Neustart

Reisezeit: Juni 2021 - Januar 2022  |  von Beatrice Feldbauer

Zick/zack durch Lima

Nachdem ich mir gestern einen ruhigen Samstag gemacht habe, bin ich heute mit Juan verabredet. Er hat frei und will mir die Stadt zeigen. Was kann es besseres geben, als einen Taxifahrer, der die Stadt wirklich kennt.

Pünktlich um zehn Uhr steht er vor meinem Haus. Er hat sich einiges vorgenommen, was er mir zeigen möchte und wir starten gleich mal in Richtung Zentrum. Als ich den Vorschlag mache, dass ich gern einen kurzen Halt für einen Kaffee hätte, hält er tatsächlich vor der Pizzeria Romana an. Genau hier hatte ich auf meinem Marsch in die City einen Cappuccino getrunken. Unglaublich, da gibt es diese Millionenstadt mit unzähligen Restaurants und er wählt genau das gleiche Restaurant, in dem ich bereits war. Heute ist es allerdings geschlossen und sein nächster Vorschlag ist eh interessanter. Die Antigua Taberna Quierolo, eines der ältesten Lokale Limas. Gegründet von einer ausgewanderten Familie aus Genua, Italien um 1880. Im Laufe der Zeit wurde aus dem anfänglichen Lebensmittelgeschäft ein Restaurant und heute gehören auch Reben in Ica dazu. Die Weinfässer in der grossen Halle, die erst zum Mittagessen geöffnet wird, sind eindrücklich.

Juan Manuel, mein Guia durch die Millionenstadt

Juan Manuel, mein Guia durch die Millionenstadt

Viele Fotos an den Wänden erzählen die Geschichte der Einwandererfamilie mit ihrem Erfolg. https://antiguatabernaqueirolo.com/

Viele Fotos an den Wänden erzählen die Geschichte der Einwandererfamilie mit ihrem Erfolg. https://antiguatabernaqueirolo.com/

Als nächstes kommen wir zu einem grossen runden Platz mit einer riesigen Perufahne in der Mitte. Es ist der Plaza de la bandera. Wir drehen eine Runde um den Platz um der Fahne die Ehre zu erweisen, dann geht es weiter zur Plaza dos de Mayo. Dieser Platz hat mich von Anfang an fasziniert. Es ist ein grosser runder Platz der von Häusern mit einer abgerundeten Fassade umgeben ist. Vom Flugplatz ins Hotel im Zentrum von Lima bin ich jedes Mal hier durch gefahren. Beim ersten Mal waren alle Häuser rundum blau gestrichen, das hat mich sehr beeindruckt. Ein Jahr später war der ganze Platz rosa gestrichen. Alle Häuser rundum in neuer Farbe. Und beim nächsten Besuch sah ich, des an einem der Häuser einen Brand gegeben hatte. Das Dach war damals noch vorhanden, aber inzwischen steht da nur noch eine Ruine. Würde mich nicht wundern, wenn die unteren Räume noch genutzt würden, denn so abgefackt sieht es an vielen STellen in der Stadt aus. Nicht wegen Brand, sondern weil einfach nicht fertig gebaut wurde. Weil Häuser halbfertig bleiben. Weil man vielleicht erst weiter baut wenn Sohn oder Tochter eine eigene Familie gründen und mehr Wohnraum benötigt werden.
Jedenfalls für mich jedes Mal wieder interessant, dieser Plaza de dos de Mayo.

Hier hat es vor knapp 10 Jahren unter dem Dach gebrannt. Statt zu reparieren, lässt man das Haus verfallen.

Hier hat es vor knapp 10 Jahren unter dem Dach gebrannt. Statt zu reparieren, lässt man das Haus verfallen.

Plaza dos de Mayo - an der Seite kann man noch die frühere Farbe erkennen, weil nich alle Häuser komplett umgestrichen wurden.

Plaza dos de Mayo - an der Seite kann man noch die frühere Farbe erkennen, weil nich alle Häuser komplett umgestrichen wurden.

Wir fahren weiter durch die Stadt. Juan erzählt mir, wie die Stadtbezirke heissen. Es gibt 43 davon und natürlich kann ich mir die gar nicht alle merken. Wir kommen durch einen Strasse, wo fast in jedem Laden Musikinstrumente verkauft werden. Dann passieren wir einen der ältesten Märkte der Stadt. Juan lässt kurz das Fenster runter, so dass ich Fotos machen kann. Aber immer ganz vorsichtig, ohne das Handy aus dem Fenster zu strecken, denn man weiss nie, ob jemand mit dem Motorrad vorbei fährt und es aus der Hand schlägt.

Wir fahren an der Kirche vorbei, in der Juan getauft und gefirmt wurde und langsam verlassen wir die bessere Gegend, nähern uns den 'Bergen' die sich mitten in Lima erheben. Dort hinauf will Juan und mir die Aussicht zeigen.

ein alter traditioneller Markt

ein alter traditioneller Markt

Wir überqueren der Fluss Rimac, der tatsächlich etwas Wasser führt, was ihn für mich aber nicht wirklich zu einem Fluss macht. Er soll Lima mit Wasser versorgen, aber ich glaube, dieses wird weit hinten in den Bergen bereits gefasst und in die Stadt geführt. Denn Lima gehört zu den trockensten Gebieten der Welt. Es ist hier zwar oft sehr feucht, aber es gibt kaum Niederschläge.
Dieses Gebäude rechts war früher ein Bahnhof, erzählt Juan und ich versuche zu erkennen, ob micht etwas an dem verlotterten Schuppen an einen Bahnhof erinnert.
Ich sehe ein Schild, das auf einen Tunnel hinweist. Ein Tunnel in der Stadt? Ja, wir können durchfahren, ich mache einen kleinen Schlenker. Und tatsächlich fahren wir kurz darauf durch einen kurzen Tunnel von 285 m, der erst 2016 eröffnet wurde. Er verbindet die beiden Stadtteile Rimac und San Juan de Lurigancho. Früher musste man einen riesigen Umweg um die Hügel machen, jetzt erreicht man das Quartier hinter den Bergen innert wenigen Minuten. Juan dreht ab und wir fahren zurück zum Stadtteil Rimac.

Beim Alameda de los Descalzos halten wir kurz an. Es ist ein langer schmaler Garten um den sich viele romantische Geschichten ranken. Angelegt von einem Vizekönig für seine Geliebte im 17. Jahrhundert nach Vorlagen von Sevilla.
Anfangs durfte nur sie sich in dem gegen 400 m langen Park aufhalten. In späteren Jahren woll er nächtlicher Treffpunkt von verbotenen Liebespaaren gewesen sein und ausserdem sollen hier die Geister von verstorbenen Witwen hier spuken.

Als nächstes kommen wir zum grossen Tor, das den Eingang zu Rimac markiert. Hier entdecken wir ein kleines Mädchen, das mit seinen Eltern und einem Fotografen ein Shooting macht. Sie tanzt in einer Folkloregruppe, erzählt mir die Mutter, das Kleid ist ein Fantasiekostüm und gehört zu keinem Ort.

Cerro San Cristobal

Cerro San Cristobal

Zum Cerro San Cristobal fährt man durch das Barrio baja, da wo die Ärmsten wohnen. Eng ist die Strasse und extrem steil, die hinauf führt. Hierher verirren sich wohl kaum Touristen. Man sollte hier auf nicht zu Fuss allein unterwegs sein, vor allem nicht als Ausländer. So erzählt es jedenfalls ein Reiseführer im Internet. Mit Juan bin ich sicher, obwohl ich staune, dass er mit seinem Taxi hier hinauf fährt. Ein paarmal muss er zurück setzen, weil ein Tucktuck den Weg versperrt, oder weil Leute aus einem Auto aussteigen und dabei den schmalen Weg komplett abriegeln.

Ganz oben sind behelfsmässige Zelte, Plastikplanen. Wohnen da tatsächlich Menschen will ich wissen. Juan ist selber erstaunt, es ist lange her, dass er hier war aber er meint, dass das wohl tatsächlich Unterkünfte seien. Hier wohnen die Ärmsten der Armen, meint er. Hier sind sie komplett ohne Schutz udn bei einem Erdbeben schüttelt es hier ganz besonders. Da bröckelt auch der Boden weg.

Ich verzichte auf Fotos, es tut weh, diese Verhältnisse zu sehen. Ob die Kinder wohl in die Schule gehen, will ich noch wissen. Ja auf jeden Fall meint Juan. In die Schule gehen alle Kinder von Lima. Ich will ihm gern glauben.

Die Stadt ist endlos

Die Stadt ist endlos

Von oben hat man einen fantastischen Blick über die ganze Stadt. Natürlich wäre der bei blauem Himmel noch viel besser, aber der Himmel ist im Winter fast immer bedeckt, so dass es keine Rolle spielt, ob wir heute oder an einem anderen Tag hierher gekommen sind. Juan kann mir jedenfalls auf allen Seiten erklären, was wir sehen. Der Fluss, die elektrische Eisenbahn, der riesige Friedhof, die Stierkampfarena, dort hinten die Kirche San Francisco, den Plaza Mayor, die Universität, das Trassee der Bahn wo gerade ein langer Zug durchfährt. Ja auch für Passagiere, aber vor allem für Warentransport.

Der Cerro de San Cristobal ist die höchste Erhebung von Lima und liegt auf 400 m.

unten kann man die Strasse zum Santa Rosa Tunnel erkennen

unten kann man die Strasse zum Santa Rosa Tunnel erkennen

Fluss Rimac, der der Stadt Lima den Namen gab

Fluss Rimac, der der Stadt Lima den Namen gab

die grosse Fläche die weit hinten am Berg zu sehen ist, sind die Friedhöfe von Lima

die grosse Fläche die weit hinten am Berg zu sehen ist, sind die Friedhöfe von Lima

Die Rückfahrt geht wieder durch die Quartiere der Ärmsten Limas

Die Rückfahrt geht wieder durch die Quartiere der Ärmsten Limas

Sportplätze gibt es überall in der Stadt, auch im Barrio baja, wie die Slums spanisch genannt werden.

Sportplätze gibt es überall in der Stadt, auch im Barrio baja, wie die Slums spanisch genannt werden.

Von weitem sehr malerisch anzusehen, das Barrio baja

Von weitem sehr malerisch anzusehen, das Barrio baja

Die beiden Leute sollen das Leben von früher hier in der Gegend symbolisieren, als im Fluss Rimac noch Krebse gefischt werden konnten.

Die beiden Leute sollen das Leben von früher hier in der Gegend symbolisieren, als im Fluss Rimac noch Krebse gefischt werden konnten.

Unser nächstes Ziel ist der grosse Friedhof. Leider sind die Tore verschlossen, die Wörter lassen uns nicht hinein. Doch Juan hat einen Trick. Dafür muss sein verstorbener Onkel hinhalten, der zwar nicht hier bestattet wird, aber weil das anscheinend nicht kontrolliert wird, bekommt er eine Plaquette umgehängt und wir dürfen hinein. Auch Juan ist zum ersten Mal hier und entsprechend sehr beeindruckt.

Er liest mir die Namen und die Todeszahlen vor. Es ist einer der ältesten Friedhöfe, wir finden Gräber bis zurück ins Jahr 1820. Die Särge werden in den Mauern eingeschlossen, oder in grossen Familiengräbern bestattet. Hier sind auch viele Prominente und Kriegshelden begraben und ich merke, wie beeindruckt Juan ist.
Für mich zeigt es wie unscheinbar wir doch alle sind. Auch die, die mit grossem Pomp in aufwändigen Gräbern ruhen, sind inzwischen vergessen. Nichts ist geblieben, als steinerne Denkmäler. (Damit tue ich wahrscheinlich einigen Helden und Familien unrecht.)

Der Friedhof ist riesig, er hört überhaupt nicht mehr auf. Es ist eine ganze Stadt von Toten. Ich lasse hier einfach mal die Bilder wirken.

Als wir den Friedhof wieder verlassen, sagt einer der Wärter: "Hasta luego", bis bald - nein, sage ich, hier möchte ich nicht so bald wieder herkommen, da liegen zu viele Tote...

Juan holt seinen Ausweis gegen die Plaquette wieder zurück und schon bald sind wir wieder unterwegs. Von den Toten zu den Lebenden. Und wie! Wir fahren bei la Camarra vorbei. Das ist ein ganzes Quartier, wo ausschliesslich Texitilien verarbeitet werden. Kleider werden in kleinen und grossen Manufakturen hergestellt und verkauft. Polohemden, für die Lima bekannt ist aber auch jedes andere Kleidungsstück. Ich war vor Jahren einmal hier und weiss wie es drinnen aussieht. Wir hatten 100 Polohemden als Promotion für meine Lodge bestellt, die innert einer knappen Woche genäht und bestickt wurden. Vielleicht kommt Juan einmal mit, allein ist es hier tatsächlich zu gefährlich.

Er lässt auch jetzt nur kurz das Fenster herunter, damit ich ein paar Fotos schiessen kann.

Ein interessantes Kunstwerk, an dem wir vorbei fahren, vor allem weil es in Glarus, eine sehr ähnliche Skulptur gibt...

Ein interessantes Kunstwerk, an dem wir vorbei fahren, vor allem weil es in Glarus, eine sehr ähnliche Skulptur gibt...

Hier die Glarner Variante der selben Idee...

Hier die Glarner Variante der selben Idee...

Noch ein Punkt steht auf dem Programm von Juan. Der Parque de la Amistad. Der Platz der Freundschaft, ein Vergnügungspark.

Vor allem die kleine Dampfbahn war sein Ziel, die wollte er mir unbedingt zeigen, doch leider fährt sie heute nicht. Wahrscheinlich sind die Wagen zu klein, man würde sich zu nahe sitzen.

Dafür dürfen wir hinauf auf den Freundschafts-Bogen, der 1924 eingeweiht wurde. Er ist ganz im maurischen Stil gehalten, was natürlich hier in Südamerika keine Bedeutung hat.

Juan war zwar mit seinem Sohn schon einmal hier in dem Park, aber auf dem Bogen war er noch nie. "Zum ersten Mal", freut er sich, "man nimmt sich einfach nie die Zeit für solche Dinge".

Ich finde, dass ich jetzt genug gesehen habe, dass meine Augen und Kamera gefüllt sind. "Lass uns zum Larcomar gehen, um den Tag abzuschliessen."

In einem der Restaurants, die über der Steilküste liegen, lassen wir uns einen Pisco-sour schmecken und stossen auf den Tag an. Danach gibt es eine Lasagne in einem eleganten italienischen Restaurant. "Meine erste Lasagne", staunt Juan.

Später fährt er mich zurück zu meinem Appartment und während ich schon bald flach liege und meine Erlebnisse des Tages überdenke, fährt er weiter zum Flugplatz. Er wird dort im Auto übernachten, damit er am Morgen um vier Uhr seinen Dienst antreten kann. Seine Kleider hängen im Auto und Toilette und Dusche kann er am Flugplatz benutzen. Was für ein Leben, was für ein Unterschied.

Es geht nichts über einen feinen Pisco-Sour

Es geht nichts über einen feinen Pisco-Sour

Die Aussicht von Larcomar. Es wird schnell dunkel hier.

Die Aussicht von Larcomar. Es wird schnell dunkel hier.

Du bist hier : Startseite Amerika Peru Zick/zack durch Lima
Die Reise
 
Worum geht's?:
Immer wenn der Mensch seine Zukunft plant, fällt das Schicksal im Hintergrund lachend vom Stuhl. Dieser Satz hat mich durch das Corona-Jahr begleitet. Eigentlich war mein Abflug nach Südamerika am 3. April 2020 gebucht. Doch dann kam alles anders.
Details:
Aufbruch: 20.06.2021
Dauer: 7 Monate
Heimkehr: 29.01.2022
Reiseziele: Peru
Kolumbien
Argentinien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
Bild des Autors