Neustart
Metrocable
Medellin hat eine sehr spezielle Lage mit seinen vielen Quartieren, die bis hinauf zu den Bergen gehen. Ausserdem ist die ganze Stadt auf Hügel gebaut, wie ich ja bereits erkannt habe, nachdem ich schon drei Erhebungen erklommen habe. Es gibt ein Bussystem, das ich allerdings noch nicht ausprobiert habe. Und es gibt eine Metro, einen Zug, der über weite Strecken überirdisch auf hohen Trasses durch die Stadt fährt. Aber es gibt noch etwas anderes, denn die Höhen, wo vor allem viele ärmere Menschen leben, können mit der Metro nicht erreicht werden. Jedenfalls nicht mit der normalen. Darum gibt es die MetroCable. Die Seilbahn.
Heute will ich mit dieser Seilbahn fahren. Paula, meine Vermieterin erklärt mir, welche Station die nächste ist und so bin ich schon bald unterwegs. Zu Fuss natürlich, hab mich bereits an die Spaziergänge gewöhnt.
Die Kehrichtabfuhr, die ich unterwegs antreffe, erinnert mich, dass ich gestern Nacht den Abfall hinaus stellen musste. Am Montag Morgen wird er jeweils abgeholt. Darum lagen gestern Abend an meiner Strasse überall Plastiksäcke. Grosse und kleine, vorwiegend schwarze, aber auch andere. Zum Teil waren die Säcke bereits offen und der Abfall lag am Strassenrand. Heute Morgen als ich aus dem Haus kam, war alles sauber. Die Mitarbeiter des Abfuhrwesens haben alles aufgeräumt. Das sehe ich auch hier, die Säcke werden in den Wagen geschmissen und von der Presse gleich zusammengedrückt, was sonst noch auf der Strasse liegt, wird von Hand säuberlich zusammengenommen.
Weil ich heute morgen noch keinen Kaffee hatte, gehe ich in das kleine Lokal, das ich soeben entdecke, aber die Inhaberin hat keine Zeit, mich nach meinen Wünschen zu fragen, sie rennt erst noch dem Arbeiter hinterher, bringt ihm ein Süssgetränk. Das macht sie mir grad extra sympatisch.
Ich bestelle einen Kaffee und eine Empanada. Das sind diese Teigtaschen, die es hier überall gibt, gefüllt mit Fleisch oder Spinat und Käse. Manchmal sind sie aus Weizenmehl, manchmal aus Mais.
Es sind zwei Frauen, die hier arbeiten und während sie miteinander sprechen, habe ich immer das Gefühl, sie würden meinen Namen nennen. Wie kommt es, dass sie wissen, wie ich heisse. Mit der einen komme ich ins Gespräch, sie will wissen, woher ich komme, wie lange ich bleibe. Die üblichen Fragen halt. Dafür will ich wissen, wie sie heisst und tatsächlich, sie heisst Beatriz. Und sie findet das genauso lustig wie ich. Vor allem, als wir dann auch noch herausfinden, dass wir gleich alt sind. Uns trennen nur drei Monate.
Wohin ich will, will sie darauf wissen und als ich ihr erkläre, dass ich zur Estation San Javier will, meint sie, da müsse ich den Bus nehmen, oder ein Taxi, das sei viel zu weit zum Laufen. Ich bin etwas irritiert, schaue noch einmal auf meiner Karte nach und erkläre ihr, dass es doch nur noch zwei km seien, einen habe bereits hinter mir. Sie findet das unglaublich, soweit würde sie nie laufen. Ausserdem würde ich einen Hut brauchen, die Sonne brenne heute wieder heiss vom Himmel. Da mag sie recht haben, aber ich bin sicher, dass ich das auch ohne Hut schaffen werde.
Ich bleibe eine ganze Weile, denn sie sind selten, die Begegnungen mit Menschen, denn wir sind alle mit Masken unterwegs. Das schafft Abstand.
Beim Weitergehen merke ich, was meine Namensvetterin gemeint hat, es geht ganz langsam aufwärts. Nicht steil und eigentlich auch nicht auffällig, aber es geht obsi. Egal, ich bleibe auf dem eingeschlagenen Weg, finde dafür an jeder Strassenecke etwas zum Fotografieren und fülle mein Handy mit Blumen und Marienstatuen. Ja, wenn man genauer hinsieht, sieht man sie überall. Als Bildstöcklein vor Privathäusern, als kleine Andachtsstätten oder als Bilder an der Wand.
Und heiss ist es tatsächlich heute. Es war zwar Regen angesagt, aber was weiss das Wetter schon von den Prognosen. Jedenfalls erreiche ich irgendwann die grosse Station, wo die Metro sich mit der MetroCable trifft. Es ist ein grosser Bahnhof, den ich über eine hohe Fussgängerbrücke erreiche. Unten fahren die Züge, oben ist die Seilbahnstation.
Eine Seilbahn in der Stadt. Definitiv ein ungewöhnlicher Anblick. Die Gondeln kommen herein, drehen einmal und fahren gleich wieder hinaus. Fahren über die Häuser hinweg, neben Hochhäusern. Unter mir sind kleine farbige Hütten mit langen Treppen dazwischen. Hier kommen keine Autos mehr her.
Zuerst geht es geradeaus, die erste Station ist nur unwesentlich höher, als mein Einstiegsort. Doch dann geht es steil hinauf. Bis auf gut 1600. Und dann geht es noch einmal hinauf. Mein Höhenmesser zeigt 1800 m an, doch da oben auf dem Hügel ist gar keine Station, es geht auf der anderen Seite gleich wieder hinunter. Nach einem kurzen Halt, bei dem eine junge Frau mit einem kleinen Mädchen einsteigt, geht es wieder hinauf. Hinauf zur Endstation Aurora. Hier oben gibt es Hochhäuser, von denen es bestimmt einen wunderbaren Ausblick über die Stadt gibt. Ich frage die Frau, ob sie hier wohnt. Nein, meint sie, ich fahre jetzt noch eine halbe Stunde mit dem Bus, bis ich zu Hause bin. Ich steige die vielen Treppen hinauf, hoffe auf ein Restaurant mit Aussicht, oder wenigstens einen Schattenplatz.
Aurora, die Endstation ist kein Touristenaussichtspunkt, sondern ein Wohnquartier mit vielen hohen Häusern. Es gibt zwar ein paar Souvenirstände und natürlich einen Früchtestand, bei dem ich eine frische Ananasscheibe kaufe.
Damit hat es sich. Ich steige die Rampe entalng den vielen Graffitis hinauf und naütlich muss ich jedes bestaunen und fotografieren. Damit schaffe ich den Aufstig ganz leicht. Beim Abstieg nehme ich den direkten steilen Weg.
Sonnenschirme... hier sollte ich eigentlich einen Schirm finden, wenn ich dann wieder einen brauchen werde.
Oben gibt es überhaupt nichts mehr für Fremde, weder ein Restaurant, noch Verkaufsstände. Ausser einem Schuhmacher und einer Secondhand-Verkäuferin, die gebrauchte Schuhe und Kleider verkauft. Die Aussicht wird verdeckt durch die Hochhäuser und so gehe ich wieder hinunter. Unterhalb der Station, auf der Sonnenterrasse gibt es Sitzbänke und hier ist die Aussicht fantastisch. Die ganze Stadt breitet sich vor mir aus. Weit weg kann ich die Nadel erkennen, das höchste Gebäude der Stadt beim Botero-Platz.
Ich geniesse noch einen Moment die Aussicht, gehe noch einmal beim Früchtehändler vorbei und esse mein Papayastück auf der Treppe im Schatten, dann fahre ich wieder hinunter. Aurora liegt übrigens auf 1800 m, während Medellin auf knapp 1500 liegt. Jedenfalls das Zentrum.
Das ich schon mal in der Station bin, fahre ich mit meinem Ticket, das für eine einfache Fahrt gilt, egal wie weit, mit der Metro ins Zentrum. Hier kehre ich beim Bahnhof in einem Restaurant ein und beobachte von oben das Gewusel auf dem Platz. Überall, wo es etwas Platz hat, werden mobile Verkaufsstände aufgestellt. Sonnenbrillen, Handyhüllen, Hüte oder Kleider werden verkauft. Und mitten drin schläft ein Mann auf seinen Plastiksäcken. Immer wieder bedrückende Situationen, dieses Nebeneinander von Arm und Reich. Wobei vielleicht niemand hier wirklich reich ist. Aber wer will das schon wissen.
Ich bestelle einen Cappuccino und bin wieder einmal überrascht, was ich bekomme. Heiss oder kalt, wurde ich gefragt. Ich habe heiss gewählt. Er schmeckt zwar gut., aber er ist sündhaft süss.
Da brauche ich als Ausgleich noch einen Fruchtsaft. Einen Guanabana. Damit ist mein heutiger Früchtebedarf gedeckt. Guanabana ist ebenfalls eine exotische Frucht, von der ich noch keine Foto gemacht habe. Werde ich bei Gelegenheit nachholen. Wer wissen will, wie sie aussieht, muss sie googeln. Deutsch wird sie Cherimoya genannt. Sie wächst auch in Spanien.
Bald wird mir der ganze Betrieb da unten zu viel, ich mag auch die Musik nicht mehr hören und so nehme ich das nächste Transportmittel und fahre mit dem Taxi nach Hause.
Später kehre ich in meiner Lieblingspizzeria, dem Pommo d'ore auf eine PIzza ein.
Im Garten ist ein Tisch liebevoll mit roten Herzen dekoriert. Ob das einen Heiratsantrag gibt? Später kommt ein junges Paar, dass er auf die Knie gefallen wäre, ist mir nicht aufgefallen, war wohl einfach eine romantische Überraschung.
Die Pizza ist üppig und schmeckt sehr fein. Der Cappuccino ist eine weitere Süss-Sünde, aber ich betrachte ihn als Dessert.
Aufbruch: | 20.06.2021 |
Dauer: | 7 Monate |
Heimkehr: | 29.01.2022 |
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