Neustart

Reisezeit: Juni 2021 - Januar 2022  |  von Beatrice Feldbauer

Pachacamac

Ich merkte schon, als ich in das Auto einstieg, dass etwas anders war als sonst. Der UBER-Fahrer hatte mich etwas unsicher begrüsst und wollte wissen, ob ich nach Miraflores fahren wolle. "Ja, zur Huaco Pucllana", gab ich zur Antwort, aber er schien noch nie etwas von dieser Ausgrabungsstätte gehört zu haben und fuhr gleich schon mal ein paar Meter auf der falschen Strassenseite. Ich schrie "Hey! Hey!", da kam uns schon ein Wagen entgegen und mein Fahrer merkte seinen Fehler. Wahrscheinlich hatte er geglaubt, die Strasse vor meinem Haus sei zweispurig. Nun, nichts passiert. Es fährt ja eh niemand schnell, weil man an der nächsten Ecke schon wieder von einer Schwelle ausgebremst wird.

Als nächstes folgte er nicht seinem Navi sondern bog links ab. Ob das richtig sei, fragte ich ihn und er zeigte etwas unsicher auf sein Handy, das am Armaturenbrett klemmte. "Ja, eben, da wird doch rechts angezeigt. Rechts, hinunter auf die Schnellstrasse am Meer, bis nach Miraflores."

Ich kontrollierte mein Handy, denn bei den Fahrern steht immer eine kurze Notiz, wieviele Fahrten ein Fahrer schon für UBER absolviert hat und mit wievielen Punkten er von den Fahrgästen bewertet wurde. Wieviele Fahrten hatte wohl Juan Pablo schon gefahren?

"Juan Pablo arbeitet neu bei uns, bestimmt würde er sich über ein paar aufmunternde Worte freuen," stand da. Na wer sagts denn.

Es schien tatsächlich, dass er noch nie mit Navi gefahren war. Er wusste offensichtlich nicht, wie er es lesen sollte. Und wenn die Strasse auch noch so dick und blau eingezeichnet war, er war trotzdem unsicher. Also lotste ich ihn erst einmal hinunter auf die breite Schnellstrasse. Und ich zeigte ihm, wo wir wieder hinauf fahren mussten, erklärte, dass er die dritte Ausfahrt im Kreisel nehmen und dann nach rechts fahren müsse. Nebenbei fragte ich ihn, wie lange er schon UBER fahre. Erst seit gestern, erklärte er etwas kleinlaut und dann erzählte er mir, dass er 33 Jahre in einer Schokoladenfabrikation gearbeitet und dann seinen Job verloren habe. Sein Sohn hätte ihm UBER empfohlen und jetzt sitzt er da und versucht sich irgendwie in der Stadt durchzuschlagen.

Ich fand es doppelt lustig, dass ich ihm Anweisungen gab, denn diese wurden mir von seinem Navi perfekt vorgesagt, ich musste sie nur wiederholen. Doch es schien, dass er sie von mir besser entgegen nahm, als vom Computer. Ausserdem konnte er bei mir nachfragen, wenn er fast die zweite statt die dritte Ausfahrt im Kreisel nahm.

Nun, wir kamen an, ganz ohne zusätzliche Schleifen. Wie er den Weg hinaus aus der Stadt wieder gefunden hat und ob er sich noch einmal auf einen Gast eingelassen hat, weiss ich nicht, aber ich schickte ihm trotzdem ein Trinkgeld hinterher. Etwas Aufmunterung konnte er bestimmt brauchen.

"Willst du ins Museum", sprach mich der Parkplatzwärter an, der die Autos für die Restaurants einwies. "Es ist heute geschlossen!" "Nein, es ist am Sonntag geschlossen" widersprach ich entgegen besseres Wissen. "Ja, und am Dienstag auch." Tatsächlich, ich hatte mich zwar schlau gemacht, aber zu wenig genau gelesen: Montag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Samstag geöffnet.

Na dann brauche ich jetzt erst einmal einen Cappuccino im italienischen Restaurant neben der Huaca Pucllana.

Und was mache ich jetzt? Ich könnte nach Larcomar laufen, das sind ein paar Kilometer, dann dort etwas essen.

"Hola Beatriz, donde estas?" Juan erkundigt sich wo ich bin und was ich vorhabe. "Ich bin bei der Huaca, aber die ist heute geschlossen."

"Ich hole dich in einer halben Stunde ab, wir machen einen Ausflug. Und wir kommen erst in der Nacht zurück."

Ich kann's nicht fassen, einen besseren Zeitpunkt hätte er überhaupt nicht treffen können. Eine halbe Stunde später sind wir tatsächlich unterwegs. Wir verlassen die Stadt in Richtung Süden. Auf der Panamericana. Es gibt da eine grosse Ausgrabungsstätte. Pachacamac. Die besuchen wir jetzt.

Ein riesiger Komplex mit Wohn- und Arbeitsstätten und einem Sonnentempel.

Ein riesiger Komplex mit Wohn- und Arbeitsstätten und einem Sonnentempel.

Entstanden ist die Stadt Pachacamac um 200 - 600 n. Chr. Sie gehörte in die Zeit der Lima-Kultur, von der man heute nicht mehr viel weiss. Später wurde sie von den Wari übernommen. Es war ein kulturelles Zentrum und eine Tempelstadt. Noch später übernahmen die Inka die Stätte und benutzen sie als Verwaltungszentrum. Darum sind vor allem die Fundstücke interessant, denn sie stammen aus den verschiedensten Epochen. Sehr einfache bis zu sehr aufwändige Keramikgegenstände wurden hier gefunden. Schöne und erstaunlich gut erhaltene Textilarbeiten. Teppiche oder Teile von Kleidungen.

Mich erstaunen vor allem die Sandalen, fast könnte man sich diese noch heute als modische Accesoires vorstellen.

Filigrane Keramikarbeiten

Filigrane Keramikarbeiten

Opfergefässe, mit denen man vielleicht um guten Fisch-Ertrag betete

Opfergefässe, mit denen man vielleicht um guten Fisch-Ertrag betete

Kleine Teppiche

Kleine Teppiche

aufwändige Textilarbeiten

aufwändige Textilarbeiten

Die Sandalen erinnern mich an Makramee

Die Sandalen erinnern mich an Makramee

Totenmasken

Totenmasken

Khipu, der einzige Hinweis auf eine Schrift der Inkas.

Khipu, der einzige Hinweis auf eine Schrift der Inkas.

Besonders interessant aber sind die Khipu oder Quipu, die Knotenschnüre der Inkas. Es gibt nur sehr wenige, denn die Baumwoll- und Wollfasern sind im Laufe der Zeit verfallen. Es ist aber die einzige bekannte Art von Schrift und noch immer erforscht die Wissenschaft die Bedeutung und Anwendung dieser Schnüre. Was bedeuten die Knoten und was hat es mit den Farben und Materialien auf sich. Geht es nur um Zahlen? War das eine Art Buchhaltung oder vielleicht doch eine Schrift. Genau weiss man das noch nicht.

Es gibt keine Schriften auf Papier oder Leder oder gar Schriftzeichen in Stein. Darum bleibt vieles der Prä-Inka-Kultur im Dunkeln.

Winzige Goldschmuckstücke

Winzige Goldschmuckstücke

die Stierkampfarena von Pachacamac ist vom Sonnentempel gut sichtbar.

die Stierkampfarena von Pachacamac ist vom Sonnentempel gut sichtbar.

Nach dem Besuch des Museums machen wir einen ausgiebigen Spaziergang durch die Anlage. Bis hinauf zum Sonnentempel der Inkas steigen wir. Da oben hat man einen wunderbaren Blick auf das Meer, das ein paar Kilometer hinter der Anlage liegt.

Hier lesen wir auch die Legende von der Entstehung der vorgelagerten Insel. Es war ein Mädchen, in das sich einer der Götter verliebte. Das Mädchen fürchtete sich vor dem Gott und wollte sich ihm nicht hingeben. Er aber verwandelte sich in einen Vogel und liess über dem Platz wo sie mit ihrer Handarbeit sass, eine reife Frucht fallen. Neun Monate nachdem das Mädchen die Frucht gegessen hatte, gebar sie ein Kind, ein Mädchen. Doch noch immer wollte sie keine Verbindung zum göttlichen Liebhaber eingehen und floh vor ihm an die Küste. Sie ging immer weiter, stieg ins Meer und kurz darauf erhoben sich die felsigen Inseln aus dem Meer.

Was mich an dieser Geschichte fasziniert ist die Tatsache, dass es für jungfräuliche Geburten auf der ganzen Welt und in allen Kulturen spezielle Erklärungen gab.

Wir fahren weiter, Juan hat gar nicht im Sinn, zurück nach Lima zu fahren, wir folgen dem Fluss Lurin, der allerdings kein Fluss, sondern ein ausgetrocknetes Flussbett ist.
Wir fahren Richtung Berge und kommen in ein fruchtbares Tal. Irgendwo halten wir an, kaufen frische Chirimoyas, die hier in der Nähe geerntet wurden. Auch Bananen und Orangen und Avocados.

Wir machen ein paar Einkäufe und fahren dann weiter, weiter ins Landesinnere. Die Strasse steigt langsam an. Juan war seit Jahren nicht mehr hier, ja eigentlich war er überhaupt erst einmal hier. Damals war die Strasse allerdings erst eine Holperpiste, heute ist alles aspaltiert. Trotzdem fahren wir langsam, Juan will, dass ich mich umsehen kann. Immer wenn ich die Kamera hebe, sucht er gleich eine Ausweichstelle, wo ich in Ruhe fotografieren kann.

riesige Chirimoyas

riesige Chirimoyas

Yucca - oder Manjok, eine Wurzelpflanze, ähnlich der Kartoffel

Yucca - oder Manjok, eine Wurzelpflanze, ähnlich der Kartoffel

Bei einem kleinen Laden mit ein paar wenigen Tischen halten wir wieder an. Frische Eier aus der eigenen Hühnerfarm und Pekannüsse werden verkauft. Ich glaube ich habe noch gar nie frische Pekannüsse in der Schale gesehen. Wir trinken einen Fruchtsaft und Juan erkundigt sich, wie lange die Strasse schon so gut ausgebaut ist.

Wir fahren weiter und folgen dem Rio Lurin, der jetzt an einigen Stellen doch Wasserlachen hat. Irgendwo ist eine Brücke eingefallen. Wir halten an und ich mache ein paar Fotos, als mich Juan auf ein Loch in der Erde aufmerksam macht. Das heisst, es ist eher ein Loch in den Steinen am Ufer des Flusses.

Hier wurde Pachamanaca gekocht. Zuerst werden die Steine erhitzt, dann werden Kartoffeln und andere Wurzelgemüse eingeschichtet und dann kommt das Fleisch. So kocht man Pachamanaca de tres sabores. mit drei Fleischsorten. Lamm, Rind und Huhn oder Alpaka. Ganz zufällig haben wir eine solche traditionelle Kochstelle gefunden, die auch heute noch für Familienzusammenküfte oder Feste gebraucht werden.

Die eingefallene Brücke über den Fluss Lurin

Die eingefallene Brücke über den Fluss Lurin

Kochstelle für Pachamanaca am Flussufer

Kochstelle für Pachamanaca am Flussufer

Unmerklich sind wir immer höher gestiegen. Wir haben die fruchtbaren Gebiete verlassen, sind plötzlich in der Sierra, in den steinigen Bergen. Hier wo Menschen leben, die irgendwo eine neue Zukunft suchen. Menschen, die aus dem ganzen Land herkommen auf der Suche nach einem besseren Leben.

Und dann gibt es auch keine Häuser mehr, nur noch Steinwüste. Unwegsames Gelände durch das diese Strasse führt. Die Dämmerung setzt ein. Noch ist es hell, die Sonne wird gegen sechs Uhr untergehen.

Und genau um sechs Uhr haben wir die Höhe erreicht und sehen wie die Sonne ihre letzten Strahlen durch den jetzt wieder einsetzenden Nebel und die Wolken schickt. Noch sind wir in der Höhe, noch kann man den rotgoldenen Ball sehen.

Ein wunderbares Timing hat Juan gefunden. Er sagt das wäre unbewusst geschehen und eigentlich glaube ich ihm das, denn es ist schwierig, bei diesen Strassen und Verkehrsverhältnissen, eine Strecke richtig zu berechnen.

Auf der Fahrt Richtung Stadt ist es bereits dunkel und unter uns breitet sich das Lichtermeer der Stadt aus.

In einem Chifa kehren wir ein und lassen den Abend ausklingen bei Frühlingsrollen, chinesischen Nudeln und gebratenem Reis mit Crevetten.

Es ist kurz vor neun Uhr, als ich vor meinem Haus aussteige. Es war ein wunderbarer Tag, voller Überraschungen. Er begann speziell und endete wunderbar. Danke Juan.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Immer wenn der Mensch seine Zukunft plant, fällt das Schicksal im Hintergrund lachend vom Stuhl. Dieser Satz hat mich durch das Corona-Jahr begleitet. Eigentlich war mein Abflug nach Südamerika am 3. April 2020 gebucht. Doch dann kam alles anders.
Details:
Aufbruch: 20.06.2021
Dauer: 7 Monate
Heimkehr: 29.01.2022
Reiseziele: Peru
Kolumbien
Argentinien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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