Neustart

Reisezeit: Juni 2021 - Januar 2022  |  von Beatrice Feldbauer

Santa Marta

Abfahrt 21.00 Uhr. Eine Nachtfahrt. Jorge hat mich zum Terminal gebracht und hier warte ich auf die Abfahrt des Busses. Es sind verschiedene Busse, die nächstens starten, der Warteraum ist voller Menschen. Da hocke ich also mit meinem Koffer und meinem Rucksack inmitten der Menschen. Man könnte sich noch mit Proviant eindecken, mit Snacks, mit Wasser, doch ich habe eine Wasserflasche bei mir, das muss reichen.

Es sind 10 Stunden angesagt für die 540 km von Bucaramanga bis ans Meer. In die Karibik. Der Bus ist soeben auf den Parkplatz gefahren und er ist riesig. Mein Platz ist in der unteren Etage, ganz hinten. Ein Fensterplatz. Auch wenn das natürlich nachts keine Rolle spielt, ausser dass es bequemer ist und immer die Hoffnung besteht, dass sich niemand neben mich setzt.

Die Hoffnung hat sich erfüllt, ich bleibe auf meinem Sitz allein, kann meine Handtasche auf den Nebensitz legen, brauche mich nicht einzuschränken. Alles perfekt also. Nur, ich kann schlecht loslassen, kann auf der Fahrt kaum einschlafen.

Mit solchen Bussen kann man kaum Bergstrecken fahren - das beruhigt.

Mit solchen Bussen kann man kaum Bergstrecken fahren - das beruhigt.

Men Platz ganz hinten am Fenster

Men Platz ganz hinten am Fenster

Zum Glück habe ich mir ein neues Buch besorgt. Ein Krimi, der am Nordkap und in Sargans spielt. Was für eine Mischung. Ich fahre also durch die stockfinstere Nacht in Kolumbien und lese von den langen Sommertagen im höchsten Norden Europas.

Venner, ein spannendes Buch von Franziska Hidber und Christian Ruch. Es bringt mich einerseits fast zurück in meine Heimat. Sargans ist nicht allzuweit weg vom Glarnerland, andererseits ans Nordkap, da war ich noch nie, steht aber schon lange auf meiner To-go-Liste. Genau das richtige zum Abschalten, in eine andere Welt eintauchen. Mitunter vergesse ich, wo ich bin, machmal döse ich ein. Aber richtig schlafen kann ich nicht. Auch wenn der Sitz recht bequem ist und die Strasse ruhig. Zwei Sitze vor mir schnarcht jemand. Ansonsten ist es ruhig. Ein oder zweimal halten wir an, kurz vor Mitternacht gibt es sogar einen Halt um etwas Kleines zu essen. Ein Rastplatz, wo sich die verschiedenen Busse treffen. Eine halbe Stunde.

Und dann geht es weiter durch die Nacht. Auf Strassen fast ohne Verkehr. Manchmal huschen ein paar Lichter vorbei, manchmal überholen wir ein langsameres Fahrzeug. Einen Lastwagen. Sehen kann ich hier von meinem Sitz nichts. Das ist auch besser so. Bei solchen Fahrten merke ich immer wieder, wieviel Verantwortung der Chauffeur da vorne am Steuer hat und wieviel Vertrauen ihm die Passagiere entgegenbringen.

Ich bin jetzt am Nordkap, Suche einen Mörder. Oder war es doch ein Unfall? Das Geschehen geht hin und her, bald bin ich in Sargans, radle mit der Protagonistin hinauf zum Chapfensee. Das ist das Schöne am Lesen. Da kann man alles. Atemprobleme verschwinden, man gehört plötzlich zu dem sportlichen Teil der Menschheit, ganz ohne Anstrengung. Manchmal döse ich ein. Und wenn ich dann wieder erwache, muss ich mich erst besinnenm wo ich bin. Auf dem Weg an die Küste, auf dem Weg ans Meer.

Ankunft im Terminal von Santa Marta

Ankunft im Terminal von Santa Marta

Es ist nach acht Uhr, als ich in Santa Marta eintreffe. Jetzt noch den schweren Koffer zu einem Taxi schleppen, dann bin ich unterwegs. Hoffe, dass ich das Zimmer etwas früher beziehen kann, als es in der Bestätigung stand. Kann mir nicht vorstellen, bis 15.00 Uhr zu warten.

Doch diese Hoffnung schwindet schnell. "Das Zimmer ist noch nicht bereit, sie müssen bis drei Uhr warten", meint eine etwas unfreundliche Rezeptionistin. "Sie können auf die Terrasse gehen, da gibt es eine Sitzgelegenheit". Koffer und Rucksack bleiben in der Lobby, einzig den Laptop nehme ich mit. Mein Kapitel von Bucaramange ist noch nicht fertig geschrieben.

Ich kämpfe. suche Worte, feile an Sätzen, aber es will nicht richtig vorwärts gehen. Ich möchte mich jetzt hinlegen, möchte schlafen. Vor mir der Hafen von Santa Maria, das endlose Meer, die Strandpromenade. Doch diese ist von einer schwarzen Folie verdeckt, wird wohl gerade neu gestaltet. Es ist heiss. Tropisch. Kein Lüftchen. Ich möchte jetzt unter einer Klimaanlage sitzen. Doch es hilft nichts, der Zeiger geht nur langsam vorwärts. Endlich, ich habe den letzten Satz getippt. Das Kapitel ist online, es ist Mittag. Vielleicht ist inzwischen ein Zimmer bereit. Ich gehe zurück zur Rezeption.

"Zimmerbezug erst um drei Uhr". Die Rezeptionistin ist unerbittlich. Ich übergebe ihr meinen Laptop, gehe hinaus auf die Strasse. Vom Balkon her habe ich gesehen, dass es da unten ein Restaurant gibt. Die Wirtin ist sehr nett ich bestelle eine Portion Camerones. Ich bin am Meer, da gibt es frische Meeresfrüchte. Sie schmecken wunderbar, nur ich schlafe beim Essen fast ein.

Zwei Mangosäfte später, es ist inzwischen halb drei, stehe ich wieder an der Rezeption. "Zimmerbezug um drei Uhr", meint die Angestellte barsch hinter ihrer Maske. Ich setze mich ergeben in die Lobby, sie hat ja recht. Es stand schon so in der Bestätigung.

Es ist drei Uhr. Wieder stehe ich an der Rezeption und jetzt will die Angestellte meinen Pass. Ich muss ein Formular ausfüllen mit Name, Passnummer und allem was eben zu einem Checkin gehört. Und jetzt bitte den Schlüssel.

Doch damit ist noch nichts, jetzt kommen die Regeln des Hotels. Man will ein grünes Hotel sein, also bitte mit den Handtüchern sparen. Und mit dem Wasser. Und hinten beim Pool gibt es drei Container für getrennte Abfallentsorgung. Ausserdem ist Rauchen verboten. Sie hört überhaupt nicht mehr auf mit ihren Ausführungen. Ich verstehe auch nur die Hälfte, will gar nicht hinhören, will nur schlafen.

Endlich, ein Angestellter bringt mein Gepäck, trägt es sogar hinauf. In den 2. Stock. Genau da wo ich am morgen gesessen bin, ist mein Zimmer. Ist da in dieser Zeit tatsächlich jemand ausgezogen?

Es ist ein grosses Zimmer, immerhin. Es stehen vier Betten darin. Ein Doppelbett, drei Einzelbetten. An der Decke hängt ein grosser Ventilator, den der Angestellte jetzt einschaltet. Es gibt ein grosses Fenster, aber es ist geschlossen. Mitsamt den hölzernen Jalosien. Nein, man kann sie nicht öffnen. Ausserdem ist direkt davor ein öffentlicher Bereich. Sie möchten ja kaum, dass man ihnen nachts ins Zimmer guckt!". Nein, möchte ich nicht, ich möchte im Moment überhaupt nur schlafen.

Sie war definitv nicht optimal, meine Ankunft in Santa Marta. Ich habe dann tatsächlich geschlafen. Viel später am Abend bin ich kurz auf die Terrasse gegangen, habe hinaus gesehen auf den Hafen, zu den Jachten auf der einen Seite, den Hafenkränen auf der anderen. Die Lage ist optimal. so wie ich es auf der Karte gesehen habe. Direkte Sicht auf's Meer und vielleicht die Aussicht auf einen Sonnenuntergang.

Vielleicht liegt es am verunglückten Start hier in Santa Marta, vielleicht aber auch daran, dass ich einfach etwas müde bin. Müde vom Reisen, müde vom Schreiben, von der Hitze. Ich bin seit gut fünf Monaten unterwegs. Da kann sowas schon mal vorkommen. Ich habe das Gefühl, dass ich die Müdigkeit im Moment nicht aus den Knochen bekomme.

Die Bedienung im Hotel bleibt unfreundlich und lieblos. Das Frühstück wird kommentarlos serviert, an der Rezeption scheint man mich nicht zu kennen. Am Nachmittag mache ich mich zu einem ersten Spaziergang auf. Zum Strand und dann zum Hafen. Zwar ist es heiss und ein paar Leute schwimmen im Meer, aber ich kann mich nicht aufraffen, es ihnen gleich zu tun. Lieber suche ich ein Lokal für ein frühes Nachtessen und verziehe mich dann wieder ins Zimmer. Unter den Ventilator. Hinter die geschlossenen Fensterläden.

Moralisch geht es mir gut, ausserdem bin ich gesund, aber ich bin müde, könnte immer nur schlafen. Und das mache ich auch in diesen Tagen. Und beeende irgendwann meinen Krimi. Mache Computerspiele, lasse mich hängen, und mache überhaupt keinen Versuch, auch nur eine Zeile zu schreiben. Es gibt auch nichts zu erzählen.

So vergehen die beiden ersten Tage. Unter meinem Fenster ist abends Party. Da fahren die Partybusse vorbei. Voller junger Menschen die zur Musik tanzen. Es ist nicht so, dass mich das richtig stört, es regt mich auch nicht auf, aber ich merke, dass der Lärm inzwischen ein Bestandteil des Lebens ist und irgendwie eben doch belastend.

Auf meinem Balkon hat inzwischen ein Fitness-Couch sein Trainingslokal eingerichtet. Morgens um neun Uhr fängt er an. "Eins - zwei - drei und vier. Locker bleiben, du schaffst das, und noch einmal, diesmal bis zehn". Nein, ich habe ihm nicht so genau zugehört, aber ungefähr so hört es sich an, wenn er die junge Frau trainiert. Einmal sass ich am Mittag draussen, als er mit ihr kam. Sie musste Kniebeugen machen, Beine grätschen, hüpfen, und Rumpfbeugen. Ich hab mich ins Zimmer verzogen, bevor ich da noch eingebunden wurde.

Glarnertüechli? Natürlich nicht, aber sie kommen ihnen schon sehr nahe.

Glarnertüechli? Natürlich nicht, aber sie kommen ihnen schon sehr nahe.

Partybus

Partybus

Via Roma, das kleine italienische Restaurant, das auch wunderbaren Cappuccino macht.

Via Roma, das kleine italienische Restaurant, das auch wunderbaren Cappuccino macht.

... und schon wieder ein blinkender Partybus mit lauter Musik und feiernden Menschen.

... und schon wieder ein blinkender Partybus mit lauter Musik und feiernden Menschen.

Unten gibt es ein sehr feines italienisches Lokal. Da habe ich am zweiten Abend eine sehr feine Lasagne gegessen. Es ist ja nicht alles schlecht hier, ich werde einfach nicht richtig warm mit dem Ort, dem Hotel und mit meiner Müdligkeit.

Wobei ganz stimmt das natürlich nicht, es ist nämlich ziemlich heiss hier und abkühlen kann ich mich nur unter der kalten Dusche. Mit Warmwasser ist hier nämlich nichts...

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Immer wenn der Mensch seine Zukunft plant, fällt das Schicksal im Hintergrund lachend vom Stuhl. Dieser Satz hat mich durch das Corona-Jahr begleitet. Eigentlich war mein Abflug nach Südamerika am 3. April 2020 gebucht. Doch dann kam alles anders.
Details:
Aufbruch: 20.06.2021
Dauer: 7 Monate
Heimkehr: 29.01.2022
Reiseziele: Peru
Kolumbien
Argentinien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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