Neustart

Reisezeit: Juni 2021 - Januar 2022  |  von Beatrice Feldbauer

Cartagena-Abend

Heute bleibe ich im Hotel. Geniesse den wunderbaren Tag am Pool, während es in der Schweiz den ersten richtigen Schnee gibt. Ja gar von Schneestürmen und Blizzard lese ich im Status meiner Freunde. Ich telefoniere lange und ausgiebig mit ein paar Freundinnen. Das tut gut. Ich habe nicht oft Gelegenheit, so richtig zu plaudern. Die Kommunikation hier ist eher schwierig. Ausserdem sind vor allem Pärchen und Familien im Hotel.

Was aber trotzdem auffällt, ist die Freundlichkeit. Nie würde jemand den Lift betreten, ohne die Anwesenden zu begrüssen. Buenas dias gehört sich einfach. Auch hinter Maske. Am Nachmittag heisst es dann Buenas tardes. Danach könnte man die Uhr stellen, auch wenn hier kaum jemand eine Uhr trägt. Punkt zwölf Uhr ändert die Begrüssung. Und wenn man den Lift verlässt, hört man immer ein Hasta luego - bis später. Auch wenn man sich nie mehr sieht. Die Menschen sind sehr höflich und zuvorkommend. Und eigentlich fast immer guter Laune. Wenn man von ein paar Rezeptionistinnen absieht. Doch auch die sind eigentlich meistens nett und versuchen, alle Wünsche zu erfüllen. Rufen ein Taxi, vermitteln den Wäscheservice, ersetzen eine im Zimmer vergessene Schlüsselkarte, erklären die Hausregeln.

Wenn man durch einen Markt läuft, hört man von allen Seiten a la orden - auf ihren Befehl. Die Leute wollen etwas verkaufen, warten auf die Bestellung. Sobald man in ihr Blickfeld gerät, hört man die Aufforderung zum Befehl. In Peru höre ich in diesen Situationen eher que busca - was suchst du? Es sind diese kleinen Unterschiede, die mit der Zeit auffallen.

Doch heute setze ich mich dem gar nicht aus, liege am Pool, trinke einen Fruchtsaft, game etwas und döse. Oder drehe kurz eine Runde im Pool, um nicht ganz untätig zu sein.

Der Tag ist absolut traumhaft, kaum eine Wolke am knallblauen Himmel. Und der Pool spiegelt den Himmel und konkurrenziert das blaue Meer. Ein blauer Tag also.

Hoch über den höchsten Hochhäusern schweben die schwarzen Vögel. Ob es Geier sind?

Hoch über den höchsten Hochhäusern schweben die schwarzen Vögel. Ob es Geier sind?

Ein Blick von oben 'hinters Haus'

Ein Blick von oben 'hinters Haus'

Am späteren Nachmittag mache ich mich zu einem Spaziergang auf. Mein Ziel ist wieder die Altstadt, aber diesmal will ich nicht dem Strand entlang laufen sondern auf der anderen Seite, entlang der Bucht. Zu spät merke ich, dass es gar nicht möglich ist, direkt dem Wasser entlang zu gehen, denn den grössten Teil des Ufers nimmt ein riesiges Militärcamp ein, hier ist die Navi zu Hause. Ich laufe also enlang einer langen Mauer auf einer sehr dicht befahrenen Strasse. Hier, direkt hinter den riesigen Hotels und Appartmenthäusern gibt es kleine Läden, Tankstellen, Banken und mitten drin zwischen all den hohen und neuen Gebäuden entdecke ich ein winziges Hotel. Einstöckig mit einem angebauten Laden. Fast könnte man übersehen, dass es ein Hotel ist. Wie kann ein Hotel inmitten all dieser Konkurrenz bestehen? Und warum hat der Besitzer das Grundstück nicht schon längst verkauft? Später habe ich es gegoogelt und gesehen, dass es einige Zimmer rund um einen Hof mit Pool hat. Der Pool hat wahrscheinlich kaum je Sonne zwischen all den hohen Gebäuden, doch das ist bei dieser Wärme vielleicht sogar ein Vorteil. Auch der Liegeplatz im Hotel Dubai ist fast komplett im Schatten. Nur der Pool liegt direkt in der Sonne, im dritten Stockwerk über dem Hotel-Eingang.

Auf der anderen Strassenseite gibt es inzwischen einen grossen Park, der zwar nicht öffentlich ist, aber immerhin ist die Mauer verschwunden. Auch der Park gehört noch zum Gelände der Navi. Hier sind die Sportplätze.

Casa Fatima. Ich frage mich bei solchen Häusern immer, wie es möglich ist, dass ein so kleines Hotel zwischen all den Wolkenkratzern überleben kann.

Casa Fatima. Ich frage mich bei solchen Häusern immer, wie es möglich ist, dass ein so kleines Hotel zwischen all den Wolkenkratzern überleben kann.

Endlich ist auch der Navipark zu Ende und ich komme ans Wasser, jedenfalls fast. Hinter einem Zaun liegen die grossen Schiffe am Pier. Vor allem der Dreimaster, den ich schon vom Hotel aus gesehen habe, interessiert mich. Es scheint, dass die Schiffe Ausflugsboote sind. Es hat Leute auf dem Deck und ich nehme an, dass sie kurz vor dem Auslaufen sind, denn auf der anderen Seite, über dem Meer geht bald die Sonne unter. "Darf ich rasch durch das Tor, um ein Foto zu machen?" frage ich den Mann, der grad dabei ist, das grosse Gitter zu schliessen. "Das geht nicht, das ist Privat!", meint er ziemlich barsch und auch auf mein erneutes Bitten bleibt er hart. Um mir dann aber, als ich weiterlaufe hinterher zu rufen, dass ich für morgen buchen könnte. "Geht nicht, ist privat!" rufe ich zurück. Das hätte er sich besser vorher überlegt.

Etwas weiter bei den Schiffsstegen spricht mich ein Verkäufer an und offeriert mir eine Fahrt zu den vorgelagerten Inseln. Den Islas Rosarias, den Rosenkranzinseln. Ich hatte den Begriff schon ein paarmal gelesen und gehe spontan auf das Angebot ein. Morgen früh um acht Uhr soll ich da sein, das Schiff fährt eine halbe Stunde später los.

Ich schlendere weiter, vorbei an den grossen Weihnachtsdekorationen die wohl vor allem für die Kinder aufgestellt wurden. Es sind Märchenszenen in Überlebensgrösse.

Weiter komme ich in einen anderen Teil der Stadt, ins Quartier Getsamani, das nicht ganz so kompakt wie die Altstadt angelegt ist. Ich war vorgestern mit dem Taxi durchgefahren. Es sind alte Häuserfronten, auch sie mit den typischen Balkonen. Einige sind geschlossen, andere mit kunstvollen weissen Balustraden. Oder aus Holz. Über ganze Fassaden ziehen sich diese Balkone an alten Mauern entlang. Und überall ertönt Musik aus kleinen Restaurants. Es gibt Strassen, die mit vielen Fahnen oder Wimpeln dekoriert sind. Was ich aber nirgends finde, ist eine Weihnachtsbeleuchtung. Und dabei sollte sie seit gestern in Betrieb sein. Da müsste man doch mindestens Lämpchen über den Strassn sehen.

Ich komme an der kleinen Kirche San Roque vorbei, die mir Juan Carlos vorgestern als eine der ältesten Kirchen der Stadt vorgestellt hatte. Gegründet wurde sie zusammen mit einem Spital als in Cartagena im 17. Jahrhundert die Pest wütete.

Die Kirche ist geschlossen, ich laufe weiter, komme über eine grosse Brücke und stehe plötzlich wieder an der Bucht und kurz darauf vor der Festung San Felipe. Genau da wollte ich hin, denn ich hatte es vorgestern verpasst, den Helden von Cartagena, Blas de Lezo zu fotografieren. Erst meine Freundin Helga, die ich letzten Winter in Spanien kennen gerlernt hatte, hat mich wieder auf ihn aufmerksam gemacht. Sie hatte sich schon damals für ihn interessiert, als wir beide noch keine Ahnung hatten, dass ich eines Tages hier in Kolumbien wieder auf ihn treffen würde. Also habe ich ihn heute gesucht, und auch gefunden. El mediohombre, den halben Mann, wie er zu Lebzeiten wegen seines verlorenen Beines, der verwundeten Hand und dem blinden Auge genannt wurde.

Festung San Felipe

Festung San Felipe

Blas de Lezo

Blas de Lezo

Inzwischen ist die Sonne untergegangen, es wird jetzt ganz schnell dunkel. Und der Weg zurück in die Altstadt wird sich noch hinziehen. Es ist Zeit, jetzt ein Taxi zu nehmen. Beim Eingang des Castillos werde ich schnell fündig. Ich frage den Taxifahrer nach dem Restaurant Alma (Seele), das mir Juan Carlos empfohlen hatte. Doch leider kennt er es nicht - vielleicht will er auch nicht - aber er kennt ein anderes sehr gutes Restaurant. Mit karibischer Küche. "So wie ich", meint er lachend. Er ist ein typisch gut gelaunter Kolumbianer mit dunkler Haut. Cartagena hat auch eine sehr traurige Geschichte als Hauptumschlagplatz von Sklaven, darum sind wohl viele Carteganer sehr dunkelhäutig.

Das Restaurant Candé stellt sich als ein sehr elegantes Restaurant mit excellentem Service heraus. Es liegt in der Altstadt, direkt neben der Stierkampfarena, die heute ein grosses Einkaufszentrum ist.

Ich diniere fürstlich auf der Balustrade mit Blick hinunter ins Restaurant, wo ein Gittarist Live-Musik spielt. Der Service ist äusserst aufmerksam. Noch nie ist es mir passiert, dass ich den Wein zum kosten bekomme, bevor das Glas eingeschenkt wird. Und ausserdem gibt es richtig grosse Stoffservietten nicht nur die winzigen Papierschnipsel.

Und als zusätzlicher Service wartet nach dem Essen die Pferdekutsche vor dem Lokal. Ich hatte dem Türsteher - der übrigens auch mein Zertifikat kontrollierte - erzählt, dass ich nach dem Essen eine Rundfahrt mit der Kutsche machen möchte, worauf er mir versprach, eine Kutsche zu organisieren.

Darum bin ich also am späteren Abend mit einem PS unterwegs. Elf Plätze will er mir zeigen, Jaime mit seinem Pferd Pierito. Während wir durch die stimmungsvoll beleuchteten Gassen fahren, zeigt er mir verschiedene Häuser. Das Haus von Literaturpreisträger Gabriel Garcia Marquez zum Beispiel. Es ist lange her, dass ich sein Buch Die Liebe zu Zeiten der Cholera gelesen habe. Dass es in Cartagena spielt, hätte ich nicht mehr gewusst, aber ich werde es bestimmt noch einmal lesen. Jetzt mit ganz anderen Augen und mit den Gassen von Cartagena vor dem geistigen Auge.

Unter einem Laubengang macht mich Jaime auf eine Fotogalerie aufmerksam, die in den Boden eingelassen ist. "Das sind alle Missen des Landes" erklärt er. "Und die beiden separaten Missen wurden Miss Universe." Misswahlen sind in allen Lateinamerikanischen Ländern sehr wichtig und es gibt in jeder grösseren Stadt Wahlen. Ich habe schon im Bürgermeisterbüro eines kleinen Dorfes in Guatemala die Fotos der Dorfschönheiten gesehen. Sie hingen direkt hinter dem Sessel des Bürgermeisters an der Wand. Die Bedeutung dieser Frauen, können wir uns in unserem Land, wo die Misswahlen inzwischen eingestellt wurden, gar nicht vorstellen.

Die Galerie aller bisherigen Schönheitsköniginnen - und zwei Miss Universe

Die Galerie aller bisherigen Schönheitsköniginnen - und zwei Miss Universe

Wir fahren weiter durch die Stadt, kommen zu verschiedenen Plätzen. Jaime zeigt mir Häuser von Prominenten, aber ich kann mich nicht an alle erinnern. Weiss nur, dass auch Pablo Escobar hier ein Haus hatte. Auch verschiedene Fussballspieler leben hier oder haben wenigstens noch ein Haus hier.

Aufgehorcht habe ich als er mir auf ein schmales historisches Haus zeigt. Es ist dunkel und scheint unbewohnt. Es ist das Haus von Shakira, der Sängerin, die in Barranquila, einer Stadt zwischen Santa Marta und Cartagena geboren wurde.

Als wir an zwei Fotosujet-Frauen in ihren typischen bunten Kleidern vorbei fahren, und ich die Kamera in Anschlag nehme, packt eine geistesgegenwärtig einen Plastikstuhl und hält ihn sich vors Gesicht. Auf keinen Fall will sie, dass ich unberechtigerweise eine Foto von ihnen stehle. Ich muss bei solchen Aktionen immer schmunzeln und finde das Bild grad deshalb sehr lustig. Jedenfalls erzählt es eine Geschichte.

Sie hält sich einen Stuhl vors Gesicht, weil ich sie nur beim Vorbeifahren fotografiere...

Sie hält sich einen Stuhl vors Gesicht, weil ich sie nur beim Vorbeifahren fotografiere...

Nach einer Stunde steige ich aus, gebe noch etwas Trinkgeld zum stolzen Preis, denn Jaime meint, es wäre die erste Fahrt heute gewesen. Und wer weiss, ob es noch eine zweite gäbe.

Ich schlendere noch einmal durch die Gassen, komme noch einmal an vielen Plätzen vorbei, wo ich vorhin durchgefahren bin. Sehe beim Plaza Bolivar einem Clown zu, der er als Frau verkleidet mit seinen karibischen Klängen aus dem Ghettoblaster die Passanten unterhält.

Irgendwo trinke ich noch einen Kaffee in einem Strassencafe bevor ich den Plaza de la Duana suche. Der riesige Christbaum, der eigentlich beleuchtet sein sollte, ist noch immer ohne Licht. Inzwischen weiss ich es, die Eröffnung der Weihnachtsbeleuchtung wird erst morgen Freitagabend stattfinden. Schade, ich glaube kaum, dass ich morgen noch einmal herkommen werde.

Ein Taxi bringt mich nach Hause. Es war ein wunderbar zauberhafter Abend nach einem heissen blauen Tag.

Hier wird morgen Abend die Weihnachtsbeleuchtung eröffnet.

Hier wird morgen Abend die Weihnachtsbeleuchtung eröffnet.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Immer wenn der Mensch seine Zukunft plant, fällt das Schicksal im Hintergrund lachend vom Stuhl. Dieser Satz hat mich durch das Corona-Jahr begleitet. Eigentlich war mein Abflug nach Südamerika am 3. April 2020 gebucht. Doch dann kam alles anders.
Details:
Aufbruch: 20.06.2021
Dauer: 7 Monate
Heimkehr: 29.01.2022
Reiseziele: Peru
Kolumbien
Argentinien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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