Neustart

Reisezeit: Juni 2021 - Januar 2022  |  von Beatrice Feldbauer

Salento

Ich habe nicht wirklich gut geschlafen letzte Nacht. Das fehlende Fenster hat mich doch mehr beschäftigt, als ich gedacht hatte. Zwar wird es durch die matte Scheibe am Morgen hell, aber es gibt keine Aussicht und keine frische Luft. Ausserdem ist das Zimmer winzig.

Am Morgen gehe ich erst einmal auf die Strasse und schaue mir die Situation an. Diese ganze Strasse bin ich gestern Nacht daher gekommen. Und die Steigung habe ich mit dem Koffer genommen. Was für ein Glück, dass mein Hotel vor dem Hauptplatz liegt und nicht auf der anderen Seite. Da hätte ich ja noch höher gehen müssen.

"Dona Beatriz", begrüsst mich die Besitzerin, "como estas?" Ich erkläre ihr dass ich gern ein Zimmer mit Fenster hätte, vielleicht dasjenige, das direkt neben meinem Zimmer liegt. Das stand am Morgen offen und ich konnte sehen, dass es eine schöne Aussicht über Land hat.

"Mach deine Sachen bereit, ich werde sehen, was zur Verfügung steht, aber jetzt gibt es erst Frühstück". Ich setze mich an einen Tisch vor den offenen Türen, die die gleiche Aussicht haben, wie das Zimmer oben. Das Frühstück ist fein. Das Rührei mit Tomaten und Zwiebeln sei typisch hier und wird Huevos Pericos genannt. Das Fladenbrot aus Mais ist etwas gewöhnungsbedürftig, dafür schmeckt mir der Frischkäse sehr gut. Dazu gibt es eine Tasse Kaffee und einen Saft aus Ananas, Erdbeeren und Mango.

Irgendwo am Anfang dieser Strasse bin ich letzte Nacht ausgestiegen

Irgendwo am Anfang dieser Strasse bin ich letzte Nacht ausgestiegen

Bis zum Hauptplatz fehlen noch ein paar wenige Höhenmeter

Bis zum Hauptplatz fehlen noch ein paar wenige Höhenmeter

Mein Frühstückstisch

Mein Frühstückstisch

Nach dem Frühstück mache ich einen ersten kleinen Rundgang durch das Dorf.

Salento, das kleine Dorf liegt in der Kaffeeregion von Kolumbien auf 1900 m und hat gegen 8'000 Einwohner. Bekannt ist es durch seine farbigen Hausfassaden und ich glaube, dass es zu normalen Zeiten ziemlich überlaufen ist. Jetzt aber ist es angenehm ruhig. Der Hauptplatz ist erhöht und fast alle Strassen, die davon abgehen gehen steil hinunter. Sowas sieht man auf einem gezeichneten Ortsplan nicht. Da geht man davon aus, dass ein Ort flach ist. Ich bin also nicht so sicher, ob ich tatsächlich einen Rundgang mache, eher bleibe ich auf dem grossen Hauptplatz hängen. Bestaune die bunten Fassaden, die verschiedenen Läden und Restaurants. Und natürlich versuche ich, die schönen Häuser zu fotografieren. Das ist nicht immer ganz einfach, denn Fassaden, die eigentlich gerade stehen, werden durch die Foto verzerrt, Linien scheinen schräg, Häuser machen einen schiefen Eindruck, wenn man sie genau von vorne fotografiert.

In der grossen Kirche entdecke ich wieder einmal einen Hund. Er schlendert gemächlich durch das grosse Kirchenschiff und macht es sich neben einer Bank gemütlich. Bleibt liegen und niemand scheint sich daran zu stören. Vielleicht gehört er zu der Frau, die in einem kleinen Kabhäuschen Rosenkränze und andere religiöse Gegenstände verkauft.

Auf dem Platz vor der Kirche stehen ein paar hohe schlanke Palmen. Es sind Wachspalmen. Sie sind typisch für die Gegend und können bis zu 50 Meter hoch werden, einzelne Exemplare sogar bis 60 Meter. Doch diese hier scheinen mir nicht ganz so hoch zu sein.

Ausserdem stehen hier die Willy's. Ich habe von ihnen gelesen. Zuerst glaubte ich an einen Scherz, doch ich habe gegoogelt, dass die Armeefahrzeuge von Jeep tatsächlich Willy heissen. Sie sind in allen Farben und stehen bereit für Ausflüge in das Umland. Werde mich Morgen damit befassen, heute will ich mich nur hier im Ort etwas umsehen. Bin ja eine ganze Woche hier, habe also genügend Zeit.

Die Willy's stehen bereit

Die Willy's stehen bereit

Auf der Suche nach schönen Hausfassaden gehe ich dann doch eine Strasse hinunter und auf der nächsen wieder hinauf. Es sind tatsächlich steile Strassen, aber ich habe Zeit, bleibe immer wieder stehen, suche den richtigen Winkel zum fotografieren und ganz nebenbei entdecke ich auch wieder ein paar Blumen. Zum Beispiel den grossen Weihnachtsstern, der wunderbar blüht. Hier ist der richtige Ort für ihn. Er braucht gleich lange Tages- und Nachtzeiten. Hier wo der Tag von sechs Uhr morgens bis um sechs Uhr abends dauert, sind die Bedingungen ideal für ihn.

Die kleinen Blümlein, die aus der Mauer spriessen, finde ich in meiner Pflanzen-App mit dem Namen Knöterich, aber die hohen Stengel mit dem grünen Schopf kann ich nicht finden. Denke zuerst an Papyrus, aber der ist nicht so filigran. Ausserdem sehen die Stengel mit den geschlossenen Blüten aus wie grosser Schnittlauch. Werde wohl noch etwas genauere Fotos machen müssen, im Moment muss ich mich mit dieser begnügen. Jedenfalls habe ich das Gefühl, dass ich diese Pflanze noch nie gesehen habe.

Weihnachtsstern

Weihnachtsstern

Kopf-Knöterich

Kopf-Knöterich

Vielleicht meikanisches Federgras oder doch Papyrus? werde noch einmal googeln müssen.

Vielleicht meikanisches Federgras oder doch Papyrus? werde noch einmal googeln müssen.

Die Calle Real, die Königsstrasse, oder Hauptstrasse ist die einzige ebene Strasse. Sie wird von unzähligen Boutiquen und Cafes gesäumt. Doch mich zieht das Ende dieser Strasse magisch an. Ich glaube da, eine Treppe zu erkennen. Eine Treppe, die hinauf zu einem Aussichtspunkt führt.

Dahin wollte ich eh, wusste aber nicht, dass es da eine Treppe gibt. Umso besser. Treppen sind zwar anstrengend, aber überschaubar. Ich nehme die ersten Stufen und gehe immer weiter. Immer nach knapp 40 Stufen steht da ein kleiner Laden. Die meisten sind zwar geschlossen, aber irgendwo sitzt ein Mann hinter seinen Handarbeiten. Ihn frage ich, wie viele Stufen es seien.

242, seine Antwort, und die Hälfte hätte ich bereits geschafft. Na, dann ist das ja ein Kinderspiel, finde ich und steige weiter hinauf. Es gibt nicht nur kleine Verkaufsläden, auf jeder Stufe steht auch eine Bank. Ich bin nicht die einzige, die diese benutzt, auch jüngere Leute haben ihre Mühe. Mir geht es sogar sehr gut. Wie gesagt, eine Treppe kann man besser einstufen.

Oben geniesse ich dann den wunderbaren Ausblick über das Dorf. Über die lange Hauptstrasse, hinunter zur Kirche. Nur der Ausblick in die Ferne wird etwas eingeschränkt. Die Wolken hängen tief, Berge und Hügel sind kaum erkennbar. Auch hier entdecke ich ein paar Blumen. Es sind verschiedene Lilien. Vor allem die niedrige Tigerlilie ist faszinierend. Immer wieder spannend, dass es immer noch Blumen gibt, die man glaubt, noch nie gesehen zu haben.

Als ein paar Tropen einsetzen, überlege ich nicht lange, gehe zurück zur Treppe und steige hinunter. Oben gibt es keinen Schutz vor dem Regen. Ich habe Glück, erst als ich unten wieder auf der Strasse bin, setzt der Regen richtig ein. An den Hausmausern, unter den vorspringenden Dächern gibt es Bänke. Auf einer warte ich das Ende des Regens ab, sehe den Regentropfen zu, freue mich an der jetzt menschenleeren Gasse und an den frischen Farben der Fassaden.

Garten-Montbretie - Schwertliliengewächs

Garten-Montbretie - Schwertliliengewächs

Die Treppe ist gleichzeitig ein Kreuzweg.

Die Treppe ist gleichzeitig ein Kreuzweg.

geschafft - und es ging viel besser, als gedacht.

geschafft - und es ging viel besser, als gedacht.

Madonnen-Lilie

Madonnen-Lilie

gelbe Taglilie

gelbe Taglilie

Tigerlilie - noch nie gesehen

Tigerlilie - noch nie gesehen

Später kehre ich in der Calle Real in einem der vielen Cafes ein und bestelle einen Cappuccino. Was ich dazu wolle, werde ich gefragt. Amaretto, Baylays oder sonst ein Aroma. Ich entscheide mich für Amaretto und bekomme eine Tasse fantastischen Kaffee, der nicht nur gut schmeckt sondern auch noch schön aussieht. Der Glanz auf der Schokoladengarnitur kommt von der Kerze, die vor mir auf de Tisch steht, aber ich habe das Gefühl, flüssiges Gold zu trinken.

Nach einem erneuten Bummel über den Hauptplatz komme ich zum Hotel zurück. Hier hat man unterdessen meine Sachen in ein anderes Zimmer gebracht. Auch dieses ist nur klein, aber immerhin kann ich hier meinen Koffer verstauen und vor allem: es hat ein Fenster. Was für eine Freude. Den Nachmittag verbringe ich hier, befasse mich etwas mit meinen Fotos und lese. Was für eine Wohltat, direkt vor dem offenen Fenster mit Blick in die Weite.

Später am Abend gehe ich noch einmal in die Calle Real. Forelle sei die Spezialität hier. Forelle mit Champignons. Ich bestelle die Trucha de la casa und bekomme eine riesige Platte mit viel Kàse und Champagnonsosse. Darunter versteckt sich die Forelle, ich kann sie nicht sehen, muss sie erst ausgraben. Sie schmeckt zwar richtig fein und auch die Sosse mit Crevetten und Champignones ist in Ordnung, aber ich mag halt schon, wenn ich den Fisch sehe. Die Forelle ist ausgenommen, das ist also kein Problem, aber statt einer leichten Mahlzeit, habe ich eine Riesenportion bekommen. Werde mich beim nächsten Mal etwas besser informieren, was ich bestelle. Dazu gibt es eine riesige Patacon, eine dünne Scheibe frittierter Bananen, auf die ich in Zukunft verzichten kann, auch wenn das die Spezialität der Gegend ist. Dafür ist der Salat mit der Sosse aus Früchten sehr fein.

Und dazu gibt es ein Glas Weiswein. Also alles bestens, einfach zuviel des Guten.

Ich schlendere über den jetzt leeren Platz zurück zu meinem Hotel. Versuche vor dem offenen Fenster den heutigen Erlebnissen nachzuhängen, poste ein paar Bilder in Facebook und Status und schlafe irgendwann ein.

Ein fantastische Gefühl, hier zu sein.

Meine Aussicht aus dem Bett.

Meine Aussicht aus dem Bett.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Immer wenn der Mensch seine Zukunft plant, fällt das Schicksal im Hintergrund lachend vom Stuhl. Dieser Satz hat mich durch das Corona-Jahr begleitet. Eigentlich war mein Abflug nach Südamerika am 3. April 2020 gebucht. Doch dann kam alles anders.
Details:
Aufbruch: 20.06.2021
Dauer: 7 Monate
Heimkehr: 29.01.2022
Reiseziele: Peru
Kolumbien
Argentinien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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