Neustart
Pebas
Ich erwache im Rotlicht. Was für eine Überraschung. Der Blick auf die Uhr zeigt mir, dass es gerade erst sechs Uhr ist und die Lampe über meinem Bett leuchtet strahelnd rot. Es scheint, dass ich letzte Nacht beim Versuch, eine funktionierende Steckdose zu finden, einen Schalter zu viel umgelegt habe Jedenfalls gab es kein Licht, ausser der einen Lampe an der Decke. Alles andere gab keinen Strom her. Auch nicht im Badezimmer. Also hatte ich die Suche aufgegeben und mein Handy mit der Powerbank aufgeladen.
Und jetzt liege ich unter der roten Lampe. Was für ein Erwachen. Eine Kontrolle der Steckdose ergibt, dass auch da inzwischen wieder Strom fliesst. Also kann ich die Powerbank aufladen für den nächste Notfall. Nachdem ich den Schalter für das Rotlicht gefunden habe, versuche ich noch etwas Schlaf zu finden, doch bald zieht es mich hinaus auf die Strasse.
Jetzt sehe ich wie diese konstriert ist. Mit der schmalen Piste und den hohen Gehsteigen auf beiden Seiten. Gegenüber vom Hotel liegt die Markthalle. Dort finde ich Liborio am Frühstücksbuffet. Es gibt gekochten Fisch, Reis, Spaghetti oder Schweinefleisch mit Kartoffeln. Wobei das Schweinefleisch von einem wilden schweineähnlichen Tier kommt. Kann mir den einheimischen Namen nicht merken, aber ich glaube, dass es ein Pekari ist.
Liborio ist es überhaupt nicht Recht, dass mich keines der angebotenen Menus begeistern kann, doch ich versichere ihm, dass ich mit etwas Wasser aus meiner Trinkflasche im Moment völlig zufrieden bin.
Und dann entdecke ich doch noch etwas, was ich versuchen möchte. Eine Frau bietet ein selbst gemachtes Getränk an. Ein Quinoa-Drink. Lauwarm. Sehr gehaltvoll wegen dem Getreide und geschmacklich interessant durch die Zugabe von Äpfeln. Also komme ich doch noch zu einem exotischen Frühstück.
Inzwischen trifft auch Rosa ein. Sie war bereits unterwegs, schwärmt von der Boa, die sie bei einer Tante zum Frühstück gegessen hat. Schlange zum Frühstück, wenn das nicht exotisch ist. Rosa ist überhaupt sehr aufgedreht, hat ein paar Verwandte angetroffen und ist richtig in ihrer Heimat angekommen. Mit sechs Jahren hat sie Pebas zusammen mit ihrer Mutter verlassen und ist nach Iquitos gezogen. Seither war sie nie mehr hier. Jetzt trifft sie zum ersten Mal wieder auf ihre Verwandten, auf die Geschwister ihrer Mutter. Für den Nachmittag lädt sie mich ein. will im Haus einer Tante für mich kochen und ist schon bald wieder unterwegs.
Hier sind wir letzte Nacht angekommen. In der Halle brannte noch eine einzelne Glühbirne, dahinter war stockfinstere Nacht.
Im Bootshafen herrscht ein einziges Kommen und Gehen. Die kleinen niedrigen Boote sind typisch für den Amazonas. Angetrieben von einem Peque-Peque-Motor
MIr ist schnell aufgefallen, dass es bei den Essensständen keine Messer gibt. Nur Löffel oder Gabeln. Für den Rest braucht man die Hände. Das fällt mir noch ziemlich schwer, darum beschliesse ich, in einem der kleinen Läden ein Messer zu kaufen. Und vielleicht auch einen Teller, wer weiss, was ich noch antreffen werde. Doch Fehlanzeige. Es gibt zwar Löffel und Gabeln im Dutzend zu kaufen, aber beim Stichwort Messer zeigt die Verkäuferin zu den Macheten. Diese gibt es in allen Grössen. Ein Messer, mit dem man isst, gibt es nicht. Werde mich also mit meinen Finger und den Zähnen begnügen müssen. Wenn man will geht alles.
Nachdem das mit dem Besteck geklärt ist und meine neuen Gabeln und Löffel mitsamt den drei Tellern in der grossen Tasche verstaut sind, heuern wir ein Mototaxi an und verlassen das Dorf.
Gut elf Kilometer weiter flussaufwärts liegt das Dorf Boras de Pucaurquillo. Hier leben ein paar von Liborios Verwandten. Vor allem den Tio Victor hofft er anzutreffen. Wenn mir Liborio von dieser Fahrt erzählt hat, hat er immer so eigenartige Wellenbewegungen mit den Händen gemacht. Jetzt verstehe ich, was er gemeint hat. Die schmale Strasse, die hinaus aus Pebas führt, verläuft tatsächlich über Hügel. Dabei überqueren wir verschiedene schmale Brücken, deren Holzplanken nicht überall komplett sind. Doch ein richtiges Mototaxi kann das nicht ausbremsen, mit Vollgas brettern wir darüber hinweg. Manchmal kommt uns ein anderes Mototaxi entgegen. Dann kommt es darauf an, wer ausweicht, wer kurz neben die Piste fährt und vor allem dabei nicht in den schmalen Graben gerät, der auf beiden Seiten der Betonpiste entlang läuft. Doch alles geht gut, nach einer guten halben Stunde erreichen wir das kleine Dorf.
Liborio möchte sich bei der ersten Person, die wir antreffen, nach seinem Onkel Victor erkundigen. Er ist nicht ganz sicher, wo dessen Haus steht, doch zufällig ist diese erste Person sein Primo Alexander, Sohn von Victor.
Alexander lädt uns in sein Haus ein, stellt uns seine Frau und seine fünf Kinder vor. Der Kleinste kam während der Pandemie zur Welt und seine Mutter war sehr krank. Sie musste viele verschiedene Pillen schlucken, so dass man schon befürchtete, dass das Kind mit Schäden zur Welt kommen würde. Doch alles ist gut gegangen, der Kleine ist gesund und zum Scherz nennen sie ihn jetzt Covid. Es kann gut sein, dass der Name ihm bleibt.
Während der Pandemie waren viele Menschen im Dorf krank, einige sind gestorben. Etwas Hilfe bekam man vom Spital in Pebas aber mehrheitlicht haben sich die Menschen mit ihrer einheimischer Medizin geholfen. Wenn ich Alexander zuhöre, merke ich, dass man zwar sehr viel auf das Wissen über die Pflanzen des Waldes vertraut, aber trotzdem froh ist, dass es die moderne Medizin gibt. Das eine schliesst das andere wohl nicht aus. Es wurden Pflanzensude gemacht mit verschiedenen Blättern aus dem Dschungel, zusammen mit Ingwer, Knoblauch, Chilli und Zitronen. Das hab bestimmt die Abwehrkräfte gestärkt.
Inzwischen hat man aber die Impfung bekommen, Alexander und seine Frau haben erst eine, die älteren aber sind bereit zweimal geimpft.
Als sein Vater Victor dazu kommt, gehen wir hinüber in die Maloka, in den Zeremonialraum der in keinem Einheimischendorf fehlen darf. Hier stehen die beiden Manguare-Trommeln. Ausgehöhlte Baumstämme mit denen noch heute traditioelle Rythmen geschlagen werden. Man sagt, dass die Boras mit Hilfe der Trommeln über weite Distanzen kommunizieren können und Victor zeigt mir wie sie tönt. Mit den Trommeln wird die Sprache der Boras nachgeahmt. Also sprechen die Boras mithilfe der Trommeln.
Dann kommen wir auf eine weitere Medizin zu sprechen, die hier in der Gegend sehr wichtig ist: Cocablätter. Sie werden hier im Dschungel völlig legal angebaut, einzig der Handel damit ist illegal. Das hindert aber natürlich die Menschen nicht, diesen zu verkaufen. Die Grenze zu Kolumbien und Brasilien ist nah, die Schmugglpfade alt.
Cocablätter werden in einem grossen Mörser fein zermalen und dann löffelweise in den Mund geschaufelt. Alexander zeig mir, wie das geht und ich staune, wohi der die drei Löffel in seinem Mund verstaut. In den Backen, versucht er mir zu erklären, aber sein Mund ist zu voll, wenn er etwas sagen will, stiebt es aus seinem Mund und ich muss mir das Lachen verkneifen. Gerade noch war er nicht zu stoppen mit seinen Erklärungen, jetzt hat er sich selber den Mund gestopft. Cocablätter helfen gegen Hunger, gegen Müdigkeit. Sie gehören hier seit eh zur Kultur.
Nachdem Alexander also ausgefallen ist, übernimmt Victor und zeigt mir weitere Arbeiten der Boras. Zum Beispiel die Rasseln, die er aus Kalebassen macht. Vor der Pandemie kamen manchmal Ausflugsschiffe von Brasilien her und die Touristen besuchten das Dorf. Zwar lebt man nicht ausschliesslich vom Tourismus wie die Boras in Iquitos, aber die Besuche boten ein willkommenes Zusatzeinkommen.
Ein anderer Onkel, der dazu kommt, zeigt mir jetzt seine Bilder, die er mit natürlichen Farben auf die pergamentartigen Rindenstücke malt. Diese werden aus Rinden von bestimmten Bäumen gemacht. Man schneidet ein Stück der Rinde vom Stamm, und bearbeitet es so lange bis, die Rinde ganz dünn und flach geworden ist. Dann kann man das Resultat wie eine Leinwand benutzen. Oder gar Kleider daraus machen, so wie sie die Boras in Iquitos bei ihren Tänzen tragen.
Und dann zeigt mir seine Frau, wie sie die Yucca zum Backen von Brot bearbeitet. Zuerst wurden die harten Wurzelstücke geschält und gechnitten, dann werden sie über eine grobe Metallraffel gezogen. Wobei das mehr ein Hobeln ist, Die Masse wird darauf mit Wasser gewaschen und dann in grossen Sieben an der Sonne getrocknet um morgen weiter verarbeitet zu werden.
Maniok, wird hier in Peru übrigens Yucca genannt.
Wir haben viel gesehen, die Verwandten von Liborio haben mir viel gezeigt. Man merkt, dass sie nicht ganz unerfahren sind im Umgang mit Fremden. Sie sind zwar nicht so absolut touristisch wie die Boras in Iquitos, leben von der Landwirtschaft, vom Ertrag ihrer Äcker, aber sie sind sich duraus gewohnt, ihre Lebensumstände vorzustellen. Victor erzählt mir, dass der Besuch der MS Bremen im April immer ein Höhepunkt sei. Dann kommen bis zu 100 Besucher aufs Mal. Ich erinnere mich an meinen Cousin, der mich vor ein paar Jahren in Iquitos in meiner Lodge besuchte. Auch er kam mit der MS Bremen den ganzen Amazonas hinauf und bestimmt hat er dabei die Boras von Pucaurquillo besucht. Werde ihn gelegentlich fragen.
Auf dem Rückweg entdecke ich am Flussufer, als ich eine Brücke fotografieren will, eine Gruppe von Schmetterlingen. Was für ein schönes Bild.
Noch ein kleines Detail am Rande. Victor hat mir erklärt, dass die Wasserversorgung durch eine Schweizer Gruppe erstellt wurde. Leider weiss er den Namen nicht, und auch bei der Wasserpumpe kann ich kein Schild erkennen, wer das gewesen ist, Doch eigentlich ist das wichtigste, dass es eine Wasserpumpe gibt, die die Menschen mit sauberem Wasser versorgt.
Nach der Rückkehr in Pebas gehen wir ins Haus von Rosas Tante. Hier wird sofort eine Hängematte für mich in den grossen Raum gehängt, wo zwei Frauen mit dem Aufspalten von Palmblättern beschäftigt sind. Diese werden getrocknet und später zu Tachen oder Hängematten verarbeitet. Es steckt enorm viel Arbeit in diesen Handarbeiten.
mein MIttag-Abendessen: panierter Fisch mit Reis und frischen Pommes. Dazu Tomatensalat mit Zitrone.
Während ich mit den beiden Frauen plaudere und Liborio irgendwo eine Flasche Gaseosa auftreibt, bereitet Rosa für uns ein wunderbares Essen zu. HIer fällt es mir nicht schwer, zuzugreifen. Der panierte Fisch ist wunderbar und die Tomaten hat sie sorgfältig mit Wasser aus der Flasche gewaschen.
Hoch oben über Pebas, in einem windschiefen Haus mit sturmerprobtem Aussichts-Turm wohnt der bekannteste Maler Perus: Grippa. Beim Spaziergang vor Sonnenuntergang kommen wir an seinem Eingangstor vorbei und Liborio entschliesst sich spontan zu einem Besuch.
Wir treffen auf einen alten Mann, der gemütlich in der Hängematte liegt und sich vorstellt: Francisco. Ob er der Wärter der Galerie sei, frage ich ihn. So könne man das vielleicht auch sehen, antwortet er mit einem Augenzwinkern und Liborio schaut mich bereits erschrocken an. Ich hatte keine Ahnung, wie alt der Maler ist und hatte auch nicht erwartet, dass er uns tätsächlich selber begrüssen würde. Aber so ist es, vor uns sitzt Francisco Grippa, knapp 80 Jahre alt und seit bald 50 Jahren in Pebas wohnhaft.
Ich hätte mich vielleicht doch besser vorher etwas schlau gemacht, dann wäre mir dieser Fauxpas nicht passiert.
Er hat lange Jahre in San Francisco gelebt, hat dort Kunst studiert und auch in Europa in verschiedenen Städten gelebt. Er reist auch heute noch gern, soweit das möglich ist, doch immer wieder kommt er zurück nach Pebas, in die Hitze der Selva.
Hier hat er eine grosse Galerie, wo er seine beeindruckenden Bilder zeigt. Vor der Pandemie kamen regelmässig Touristenboote, Cruiser bei ihm zu Besuch, doch seit mehr als einem Jahr ist es ruhig geworden. Darum freut er sich auch tatsächlich, uns zu sehen. Er erzählt aus seinem Leben, von seinen Anfängen, als er mit 18 Jahren in die USA ging, um Kunst zu studieren. Sein Vater war Fischer, aber er interessierte sich schon als Kind nur für die Malerei.
"Maler verhungern, die können von ihrer Arbeit nicht leben", hat ihn seine Mutter gewarnt. "Man muss gut sein, in dem was man tut", hat er sie beruhigt und er hat Recht behalten. Sein Ruf bestätigt ihn als Gauguin des Regenwaldes.
Draussen ist es bereits dunkel, als er uns seine Galerie zeigt. Es ist ein riesiger Raum mit grossen Bildern. Leider hat er etwas Mühe, die Lichtschalter zu finden, die funktionieren, oder vielleicht ist auch bei ihm der Strom nur reduziert vorhanden. Jedenfalls kann er uns nicht alles zeigen, was er möchte. Er humpelt an seiner Krücke und knickt immer wieder ein. Sein rechtes Bein schmerzt wegen einer Osteoporose und das linke von einem Unfall, der anscheinend doch schlimmer war, als er es wahrhaben wollte. Morgen wird er mit der Lancha nach Iquitos fahren, um das Bein untersuchen zu lassen.
Zum Abschied schenkt er mir einen originalgrossn Druck eines seiner Bilder und schreibt auch noch eine kleine Widmung mit Unterschrift dazu. Und obwohl ich mir eigentlich vorgenommen hatte, keine Geschenke entgegen zu nehmen, werde ich versuchen, dieses Bild heil bis nach Hause zu bekommen. Werde mir eine gute Verpackung ausdenken müssen. Und sowieso habe ich noch etliche Sachen im Koffer, auf die ich in Zukunft verzichten kann.
Wir verabschieden uns von Grippa und suchen unseren Weg mithilfe des Lichtes unserer Handys zurück auf die Strasse. In einem kleinen Imbiss kehren wir auf eine Chicha Morada ein. Das ist ein typisches Getränk aus dunklem Mais, das überall angeboten wird.
Danach steigen wir über die grosse Treppe hinunter zur Hauptstrasse. Zum Hotel, wo ich dringend etwas Ruhe brauche. Inzwischen weiss ich übrigens, dass es hier nur abends von sechs bis elf Strom gibt. Ausser der einen Lampe im Zimmer, die immer Strom hat. Liborio scheint die anderen Lampen in seinem Zimmer und im Bad überhaupt nie auszuschalten. Jedenfalls brennt in seinem Zimmer fast die halbe Nacht das Licht. Ich sehe das, weil die Zimmer nebeneinander liegen und mit Glasziegeln verbunden sind. Mein Rotlicht bekomme ich übrigens nicht mehr hin. Die Lampe über meinem Bett brennt jetzt grell weiss. Wenn ich sie am Morgen beim Erwachen nicht fotografiert hätte, würde ich jetzt an meiner Erinnerung zweifeln.
Wieder einmal geht ein sehr intensiver und prall gefüllter Tag zu Ende. Es ist mir extrem schwer gefallen, Fotos dazu auszuwählen, denn es gab einfach viel zu viel zu sehen.
Ein paar Videos habe ich auf meiner HP aufgeladen.
www.bison.ch - Peru-Videos
Aufbruch: | 20.06.2021 |
Dauer: | 7 Monate |
Heimkehr: | 29.01.2022 |
Kolumbien
Argentinien