Neustart
Santissimo
Sonntagmittag, ich bin auf der Suche nach einem Restaurant fürs Mittagessen. Doch es ist wieder einmal wie verhext. Es ist alles geschlossen. Sogar die kleine Kaffeebar, in der ich gestern einen Kaffee und ein Käsebrötchen bekam. Auch die beiden schönen Restaurants, die ich mir für heute merken wollte.
Es ist Sonntag in Kolumbien und da scheinen tatsächlich die meisten Restaurants geschlossen zu sein. Dafür ist der Markt in vollem Gange. Auf meiner Suche finde ich eine noch grössere Markthalle als gestern. Hier wird Gemüse verkauft. Als ich mich etwas mehr auf das Angebot konzentriere, merke ich, dass tatsächlich nur Gemüse verkauft wird. Früchte gibt es hier drin nicht. Höchstens noch Kochbananen, aber die gelten ja auch als Gemüse.
Es gibt keine Früchte. Früchte gibt es nur draussen auf der Strasse. Dort gibt es dafür das gesamte Angebot. Als ganze Früchte, als vorgeschnittene Portionen oder als Fruchtdrink.
Ich bin etwas weiter gelaufen als gestern und stehe plötzlich wieder auf einem bedeutenden Platz. Und vor dem Justizpalast. Auch eine Kirche gibt es hier. Sie ist offen, denn es wird eine Messe abgehalten. Dir Kirchentüren sind immer alle offen, wenn drinnen etwas gefeiert wird. Ob das nur wegen der Pandemie so ist, oder ob das generell ist, weiss ich nicht. Ich werfe einen Blick hinein. Die Bänke sind wie überall locker besetzt, denn überall gibt es die Kleber, wo man sich nicht hinsetzen soll, um die Abstände zu wahren.
Ich habe aber Hunger, gehe zurück auf den Platz und plötzlich sehe ich ein offenes Restaurant.
Und was für eines! Es ist ein peruanisches Restaurant, und als ob das noch nicht genügen würde, erst noch eines von Iquitos, das all die Amazonas-Spezialitäten anbietet, die ich in Iquitos jeweils esse. Der Koch, der vor dem Lokal steht und Kunden sucht, bestätigt mir, dass er selber und die junge Besitzerin aus Iquitos stammen. Das Restaurant haben sie erst vor ein paar Monaten eröffnet.
Da bin ich genau richtig.
Ich bestelle Lomo saltado, das ist zwar nicht typisch Iquitos, aber sehr typisch peruanisch. Geschnetzteltes Rindfleisch mit viel Zwiebeln und Tomaten zubereitet. Dazu weiche Pommes und Reis.
Ich komme mit der jungen Besitzerin ins Gespräch, doch sie hat gar nicht viel Zeit, das Lokal füllt sich. Es ist Mittag und die meisten Restaurants rundum sind geschlossen.
Nachdem mein Hunger gestillt ist, komme ich auf mein zweites Anliegen für heute zurück. Ich will weiter reisen, weiss aber nicht genau wie. Das heisst, ich brauche einen Bus und weil die Reise gute 10 Stunden dauern wird, muss es wohl ein Nachtbus sein. Ich möchte lieber am Morgen bei Zeiten ankommen, als zur späten Nachtstunde. Darum will ich jetzt zum Busterminal, um mich über die Abfahrtszeiten zu erkundigen. Bisher war ich spontan zum Terminal gekommen, in der Annahme, dass innert Kürze ein Bus fahren würde, Nachts oder abends möchte ich aber sicher sein, dass es auch tatsächlich eine Verbindung gibt.
Also lasse ich mich von einem Taxi zum Terminal fahren. Was es denn eigentlich zu sehen gäbe, hier in Bucaramanga, will ich vom Taxifahrer wissen. Er ist etwas unsicher. Was will man in Bucaramango sehen? Er ist kein Guia.
Gibt es vielleicht einen Hügel, von dem man die Stadt sehen könnte, frage ich weiter. Das hilft. Ja, es gibt den Santissimo. Von da hat man eine gute Aussicht über die Stadt.
Na also, nachdem ich am Terminal mein Ticket für heute Abend gebucht habe, fahren wir zum Santissimo. Schon der Name ist sehr speziell, was denen nur immer einfällt.
Die Endung -issimo ist die höchste Steigerungsform, die man anscheinend an viele Wörter anhängen kann. Als meine Freundin Keyla mich in der Schweiz besuchte, hat sie eine neue Wortschöpfung kreiert: schönissimo. Als schön allein nicht mehr genügte für die wunderschönen Landschaften in der Schweiz. Schönissimo. Und jetzt eben Santissimo. Als Steigerungsform von santo/heilig.
Ich kann sie schon von weitem sehen, die weisse Statue, die vom Hügel grüsst. Wie könnte es anders sein, da oben steht entweder eine Virgin oder ihr Sohn.
Die Strasse steigt an, Wir fahren in die Höhe und irgendwann stehen wir vor dem grossen Tor zum Santissimo. Aber es ist noch geschlossen, öffnet erst um drei Uhr, das ist in einer halben Stunde.
"Lass uns was trinken, ich lade dich ein", sage ich zum Taxifahrer. Jorge Beto heisst er. Es scheint, dass Jorge ein sehr verbreiteter Name hier in Kolumbien ist. Am Kiosk bestellen wir eine Coke und weil ich grad gesehen habe, dass die Wirtin einen violetten Schirm hinter dem Tresen versorgt hat, kommen wir ins Gespräch. Ich brauche ja schliesslich noch einen Schirm. Nur kuirz, nur für ein Selfie.
Die Schirm-Geschichte mit Mary Poppins ist immer wieder ein guter Gesprächseinstieg. Ich sehe mich in ihrem Garten um, wo Orangen und Guanabana reifen. Die Guanabana/Chirimoya sind zum Reifen in blaue Plastiksäcke gepackt, aber die Orangen scheinen mir eher schwarz, denn orange zu sein. Das käme von der Sonnenhitze des Tages und der Kälte in der Nacht, erklärt mir Maria, sie seien vom Klima verbrannt. Sie würden aber trotzdem gut schmecken, versichert sie mir.
Zur Anlage des Santissimo gehört auch eine Seilbahn. Im Eintrittspreis ist sie inbegriffen. Darum meint Jorge, er würde dann schon mal hinunter fahren und mich unten bei der Station erwarten. Ich kann mir aber alle Zeit nehmen, die ich brauche, um ganz hinauf zur Statue zu gehen. Er würde sich einzig über meine Fotos freuen, die ich ihm per WhatsApp schicken könnte.
Beim Eintritt muss ich den Pass und bereits zum zweiten Mal mein Impfzertifikat zeigen. Es scheint tatsächlich, dass sich in Kolumbien die Massnahmen verstärken. Jedenfalls an offiziellen Orten. Dass das Ganze hier draussen stattfindet ist dabei Nebensache. Auch die Maske ist selbstverständlich obligatorisch.
Vor mir liegen wieder einmal ein paar Treppenstufen. Aber das bin ich mir inzwischen gewohnt. Bis hinauf zur Christusstatue sind es gut 100 Meter und von dort geht es mit dem Lift weiter. 40 Meter hoch, so dass ich ganz oben auf 1600 Metern bin.
Die Aussicht ist fantastisch. Der junge Liftboy, übernimmt auch gleich noch die Erklärungen von der Aussichtsplattform. Vor uns liegen vier Städte. Rechts Bucaramanga, direkt vor uns Floridablanca, das ich als eine gemeinsame Stadt wahrgenommen habe, weiter hinten, dort wo es zum Flugplatz geht, liegt Giron. Die vierte Stadt konnte ich mir nicht merken.
Aber dass die Christusstatue mit ihren 27 Metern nur 3 Meter kleiner ist, als der Redentor Cristo von Rio, muss natürlich erwähnt werden. Auch, dass er erst vor wenigen Jahren gebaut wurde, dass innen eine Konstruktion besteht, durch die die Arbeiter bis hinauf zum Kopf gelangen können und dass Christus hier die ganze Gegend beschützt und segnet, muss noch erwähnt werden.
Bei solchen Erklärungen bin ich entweder hoch konzentriert und versuche, die Informationen irgendwo einzuordnen oder ich verpasse den Einstieg und weiss hinterher rein gar nichts mehr.
Ich mache noch ein paar Bilder, auch ein Video von der Abfahrt mit dem Lift und schicke sie an Jorge. "Werde bald zur Seilbahnstation gehen..."
Dann sehe ich mich noch ein wenig im Park um. Es gibt hier wieder einmal wunderschöne Hibiskusbüsche. Mit riesigen Blüten in verschiedenen Farbtönen.
Als auch die festgehalten sind, gehe ich zur Seilbahnstation.
Auch bei der Bahn, die übrigens eine Doppelmayr-Bahn ist, werde ich darauf aufmerksam gemacht, dass ich die Maske aufbehalten muss. Auch wenn ich ganz allein in der Kabine sitze. Doch so Kleinigkeiten merkt man mit der Zeit schon gar nicht mehr. Trage sie ja eh immer und nehme sie nur für meine Selfies ab.
Es geht recht steil hinunter. Ganz langsam schwebe ich über dm dichten Wald, und nach ein paar Minuten erreiche ich die Talstation.
"Warte vor dem Eingang auf dich," meldet sich Jorge, denn wenn er durch das Tor fahren würde, müsste er Eintritt oder wenigstens Parkgebühr zahlen. Ere freut sich über meine Fotos und Videos, denn selber war er noch nie ganz oben. Zu teuer.
Dafür stellt er sie jetzt gleich in seinen eigenen WhatsApp-Status.
Auf der Rückfahrt kommen wir an einem Park vorbei, wo irgend ein Spektakel stattfindet. Natürlich muss ich da rasch aussteigen und sehen, was das geboten wird. Es sind zwei Gaukler, die mit und Schwert- und Feuerjonglieren die Leute unterhalten. Erinnert mich sehr an Iquitos. Auch dort treten jeweils an den Wocheenden spontane Clowns auf.
Es liegt schon den ganzen Tag Regen in der Luft, und während mich Jorge zurück zum Hotel fährt, fallen die ersten Tropfen. Ich werde mich noch kurz etwa erholen, in ein paar Stunden wird Jorge wieder kommen und mich zum Terminal fahren.
Für eine lange Nachtfahrt.
Aufbruch: | 20.06.2021 |
Dauer: | 7 Monate |
Heimkehr: | 29.01.2022 |
Kolumbien
Argentinien