meisten aber sind mit ihren Handys oder ihrem Gegenüber beschäftigt..
Fast wäre ich beim Ausgleichstor aufgesprungen, liess es aber bleiben, wollte mich nicht unbedingt als Schweizerin outen. Vor allem, da ich ja eigentlich keine Ahnung von Fussball habe.
Etwas entäuscht war ich dann allerdings doch, als das Spiel beim Penaltyschiessen vorloren ging. Jetzt war das Lokal leer und ich schlenderte zum Hauptplatz.
Der Hauptplatz, der schönste Platz der Stadt ist komplett abgeriegelt. Auch der Brunnen in der Mitte ist abgedeckt, so wie viele andere Denkmäler und Brunnen auf anderen Plätzen. Der Platz bleibe geschlossen, solange nicht klar ist, wer der neue Präsident sein werde, hatte mir eine Wirtin am Platz vor einigen Tagen erklärt und die Denkmäler seien wahrscheinlich in Revision. Das glaube ich eher weniger, ich vermute man will sie frühzeitig vor allfälligen Demonstrationen sichern. Noch ist Peru ruhig, doch niemand weiss, was passiert, wenn das Resultat der Wahlen fest steht.
Die Ampeln sind unentwegt in Betrieb, auch wenn weit und breit kein Auto rund um den abgeriegelten Platz zu sehen ist.
Ich gehe zurück zu Karla und jetzt ist meine Brille da. Ich bin erstaunt, wie gut sie sich anfühlt, Lesen geht viel besser als vorher - die alte Brille musste ich immer ablegen - Auch in die Weite auf der Strasse ist die Sicht viel klarer. Ich bekomme noch ein Etui und ein Reinigungsmittel. Karla und ihre Mutter freuen sich, dass mir die Brille gefällt und empfehlen sich für eine zweite.
Auf der Strasse bin ich noch ein wenig konfus, muss mich erst an die neue Sicht gewöhnen, doch das war bei der alten Brille auch so.
Bei einem Kaffee im Villa Chicken entdecke ich, dass heute in der Copa America Peru gegen Paraguay spielt. Auch dieser Match scheint nicht auf sehr grosses Interesse zu stossen. Das ist bei den normalerweise sehr fussballverrückten Latinos eher ungewöhnlich. Vielleicht sehen sich die meisten das Spiel zu Hause an, weil zu Zeiten der Pandemie das gemeinsame Zusehen eher schwierig ist.
Später lese ich, dass das Spiel 3:3 ausgegangen ist. Peru gewann dann beim Penaltyschiessen. Glückliches Peru.
Aufbruch: | 20.06.2021 |
Dauer: | 7 Monate |
Heimkehr: | 29.01.2022 |
Kolumbien
Argentinien