Neustart

Reisezeit: Juni 2021 - Januar 2022  |  von Beatrice Feldbauer

Canta

la Virgin del Carmen - in der Nähe des Flughafens

la Virgin del Carmen - in der Nähe des Flughafens

Canta, ein Name wie ein Song. Canta heisst genau übersetzt: singt.

Schon vor acht Uhr steht Juan vor dem Haus, wir haben eine langen Ausflug vor uns. Zwar liegt Canta gemäss meinem Navi nur gut 100 km von LIma entfernt in den Bergen und sollte in 2 Stunden erreichbar sein. Doch mein Navi kennt den Verkehr und die Strassen von Peru nicht. Zuerst kurven wir durch die Stadt, kommen zum Flughafen und dann geht es in östlicher Richtung aus der Stadt heraus. Zum Glück kennt Juan all die Schleichwege, sonst würden wir noch lange im Morgenverkehr zwischen unzählingen Taxis, Bussen, Lastwagen und Tiefladern stecken bleiben.

In der Nähe des Flugplatzes grüssen wir die Virgin del Carmen. Juan weiss, dass dies für mich das Sinnbild ist, dass ich in Lima ankomme, oder die Stadt verlasse. Normalerweise der erste und der letzte Gruss von Peru. Darum fährt er ganz langsam an der neu gestrichenen Statue vorbei.

Bald haben wir die Stadt verlassen und erreichen die Vorstädte. Hier wo sich wie wahrscheinlich in allen Grosstädten der Welt die Menschen niederlassen, die vom Land in die Stadt ziehen, auf der Suche nach einem einfacheren Leben. Und dann bleiben sie hier stecken, ziehen ihre Kinder gross, bauen eine einfache Hütte, ein Haus, und das Elend hat kein Ende.

Es fängt an, indem man sich ein Stück Land mit vier Stecken absteckt. Ein paar Strohmatten dazu, eine Gruppenteilnehmerin sprach vor ein paar Jahren von 'Allerweltsmätteli' und das ist so geblieben. Es sind diese dünnen Strohmatten, die man als Unterlage oder Decke für allerlei brauchen kann, aber auch zum Markieren des eigenen Hauses. Später wird daraus ein Bretterverschlag, ein Wellblechdach darauf und dann kann man einziehen. Als erstes kommt der Strom, weiss Juan. Kassiert wird der monatlich durch eine Person des Elektrizitätswerks. Er geht dann von Haus zu Haus, von Hütte zu Hütte mit seinem Quittungsblock und kassiert die paar Soles. Für das Wasser kauft man sich einen Tank, den man auf das Dach stellt. Oder man kauft es in der Tienda, dem Laden, von denen es ebenfalls immer mehr gibt, je grösser die Ansammlung der Häuser wird.

Je höher oben die Häuser stehen, je grösser die Armut. Juan weiss, dass hier auch viele Venezulaner leben. Man sieht sie auch überall auf den Strassen von Lima. Viele Frauen verkaufen Süssigkeiten an die Autofahrer, manchmal sind es aber auch ganze Familien, die uns auf der Strasse entgegenkommen. Sie sind auf der Suche nach einem Ort zum Leben. Flüchtlinge. Davon gibt es hier in Peru sehr viele.

Wir folgen dem Chillon-River. Und auch wenn der im Moment ein ausgetrocknetes Flussbett hat, so scheint es doch, dass hier in der Ebene genug Wasser gibt, um grosse Pflanzungen anzulegen. Kartoffeln, Mais, Peperonis und Kohl wird angebaut. Und ganz viele Erdbeeren. Überall wo die Felder mit weissem Plastik bedeckt sind, werden Erdbeeren angebaut. Es verlangt viel Handarbeit, wahrscheintlich werden hier wenig Maschinen eingesetzt, jedenfalls können wir überall auf den Feldern Menschen erkennen. Es sind die Menschen, die in den neuen Dörfern und Siedlungen wohnen und hier für wenig Geld eine Arbeit gefunden haben.

Bald verändert sich die Landschaft, wir steigen in die Höhe. Und mit der Höhe kommt auch der blaue Himmel. Ich habe auf meinem Handy den Höhenmeter wieder entdeckt - was da nicht alles drin steckt! - und merke, wie sich schon bei 1000 müM der Nebel lichtet und der blaue Himmel mit einer strahlenden Sonne zeigt sich.

Die Gegend wird steinig, die Hänge steiler. Unwirtlich, unfruchtbar. Nur die Strasse führt durch die Gegend und wir steigen schnell höher.

ein einsames Haus in der steinigen Wüste. Bald werden ihm wohl andere folgen.

ein einsames Haus in der steinigen Wüste. Bald werden ihm wohl andere folgen.

Noch immer dem Fluss Chillon folgend, erreichen wir eine weitere Ebene. Hier kommen wir zu einem kleinen Ort mit einer Kapelle. Sie ist der Patronin von Peru, der Santa Rosa gewidmet. An diesem kleinen Ort Quives hat sie ein paar Jahre ihrer Jugend verbracht. Darum hat man neben ihrem Wohnhaus eine schöne kleinen Kapelle gebaut.

Gleich hinter der Kapelle gibt es einen Turm von dem man Canapy bis über den Fluss machen könnte. Zufällig können wir einen waghalsigen ABenteurer beobachten, bis er auf der anderen Flussseite sein Ziel erreicht. Sonst scheint hier nichts los zu sein.

Wir geniessen noch kurz den schönen Ausblick hinunter ins Tal mit seinen vielfältigen Plantagen, dann fahren wir weiter. Wir sind hier auf knapp 1000 müM und der Himmel ist blau. Das perfekte Wetter für unsere Tour.

Die Geschichte von Santa Rosa für die, die Spanisch verstehen.

Die Geschichte von Santa Rosa für die, die Spanisch verstehen.

Die Strasse steigt höher, die Gegend wird rauer, die Dörfer haben wir jetzt hinter uns gelassen, es gibt kaum mehr Zeichen von Zivilisation. Ausser den paar Strassenarbeitern, die die Markierung erneuern.

Dafür gibt es jetzt immer mehr Erdrutsche, ja gar Felsstürze. Der grösste, an dem wir vorbei fahren, muss sich schon vor ein paar Jahren ereignet haben. Riesige Felsbrocken versperren die halbe Strasse. Bereits gibt es eine Ausweichstelle, die wohl von den riesigen schweren Camions gefahren wurde, die hier auf der Strecke verkehren. Sie bringen Steine und Erze aus den Bergen. Zwar sind sie oft mit einer Plache bedeckt, aber man kann ihnen schon ansehen, dass sie eine tonnenschwere Last transportieren. Sie alle und ein paar PWs passieren diese Strasse täglich. Die Steine bleiben auf der verschütteten Strasse, man kann die Stellen ja ganz einfach umfahren. Dazu braucht es manchmal etwas Rücksicht. Auch auf der schmalen Brücke, die ausgangs eines Dorfes plötzlich die Strasse zu einem einspurigen Weg machte.

Juan lässt übrigens alle anderen Autos überholen, wir sind auf Sightseeing-Tour.

Hier in den Bergen ist der Chillon ein rauschender Bergbach, aber schon ein paar 100 Meter tiefer ist er ausgetrocknet.

Hier in den Bergen ist der Chillon ein rauschender Bergbach, aber schon ein paar 100 Meter tiefer ist er ausgetrocknet.

unser treuer Toyota, der sich von keinem noch so schwierigen Gelände einschüchtern lässt.

unser treuer Toyota, der sich von keinem noch so schwierigen Gelände einschüchtern lässt.

Die letzte Strecke hinauf zum Dorf Canta ist eine kurvenreiche Strasse mit immer wieder fantastischen Ausblicken. Das Dorf liegt auf 2850 m und ist in nicht-Covid-Zeiten ein Ausflugsziel vieler Touren von Lima aus. Jetzt ist es ein ruhiger Ort mit schmalen sauberen Gassen und freundlichen Menschen, die hoffen, dass sich die Zeiten wieder bessern.

Wir parkieren das Auto vor einem kleinen Laden beim Hauptplatz und Juan erkundigt sich bei der Besitzerin, ob das in Ordnung sei und sie vielleicht gelegentlich einen Blick darauf werfen könnte. "Si, clari, no hay problema" meint sie und kassiert 6 Soles für unsere Minerallwasserflaschen.

Dann machen wir einen Rundgang durch den Ort und ich lasse jetzt einfach mal die Bilder sprechen.

Versammlungsraum beim Hauptplatz

Versammlungsraum beim Hauptplatz

Der Brunnen des Hauptplatzes mit der Kirche im Hintergrund.

Der Brunnen des Hauptplatzes mit der Kirche im Hintergrund.

Blick in einen Dorfladen

Blick in einen Dorfladen

Im Handarbeitsladen erkundigt sich Juan nach einer schwarzen handgestrickten Weste aus Alpakawolle. Leider gibt es keine in schwarz, nur in Farben und zum Teil mit Mustern. Doch das verträgt sich nicht mit seiner schwarzen Kleidung als Taxifahrer.

Sein Gespräch gibt mir aber die Gelegenheit, mich mit der Besitzerin zu unterhalten. Virsilia heisst sie und sie arbeitet hier schon seit ihrer Kindheit. Der Laden ist gemietet, aber das Haus, in dem sie wohnt, gehört ihr. Während der Pandemie ging sie überhaupt nicht mehr aus dem Haus. Gelebt hat sie von etwas Geld, das sie und ihre Tochter auf der Bank haben. Der Vermieter des Ladens wollte zum Glück während der Lockdown-Zeit keine MIete, das hat sie gerettet. Ja, sie ist gesund geblieben - gracias a dios - aber sie hat einige Familienmitglieder und Freunde an die Krankheit verloren. Es ist nicht ganz einfach, solche Gespräche zu führen, in kurzer Zeit genügend Vertrauen aufzubauen, um mit Fremden darüber zu sprechen.

Ob ich sie fotografieren darf? Ja schon, aber die Maske will sie nicht ablegen. Da hilft Juan, er erklärt, dass ich geimpft sei, dass ich keine Gefahr sei, auch wenn ich fremd bin. Auch Visilia ist geimpft und lächelt, als sie die Maske auszieht. Nur für die Foto, dann nimmt sie sie wieder vor das Gesicht.

Ich schicke das Bild per WhatsApp an ihre Tochter. Ich finde es ist ganz gut gelungen, ihre 80 Jahre sieht man ihr jedenfalls nicht an.

Das nächste Gespräch entwickelt sich bei der Metzgersfrau. Über der Türe steht 'Frisches Fleisch' in Quechua. Juan kann es lesen und erkundigt sich bei der Frau, ob er das richtig übersetzt habe. Dadurch kommen wir ins Gespräch. Die Metzgerei kauft die lebenden Tiere und verkauft alles, was vom Tier anfällt. Im Moment ist es ein Rind, das da hinter dem Tresen liegt.

Quechua wird hier in den Bergen übrigens noch oft gesprochen. Vor allem von den älteren Leuten. So hat auch Visilia vorhin in dieser Sprache mit ihrer Tochter gesprochen. Diese hat allerdings spanisch geantwortet.

Auch mit Maria, die vor ihrem kleinen Laden ein Hütchen häkelt, komme ich kurz ins Gespräch. Als ich ihr allerdings erzähle, dass ich zum zweiten Namen auch Maria heisse, muss ich aufhören. Juan neben mir schüttelt sich grad vor Lachen. Noch immer hat er meine Überraschung vom Flughafen nicht überwunden. Noch immer liegt das Plakat mit meinem falschen Namen hinten in seinem Kofferraum.

Nach unserem Spaziergang durch das Dorf Canta verlassen wir den Ort, fahren zurück ins Tal, aber nur, um auf der anderen Talseite wieder anzusteigen. Zwar könnte man über eine lange Treppe hinauf steigen. Oder es gäbe die Möglichkeit, mit einem Pferd aufzusteigen, doch wir wollen das den armen Kreaturen beide nicht antun. Und in dieser Höhe die 200 m anzusteigen, traue ich mir nicht zu. Also nehmen wir die Strasse, die sich allerdings dann als Schotterpiste erweist. Schön langsam, jedem Stein ausweichend, erreichen wir die Höhe, wo wir vor der Kirche parkieren.

Auch hier wieder ein kleines Dorf, San Miguel, mit schmalen Gassen und niedrigen Türen. Die Leute müssen hier ziemlich klein gewachsen gewesen sein. Vielleicht noch heute.

Von hier hat man eine gute Ausssicht hinüber zum Dorf Canta.

mit Überraschungen muss man immer rechnen

mit Überraschungen muss man immer rechnen

San Miguel

San Miguel

Dieses Haus wurde um oder auf einen riesigen Stein gebaut

Dieses Haus wurde um oder auf einen riesigen Stein gebaut

Ja, es leben Menschen in diesen Mauern

Ja, es leben Menschen in diesen Mauern

Mototaxis kommen überallhin

Mototaxis kommen überallhin

was es da wohl zu sehen gibt?

was es da wohl zu sehen gibt?

Blick hinunter ins Tal nach Obrajillo

Blick hinunter ins Tal nach Obrajillo

... und gegenüber nach Canta

... und gegenüber nach Canta

Wir fahren zurück an den Fluss. Hier im Dörfchen Obrajillo ist man auf Touristen eingestellt. Es gibt ein paar Restaurants direkt am Fluss, in denen grosse Grillstellen zum Essen einladen. Hier werden ganze Spanferkel gebraten und natürlich kann man auch den Cachamanac bestellen. Ausserdem gibt es frische Forellen. Und genau das bestelle ich mir. Eine gebratene Forelle vom Grill mit Reis und Kartoffeln. Das ist übrigens eine weit verbreitete Kombination und für mich ist dann immer zu viel auf dem Teller.

Die Forellen kommen aus der Fischzucht, direkt neben dem Fluss.

Nach dem Essen machen wir einen kleinen Verdauungsspaziergang zum Wasserfall. Der Weg steigt nur leicht an, aber wir merken beide, dass wir die Höhe nicht gewohnt sind und daher schnell ausser Atem kommen. Trotzdem war es die paar Schritte wert, denn ich liebe Wasserfälle und Juan hat das in meinen letzten Bildern aus der Schweiz längst gemerkt. Denn ich hatte in den letzten Wochen verschiedenen Wasserfälle besucht. Die Bilder hat er im Facebook gesehen.

Auf dem Rückweg begegnen wir einen frisch geschorenen Alpaka. Natürlich will ich es fotografieren und scheine ihm etwas nahe zu kommen. Jedenfalls versucht es nach mir zu schnappen und läuft mir hinerher. Juan hatte alle Hände voll zu tun, es von mir abzulenken. Lachend kehren wir zurück zum Auto.

Komm, lass die Frau in Ruhe!

Komm, lass die Frau in Ruhe!

Das kleine Kätzchen in den Kakteen ist weniger heikel zum Fotografieren

Das kleine Kätzchen in den Kakteen ist weniger heikel zum Fotografieren

Bevor wir losfahren, gehe ich zurück zu der Wirtin im Restaurant, wo wir gegessen hatten. Ich habe gesehen, dass meine Lieblingsblumen hier überall wachsen. Auch in ihrem Garten. Vielleicht darf ich eine mitnehmen.

"Si, si, no te preocupes", meint sie, die wachsen ja überall. und sie gibt uns ein Küchenmesser, damit mir Juan ein paar pflücken kann.

überall wachsen die wunderschönen Callas.

überall wachsen die wunderschönen Callas.

Jetzt wird es Zeit für die Rückfahrt. Es ist eine lange Strecke und es ist wohl besser, nicht bei Dunkelheit unterwegs zu sein, denn die Strassen sind schlecht beleuchtet und noch schlechter unterhalten. Doch Juan beruhigt, als Lastwagenfahrer ist er oft in der Nacht gefahren, weiss, worauf er achten muss.

Bei Sonnenuntergang um 18.00 Uhr sind wir noch immer in der Höhe, aber bereits wieder ein wenig in den Bodennebel eingetaucht. Darum gibt es auch heute wieder mysteische Bilder von der sinkenden Sonne.

noch einmal ein Fotohalt mit wunderschönem Ausblick in die Berge

noch einmal ein Fotohalt mit wunderschönem Ausblick in die Berge

zurück in Lima...

zurück in Lima...

Als wir bei der Virgin del Carmen vorbeifahren, ist es bereits dunkle Nacht. Jetzt nur noch den Verkehr von Lima meistern, dann haben wir es geschafft.

Es war wieder ein Tag voller neuer Erlebnisse, mit sehr schönen Begegnungen bei denen mir Juan sehr geholfen hat. Er hat mir Türen geöffnet zu Menschen mit denen eine Begegnung hinter Masken zur Zeit nicht so einfach ist.

Die Callas werden mich noch ein paar Tage an diesen wunderschönen Ausflug ins Hinterland von Lima erinnern.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Immer wenn der Mensch seine Zukunft plant, fällt das Schicksal im Hintergrund lachend vom Stuhl. Dieser Satz hat mich durch das Corona-Jahr begleitet. Eigentlich war mein Abflug nach Südamerika am 3. April 2020 gebucht. Doch dann kam alles anders.
Details:
Aufbruch: 20.06.2021
Dauer: 7 Monate
Heimkehr: 29.01.2022
Reiseziele: Peru
Kolumbien
Argentinien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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