Neustart

Reisezeit: Juni 2021 - Januar 2022  |  von Beatrice Feldbauer

Nachtfahrt

Ich könnte den heutigen Tag auch Schmetterlingstag nennen. Denn einerseits treffe ich heute dauernd auf Schmetterlinge, andererseits fühle ich mich wie einer. Wie einer, der nicht weiss, wohin er gehört, wo er sich festhalten könnte. Zwar sind die Schmetterlinge, denen ich heute begegne, eher statisch. Die beiden grossen Exemplare, denen ich vor dem Eingang zu meiner Unterkunft gestern und heute begegnet bin, sind eigentlich gar keine Schmetterlinge, sondern grosse Motten, oder Nachtfalter. Jedenfalls nachtaktiv und bei Tag völlig bewegungslos. Auch der grosse Schmetterling an der Wand bewegt sich nicht, und der, den ich gestern bei Victoria gekauft habe, hängt neuerdings an meinem Hals und bewegt sich nur mit mir.

Trotzdem weiss ich heute gar nicht richtig, was ich mit mir anfangen soll. Bin schon bei Sonnenaufgang wach und gehe früh auf den Bulevard zum Frühstück. Ein richtig feines gesundes Müesli mit einem Spinat-Yoghurt. Ja, das mit dem Spinat habe ich zu spät entdeckt, nämlich erst, als ich die Kerne unter gemischt hatte, aber da war es bereits zu spät. Hat aber trotzdem sehr gut geschmeckt, das knallgrüne Yoghurt. Und war bestimmt sehr gesund. Das ist übrigens keine peruanische Spezialität, eher eine amerikanische, denn das Dawn on the Amazon versucht den Spagat zwischen peruanischer Küche und amerikanischem Health-Food.

Am Mittag habe ich meine Siebensachen gepackt. Das heisst, der Rucksack ist bereit mit allem, was ich für den Dschungeltrip brauche und der Rest bleibt im Koffer. Diesen wird Pablo am Nachmittag abholen und in Keylas Büro deponieren.

Am Mittag setze ich mich in eines der neuen Restaurants am Bulevard und beobachte die Mototaxis, die hier alle irgendwann vorbei kommen. Dazu lasse ich die Kamera im Zeitraffer laufen, weil ich einfach immer wieder von dem Ergebnis fasziniert bin. Das Video findet man auf meiner Bison-Seite.

Dass ich dazu ausgerechnet einen Refresco mit Zitronen und Minze trinke, ist rein zufällig, aber die Farbe ist tatsächlich giftgrün - und bestimmt auch wieder sehr gesund.

Kurz darauf entdecke ich noch eine Überraschung. Der Gulli-Deckel, der die ganze Zeit schief lag und einer der Stolperfallen auf dem Bulevard darstellt, wird repariert. Und wie! Statt dass der ständig schief liegende Steindeckel richtig hingelegt oder festgemacht wird, bekommt das Loch jetzt einen Holzdeckel. Eine ganz neue Variante. Die übrigen Löcher bleiben natürlich bestehen.

Wenn das nur gut kommt...

Wenn das nur gut kommt...

Dieses und viele andere Löcher und Strassenschäden bleiben weiterhin bestehen.

Dieses und viele andere Löcher und Strassenschäden bleiben weiterhin bestehen.

Und dann will ich noch rasch zur Bank, Will mir für die Reise noch eine Reserve holen, denn bestimmt gibt es in Pebas keinen Bankautomaten und aus Erfahrung weiss ich, dass es immer zusätzliche Kosten gibt, mit denen niemand gerechnet hat. Auch wenn Liborio mir versichert, dass der Transport vollständig bezahlt ist und lediglich ein paar Kosten für Essen und Unterkunft anfallen werden. Aber wieviel das sein wird kann auch er nicht wissen.

Fassungslos stehe ich bald darauf wieder einmal vor der Warteschlange, die täglich vor der Bank steht. Unglaublich, die Geduld, die die Leute aufbringen müssen, um normale Bankgeschäfte abzuwickeln. Ich komme mir zwar ziemlich arrogant vor, aber wie üblich dränge ich mich beim Eingang vor und werde, nachdem ich mir zwei Masken angezogen und die Hände desinfiziert habe, auch bald eingelassen. Keyla hat mir erklärt, dass die meisten Leute eben nicht zum Cajero, zum Geldautomaten gehen, sondern an den Schalter. Und diese sind täglich überlastet.

Genau darum haben kleine Agenturen wie die von Keyla auch so grossen Erfolg. Zwar wickelt sie nur kleine Bankgeschäfte ab, aber auch bei ihr stehen immer mindestens 10 Leute an.

Die Schlange vor der Bank

Die Schlange vor der Bank

Keylas Bankagentur

Keylas Bankagentur

Auch bei ihr komme ich noch kurz vorbei, denn Pablo hat inzwischen den Koffer geholt und ausserdem wollen wir eine Gitarre kaufen. Meine Freunde Eveline und Peter wollen sich bei Pablo damit für die wunderbare Zeit bedanken, die wir im letzten Jahr zusammen verbracht hatten. Pablo hatte sich doch so sehr eine Gitarre gewünscht. Dass er seine alte inzwischen reparieren liess und sich ausserdem eine elektrische wünscht, konnten wir nicht wissen, als wir das Geschenk besprochen hatten. Doch versprochen ist versprochen und so bin ich seit gestern mit Pablo auf der Suche nach einem neuen Instrument.

Heute sind neue Gitarren eingetroffen und Pablo kann sich für eine entscheiden. Er freut sich ungemein und verspricht, dass er sie bis zu meiner Rückkehr aus dem Dschungel eingespielt hat.

Und dann gibt es eigentlich nur noch warten. Und warten verkürzt man sich am Besten mit etwas essen. Wer weiss, was es in den nächsten Tagen zu essen gibt, ich stelle mich auf Schonkost, respektive Diät ein. Im Moment aber setze ich mich in mein Lieblingsrestaurant. Auf dem Balkon vom La Notte kann ich den Bulevard überblicken und in Ruhe Spaghetti Bolognese mit einem feinen Salat aus Palmherzen, Tomaten und Avocado geniessen. Dazu einen Camu Camu-Saft.

Und dann muss ich nur noch das letzte Kapitel aufladen, bevor mich Liborio abholt, um zum Schiff zu fahren.

Ja, das mit dem nur noch rasch ins Internet, um das Kapitel frei zu geben, wird wieder einmal zur Zitterpartie, denn Claro, meine Telefongesellschaft ist in Iquitos grad ausgefallen. Also zurück ins Hotel und versuchen über das Wifi einzusteigen. Das ist wie immer extrem langsam. Doch wie üblich, am Schluss klappt dann doch noch alles, mein Laptop bleibt in Iquitos, ich bin in den nächsten Tagen nur noch mit Handy unterwegs und rechne nicht mit viel Internet-Zugang.

Wir kaufen in der Spital-Apotheke noch ein paar Medikamente als Geschenk für das abgelegene Dorf.

Wir kaufen in der Spital-Apotheke noch ein paar Medikamente als Geschenk für das abgelegene Dorf.

Um acht fährt das Schnellboot, Liborio holt mich um sieben ab. Ob ich diesen Schiffssteg allein gefunden hätte, möchte ich bezweifeln. Jedenfalls ist alles ziemlich schummerig, als wir durch die schmale Gasse Richtung Fluss gehen. Es ist überhaupt alles sehr gespenstisch. Die langen Stege und vor allem die steile Holztreppe mit den unreglmässig hohen Tritten, die im unteren Teil nicht einmal mehr ein Geländer hat. Da ist es gut, dass Liborio die Tasche mit der Hängematte und den anderen Sachen trägt, die nicht mehr in den Rucksack passten. Ich bin mit diesem auf der steilen Treppe schon sehr gefordert.

Rosa erwartet uns beim Boot, das schon am Pier liegt. Es ist ein langes Kabinenboot, eine Sardinenbüchse. Drinnen dröhnt Musik, die Sitze sind frei wählbar. Langsam trudeln die Passagiere ein. Die Tickets werden gecheckt, das Gepäck eingeladen. Grössere Stücke landen auf dem Dach, für Rücksacke hat es im vorderen Teil des Bootes Platz.

Und dann geht die Fahrt los. Es sind 180 km bis Pebas. 180 km durch dunkelste Nacht. Bald verblassen die Lichter von Iquitos, was bleibt sind die Sterne. Ob das Boot selber Scheinwerfer hat, wage ich zu bezweifeln, aber der Bootsführer hält eine starke Lampe in der linken Hand. Mit dieser leuchtet er über das Wasser, während er mit der rechten Hand das Steuer hält. Gespenstisch ist es, ihm zuzusehen. Wenn ich auf der Seite die Plache etwas hebe, kann ich nur die Sterne sehen, und ganz weit weg einen Streifen dunkles Land.

Wir sind auf dem Amazonas unterwegs, dem grössten Fluss der Welt. Und wir rasen durch die Nacht. Es scheint, dass wir ganz allein unterwegs sind, doch natürlich muss man immer mit anderen Booten rechnen, oder mit Baumstämmen, Fischernetzen, die sich losgerissen haben. Ich darf gar nicht zu viel denken, bin eh viel zu müde. Die Dunkelheit lullt ein, irgendwann nicke ich ein. Nach einer Stunde bremst das Boot jäh ab, der Bootsführer wird ausgewechselt. Das passiert jede Stunde wieder.

Fünf Stunden später sind wir am Ziel. Es sind nur wenige Lichter, die den Pier beleuchten. Rasch packen wir unsere Taschen und Rucksäcke, steigen mit ein paar anderen Passagieren auch und das Boot legt schon bald wieder ab. Es fährt weiter bis zur Grenze zu Brasilien.

Und wo sind wir? Noch gibt es ein paar wenige Lampen, die die Brücke beleuchten, über die wir hinauf an Land gelangen, doch dort herrscht Dunkelheit. Meine Vorstellung von wartenden Mototaxis, die uns zu einer Unterkunft bringen würden, muss ich gleich streichen. Da ist niemand. Die wenigen Passagiere sind irgendwo in der Dunkelheit verschwunden, wurden vielleicht erwartet oder sind hier zu Hause. Doch auf uns hat niemand gewartet. Es ist lang nach Mitternacht und es ist stockfinster. Mit den Handys versuchen wir zu ergründen, wo wir sind. Machen ein paar Schritte auf der Strasse, als wir links vor uns auf einem erhöhten Gehweg zwei Gestalten erkennen.

"Perdon", fragt Liborio. "Gibt es da vielleicht ein Hotel?* Ja, meint einer der Männer und zeigt auf die andere Strassenseite, in die Dunkelheit. "Das ist ein gutes Hotel."

Als er merkt, dass wir nicht reagieren, kommt er uns entgegen, steigt auf der anderen Seite einen hohen Gehsteig hinauf und klopft irgendwo an. "Kundschaft!" Erst nach ein paar Minuten öffnet sich eine Türe, geht ein Licht an und ich kann einen Rezeptionsschalter erkennen. Ein Mann drückt uns einen Schlüssel in die Hand, zeigt uns die Zimmer und dann bin ich allein. Angekommen in Pebas, angekommen in einer anderen Welt, von der ich keine Ahnung habe, was mich da erwartet. Bevor ich die Türe schliesse, hab ich mich noch nach dem Preis für das Zimmer erkundigt und bin gar nicht sicher, ob ich es richtig verstanden habe. 30 Soles für die Nacht.

Das bedeutet viel Verantwortung für den Bootsführer und Vertrauen von Seiten der Passagiere.

Das bedeutet viel Verantwortung für den Bootsführer und Vertrauen von Seiten der Passagiere.

30 Soles = ca. 7 Franken

30 Soles = ca. 7 Franken

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Immer wenn der Mensch seine Zukunft plant, fällt das Schicksal im Hintergrund lachend vom Stuhl. Dieser Satz hat mich durch das Corona-Jahr begleitet. Eigentlich war mein Abflug nach Südamerika am 3. April 2020 gebucht. Doch dann kam alles anders.
Details:
Aufbruch: 20.06.2021
Dauer: 7 Monate
Heimkehr: 29.01.2022
Reiseziele: Peru
Kolumbien
Argentinien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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