Neustart
Geldprobleme
Dass das ein schwieriger Tag würde, ist mir am Morgen noch nicht klar. Zwar konnte ich gestern kaum Bargeld aus dem Automaten holen, aber ich bin überzeugt, dass ich etwas falsch gemacht habe, mich vertippt, nicht richtig gelesen, weil ich glaubte, dass ich das inzwischen blind kann. Code Eingeben, Geldbezug drücken, Maximalbetrag auswählen, warten bis es rattert und dann kommt das Geld.
Hier gibt es noch ein paar Funktionen mehr, als nur Geldbezug oder Kontostand abfragen, auch muss man angeben, ob Debit- oder Kreditkarte. Bestimmt habe ich da was verpasst.
Ich bin also völlig unbeschwert, als ich am Mittag noch einmal zur Bank gehe. Diesmal will ich es systematisch machen. Will alle Texte auf dem Bildschirm genau lesen, und das ganze mit verschiedenen Karten noch einmal versuchen. Auch könnte ich die Funktion 'anderen Betrag' eingeben und nicht einfach den vorgeschlagenen Maximalbetrag von 2000 Peseten antippen.
Vorher war ich noch bei einem kleinen Kiosk um die Ecke und wollte mir eine Sim-Karte fürs Internet besorgen. Er könne mir die Karte für 90 Peseten verkaufen, meinte der Verkäufer, dann müsse ich sie nur noch installieren, aktivieren und online aufladen. Alles ganz einfach. Danke, alles ganz einfach, das werde ich bestimmt schaffen.
Hat nur soweit geklappt, dass ich die Karte im Handy einbauen konnte, weiter ging es nicht. App nicht auffindbar. Oh Mann. Und wo setze ich mich hin, um mich in Ruhe mit dem Ding zu befassen? In ein Cafe traue ich mich kaum, denn mein Bargeld ist bedenklich am Schrumpfen.
Und ausserdem will ich mit der Bank sprechen. Internet und Geld, beides braucht Zeit zum Studieren. Also doch erst das Geld. Ich muss mich ausweisen, damit ich überhaupt in eine Bank hinein komme. Temperatur wird gemessen. Dann muss ich am System meine Passnummer eingeben, damit ich einen Code bekomme. Was da nicht geklappt hat, weiss ich nicht, jedenfalls stürzt der Code-Ausgabe-Computer erst einmal ab, muss neu gestartet werden. Das ist nicht sehr vertrauenswürdig, der Aufpasser jedenfalls schaut mich hinter seiner Maske nicht sehr freundlich an. Endlich, ich kann einen zweiten Versuch starten, muss aus der Auswahl der möglichen Gesprächsthemen, die man mit dem Berater haben könnte, das richtige auswählen: Cliente und Kreditkarte wähle ich. Und bekomme tatsächlich eine Nummer. Und jetzt? "Dort hinsetzen", weist mich die Aufsicht hin. Bis ich verstanden habe, wo die verschiedenen Codes angezeigt werden und was es mit den Puestos/Schaltern auf sich hat, ist mein Code bereits zwei Stellen hinuntergerutscht und ich versuche, dem Mann zu erklären, dass ich wahrscheinlich schon längst hätte dran sein können. Er schaut sich meinen Zettel jetzt doch noch einmal an: "Neuen Code abholen und wieder hinsetzen."
Diesmal reagiere ich schneller und sitze tatsächlich kurz darauf vor einer jungen Frau. Versuche ihr mein Problem mit dem Geldbezug zu erklären. Sage, dass ich mit meiner Karte tatsächlich höchstens 2000 Peseten beziehen könne und dass das mit allen meinen drei Karten genau gleich sei.
"Nicht unser Problem", meint sie nachdrücklich, "melden Sie sich bei ihrer Bank, sie haben eine zu niedrige Limite". Danke und der nächste bitte.
Also zurück ins Hotel, da hab ich Ruhe, kann mich hinsetzen, mit dem Laptop den Kontakt mit den Kreditkarten-Banken suchen. Anrufen kann ich übrigens nicht mehr, mein Swisscom-Limit ist aufgebraucht, seit mich vor ein paar Tagen jemand auf der normalen Linie angerufen hat. Ich hatte nicht darauf geachtet, jetzt muss ich warten, bis im nächsten Monat die Limite wieder neu gesetzt wird.
Doch man kann die Limite auch manuell erhöhen. Das mache ich jetzt und rufe die Cornerbank an. Nein, meine Kreditlimite ist absolut in Ordnung, es muss sich um ein Problem der argentinischen Bank handeln. Die Dame hat noch nie von einem solchen Problem gehört, ich soll mich bei einer anderen Bank hier in Buenos Aires erkundigen. Eigentlich kann ich mir das fast nicht vorstellen, dass man noch nie davon gehört hat, wenn man in der Hotline einer Kreditkarte arbeitet. Mit der nächsten Bank und auch mit der UBS versuche ich, per Mail in Kontakt zu kommen. Gar nicht so einfach, eine Verbindung zu finden. Telefonnummern oder email-Kontakte stehen nicht in der Homepage.
Aber es gibt eine Help-Funktion mit vielen vorbereiteten Fragen. Meine ist nicht dabei. Ich lese trotzdem ein paar Antworten durch. Hat ihnen unsere Antwort geholfen? steht dann da. Nein - und jetzt endlich geht ein Kontaktformular auf. Ich kann mein Problem schildern.
Auf Antwort muss ich heute nicht mehr hoffen, bin auch nicht sicher, ob der UBS-Berater überhaupt der richtige Ansprechpartner sein wird.
Inzwischen habe ich gegoogelt und erstaunliches festgestellt:
- In Argentinien ist Bargeld sehr wichtig, man kann nicht darauf vertrauen, dass man überall mit Karte zahlen kann. Achten sie darauf, immer genügend Bargeld bei sich zu haben, lautet der Tipp.
- Man kann in den grösseren Städten überall Bargeld aus den Automaten holen, aber die tägliche Limite ist ziemlich beschränkt: Zwischen 1000 und 2000 Peseten.
Ich suche weiter, kann nicht fassen, was ich da lese. Noch nie hatte ich mir Gedanken gemacht, wie ich zur Landeswährung komme. Egal wo ich bin, hole ich das Geld aus dem Automaten. Die bank- oder landesüblichen Limiten sind dabei natürlich verschieden, aber dass ich pro Bezug nur knapp 20 Franken bekomme und dazu 10 Franken Spesen bezahlen soll, macht Bargeld fast goldähnlich. Und jetzt kann ich mir noch viel weniger vorstellen, dass die Dame von Cornercard noch nie etwas von Problemen in Argentinien gehört hat.
Hätte ich mich darauf vorbereiten sollen? Ich hätte natürlich Dollars mitnehmen können. Ein paar wenige habe ich dabei, als absoluten Notvorrat, doch die habe ich seit Jahren im Portemonaie, noch nie gebraucht. Ausserdem wäre es mir nie in den Sinn gekommen, mich über den Bargeldbezug zu informieren. Hat bisher überall auf der Welt geklappt. In Thailand und Peru konnte ich auch schon mal am Bankschalter deutlich höhere Beträge als die Tageslimite abholen. Hier scheint das nicht möglich zu sein.
Doch es ist nicht aller Tage Abend, es ist erst Montag-Abend und morgen starte ich einen neuen Versuch.
Jetzt gehe ich erst einmal nach San Telmo. Wollte ich ja schon am Mittag. Nur noch kurz das mit dem Internet und dem Bargeld lösen, dachte ich mir.
Bei der Internet-Karte hat mir dann die Verkäuferin des Kioskes geholfen. Sie hat bei Movistar angerufen und die Karte aktiviert. Hat auch wunderbar funktioniert mit der Verbindung, solange ich im Laden war. Und auch noch einen Moment darüber hinaus. Später, als ich ein Video aufladen wollte, ging aber nichts mehr, es war mein eigener Swisscom-Tarif, den ich jetzt grad auch noch aufgebraucht habe. Werde morgen ein Movistar-Geschäft suchen müssen. Sonst wird das nichts.
Die kleine Plaza Dorrego ist nur ein paar Blocks entfernt. Hier, im Zentrum von San Telmo wurde früher Tango getanzt für die Touristen. Ich hoffe, dass das auch heute noch so ist. Hier habe ich bei meinem ersten Besuch in der Stadt, eine der heute besten Tangotänzerinnen kennen gelernt. Maria Ines hat mir ein paar Stunden gegeben. Heute unterrichtet sie als Tangostar in der ganzen Welt. Nicht dass ich es am Schluss gekonnt hätte, argentinischer Tango ist viel komplexer, als wir uns das vorstellen, aber ich habe damals eine Ahnung bekommen, worum es geht und worauf es ankommt.
Bevor ich mich in eines der Strassencafes setze, erkläre ich der Bedienung mein Dilemma mit dem Bargeld. Hier kannst du mit Karte bezahlen, beruhigt sie mich, doch als ich ihr mein Problem etwas ausführlicher schildere, weist sie mich an eine Apotheke in der Nähe, Dort könne man direkt an der Kasse Bargeld beziehen. War aber auch nichts, ausländische Karten könne man nicht abwickeln, hat mir die Verkäuferin erklärt. Und jetzt kommt es auch der Bedienung in den Sinn, dass sie als Peruanerin in Argentinien zuerst ebenfalls Probleme hatte mit dem Bargeldbezug.
Ich bestelle ein gegrilltes Hühnchen mit Pommes, hab ja heute noch gar nichts gegessen, dazu eine Limonade mit Minze, die wunderbar erfrischend schmeckt und versuche, das leidige Geld-Problem zu vergessen.
Sehe dem Paar zu, das auf dem Stück Teppich, das sie auf dem Platz ausgelegt haben, tanzt. Und wie sie tanzen! Es ist fantastisch. Eine stolze junge Frau, die sich von ihrem erfahrenen Tänzer führen lässt, der ihr alle Freiheit lässt, sich zu bewegen, sich und dem Publikum zu gefallen, und sie dann doch wieder ganz nah zu sich heranzieht. Ein argentinischer Tango erzählt ganze Geschichten. Geschichten von Beziehungen. Vom sich finden, sich verlieren und wieder finden.
Erst als die Tänzerin mit dem Hut die Runde macht, merke ich mein Dilemma wieder. Ich lasse am Schluss das Trinkgeld auf die Rechnung schlagen und bezahle mit Karte. Wird zwar auch nicht gern gesehen, musste aber einfach sein.
Argentinien wird mir wohl einen völlig neuen Umgang mit Geld beibringen.
Langsam komme ich wieder auf dem Boden an, nachdem ich gestern noch glaubte, zu fliegen, vor lauter Freude überhaupt hier zu sein.
Aufbruch: | 20.06.2021 |
Dauer: | 7 Monate |
Heimkehr: | 29.01.2022 |
Kolumbien
Argentinien