Neustart

Reisezeit: Juni 2021 - Januar 2022  |  von Beatrice Feldbauer

Gärten

Sonntagmorgen in Buenos Aires. Ich bin auf dem Weg zum Casa Rosada. Und es scheint, als ob ich ganz allein unterwegs sei. Kein Restaurant ist offen, die Stühle stehen noch aufgestapelt an der Hausmauer, Tische sind noch nicht aufgestellt, die Sonnenschirme geschlossen. Die Strassen leergefegt, kein Auto ist unterwegs. Und dabei ist es schon neun Uhr vorbei. Buenos Aires scheint spät aufzustehen. Auf der Avenida de Mayo ist ein einziges Restaurant offen. Ein Gast sitzt beim Kaffee, plaudert mit der Serviertochter.

Ich bestelle einen Cappuccino und frage, ob sie Croissants hätten. Was bitte? Die Serviertochter versteht mich nicht. Croissants, in Peru nennt man die so. Gipfeli halt. Sie versteht es trotzdem nicht und ich folge ihr an die Theke. Da gibt es sie. Ah, Media Luna, jetzt hat sie verstanden, das Wort Croissants hat sie aber noch nie gehört. Media Luna, Halbmonde. Ich bestelle zwei und bekomme noch ein Guetsli dazu. Auf ein gutes neues Jahr.

Langsam erwacht die Strasse. Der Besitzer des Blumenstandes kommt und packt die Blumen aus, macht sich bereit für den Tag. Auf der anderen Seite der Strasse sind die Strassenwischer mit ihrem Lieferwagen vorgefahren. Einer fängt mit dem Laubbläser an, das Laub der Bäume von der Strasse zu fegen. Ich kann es kaum fassen, dass die um diese Zeit mit ihrem Lärm anfangen. Beim Restaurant stellt er kurz den Motor ab, beim Blumenhändler geht es wieder los mit dem Krach.

Hinterher kommen zwei Männer mit Besen und wischen die Blätter zusammen, schaufeln sie in ihre grünen Kübel. Auf der anderen Strassenseite steht der City-Bus und wartet auf die ersten Touristen. Sie werden die Tour fahren, die ich am ersten Tag gemacht habe.

Inzwischen sind ein paar Leute aus dem Hoteleingang gekommen. Auf dem Weg, die Stadt zu entdecken.

Es ist Sonntagmorgen, eigentlich ist das der richtige Zeitpunkt, endlich die Kathedrale zu besuchen. Mit ihren grossen Säulen hat sie von aussen etwas von einem griechischen Tempel. Die Kuppel dahinter ist aus der Nähe kaum mehr sichtbar. Ich finde sie irgendwie etwas kurios. Der Eingang ist hinter einer blickdichten Abschrankung, aber an den Seiten gibt es einen Zugang. und das grosse Tor ist offen.

Der Innenraum scheint mir gegenüber der Sicht von aussen viel grösser zu sein. Es sind drei parallel laufende Kirchenräume mit dem Hauptaltar unter der grossen Kuppel. Es ist noch kaum jemand in der Kirche, dabei wäre jetzt doch Zeit für die Messe und vorhin hat die Glocke kurz geläutet. Die Nebenaltare sind fast eigene Kapellen. Vor allem eine sticht heraus. Es ist das Mausoleom von General José de San Martin. In Lima reitet er mit hoch erhobenem Arm auf seinem wilden Pferd auf dem nach ihm genannten Platz. Auch in Buenos Aires gibt es einen Park mit seinem Namen und eine entsprechende Statue, aber hier ist er begraben. Zwar war er in Spanien gestorben und wurde dort auch 1850 begraben. Erst 30 Jahre später kam sein einbalsamierter Leichnam zurück in sein Heimtland Argentinien. Er war der Befreier von Chile und Peru. Er führte die entscheidenden Kriege gegen die Spanier und führte die Länder in die Unabhängigkeit.

Mausoleum von José de San Martin

Mausoleum von José de San Martin

Vor ein paar Tagen hatte mir der Taxifahrer erzählt, dass Papst Franziskus hierher gekommen sei. Damals dachte ich an einen Besuch. Doch jetzt fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Ich hatte den Taxifahrer falsch verstanden. Papst Franziskus ist Argentinier, er war vorher Erzbischof von Buenos Aires, dies war seine Kirche. Beim Eingang steht eine Tafel, die endgültig alle Zweifel ausmerzt und jetzt bin auch ich wieder auf dem richtigen Wissensstand.

Ich verlasse die Kathedrale, schlendere auf der noch immer ziemlich leeren Avenida de Mayo zum Obelisken. Es sind erst ein paar wenige Autos unterwegs, ich warte eine Weile am Strassenrand bis ich ein Taxi anhalten kann. Ob er mich zum Torso von Botero bringen könne, frage ich ihn. Wohin? Er hat noch nie davon gehört. Zum dicken nackten Mann im Thays-Park. Er weiss noch immer nicht, was ich meine, aber wir fahren los. Bei der Statue staunt er, er ist zwar schon oft daran vorbei gefahren, aber er hat die Statue noch nie wirklich beachtet.

Ich freue mich, den alten Bekannten wieder zu sehen, an dem ich in Medellin bei meinem zweiten Aufenthalt oft vorbei gekommen bin. "Fernando Botero ist der wichtigste Künstler Kolumbiens", erzähle ich dem Taxifahrer.

"Willst du auch die Blume sehen?" fragt er mich. Ja natürlich will ich auch die Blume sehen. Die kennt er, die Floralis Generica, die riesige künstliche Blume, die sich mit dem Sonnenstand öffnet und schliesst.

Sie steht ganz in der Nähe des Botero-Torsos. In einem eigenen kleinen Park. Wir halten an und ich steige aus, will die Blume auch aus der Nähe sehen. Ich würde sie auch gern einmal ganz geschlossen oder noch mehr offen sehen, aber da müsste ich wohl am frühen Morgen vor Sonnenuntergang kommen. Oder ich müsste daran denken, wenn ich am Abend zurück in die Stadt fahre.

Als ich zurück zum Taxi komme, ist der Taxifahrer auch ausgestiegen. Er ist in einem Videochat mit einer Frau und zeigt ihr die Blume. Er erklärt ihr, dass er grad mit einer Senora unterwegs sei, die die Blume fotografiert hat. "Woher sind sie?" fragt er mich zwischendurch und gibt auch gleich die Information weiter: Meine Schwester. Sie ist aus der Schweiz, erzählt er ihr und wir fahren los. Langsam, denn er bleibt per Handy verbunden. Auch ich hab die Frau, Raquel heisst sie, inzwischen von der Rückbank aus begrüsst.

Es wird eine äusserst lustige Fahrt. Der Taxifahrer erklärt seiner Schwester, die in Montevideo wohnt, die Stadt. "Das hier ist die Libanesische Botschaft und dort drüben die koreanische. Siehst du das Gebäude hier? Das Museum für zeitgemässe Kunst". Die Schwester will wissen, wie lange ich in Buenos Aires bleibe und lädt mich ein, nach Uruguay zu kommen. Doch ich winke ab, zu kompliziert heutzutage, um noch einmal eine Grenze zu überqueren. Die beiden Hauptstädte trennt eine kurze Schiffsreise aber die Grenzen waren während fast zwei Jahren geschlossen. Wir kommen zum japanischen Garten. "Siehst du, das ist der Eingang zum japanischen Garten, dahin will die Senora, ich muss dich jetzt verabschieden". Wir winken uns noch einmal zu, wünschen einen wunderschönen Sonntag, dann nennt mir der Taxichauffeur den Preis. Und zu meiner grossen Überraschung senkt er den angezeigten Betrag beträchtlich. "Ich bin schliesslich wegen meiner Schwester langsamer gefahren", meint er gutmütig. Doch ich fand das Ganze so witzig, dass ich unbedingt den angezeigten Betrag bezahlen will. Eine Taxifahrt mit virtueller Mitfahrerin hatte ich noch nie.

Es sind noch nicht viele Besucher im Park, denn er ist erst vor einer guten Stunde auf gegangen. Ich bummle über die rote Brücke hinuber ans andere Ufer des kleinen Sees. Im See tummeln sich dicke grosse Kois. Und auf dem See schwimmen Enten und Gänse. In den sehr akurat gepflegten Rasenflachen stehen alte Bäume. Wunderschön arrangiert. Manche Bäume sind beschriftet. Leider hat es kaum Blumen, es ist zur Zeit tatsächlich nicht die Zeit für Blumen. Einzig die Jacarandas blühen in verschiedenen Parks und hier ist es ein rosa Busch, der Blüten hat, die allerdings auch bereits am verblühen sind.

Der Garten ist wunderschön angelegt. Immer wieder ertönt ein Gong und ich kann den Klang zuerst gar nicht verorten. Bis ich zum kleinen Tempelchen komme, wo die Tempelglocke hängt. Sie soll als Friedensglocke ertönen und die Leute stehen an, um sie mit dem langen Stock zum Erklingen zu bringen. Und weil mit der Zeit immer mehr Leute in den Park kommen, ertönt sie jetzt auch immer öfters.

Es geht gegen Mittag und es ist heiss. Ich suche immer öfters schattige Bänke auf und sitze am Schluss unter dem Dach der Gartenterrasse, trinke ein Wasser und stärke mich mit einem Sandwich. Das mit den besten Sushi, die der Sprecher im Citybus versprochen hatte, fällt aus, denn das Restaurant ist seit der Pandemie geschlossen und scheint nicht so bald wieder zu öffnen. Nur der kleine Kiosk ist in Betrieb.

Ich mache noch einmal eine Runde um den See, dann verlasse ich den Park, der jetzt von Besuchern und Familien mit Kinderwagen überquillt.

Die Allee der Kirschbäume muss zur Blütezeit wunderbar aussehen.

Die Allee der Kirschbäume muss zur Blütezeit wunderbar aussehen.

Die Bonshõ im kleinen Tempelchen

Die Bonshõ im kleinen Tempelchen

Ich glaube es sind Neujahrswünsche, die hier an einem Zaun hängen. Kaufen kann man die Anhänger im Souvenirstand.

Ich glaube es sind Neujahrswünsche, die hier an einem Zaun hängen. Kaufen kann man die Anhänger im Souvenirstand.

Es ist nicht weit bis zum alten Zoo. Ausserdem ist alles hier Parklandschaft. Die grüne Lunge hat es der Sprecher im Citybus genannt. Es sind riesige Grünflächen, verschiedene Parks mit unterschiedlichen Themen. Mit Sportanlagen und kleinen Seen.

Den ehemaligen Zoo hatte ich 2008 besucht, als er noch wirklich ein Zoo war. Und ich war begeistert von der Anlage. Von der unglaublichen Vielfalt von Tieren und von den wunderschönen Häusern, in denen die Tiere wohnten. Dass die Verhältnisse eher beengt waren, war mir schon klar, denn der Zoo ist relativ klein. Aber ich fand ihn trotzdem den schönsten Zoo den ich je gesehen hatte.

Heute wird der Zoo umgebaut zu einem Ecopark. Die meisten Tiere wurden für die Dauer des Umbaus umquartiert und bestimmt werden nicht mehr so viele zurück kommen. Ein paar sind geblieben. So auch die eigenartigen südamerikanischen Kaninchen mit ihren langen Beinen. Fast könnten sie mit ihrem schmalen Kopf und den aufgestellten spitzen Ohren als kleine Rehe durchgehen, aber sie sind eben doch Kaninchen. Ihnen begegnet man auf dem gesamten Gelände.

Das war früher das Haus der Bären

Das war früher das Haus der Bären

in der grossen Voliere für den Andencondor muss ich eine ganze Weile Ausschau halten, bis ich ihn sehe. Den grossen Condor. Ich habe ihn in Peru in den Anden gesehen. Diesen riesigen Vogel mit einer Flügelspannweite von gut 3 Metern. Er kann hier gar nicht glücklich sein in diesem kleinen Gehege. In Freiheit fliegt er stundenlang von den Bergen bis ans Meer, sucht Nahrung, die er im Schnabel zurück bringt um seine Brut aufzuziehen.

An einem anderen Ort treffe ich auf zwei alte Kamele. Sie dösen an der Sonne.

Auch eine Kolonie Flamingos ist noch hier. Ihr leuchtendes Rosa spiegelt sich wunderschön in einem der kleinen Gewässer.

Der Zoo zeichnet sich nicht nur durch seine wunderschönen Tierhäuser aus, die jetzt zu anderen Zwecken umgebaut werden, sondern auch durch seinen alten Baumbestand. Die ganze Anlage war ein paar Jahre geschlossen, weil dem privaten Besitzer die Bewilligung zum Halten von Tieren entzogen worden war und so ist der Park an einigen Stellen ziemlich verwachsen. Fast wie ein Dschungel. Der Natur hat das auf jeden Fall nicht geschadet.

Auf meinem Spaziergang begegne ich dem Pfau, der selbstbewusst herumstolziert. Manchmal schüttelt er seine langen Schwanzfedern, aber er lässt sich nicht zum Radschlagen bitten. Frau Pfau führt derweil die jungen Pfaue spazieren.

Die Sonne brennt auch hier heiss vom Himmel, man nimmt jeden Schatten gern entgegen. Die Kinder vergnügen sich bei den Springbrunnen, die jederzeit unverhofft aufspritzen. Daneben gibt es einen kleinen Teich mit mechanischen Tieren. Da kann man den Delfin dazu bringen, geckernd zu lachen, die Schildkröte, dass sie mit ihren kurzen Beinchen Schwimmbewegungen macht und den Seehund zum Wasserspeien bringen. Man soll in diesem Park etwas lernen können, er soll nachhaltiger werden, aber es sollen keine lebenden Tiere mehr darunter leiden.

Ich setze mich unter die Sonnenschirme beim Imbissstand. Auch hier ist das Restaurant geschlossen - und bestelle einen frischen Fruchtsaft. Meine Batterien sind heute schon ziemlich stark strapaziert.

Auf dem Rückweg begegne ich noch einmal ein paar Tieren, die ich vorher nicht gesehen habe. Ein Alpaka wälzt sich im Sand und daneben spazieren ein paar Emus, die südamerikanische Art des Vogel Strauss.

Der riesige Potwal taucht aus einer kleinen Pfütze auf dem Platz auf.

Der riesige Potwal taucht aus einer kleinen Pfütze auf dem Platz auf.

Sieht aus wie ein Hobbit-Haus

Sieht aus wie ein Hobbit-Haus

Alpaka

Alpaka

Emu

Emu

ob das ein Gürteltier ist. Scheint ziemlich giftig zu sein.

ob das ein Gürteltier ist. Scheint ziemlich giftig zu sein.

Beim Eingang zum Zoo dreht sich ein altes Karussel. Ich kann diesen Pferdchen kaum widerstehen, setze mich auf eine schattige Bank und sehe ihnen eine Weile zu, bevor ich ein Uber-Taxi bestellen, das mir durch die noch immer sehr ruhigen Strassen zurück nach Hause bringt.

Später mache ich mich noch einmal auf nach San Telmo. Es ist ja tatsächlich nur eine knappe Viertelstunde, da lohnt sich ein Spaziergang immer. Tatsächlich tritt auch heute ein Tanzpaar auf. Ich kann davon gar nie genug bekommen. Dieses so leicht scheinende Verschmelzen der beiden Tanzpartner, die gleitenden Bewegungen, diese Beinarbeit, diese Erotik und Eleganz.

Leider sehe ich ihnen zu lange zu. Bis ich endlich ins Restaurant gehe, ist dieses kurz vor dem schliessen. Es ist Sonntag-Abend, da ist früher Feierabend. Und dabei wollte ich doch noch etwas essen.

Ich kaufe auf dem Heimweg bei einem Imbiss einen Hamburger zum Mitnehmen und komme kurz darauf bei einem kleinen Beizlein vorbei. Oh wie blöd, jetzt reut es mich, ich würde lieber hier noch etwas kleines essen, als im Zimmer den Hamburger allein verdrücken.

Ich hab den Gedanken noch kaum zu Ende gedacht, als mir ein Bettler entgegenkommt. Als er mein Essenspaket sieht, streckt er automatisch die Hand aus. Und ich schenke ihm ebenso automatisch und spontan den noch warmen Hamburger, worauf er mich hinter seiner Maske völlig überrascht ansieht. Als er merkt, dass es mir ernst ist, setzt er sich bei der nächsten Haustüre auf die Türschwelle und fängt an, das Paket auszupacken, während ich zurück zum Beizlein gehe und dort glücklich einen Teller Ravioli bestelle. Ich würde sagen, das war eine echte Win-Win-Situation.

Später schlendere ich durch die bekannten leeren Gassen zurück zu meinem Zimmer.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Immer wenn der Mensch seine Zukunft plant, fällt das Schicksal im Hintergrund lachend vom Stuhl. Dieser Satz hat mich durch das Corona-Jahr begleitet. Eigentlich war mein Abflug nach Südamerika am 3. April 2020 gebucht. Doch dann kam alles anders.
Details:
Aufbruch: 20.06.2021
Dauer: 7 Monate
Heimkehr: 29.01.2022
Reiseziele: Peru
Kolumbien
Argentinien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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