Neustart
Buenos Aires
Letzter Tag in LIma, es heisst Koffer packen. Und ausserdem muss ich noch ein Online-Formular für Argentinien ausfüllen. Doch dazu würde ich das Testergebnis brauchen und das ist noch nicht eingetroffen, dabei wollten sie es aufs Handy übermitteln.
Juan bringt mich am Mittag zum Flugplatz, ich merke, dass ich genügend Zeit brauche, und ausserdem werde ich langsam richtig nervös.
Heute hat es bedeutend mehr Leute beim Testzentrum. Ich muss ungefähr eine halbe Stunde warten, bis jemand Zeit hat, die Resultate durchzusehen, dann habe ich es in den Händen und kann zum Checkin gehen. Negativ. Beim Ausfüllen des Formulars gab es ein weiteres Problem, ich brauche die Hilfe von Latam.
Die Angestellte sieht sich meinen Pass an: Schweizerin. In dem Fall bräuchte ich das Online-Formular für die Migration gar nicht erst auszufüllen, da reiche ein Papier, das ich unterschreiben müsse, ich müsse mit dem Beamten bei der Migration reden. Bevor sie mir meinen Boarding-Pass ausstellt, will sie noch das Impfzertifikat sehen, den negativen Test, den Pass, von Ausflugsticket ist überhaupt nicht die Rede und dabei habe ich doch gestern extra noch den Rückflug in die Schweiz gebucht. Jetzt will das niemand mehr wissen. Für mich geht es jetzt auch vor allem darum, nach Argentinien einzureisen.
Auf meinen Boarding-Pass klebt ein Sticker: RSOK. Was das wohl heisst? Risikoland oder doch eher Risiko ok?
Juan kommt noch einmal zu einem letzten Cappuccino zum Starbucks, dann heisst es Abschied nehmen. Zum wievielten Mal schon? Diesmal ist es für viel länger, ich weiss nicht, wann ich das nächste Mal nach Lima komme. Das ist sowieso die Frage, die mir alle stellen. Wann kommst du zurück? Ich weiss das nicht. Ich bin sicher, dass ich weiterhin reisen werde, dass ich noch andere Länder besuchen möchte, nicht nur in Südamerika und dass ich auch irgendwann nach Peru zurück komme. Aber wann das sein wird, weiss ich nicht. Wer weiss schon, was die Zukunft bringt.
Hasta luego Juan, du hast mir unglaublich viel geholfen, viel gezeigt, viel erklärt. Dank dir weiss ich mehr über das Leben in Lima. Du warst immer da, wenn ich Hilfe brauchte, hast mir Türen geöffnet, zusammen haben wir viel erlebt und viel gelacht. Unsere Freundschaft wird in Zukunft nur noch virtuell weitergehen, aber die Verbindung bleibt. Hasta luego y muchos gracias.
Ich sitze beim Starbucks und bin dabei, die letzten Kapitel von Lima abzuschliessen.
Und endlich ist es soweit, noch einmal werden alle Papiere durchgesehen noch einmal heisst es anstehen, dann endlich heisst es Boarding für Buenos Aires.
Das Flugzeug ist fast voll, jedenfalls kann ich keine leeren Sitze sehen. Ausser den beiden neben mir. Heisst das eben doch Risiko? Das Formular, das man mir statt der Online-Anmeldung in die Hand gedrückt hat, enthält eine Erklärung, dass ich einverstanden sei, allenfalls 10 Tage in Quarantäne zu gehen. Ich habs noch nicht unterschrieben, bin inzwischen aber immer mehr überzeugt, dass mir mein roter Pass zum ersten Mal in meinem Leben nicht weiter hilft. Zu schwierig ist die Covid-Situation in der Schweiz. Ich suche mein Flugticket vom Juni in den Mails, will es zeigen, um zu beweisen, dass ich in den letzten Monaten nicht in der Schweiz war. Was für eine absurde Idee. Was für eine verrückte Welt.
Und dann ist alles doch ganz einfach. Ein sehr freundlicher Beamter checkt meinen Pass, will wissen, ob ich das erste Mal in Argentinien sei - nein bereits das 3. Mal - sieht sich mein Impfzertifikat, den nagativen Test an und stempelt meinen Pass. Bienvenido en Argentina.
Ich gehe wie auf Wolken. Kanns noch gar nicht fassen. Ich bin tatsächlich angekommen. Am 4. April 2020, also vor 20 Monaten wollte ich herkommen, das Ticket ist längst verfallen. Auch während den letzten Monaten habe ich die Situation in Argentinien immer wieder beobachtet, das Land blieb geschlossen.
Und jetzt bin ich hier. Es ist schon fast zwei Uhr morgens. Ich suche einen Geldautomaten, kann aber keinen finden. Dafür sehe ich den Taxiinfostand. Hier kann ich mit Karte bezahlen, um Geld werde ich mich morgen kümmern.
Der nette Taxifahrer will wissen, woher ich komme. "Oh, Schweiz. stimmt es, dass in deinem Land nur die Hälfte der Leute geimpft sind?"
Er selber hat fünf Impfungen. Er lacht, ja die normalen drei und dann kamen noch zwei dazu, die wir Flughafentaxifahrer machen mussten. Der Flughafen ist seit knapp einem Monat wieder offen, der Betrieb läuft erst zu 20 %. In seinem Auto darf er nur drei Personen befördern und alle müssen hinten sitzen. Der vordere Sitz ist tabu. Covid-Vorschrift.
Aber sonst sei das Leben locker hier, etwas ruhiger vielleicht als früher, aber Buenos Aires sei noch immer eine pulsierende Stadt.
Nach einer guten halben Stunde kommen wir an. Vor meinem Appartmenthaus. Ich suche meine Codes und komme tatsächlich ohne weiteres durch die Eingangstüre, finde meinen Schlüsselkasten bei der Rezeption. Der Code funktioniert und schon bald bin ich in meinem Appartment im 3. Stock. Ich bin zwar hundemüde, hab aber doch das Gefühl, zu fliegen.
Um das kleine Problem mit den Steckdosen werde ich mich morgen kümmern, dafür bleibt genug Zeit.
Ich bin mitten im Zentrum, 15 Minuten zu Fuss bis zur Casa rosada. Und genau dahin breche ich irgendwann nach dem Mittag auf. Evita war einst mein Lieblingsmusical. Wenn ich die Casa rosada sehe, fängt die Musik an. Don't cry for me Argentina.
Ich gehe beschwingt durch die Strassen, es ist ruhig. Es ist Sonntag, die meisten Geschäfte sind geschlossen. Bankautomaten scheint es nicht viele zu geben, als ich einen finde, hole ich mir den Maximalbetrag. 2000 argentinische Pesos. Ich habe mich noch nicht mit der Währung befasst, das wird aber wohl fürs erste reichen.
Bei einer Strassenhändlerin kaufe ich einen Adapter. Dass der 150 Pesos kosten soll, macht mich zwar etwas stutzig. Erst als ich sehe, dass ein anderer Passant zwei davon kauft, gehe ich davon aus, dass der Preis stimmt.
In einem Boulevardcafe bestelle ich einen Cappuccino und versuche herauszufinden, wieviel denn diese 2000 Pesos sind. Traue allerdings meinen Augen nicht, als mir mein Umrechner knapp 20 Franken anzeigt. Und Spesen hat das auch noch gekostet. Ich muss irgend etwas übersehen haben.
Noch mache ich mir keine weiteren Sorgen, bestelle eine Lasagne und mache mich danach zu einem ersten Spaziergang auf. Zum Obelisken, der immer wieder am Ende der Strasse auftaucht. Er steht mitten in der Avenida des 9. Juli, die die breiteste Strasse der Welt sein soll. Zum Teil sind es in beide Richtungen 6 Spuren, unterbrochen von Grünflächen. Ganz in der Nähe ist das Teatro Colon. Leider gibt es zur Zeit keine Vorstellungen, sie werden erst Mitte Januar wieder aufgenommen. Auch keine Führungen sind angesagt, nur das Restaurant im gewaltigen Gebäude ist offen. Hier trinke ich noch einmal einen Cappuccino und merke bereits, dass mein bisschen Geld mir nur so durch die Finger rinnnt. Werde das mit den Bankautomaten noch einmal etwas genauer studieren müssen.
Wieder zurück auf der Strasse entdecke ich den Touristenbus, der durch die ganze Stadt fährt. Genau das ist jetzt das Richtige. Entspannt im Bus sitzen, die Stadt an sich vorbei fahren lassen, den Erklärungen zuhören und mich auf das neue Feeling einlassen. Das Ticket kann ich mit Karte zahlen, das Thema Bargeld gerät wieder in den Hintergrund.
Ich geniesse die Rundfahrt, folge ihr auf dem Stadtplan, setze ein paar Punkte in mein Maps.Me von Orten, die ich unbedingt wieder finden will. Manchmal kommen Erinnerungen an meinen ersten Aufenthalt von 2008 wieder zurück. Damals war ich in einem Hotel in der Nähe des Parlamentsgebäudes. Schon damals schrieb ich Blog. Doch damals gab es noch nicht überall Internet. Ich musste meine Texte im Hotel in den Laptop schreiben, ihn zusammen mit ein paar Fotos auf einen Stick kopieren und dann über den grossen Park auf die andere Seite des Platzes gehen, wo ich jeweils kurz vor elf Uhr nachts ins Internetcafe ging. Dort konnte ich das Kapitel aufladen und kurz vor Mitternacht zurück ins Hotel.
Ich bin grad wieder mitten in den Erinnerungen, als wir tatsächlich in diese Seitenstrasse mit dem Hotel einschwenken. Und tatsächlich, das alte Hotel, steht noch da, ich hatte geglaubt, es wäre längst einem Neubau gewichen oder wenigstens saniert worden. Aber nein, es steht noch genauso. Ob wohl der alte Besitzer auch noch immer da ist?
Meine Fahrt geht tatsächlich durch die ganze Stadt und endet bei La Recoleta. Hier ist der Friedhof wo Eva Peron bestattet wurde. Es ist allerdings bereits bald acht Uhr, den Friedhofsbesuch verschiebe ich, setze mich nur noch einen Moment in den Park und höre dem Gitarrenspieler zu. Und dem älteren Mann, der angeregt von den Tönen zu dirigieren anfängt. Irgendwie ergibt sich eine Symbiose zwischen den beiden, die offensichtlich nicht zusammen gehören. Mir ist nicht ganz klar, ob sich jetzt die Töne den Bewegungen des Mannes anpassen, oder ob es umgekehrt ist. Jedenfalls ein fantastisches Sujet für meine Kamera.
Ich trinke noch einen Fruchtsaft in einem der gut besetzten Restaurants und dann sollte ich mich mit der Rückkehr zum Hotel befassen. Es ist inzwischen dunkel geworden, ich sollte dringend noch einmal einen Bankautomaten finden. Tatsächlich ist das gar nicht so einfach, ich brauche mindestens eine halbe Stunde, bis ich eine Bank finde. Und auch hier bekomme ich nur 2000 Peseten. Das ist irgendwie unheimlich. Und so ganz langsam sollte ich mich wohl mit dem Thema etwas näher befassen. Meine Sim-Karte von Peru, die noch bis vorhin funktioniert hat, ist inzwischen abgelaufen, ich kann also auch kein Uber-Taxi mehr suchen. Das könnte ich nämlich automatisch mit der hinterlegten Karte bezahlen.
Zurück laufen ist natürlich auch eine Option, es ist nur eine gute Stunde quer durch die Stadt. Aber inzwischen ist es dunkel geworden.
Doch wie immer, alles wird gut, ich finde ein Taxi, das kostet knapp 1000 Peseten, und Wasser haben wir auf dem Weg auch noch eingekauft. Es ist also alles noch immer im grünen Bereich.
Ich bin in Argentinien, nur das zählt.
Aufbruch: | 20.06.2021 |
Dauer: | 7 Monate |
Heimkehr: | 29.01.2022 |
Kolumbien
Argentinien