Neustart

Reisezeit: Juni 2021 - Januar 2022  |  von Beatrice Feldbauer

Rosa Delfine

Montagmorgen. Rosa ist beschäftigt. Sie muss ihre Geburtsurkunde bei der Gemeindeverwaltung beglaubigen lassen. Das kann dauern. Darum begnüge ich mich heute mit Wasser zum Frühstück. Es muss nicht immer frischer Fisch sein.

Ich treffe mich mit Liborio erst gegen Mittag. Wir wollen hinaus fahren, um die Rosa Delfine zu sehen. Die Flussdelfine sind sehr scheue Tiere. Man kann sie zwar oft beobachten, aber sie springen nicht, wie ihre Verwandten im Meer, sie tauchen nur kurz auf, um Luft zu schnappen, tauchen aber gleich wieder ab.

Ausserdem gibt es viele Legenden über die rosa Delfine, die sich nachts in hübsche Männer verwandeln und die jungen Mädchen verführen. Liborio ist völlig überzeugt, dass es hier in Pebas einmal mehrere Delfine gegeben hat, die ein paar Mädchen um Mitternacht mitgenommen haben in ihr nasses Element. Die Mädchen sind nie mehr aufgetaucht.

Rosa mag übrigens die Delfine nicht, einen Grund kann sie mir allerdings nicht geben, sie lacht verlegen, wenn ich sie darauf anspreche.

Wir starten also mit dem offenen Boot, heute leistet mir der Hut von May wieder sehr gute Dienste, denn auch heute brennt die Sonne unerbärmlich vom Himmel.

Zuerst ist das Wasser ruhig, doch dann taucht plötzlich einer auf. Ganz nahe beim Boot, und dort noch einer, ein dritter. Tatsächlich tummeln sich hier beim Zufluss des Ampiyacu in den Amazonas viele Delfine. Immer dort wo zwei Flüsse sich treffen, ist das Wasser tiefer, gibt es mehr Fische und damit mehr Futter. Natürlich bin ich mit meinem Handy auf Empfang, versuche die Wasseroberfläche auf verdächtige Luftblasen abzusuchen, aber die Delfine halten sich nicht an die Regeln, tauchen immer dort auf, wo ich gerade nicht mit der Kamera hinziele und sind längst wieder verschwunden, wenn ich soweit bin, abzudrücken. Aber sie sind überall, in der Nähe, weit weg und manchmal tauchen sie sogar unter dem Boot durch. Ein paar Aufnahmen gelingen mir dann aber doch noch, doch es sind eben nur ganz vereinzelte, weit weg.

Trotzdem ist es ein wunderbares Erlebnis, wie immer, wenn man Tiere in ihrem Element antrifft. Jedenfalls habe ich noch nie so viele Delfine gesehen und ich finde, wichtiger als mit der Kamera, ist das, was ich direkt gesehen habe. Auch Liborio ist völlig begeistert und auch unser Bootsführer freut sich, dass es geklappt hat.

Nach zwei Stunden fahren wir zurück. Ich kühle mich unter der Dusche ab und schlendere später noch ein wenig durch den Ort. Immerhin sind es die letzten Stunden in Pebas, morgen fahren wir zurück nach Iquitos.

Auf der Strasse vor dem Hotel treffe ich auf Tio Victor. Ihn hatten wir am ersten Tag im Bora-Dorf in der Nähe besucht. Ob ich ihm ein wenig helfen könnte, er würde etwas Unterstützung brauchen, meint er. Was er sich den vorstelle, will ich wissen, worauf er meint, dass er dringend eine neue Machete brauche. Er ist überglücklich, dass ich ihm im nächsten Laden eine Machete für 25 Soles kaufe. Jetzt braucht er noch 10 Soles um sie schärfen zu lassen.

Später setze ich mich beim Hafen auf die hohe Treppe und sehe den Booten zu. Ich stelle meine Handy auf das kleine Stativ und sehe zu, wie das Frachtschiff anlegt und entladen wird. Natürlich bleibt das nicht unbeobachtet, kleine Kinder beobachten mich ihrerseits, wollen wissen, was die fremde Frau da vor ihrem Haus macht. Dabei bin ich wieder einmal überrascht, wie sorglos die Kinder hier bei den hohen Treppen, unterwegs sind. Viele sind ohne Geländer und die Kinder könnten ganz einfach darunter hindurch fallen. Doch niemand scheint sich Sorgen zu machen.

Ich hatte auch Lyvia in Brilla Nuevo gefragt, ob sie denn nie Angst hätte und ob sie vielleicht einen Schutz angebracht hatte, als die Kinder noch klein waren. Schliesslich stehen ihre Häuser auf fast zwei Meter hohen Stelzen und die Küche ist überall zum Garten hin offen. Ausserdem hat der lange schmale Steg bis zur Toilette keinerlei Geländer.

Sie hatte mich ganz erstaunt angesehen und sich überlegt, was sie denn gemacht hatte, als die Kinder noch klein waren. "Ich glaube, ich habe es ihnen einfach erklärt, dass sie da aufpassen müssen", meinte sie dann. Und Juan, der gerade in der Hängematte lag, meinte lachend: "Wenn eines hinunter gefallen wäre, hätten wir es wieder heraufgeholt". Aber im Ernst ergänzte er: "Es ist all die Jahre nie etwas passiert. Die Kinder können damit umgehen". - Und die Erwachsenen offenbar auch, hätte ich gern gesagt, wenn ich an all die überbehüteten Kinder bei uns denke.

Die Treppe ist fast 10 Meter hoch und an vielen Stellen ohne Geländer

Die Treppe ist fast 10 Meter hoch und an vielen Stellen ohne Geländer

Während ich da sitze und über die vergangenen Tage nachdenke kommt auch noch der andere Onkel hinzu. Es ist der Maler, der mir am ersten Tag seine Bilder gezeigt hat. Er würde gern sehen, wie die Fotos aussehen, die ich bei ihnen in der Maloka gemacht habe, was für Erinnerungen an sie ich mit mir nach Hause nehme. Er ist zufrieden, als ich ihm seine Bilder zeige und kurz darauf fährt er mit seiner Familie und Tio Victor, der seine neue Machete gut verpackt bei sich trägt, mit dem Boot zurück in sein Dorf. Sie winken mir zum Abschied zu.

Irgendwie ist das berührend, ich bin erst seit ein paar Tagen hier und schon kennen mich ein paar Leute, winken, wenn sie losfahren.

Bei Carlos in der Hafenkneipe ist nichts los, also setze ich mich bei ihm zum Plaudern. Auch er erkennt mich inzwischen, winkt mir jedesmal, wenn ich vorbei gehe. Er lebt schon lange hier in Pebas, ist hier geboren. Eine Zeitlang wohnte er in Iquitos, und ganz kurz sogar in LIma. Doch hier ist sein zu Hause, hier fühlt er sich wohl.

Liborio kommt dazu und zusammen teilen wir uns eine Flasche Bier. Der Wirt will jetzt genauer wissen, wer Liborio ist und erinnert sich dann sehr gut an seinen Vater. "Ja, wir waren zusammen im Militär, ich erinnere mich sehr gut an ihn".

Dann schwärmt Liborio von den vielen Delfinen, die wir am Mittag gesehen haben und fragt ihn nach diesem Ereignis mit den jungen Männern, den verwandelten Delfinen. "Du musst das doch wissen, du lebst schon so lange da", ereifert er sich. Doch der Wirt winkt ab. Es gibt so viele Erzählungen darüber, gesehen habe er sie nie, die hübschen Männer und er weiss auch sonst von niemandem, der ein solches Ereignis erlebt hätte.

Ein wenig entäuscht ist Liborio schon, aber er lässt sich seinen Glauben nicht nehmen. Seine Geschichten von den Delfinen, die junge Mädchen verführen.

Zum Nachtessen gehen wir wieder zum Imbiss, wo wir gestern schon waren. Und heute hat die Wirtin begriffen. Sie erwärmt meine Portion Reis extra noch einmal in einer kleinen Pfanne, so dass ich tatsächlich heiss essen kann. Dazu trinke ich einen kühlen Ananassaft.

Liborio war heute den ganzen Tag etwas aufgedreht. Ich glaube, dass er die ganze Zeit etwas unter Druck war. Es war auch für ihn persönlich ein sehr emotionaler Ausflug zu seinen Familien, die er lange nicht mehr gesehen hat. Und ausserdem nahm er die Verantwortung für mich sehr ernst. "War ich sehr kompliziert?" will ich daher wissen. "Nein, eigentlich nicht," lacht er, "ausser dass du dich nicht im Fluss waschen wolltest". Doch dann wird er ernst. Es war besser, dass du das nicht gemacht hast. Auch ich bin nicht zum Fluss gegangen, denn das stehende Wasser kann der Haut schaden. Es ist besser, dass wir bis Pebas gewartet haben, denn wir sind uns dieses Wasser nicht gewohnt."

Die letzte Nacht in Pebas bricht an. Liborio erhält einen Anruf, das Schnellboot würde morgen früher losfahren, nicht erst um neun Uhr, wir sollten schon um sieben im Hafen sein. Peruanische Zeit, lache ich, aber Liborio verspricht, dass wir pünktlich da sein werden.

ncihts los in der Karaokebar

ncihts los in der Karaokebar

Beim Durchsehen der Videos von heute, habe ich ein recht gutes von den Delfinen gefunden. Das findet man auf meiner Seite zusammen mit den Zeitraffer-Aufnahmen vom Frachtschiff im Hafen von Pebas.

www.bison.ch Peru-Videos

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Immer wenn der Mensch seine Zukunft plant, fällt das Schicksal im Hintergrund lachend vom Stuhl. Dieser Satz hat mich durch das Corona-Jahr begleitet. Eigentlich war mein Abflug nach Südamerika am 3. April 2020 gebucht. Doch dann kam alles anders.
Details:
Aufbruch: 20.06.2021
Dauer: 7 Monate
Heimkehr: 29.01.2022
Reiseziele: Peru
Kolumbien
Argentinien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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