Neustart

Reisezeit: Juni 2021 - Januar 2022  |  von Beatrice Feldbauer

Jahreswechsel

Silvester, letzter Tag des Jahres. Ich lasse mich treiben, versuche zu schreiben, aber es will nichts wirklich gelingen. Also beantworte ich wenigstens ein paar gute Neujahrswünsche, stöbere durchs Facebook, höre Schweizer Radio und chatte ein wenig mit einer Freundin.

Am späteren Nachmittag mache ich mich auf nach San Telmo. Vielleicht tanzt da jemand auf dem Platz.

Tatsächlich, es ist ein junges Paar diesmal. Sie haben einen leicht anderen Stil. Jugendlicher vielleicht, frischer. Ich bestelle mir ein spätes MIttagessen, oder eher ein frühes Abendessen. Es sind nicht viele Leute hier, es ist ruhig, das Restaurant, wo ich letztes Mal gesessen und mit Petra, der Peruanerin gesprochen habe, ist noch gar nicht offen.

Ich will grad gehen, als sie kommt. Das Restaurant öffnet erst jetzt, die Tische werden aufgestellt. "Kommst du auch heute Abend? Wir machen Party und Tanz. Du musst doch mit jemandem auf das neue Jahr anstossen, Brindis machen".

Dieser Einladung kann ich kaum widerstehen. "Vielleicht komme ich, eigentlich wollte ich zum Damm, wo um Mitternacht das Feuerwerk startet. Habt Ihr denn noch Platz?" "Ja, unbedingt, komm, ich freue mich."

Ich gehe zurück in mein Appartment, könnte den Abend auch ganz gut allein verbringen. Mitternacht kommt automatisch und am Morgen ist noch früh genug, das neue Jahr zu begrüssen. Ich bin damit beschäftigt, meine Weiterreise zu planen.

Als der Zeiger die Elf hinter sich gelassen hat, breche ich doch auf. San Telmo ist näher, als der Damm. Etwas Vorsicht ist bestimmt angesagt. Ich lasse alles hier, stecke nur das Handy und etwas Geld ein und mache mich auf den Weg. Nein, Angst habe ich keine, aber es braucht trotzdem etwas Überwindung, um diese Zeit allein in den dunkeln Strassen unterwegs zu sein. Es ist kaum jemand auf der Strasse. Aus einigen Hauseingängen klingt Musik, vor einem Kiosk sitzen ein paar Leute, sonst ist es ruhig.

Auf dem Platz spielt eine Band und fast alle Tische sind besetzt. Paula ist für die Platzierung der Gäste zuständig. Sie ist auch die Promotorin. Sie zeigt mir gleich einen leeren Tisch und nimmt die Bestellung auf. Ein Glas Weisswein. Paula ist überall, holt die Gäste von den Tischen, tanzt ein paar Takte, geht zum nächsten. Grad hat sie zwei elegant gekleidete Damen von ihrem Tisch geholt. Dank ihr bin auch ich schon bald auf den Beinen. Paula lässt niemanden sitzen. Sie tanzt, macht Fotos, lacht, verbreitet eine gute Stimmung. Am Tisch hinter mir sitzen drei attraktive Männer. Zwei sind jetzt locker mit den beiden Damen am tanzen. Auf der Tanzfläche bewegen sich die Paare. Es ist eine lockere Athmosphäre und schon bald kommt das Servierpersonal mit Tabletts voller Cüpli. Jeder Gast bekommt eines. Es geht bereits auf Mitternacht zu, als der Sänger anfängt zurück zu zählen. 10 - 9 - 8 -.... - 2 -1. Bienvenido 2022.

Ich drehe mich zum Tisch hinter mir, "Feliz ano nuevo". Es sind Holländer. Sie sprechen Englisch und wir unterhalten uns kurz über Buenos Aires.

Ob ich allein reise, will einer von ihnen wissen. Und ob ich mich denn nie einsam fühle.

"Doch, es gibt solche Momente", gebe ich zu, "aber es bleiben Momente, das zählt nicht, die Freude am Reisen überwiegt."

"Ja, vorhin fühlte ich mich nicht wirklich wohl", gebe ich auf seine Rückfrage zu, "allein an einem Tisch zu sitzen, wenn alle anderen mindestens zu zweit sind, kann schon etwas schwierig sein."

"Oh", er entschuldigt sich," tut mir leid, wir hätten sie an unseren Tisch einladen können".

"Nein, das ist jetzt alles wieder ok. Lassen wir uns anstossen. Auf ein neues Jahr, voller Reisen."

Er wird übermorgen zurück fliegen, erzählt er, aber seine beiden Begleiter bleiben hier, werden nach Patagonien weiterreisen.

"Das wird schwierig für mich", meint er und zeigt auf einen seiner Freunde. "Wir sind seit 13 Jahren verheiratet, es wird das erste mal sein, dass ich ohne meinen Mann zu Hause bin".

Alleinsein scheint das Thema zu sein, das ihn zur Zeit beschäftigt. Doch heute sind wir alle bester Laune.

Natürlich laden sie mich nicht an ihren Tisch ein, auch nicht die beiden Damen, die aus San Francisco sind und morgen mit einem Kreuzfahrtschiff hinunter nach Ushuaia reisen werden.

Es ist alles in Ordnung, ich bin frei, kann mit dem Glas in der Hand über den Platz gehen, der Musik zusehen, den tanzenden Paaren, dem Mann der die Rolle des Dirigenten übernimmt. Einen Moment glaube ich, den Mann wieder zu erkennen, der vor ein paar Tagen bei Recoleta mit dem Gitarrenspieler interagiert hatte. Die gleiche hagere Gestalt, kurze Hosen, graue Haare, gestutzter Bart. Doch er ist es nicht, er hat auch nicht so viel Ausdauer wie der andere. Er legt sich schon bald einmal auf den Boden. Streckt sich aus, macht es sich bequem. Später hockt er wieder auf, beobachtet die Band. Auch er ist allein und amüsiert sich bestens.

Es ist lange nach ein Uhr als ich mich auf den Heimweg mache. Jetzt ist es noch ruhiger. Irgendwo knallt eine einsame Rakete. Vom Feuerwerk habe ich überhaupt nichts gehört, merke ich. Es war wohl doch viel zu weit weg. Und die Stadt ist riesig. Ich bin allein unterwegs. Die Holländer haben mir erzählt, dass sie ganz in der Nähe des Platzes ein Appartment hätten. Auch sie seien abend sehr vorsichtig, wenn sie unterwegs seien, hat mir einer erklärt.

"Aber Sie scheinen vor nichts Angst zu haben", hat er noch angehängt. Interessant, was man für einen Eindruck hinterlässt, nur weil man allein unterwegs ist.

Es ist friedlich, keine tiefen Hauseingänge, in denen sich jemand verstecken könnte, keine Kreuzungen, bei denen man an der Ecke aufpassen muss, wer dahinter lauert. Überhaupt, wer will sich heute schon auf die Lauer legen um eine Frau abzupassen, die zufällig allein unterwegs ist.

Es ist ein schöner ruhiger Spaziergang in das neue Jahr, in ein Jahr, von dem wir uns alle etwas mehr Freiheit zurück wünschen. Ich bin im Moment mit mir und der Welt zufrieden, meine Freiheit ist im zur Zeit nicht eingeschränkt.

Ein einsamer Spaziergänger mit Hund

Ein einsamer Spaziergänger mit Hund

Neujahrsmorgen. Es regnet. Es regnet tatsächlich und zwar in Strömen. Und es scheint kühl zu sein. Ich drehe mich genüsslich noch einmal im Bett um. Erst am Mittag stehe ich auf, mache mich bereit, um auf den Flughafen zu gehen. Ich hatte gestern vergeblich versucht, einen Flug online zu buchen. Wenn ich alle Angaben der Kreditkarte eingegeben hatte, kam die Meldung: Hat nicht funktioniert, versuchen sie eine andere Zahlungsmethode. Ich habe es mit zwei verschiedenen Kreditkarten mehrmals versucht, hab sogar versucht, mit der Hotline per WhatsApp Kontakt aufzunehmen. Doch da kommt nur ein automatischer Hilfstext und ganz am Schluss ein Mail mit der Bewertung: Wie waren sie mit unserer Hilfe zufrieden?

Überhaupt nicht, ich tippe die Begründung ein, doch natürlich ist auch das völlig sinnlos, denn Maschinen bleiben Maschinen. Ich brauche Menschen und werde heute direkt auf den Flugplatz gehen.

Der Taxifahrer ist etwas verblüfft, als ich ihm sage, wohin ich will. "Koffer?" fragt er. "Nein, ich will noch nicht abreisen, nur bei der Aerolines Argentina ein Ticket kaufen." "Es ist Feiertag heute. Ob die wohl im Büro arbeiten?" mutmasst er. Das werde ich rausfinden,

Vor dem Flugplatz stehen die Menschen Schlange. Wollen die alle hinein? Nein, sie warten vor dem Testcenter. Da ist man heute sehr beschäftigt. Auch bei den Checkin-Schaltern ist Betrieb. Einzig der Verkaufsschalter von Argentina Aerlines ist nicht besetzt. Ich frage mich durch. Doch, dort vorne ist noch ein Schalter, und da sitzt jemand dahinter.. Ich stehe davor. "Bitte anstehen", weist mich die junge Dame an, "sie werden aufgerufen". Ich stelle mich also in eine imaginäre Schlange und warte, bis mich der Typ vom Schalter nebenan aufruft. "Bitte?"

Der Flug, den ich gestern buchen wollte, scheint ausgebucht zu sein. Mein Flug geht jetzt ein paar Stunden später, um vier Uhr morgens. Ich werde wohl eine Nacht länger im Hotel buchen müssen. "Wie wollen sie bezahlen?" Er fragt mich das tatsächlich, obwohl ich doch inzwischen herausgefunden habe, dass ausländische Kreditkarten in Argentinien gar nicht mehr funktionieren. Er will noch Mail-Adresse und Handynummer wissen, dann drückt er mir einen Zettel in die Hand.

"Wir haben gleich Ablösung, kommen sie in einer Viertelstunde wieder her mit diesem Zettel."

Er schliesst tatsächlich den Schalter, auch seine Kollegin nebenan ist bereits weg.

Im Starbucks warte ich bei einem Cappuccino und einer süssen warmen Apfel-Schnecke. Dann gehe ich zurück zum Schalter, wo jetzt andere Leute sitzen. Ich muss noch einmal meinen Zettel abgeben, dann druckt der Angestellte einen weiteren Zettel, den er zur Kasse weiter gibt. Dort zähle ich den Betrag ab, Tausende von Pesos, ein eigenartiges Gefühl. Aber das Wichtigste, ich habe mein Ticket.

Der Flughafen von Buenos Aires liegt am Wasser. Zwar scheint es gross wie das Meer, doch es ist der Rio de la Plata, der Geldfluss oder der Silberfluss. Langsam hellt sich jetzt der Himmel auf, der Regen ist weg, die Strasse bereits trocken. Am Ufer steht eine hohe Säule. Ganz oben steht er. Christopf Columbus, mit dem hier alles angefangen hat. Nachdenklich blickt er zurück zum alten Kontinent. Zurück nach Europa, wo er vor 530 Jahren aufgebrochen ist, Indien auf dem Seeweg zu erreichen.

Christoph Kolumbus schaut zurück zur alten Welt

Christoph Kolumbus schaut zurück zur alten Welt

Im Wasser liegt ein altes Schiffsfrack. Ich laufe entlang dem Ufer, komme zum schönen weissen Haus, mit den roten Balken und der langen Mole. Es ist der Fischerclub, doch die Mole ist leider geschlossen. Ich gehe weiter, entschliesse mich spontan, zu den Parks von Palermo, dem grünen Bereich Buenos Aires zu gehen. Sie sind gar nicht so weit weg, vielleicht ist der japanische Garten offen.

Ich muss ein paar Hauptstrassen überqueren und bei einer grossen Unterführung komme ich zu einer Behausung. Hier wohnt jemand, der auf der Strasse lebt. Natürlich gibt es sie auch hier. Die Obdachlosen. Oft treffe ich sie auf den Strassen von Buenos Aires. Nicht ganz so auffällig wie in Medellin oder Lima. Aber sie sind eigentlich überall. Auch die Bettler, die einem in den Restaurant ansprechen und ein paar Peseten erbetteln. Auch Abfallsammler sind überall unterwegs. Grad kommt mir wieder einer entgegen. Mit einem grossen Wagen voller Kartons.

Schmucklilien

Schmucklilien

Ich bin jetzt im Bereich der Parks, überall blühen Schmucklilien in den Rabatten. Man trifft sie in der ganzen Stadt. Meistens sind sie jetzt schon verblüht, hier sind sie noch schön. Auch die grossen Ziergräser sehen sehr schön aus und auch sie sind an vielen öffentlichen Orten angebaut.

Der Japanische Garten ist geschlossen. Feiertag. Aber sonst sind die grossen Parks offen. Sie haben keine Mauern oder Zäune sind frei zugänglich. Es gibt auch kaum Schilder, die das Betreten der Grünflächen verbieten würden. Inzwischen ist es schon wieder richtig heiss geworden, der Boden ist trocken und ich bereue, dass ich mich für mein langärmliges T-Shirt entschieden habe.

Es sind viele Leute unterwegs. Mit Kindernwagen und Hunden.

Es ist ein wunderschöner Spaziergang durch die Parks, vorbei an alten Bäumen und vielen Statuen, die locker verteilt sind. Leute sind am Joggen, am Picknicken. Die wenigen Sitzbänke sind alle besetzt, aber da wo der Boden trocken ist, sitzen die Leute in der Wiese. Ein friedlicher Start in das neue Jahr 2022.

Bei einem kleinen See fahren Pedalos. Es sind fast alle ausgemietet, ganze Familien sind darin am Strampeln. Der Rosengarten auf der anderen Seeseite ist geschlossen. Auch der ehemalige Zoo, der mit einem Gitter-Zaun umgeben ist, ist noch geschlossen. Heute ist einer der wenigen Feiertage, wo vieles nicht offen ist. Auch auf den Strassen ist es ruhig. Am Morgen waren die Strassen fast leergefegt, jetzt sind etwas mehr Autos unterwegs.

Konfuzius

Konfuzius

Irgendwo treffe ich auf ein altes Karussel. Ich mag sie, diese alten Karussels mit der typischen Musik. Ein paar Eltern mit ihren Kindern drehen sich im Kreis, die Pferdchen wippen auf und ab. Es gibt sogar Tiger zum draufsitzen.

Daneben gibt es ein Restaurant und ich bestellte den Fisch des Tages.

Damit beschliesse ich den heutigen Tag. Danach rufe ich ein Taxi, das mich innert Minuten zurück in mein Appartment bringt.

Ein interessanter Gang zur Toilette

Ein interessanter Gang zur Toilette

Mit diesem kleinen Freund grüsse ich London, den Begleiter meiner Freundin Judith

Mit diesem kleinen Freund grüsse ich London, den Begleiter meiner Freundin Judith

gebratener Fisch des Tages mit einer frischen Beilage.

gebratener Fisch des Tages mit einer frischen Beilage.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Immer wenn der Mensch seine Zukunft plant, fällt das Schicksal im Hintergrund lachend vom Stuhl. Dieser Satz hat mich durch das Corona-Jahr begleitet. Eigentlich war mein Abflug nach Südamerika am 3. April 2020 gebucht. Doch dann kam alles anders.
Details:
Aufbruch: 20.06.2021
Dauer: 7 Monate
Heimkehr: 29.01.2022
Reiseziele: Peru
Kolumbien
Argentinien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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