Neustart

Reisezeit: Juni 2021 - Januar 2022  |  von Beatrice Feldbauer

Busfahrt

Wie fast jeden Morgen werfe ich gegen 4.00 Uhr einen ersten Blick aufs Handy. Und das lohnt sich heute richtig. Rosi hat geschrieben, dass das Paket von DHL mit den Anhängern von Victoria bereits eingetroffen ist. Ich kann es kaum fassen, das hat tatsächlich nur eine Woche gedauert.

Also machen wir rasch ein wenig Büro zusammen, ich suche die Adressen raus und Rosi sortiert die Päckli. Eine Stunde später haben wir alles geklärt und ich kann mich wieder hinlegen und noch eine Weile weiter schlafen. Ich freue mich grqd extrem, dass das so problemlos geklappt hat. Rosi wird morgen zur Post gehen, damit die Sachen ganz schnell bei den Empfängern sind.

Aussicht vom Frühstücksraum im 5. Stockwerk. Es ist ein nebliger Morgen.

Aussicht vom Frühstücksraum im 5. Stockwerk. Es ist ein nebliger Morgen.

Heute geniesse ich mein Frühstück ganz speziell, denn es wird heute nichts mehr zu essen geben, ich gehe auf Diät. Denn heute steht wieder eine längere Busfahrt an.

Vorher setze ich mich aber noch einmal hin, und schreibe das Kapitel mit den etwas skurrilen Atraktionen, der Hand Gottes und der Burg des verrückten Italieners von vorgestern.

Den gestrigen Tag aber lasse ich bleiben. Ich war mit dem Sammeltaxi nach Sauce gefahren, was zwar eine ziemlich aufwändige Sache war, da es fast ausschliesslich über eine Schotterpiste ging. Unglaublich, dabei fahren die Strecke täglich mehrere Vans und Privatautos. Auch ein paar Lastwagen sind uns begegnet. Ausserdem ging es auf einem Floss über einen breiten Fluss. Sauce hingegen konnte mich nicht begeistern. Ein Touristenausflugsort mit viel Wassersport und Aktivismus. Vom ausgeschriebenen gemütlichen Flanieren entlang des Seeufers war keine Rede. Das lag bestimmt vor allem am Wetter, denn es war ziemlich bedeckt und fing dann auch noch an zu regnen, so dass ich den Ausflug vorzeitig abbrach. Ich traute der Schotterpiste bei diesen Verhältnissen nicht. Kam noch dazu, dass das Essen mehr mässig, denn mittelmässig war und der Service abtörnend. Also ein Tag zum Streichen. Solche braucht es eben auch, damit man die tollen Erlebnisse wieder umso mehr schätzt. Dazu kommen die Bilder im Kopf, die man sich manchmal von etwas macht und dann sieht das komplett anders aus.

Pünktlich um ein Uhr fährt Cesar mit dem Mototaxi vor. Er bringt mich zur Busstation, wo ich dann noch einmal zwei Stunden auf die Abfahrt des Busses warten darf. Cesar erzählt, dass sein Sohn sich vorgestern sehr gefreut habe, dass er mitkommen durfte. Es war für beide ein ungewöhnliches Erlebnis. So schön. Genau solche Erlebnisse sammle ich, die tun mir gut.

Eine Stunde vor Abfahrt, fährt der Bus in die Halle und ich erschrecke fast ein wenig. Soooo gross ist dieser Überlandbus, das war mir gar nicht mehr so bewusst. Wie will der über die schmalen Strassen fahren? Und all die Kurven meistern, die ich auf meinem Navi sehe. Ich werde über die Anden fahren und es wird Nacht sein, und finster.

Der Koffer wird verladen und kurz vor Abfahrt können wir einsteigen. Mit doppelter Maske und Plexiglas-Schild. Ich habe heute morgen extra noch einmal ein neues gekauft, denn das andere habe ich irgendwo liegen gelassen. Es ist wohl mehr eine Alibifunktion, doch zum Einsteigen ist der Schild obligatorisch. Natürlich auch Temperatur messen und Hände desinfizieren.

Ich habe einen Cama-Sitz, einen Bettsitz gebucht. Diese sind unten im ersten Stock, die reinen Sitzplätze sind oben. Ob es eine Toilette gibt im Bus? oder ob die unterwegs mal einen Halt einlegen? Ich hab vergessen zu fragen und suche meinen Fensterplatz, der hinter einem Vorhang ist. Schön diskret und persönlich wie es in der Beschreibung geheissen hat. Ein ruhiger Platz für sie, auf dem sie sich wohl fühlen werden. Die Beinfreiheit ist gut, ich kann auch den Rucksack noch hinlegen und meine Füsse darauf stellen. Die Musik ist auch gut. Das heisst, südamerikanisch laut und selbstverständlich nicht individuell einstellbar. Durch die verdunkelten Fenster kann ich einen Teil der Strasse sehen, aber ich habe ständig das Gefühl, wir würden in der Mitte fahren. Die Geschwingkeit ist wird vorne angezeigt, ich kann es durch den Vorhang erkennen. Zwischen 40 und 50 km. Das geht ja. In den Kurven habe ich das Gefühl, der Bus wäre in Schieflage, er legt sich so richtig ins Zeug. Ich bin froh, dass ich nicht oben sitze, denn da spürt man das noch besser. Aussicht ist sowieso bald weg, denn um sechs Uhr wird es dunkel. Jetzt muss ich einfach meine Gedanken in eine andere Richtung lenken, denn die Vorstellung, wie wir mit diesem riesigen Monster durch die stockfinstere Nacht fahren, kann mich schon etwas beunruhigen.

Der Schlafraum

Der Schlafraum

meine Koje

meine Koje

ich habe das Gefühl, ich reise ikognito, so erkennt mich kein Mensch.

ich habe das Gefühl, ich reise ikognito, so erkennt mich kein Mensch.

Die beste Ablenkung ist lesen. Beim Lesen höre ich die Musik nicht mehr und auch der Aktion-Video, der inzwischen mit genau so hoher Lautstärke über den Bildschirm flimmert, kann mich nicht mehr stören.

Ich habe mir extra das Buch von Anja Siouda für diese Fahrt aufgehoben, denn ich habe gesehen, dass es da um eine Reise geht. Um eine Reise durch Europa. Und plätzlich fahre ich nicht mehr durch die dunkle Nacht auf schmalen Bergstrassen in Peru, sondern entdecke europäische Orte noch einmal. Bummle durch Malaga, wo ich letzte Weihnachten selber war, gehe noch einmal ins Guggenheim-Museum in Bilbao, das ich ebenfalls in bester Erinnerung habe, finde mich in den Grachten von Amsterdam wieder. An diese Stadt habe ich ganz spezielle Erinnerungen und das schönste, ich fahre noch einmal mit dem Riesenrad über Lyon. Mit den beiden Protagonisten lerne ich viel über bekannte Maler und deren Bilder. Es ist eine äusserst ungewöhnliche Geschichte, die mich durch diese lange Nacht begleitet und es ist lang nach Mitternacht, als ich das Buch fertig gelesen abhaken kann. Ich liebe meinen Tolino.

Es fällt mir nicht leicht, zu schlafen, es braucht noch ein Computerspiel, das mir zwar irgendwann fast aus der Hand fällt, bis ich endlich doch ein wenig eindöse. Doch immer wieder erwache ich, kontrolliere, wo wir sind. Über weite Strecken habe ich Internet-Zugang, das ergibt den einen oder anderen kurzen Chat in die Schweiz. Rosi schreibt, dass sie die Pakete aufgegeben hat, morgen werden sie bei den Empfängern eintreffen. Ein Aufsteller.

Als es am Morgen hell wird, kann ich draussen abgeerntete Reisfelder erkennen, Bananenplantagen, einfache Dörfer, eine vierspurige Autobahn - es gibt sie also doch - über die wir mit 80 brettern, die aber auch durch die Dörfer führt, wo immer wieder Schwellen die Fahrt abbremsen. Sie dauert lange, diese Fahrt, endlos lange.

Halt gibt es keine, abgesehen von ganz kurzen Stops, wo wahrscheinlich der Chauffeur gewechselt wird. Doch sehen kann ich davon nichts.

Um zehn Uhr, fast 20 Stunden nach der Abfahrt erreichen wir Trujillo. Die Stadt am Meer weit im Norden von Lima. Der Busterminal wirkt wie ein Flughafen. Davor stehen die Taxifahrer. Trujillo ist eine Grossstadt mit gegen einer Million Einwohnern. Mototaxis scheint es hier nicht zu geben.

Gepäckausgabe

Gepäckausgabe

Ein Impfzentrum beim Busterminal

Ein Impfzentrum beim Busterminal

Mein Hotel liegt direkt am Hauptplatz und macht einen sehr guten Eindruck. Leider ist aber mein Zimmer noch nicht bereit, Checkin-Time ist erst um zwei Uhr und es warten bereits andere Gäste, bis die ersten Zimmer bezugsbereit sind.

So kommt es, dass ich noch einmal gut zwei Stunden warte. Natürlich könnte ich hinaus auf den Hauptplatz gehen, aber ich bin tatsächlich viel zu müde, will jetzt nur noch eines: ein richtiges Bett. Ich versuche, mit ein wenig abzulenken, suche Blumen im Garten, trinke einen Kaffee, einen Papayasaft. Mehr gibt es nicht. Frühstück ist vorbei, Mittagessen noch nicht soweit.

Um ein Uhr ist es soweit. Es ist also schon wieder genau 24 Stunden, nachdem mich Cesar in Tarapoto vom Hotel abgeholt hat, dass ich mein Zimmer in Trujillo beziehen kann.

Ich tauche ab, heute ist von mir nichts mehr zu erwarten.

Tschüss zämä

Tschüss zämä

Viel später, es ist inzwischen dunkel geworden, gehe ich hinunter ins Restaurant, denn seit dem Frühstück gestern morgen hab ich gar nichts mehr gegessen.

Und dann mache ich einen kurzen Rundgang über den Hauptplatz, schliesslich liegt er gleich vor meiner Haustüre. Es ist ein wunderschöner Platz mit vielen typischen kolonialen Häusern mit ihren imposanten Eingängen. Morgen werde ich die Stadt erkunden.

'mein' Restaurant, es sieht imposanter aus, als es ist.

'mein' Restaurant, es sieht imposanter aus, als es ist.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Immer wenn der Mensch seine Zukunft plant, fällt das Schicksal im Hintergrund lachend vom Stuhl. Dieser Satz hat mich durch das Corona-Jahr begleitet. Eigentlich war mein Abflug nach Südamerika am 3. April 2020 gebucht. Doch dann kam alles anders.
Details:
Aufbruch: 20.06.2021
Dauer: 7 Monate
Heimkehr: 29.01.2022
Reiseziele: Peru
Kolumbien
Argentinien
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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