Neustart
Larcomar
Ich bin zu Hause hier in Lima, und ich richte mich entsprechend ein. Ich muss nicht jeden Tag etwas neues entdecken, ich kann ganz gut mal einen Tag im Hotelzimmer verbringen und lesen. Oder Schreiben. Da gäbe es noch einiges aufzuholen.
Am Mittag finde ich aber trotzdem, dass es Zeit wäre für einen längeren Spaziergang. Zum Beispiel nach Larcomar, ans Meer. Es sind zwar laut meinem Handy ganze 11 km, aber ich kann ja wenigstens mal starten und sehen, wie weit ich komme.
Gute 2 Stunden zeigt mein Handy an, doch das geht nur, wenn man flott unterwegs ist. Nicht wie ich, bereits bei der ersten offenen Kirche einen Stop reisst, die Kirche besucht und fotografiert. In Lima wird man - so man will - alle paar Häuser von einer Kirche gestoppt. Sie stammen vorwiegend aus der Kolonialzeit der Spanier, haben eine fantasievolle Fassade, ein grandioses Inneres. Hier bei dem Kloster Jesus, Maria und Josef ist es eine einfache weisse Fassade, der Rest des Gebäudes ist eher klassisch einfach mit dicken gelben Mauern.
Beim Weitergehen habe ich irgendwie das Gefühl, dass etwas fehlt, dass da früher ein Gebäude war, das mir Eindruck gemacht oder gefallen hatte, aber ich komme nciht drauf, was es war. Es ist nichts auffälliges zu sehen. Vielleicht täuscht mich meine Erinnerung, Orientierung ist ja auch nicht wirklich meine Stärke und ich täusche mich wahrscheinlich.
Ich schwenke daher ab und komme bald auf den grossen Platz San Martin. Dieser Platz ist mit dem Plaza Mayor, dem Hauptplatz mit einer breiten Fussgängerpassage verbunden.
Heute ist der Platz angenehm leer und sehr ruhig. Bei meinem ersten Aufenthalt im Juni und auch später im September, fanden sich hier immer grosse Menschenansammlungen ein. Es wurden Reden gehalten, Manifestationen, politische Demonstrationen und Prediger fanden sich ein. Jeder mit seinem eigenen Mikrofon, seiner Musik, seinen Parolen und seinen Anhängern. Heute ist davon nichts mehr zu spüren. Auch wenn die Situation politisch noch nicht ganz geklärt ist, noch immer sind grosse Teile der Bevölkerung mit der Wahl von Castillo zum Präsidenten nicht zufrieden. Aber der Unmut manifestiert sich nicht mehr so sehr in der Öffentlichkeit.
José de San Martin sitzt hoch zu Ross mitten auf dem Platz. Er ist der Mann, der Peru 1721 in die Unabhängigkeit geführt hat. Auch Chile hat er kurz vorher von der spanischen Herrschaft befreit. Gestorben ist er wenige Jahre später in Europa. Ein wichtiger Mann in der Geschichte Südamerikas.
Monument von Miguel Grau - leider kann man ihn aus dieser Sicht nicht sehen, ausserdem wollte ich mehr den Platz, als den Mann aufnehmen.
Weiter gehe ich auf meinem Weg Richtung Meer und komme bald zum riesigen Park zwischen dem Justizpalast und dem Sheraton-Hotel. Es ist ein langer Rasenstreifen mit Rabatten voller Geranien, in den Nationalfarben weiss und rot, der vom Verkehr umfahren wird. Am Ende des langen Parkes kommt der riesige Kreisel mit Miguel Grau in der Mitte. Auch er ein Nationalheld. Ja wahrscheinlich überhaupt derwichtigeste Mann des Landes. Er kämfte als Admiral um 1879 gegen Chile und gewann die meisten Seeschlachten. Heute tobt der Verkehr der Hauptstadt pausenlos um seinen riesigen Platz und überall wurden Gebäude, Plätze und Institurionen nach ihm benannt. Auf den Namen Grau stösst man in Peru überall.
Als nächstes komme ich zum Fussballstadion. Es ist mit 80'000 Zuschauern das grösste von Südamerika. Im Januar 2020 hatte ich es besucht und die beiden Mädchen, die uns herum führten, zeigten uns stolz die Präsidentenloge, wo dieser jeweils seine Gäste einlud und während den Spielen verköstigte. Ob der neue Präsident diese Loge auch benutzen wird? Bisher wird es wohl kaum ein Spiel gegeben haben.
Inzwischen brennt die Sonne heiss vom Himmel, die Strasse, der ich jetzt folge ist sehr gut befahren und es wird tropisch. Schade, dass der nächste Park geschlossen ist, es scheint ein privater Bereich zu sein.
Dafür komme ich jetzt zu Blumengeschäften. Man bindet hier Kränze für Abdackungsfeiern, Blumenbouquets, wunderschöne Arrangements. Da muss es in der Nähe einen Friedhof geben. Nein, keinen Friedhof, da hinter der Mauer sei eine Abdankungshalle, wo die Menschen sich von ihren Toten verabschieden, erklärt mir die Besitzerin eines Geschäftes, die grad dabei ist, rosa Lilien zu einem Bouquet zu binden. Am liebsten würde ich ihr eines abkaufen, die Blumen würden sich in meinem Hotelzimmer sehr gut machen.
Doch mein Weg bis zum Meer ist noch weit, ich will weiter.
Kurz danach finde ich es trotzdem zu heiss zum Laufen. Ausserdem habe ich noch nicht einmal die Hälfte des Weges, aber schon fast zwei Stunden geschafft. Wenn ich so weitermache, komme ich direkt zum Sonnenuntergang beim Meer an.
Also halte ich ein Taxi an und als ich ihm erzähle, dass ich die Strecke eigentlich laufen wollte, lacht er mich rundwegs aus. Das bringt mich fast dazu wieder auszusteigen und mir zu beweisen, dass es eben doch zu schaffen wäre. Doch ich lasse es, zu bequem ist es. die Strecke jetzt zu fahren, und schon nach ein paar Minuten steige ich beim Larcomar aus.
Larcomar, dieses Geschäftsviertel, das 100 Meter über der Steil-Küste hängt. Eingeklemmt unter den eindrucklichen Türmen des Marriot-Hotels und mit der unüberbietbaren Aussicht auf das Meer, den Pier mit der Rosa Nautica weiter unten und den Stränden, wo sich immer Surfer tummeln.
Es gibt hier all die exklusiven Geschäfte, feine Restaurants mit Blick aufs Meer und umfassenden Speisekarten. Und farbigen Drinks. Mir ist zwar bei der Wärme nur nach einem frischen Papayasaft. Ich setze mich unter die Sonnenschirme im Mangos, sehe zu, wie sich das Restaurant füllt, wie die Kellner alles tun, um ihre Gäste so richtig zu verwöhnen. Da wird zum Beispiel im letzten Moment, bevor das Essen serviert wird, noch eine ganze Gruppe umplatziert, weil grad ein grösserer Tisch vorne bei der Aussicht frei wird. Die Gäste freuen sich riesig, aber die Kellner haben jetzt alle Hände voll zu tun, den einen Tisch neu aufzudecken, den anderen wieder bereits zu machen und alle Getränke den Gästen hinterher zu tragen. Mir imponieren solche Aktionen, denn mir ist bewusst, wie aufwändig das ist und dass sich die Gäste mit der zweiten Reihe abgefunden hatten. Jetzt aber geniessen sie ihr Essen doppelt in der ersten Reihe.
Im Hintergrund läuft Weihnachtsmusik. Jingle Bell, Last christmas, Santa Claus ist coming to town, I am dreaming of a white Christmas.
Langsam komme ich trotz Wärme und Palmen vor meinen Augen in eine lässige Weihnachtsstimmung. Ich habe heute etwas Papier dabei und versuche, ein paar Gedanken aufzuschreiben, bleibe einfach sitzen, während rund um mich die Gäste kommen und gehen und die Kellner riesige Tabletts mit Essen herumschleppen.
Es ist grad der Moment, ein wenig mit der Schweiz zu chatten, etwas vom Schnee, der dort in den Bergen liegt, mitzubekommen. Es ist dieses Leben in zwei Welten, was ich so liebe. Ich bin eigentlich immer mit meiner Heimat verbunden, weiss immer, welche Zeit dort grad ist, versuche, die Verbindung zu behalten und trotzdem immer ganz im hier und jetzt zu sein. Den Moment ganz bewusst zu erleben.
Irgendwann kommt eine Message von Juan. Er will wissen, wie ich mich wieder eingelebt hätte, wo ich grad sei. Er hat noch eine Tour zu fahren und könnte in einer Stunde hier sein.
Wir verabreden uns im Parkhaus vom Larcomar, da kann er sehr einfach einfahren und jenachdem, was wir dann machen wollen, können wir auch gleich weiter fahren.
Bei einem kurzen Rundgang durch Larcomar, stosse ich auf Paddington. Dieser kleine sympatische Bär auf Reisen wurde ja bekanntlich eines Tages von der Familie Brown an der Paddington-Station in London gefunden. Er war als blinder Passagier von Peru nach London gereist. Um den Hals trug er ein Schild mit der Anweisung: Please lock after this bear. Thank you - bitte kümmern sie sich um diesen Bären. Danke.
Das war 1958, inzwischen scheint er den Weg zurück nach Peru gefunden zu haben. Ich fand die Geschichte immer so schön, lange bevor ich wusste, dass ich je selber nach Peru reisen würde. Im Gegenteil, kennen gelernt habe ich Paddington tatsächlich in der Paddington-Station in London, wo damals alle Läden von Bären überquollen
Paddington ist zurück in Lima
Paddington ist ein hübsches Kinderbuch von 1958, geschrieben von Michael Bond.
Als Juan kommt, fahren wir gleich weiter zum Salto del Fraile. Das ist da, wo der verrückte Mönch für ein paar Soles ins Meer springt. Ich wollte das einfach noch einmal sehen, wollte wissen, wie das dieser Fernando macht.
Er erzählt, dass er seit 39 Jahren davon lebt. Das ist sein Beruf. Er ist jeden Tag hier, wartet auf Touristen und wenn ihm jemand 20 Soles verspricht, macht er den Sprung ins Wasser. Während des ganzen Jahres. Heute ist er 50 Jahre alt und nicht mehr der einzige Mönchstaucher.
Dann steht er auf der Klippe, grüsst noch einmal in alle Himmelrichtungen und vergewissert sich, dass ich meine Kamera im Anschlag habe, Verharrt einen Moment und springt dann in die Tiefe. Dabei muss er aufpassen, dass er vom Felsen wegspringt, denn direkt unter seinem Absprungort sind Felsen. Das Meer sei dort wo er aufschlägt meistens tief genug, aber manchmal, wenn es etwas niedriger ist, muss er beim eintauchen aufpassen, dass er gleich abdreht, um nicht mit dem Kopf den Boden zu berühren.
Bald nach dem Eintauchen, taucht er wieder aus den wilden Wellen auf und macht sich an den Aufstieg. Kurz bevor er abgesprungen ist, hat er sich noch mit einem Seil festgebunden. Nicht, damit es ihn aufhält, sondern, damit er sich damit wieder zum Felsen bringen kann. Dann klettert er blitzschnell hinauf und steht schon bald triefend nass vor mir. Daumen hoch und ausser Atem. Der Aufstieg scheint ihm doch immer schwerer zu fallen.
Zum ersten Mal, seit ich hierher komme, ist das Restaurant an diesem tollen Aussichtspunkt tatsächlich offen. Ich war auch bei früheren Besuchen in Lima schon an diesem Punkt vorbei gefahren, ohne vom Sprung zu wissen, aber das Restaurant war immer geschlossen.
Heute ist es offen und es erweist sich als sehr fein. Sehr schön aufgedeckt, elegant mit gutem Service und exzellenter Küche.
Von unserem Tisch haben wir einen perfekten Blick hinaus auf die wilde Küste, wo anscheinend grad ein Musikvideo gedreht wird. Jedenfalls ein Teil davon. Zwei junge Tänzerinnen und ein Sänger stehen unten auf einem Felsvorsprung und tanzen zu einer Musik, die nur sie hören, während über ihnen einen Drohne ihre Kreise zieht.
Und dann können wir noch einmal einen Sprung sehen. Diesmal scheint es ein anderer Mönch zu sein, Fernando steht jedenfalls noch oben an der Strasse, sucht sich einen neuen Sponsor.
Als die Sonne glühend rot über dem Meer untergeht, gehen wir hinaus, sehen ihr die letzten Sekunden zu und bleiben noch einen Moment auf den Klippen stehen.
Und dann wird es dunkel, wir fahren zurück in die Stadt.
Aufbruch: | 20.06.2021 |
Dauer: | 7 Monate |
Heimkehr: | 29.01.2022 |
Kolumbien
Argentinien