Neustart

Reisezeit: Juni 2021 - Januar 2022  |  von Beatrice Feldbauer

wieder flüssig

Hier geht das letzte Bargeld drauf...

Hier geht das letzte Bargeld drauf...

Es hat tatsächlich geklappt. Am Vormittag mache ich mich auf den Weg zum Büro der Western Union beim grossen Bahnhof. Ich gehe zu Fuss, ist ja nur eine gute halbe Stunde. Nach kurzem Anstehen komme ich zum Schalter, wo zuerst meine Angaben registriert werden.

Und dann zeigt mit der Angestellte den Betrag, den er mir auszahlen wird.

"Ich zeige ihnen den Betrag und ich werde das Geld nur ganz leise zählen", meint er diskret. Ich verstehe, andere Kunden sollen nicht sehen, wieviel mir ausbezahlt wird. Und dann zählt er tatsächlich die Tausendernoten vor mir. Als die nicht reichen, holt er noch die 500-er und am Schluss muss er gar bei einem Kollegen noch etwas ausborgen. Ein ganzes Bündel Banknoten schiebt er am Schluss in ein Couvert und dabei habe ich nur 500 Franken bezogen.

Ich kann es kaum glauben, aber es ist tatsächlich das doppelte von dem was der offizielle Kurs ist. Inzwischen weiss ich, dass der Dollar zum doppelten Preis gehandelt wird, es scheint, dass auch die WU-Auszahlung sich an diesen Kurs hält. Die Kreditkartenzahlungen aber, die ich bereits getätigt habe, laufen zum offiziellen, dem schlechten Kurs. Werde also voraussichtlich jetzt, wo ich wieder Bargeld habe, die Kreditkarte kaum mehr benutzen.

Das Couvert, das er mir dann durch den Schalter schiebt, ist so dick, dass es in meiner, zugegeben sehr kleinen, Handtasche gar keinen Platz hat. Damit mag ich nicht nach Hause laufen und darum bestelle ich noch im Büro ein Taxi, das mich zurück ins Hotel bringt, wo ich das Geld erst einmal deponiere. Komme mir vor wie nach einem Banküberfall.

Jetzt endlich kann ich mich auf den Weg machen, kann frei durch die Stadt spazieren und in meinem Kopf dreht der alte Song Money Money Money von den ABBA eine Endlosschleife. Muss das dringend wieder loswerden.

Jetzt kann ich die wunderschönen Fassaden bewundern, die baufälligen Gebäude, die farbigen Häuser, die skurilen Dekorationen und Wandmalereien.

Ich bin auf dem Weg nach San Telmo, dort wo ich am ersten Tag bei den Tangotänzern war. Doch der Platz ist leer, die Tische und Stühle sind bereit, die Touristen und die Sänger werden erst am späteren Nachmittag kommen, dann wenn die Sonne nicht mehr so heiss vom Himmel brennt.

Plaza Dorrega

Plaza Dorrega

Ich gehe weiter, die Hàuser ändern sich. Jetzt sind es herrschaftliche Fassaden, grosse Häuser, breitere Strassen. Irgendwann bin ich bei den Hafenkränen. Es ist heiss, doch das Wasser verleiht wenigstens optisch etwas Abkühlung.

Unter den Balustraden der langen Backsteinhäuser gibt es ein paar schöne elegante Restaurant. In einem kehre ich ein und bestelle das Menu. Es wird ein opulenten Mittagessen, das ich heute ausführlich geniesse.

Die Hochhäuser von Puerto Madero auf der anderen Seite des Hafenbeckens

Die Hochhäuser von Puerto Madero auf der anderen Seite des Hafenbeckens

Restaurante Cucina D'Onore

Restaurante Cucina D'Onore

panaierter Mozarella

panaierter Mozarella

Risotto mit Pollo

Risotto mit Pollo

Das Essen ist fantastisch, der Service vom jungen Kellner sehr kompetent und aufmerksam. Am Schluss offeriert er mir sogar noch einen Champagnerdrink. Mit viel Pfirsichsaft und wenig Champagner, wie er versichert. Ich hatte abgewunken, als er mir einen Champagner als Abschluss bringen wollte. Es ist noch zu früh, für mehr als ein Glas Alkohol, meinte ich, da ich bereits einen sehr feinen frischen Weisswein getrunken hatte.

Das ganze Mittagessen mitsamt Trinkgeld kommt auf 3000 Pesos, was im Endeffekt mit meinem Super-Umrechnungskurs gerade mal knapp 15 Franken ergibt. Bin ja sehr gespannt, ob ich den Preisaufschlag im Laufe der nächsten Wochen spüren werde.

Gemütlich schlendere ich am Hafendamm entlang zurück in mein Hotel. Die Wärme und der Alkohol haben mich müde gemacht.

Erst viel später in der Nacht mache ich mich noch einmal auf zu einem Spaziergang. Eigentlich suche ich das Lokal, das ich tagsüber gesehen hatte. ich glaubte, es würde abends eine Tangoshow bieten, doch es stellt sich heruas, dass es eine Diskothek ist, die wohl erst nach Mitternacht Gäste hat. Da ich aber schon einmal da bin, laufe ich weiter. Überwinde meine Bedenken von wegen nachts allein auf der Strasse und komme zur Casa Rosada. Da sehe ich mich etwas um, fotografiere das alte Rathaus, die Kathedrale, die von Papst Franciscus besucht wurde, wie mir der Taxifahrer gestern Abend erklärt hatte, laufe weiter bis zum Obelisk und zurück auf der Prachtstrasse Avenida del Mayo.

Hier kehre ich in einem der Bistro ein, das noch offen hat, und bestelle ein Glas Weisswein.

Casa Rosada

Casa Rosada

Die Fussgängerpassage Florida

Die Fussgängerpassage Florida

Der Obelisk

Der Obelisk

Prachtsfassaden an der Avenida del Mayo

Prachtsfassaden an der Avenida del Mayo

Es ist kurz vor Mitternacht, als ich mich auf den Rückweg mache. Inzwischen sind fast alle Restaurants geschlossen. Vor den vornehmen Speiselokalen suchen Kellner nach zufällig vorbei fahrenden Taxis für ihre letzten Gäste, sonst sind die Strassen leer und still. Es sind auch nicht mehr viele Autos unterwegs um diese Zeit.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Immer wenn der Mensch seine Zukunft plant, fällt das Schicksal im Hintergrund lachend vom Stuhl. Dieser Satz hat mich durch das Corona-Jahr begleitet. Eigentlich war mein Abflug nach Südamerika am 3. April 2020 gebucht. Doch dann kam alles anders.
Details:
Aufbruch: 20.06.2021
Dauer: 7 Monate
Heimkehr: 29.01.2022
Reiseziele: Peru
Kolumbien
Argentinien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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